Türkei

Finanzmärkte begrüßen Sieg der AKP in türkischen Parlamentswahlen

Politik, Wirtschaft und Finanzen in den USA, der EU und der Türkei selbst haben den Sieg der gemäßigt islamistischen AKP [Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung] von Premierminister Recep Tayip Erdogan bei den Parlamentswahlen vom Sonntag begrüßt.

Die amerikanische Botschaft in Ankara war die erste, die Erdogan zu seinem Wahlsieg gratulierte. In einer offiziellen Stellungnahme erklärte sie, dass die US-Regierung sich darauf freue, mit der neuen türkischen Regierung in Fragen zusammenzuarbeiten, "die für beide Länder von Bedeutung sind". Diese Unterstützung der AKP durch die US-Botschaft wurde vom Zentralorgan der amerikanischen Finanzwelt, dem Wall Street Journal, wiederholt. Die Zeitung schrieb: "Das Ergebnis ebnet einer Fortsetzung pro-westlicher und wirtschaftsfreundlicher Politik den Weg...". Das WSJ merkte an, dass "das Ansehen der USA und der EU in den Augen der öffentlichen Meinung gesunken ist", freute sich aber, dass "die AKP sich weitgehend freundlich gegenüber Washington verhalten hat und verspricht, sich weiterhin für einen EU-Beitritt der Türkei einzusetzen".

Der Präsident der Europäischen Kommission Jose Manuel Baroso gratulierte dem türkischen Premierminister Erdogan ebenfalls "zu seinem beeindruckenden Sieg". Der EU-Kommissar für Erweiterung Olli Rehn äußerte sich ähnlich.

Ein von der Zeitung Independent zitierter Kommentar brachte die Begeisterung internationaler Finanzinvestoren und Finanzmärkte über den AKP-Sieg auf den Punkt: "Die Aussicht auf eine Alleinregierung der AKP mit weniger als den für eine Verfassungsänderung notwendigen zwei Dritteln der Sitze ist in den Augen internationaler Investoren geradezu ideal."

Nach einem deutlichen Hoch am türkischen Aktienmarkt als Reaktion auf das Wahlergebnis äußerten auch einige bekannte türkische Geschäftsleute ihre Unterstützung für die AKP. Der Kommentar von Tugrul Kutadgobilik, dem Vorsitzenden des Türkischen Arbeitgeberverbandes MESS war typisch für die allgemein positive Reaktion von Wirtschafts- und Finanzkreisen auf den Sieg der AKP: "Die Türkei will Hoffnung, Wirtschaft, Stabilität und Beschäftigung. ... Die Wahl einer Einparteienregierung und der Zuwachs an Stimmen für die AKP von 14 Prozent machen deutlich, wie ernsthaft nach Stabilität verlangt wird", so Kutadgobilik.

Bei den Parlamentswahlen in der Türkei am Sonntag hat die regierende AKP ihren Stimmenanteil deutlich verbessern können. Die gemäßigt islamistische AKP errang 46,6 Prozent der Stimmen (gegenüber 34 Prozent in 2002) und wird mit 340 Abgeordneten (330 in 2002) im neuen Parlament vertreten sein. Das türkische Parlament hat insgesamt 550 Abgeordnete. Die Wahlbeteiligung war mit über 80 Prozent ebenfalls höher als die 74 Prozent in 2002.

Das Ergebnis vom Sonntag ist eine herbe Niederlage für größte Oppositionsfraktion und Partei mit den ältesten Traditionen in der türkischen Republik, der CHP [Republikanische Volkspartei]. Bei den Wahlen von 2002 erhielt die CHP 19 Prozent der Stimmen (177 Abgeordnete). Dieses Mal war sie trotz einer Zusammenarbeit mit der DSP [Demokratische Linkspartei] lediglich in der Lage, ihren Stimmenanteil auf 21 Prozent zu erhöhen. Aufgrund der großen Zahl von neuen Abgeordneten hat sich ihre Anzahl der Sitze im neuen Parlament auf 111 reduziert.

Die ultranationalistische MHP [Partei der Nationalistischen Bewegung] von Devlet Bahceli konnte Unterstützung von enttäuschten CHP-Anhängern gewinnen und erhöhte ihren Stimmenanteil von 8,35 Prozent in 2002 auf 14,3 Prozent (71 Sitze). Das ist aber immer noch weit von den 20 Prozent entfernt, auf die die Partei, die ihren Wahlkampf auf der Grundlage von hemmungslosem türkischem Chauvinismus führte, gehofft hatte. Die MHP hat in ihrem Wahlkampf bösartige Feindschaft gegen die kurdische Minderheit in der Türkei geschürt, für eine Invasion in den kurdischen Nordirak durch die türkische Armee gehetzt und diverse demagogische soziale Versprechungen gemacht.

Ein wichtiger Faktor bei den Stimmengewinnen der MHP ist die Kampagne europäischer Regierungen gegen eine EU-Mitgliedschaft der Türkei. Im Einklang mit den antiislamischen Kampagnen in ihren Ländern haben Angela Merkel und Nicolas Sarkozy sich wiederholt gegen eine türkische EU-Mitgliedschaft ausgesprochen. Die Stimmenzuwächse der MHP machen deutlich, dass die Partei in der Lage war, einen Teil der wachsenden Opposition gegen die EU in der Türkei in reaktionäre ultranationalistische Kanäle zu lenken.

Zusätzlich zu den drei Parteien, die genügend Stimmen zum Einzug ins Parlament erhielten - das türkische Wahlgesetz verlangt dazu mindestens zehn Prozent der Stimmen - haben 27 "unabhängige" Kandidaten Parlamentssitze erhalten. Davon werden 24 Sitze an die Kurdisch-Nationalistische DTP [Partei für eine Demokratische Gesellschaft] gehen. Die DTP stellte Direktkandidaten auf, um die restriktive Zehnprozenthürde zu umgehen. Unter Bedingungen wo die AKP die für eine Verfassungsänderung notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit verfehlt hat, könnte die DTP im nächsten Parlament eine wichtige Rolle spielen.

Niederlage der CHP

Die Ergebnisse vom Sonntag bedeuten ein politisches Debakel für die CHP, die unter ihrem Führer Deniz Baykal jetzt die fünfte Wahlniederlage in Folge einstecken musste. Dazu kam noch, dass Erdogan in der Lage war, eine Reihe prominenter CHP-Mitglieder als AKP-Kandidaten gewinnen konnte.

Die CHP unterlag der AKP sogar in ihrer Hochburg - der westtürkischen Metropole Izmir. Dort fiel die Zahl der der CHP von 16 in 2002 auf nur noch 11 nach den Ergebnissen vom Sonntag. Die AKP konnte dagegen ihren Stimmenanteil auf 30,5 Prozent fast verdoppeln und die Zahl ihrer Abgeordneten aus der Stadt leicht erhöhen. Selbst die örtliche Handelskammer stellte sich nicht hinter die CHP. "Die Wähler haben der AKP noch eine Chance gegeben," erklärte der Vorsitzende der Handelskammer von Izmir (IZTO), Ekrem Demirtas. "Die Menschen haben für Stabilität und Versöhnung gestimmt", fügte er hinzu.

Triumphierende Gegner der CHP riefen deren Parteiführer auf, eines seiner Versprechen aus dem Wahlkampf zu erfüllen. Deniz Baykal hatte erklärt: "Wenn wir in dieser Parlamentswahl besiegt werden, werde ich nach Rhodos schwimmen."

Als traditionelle Partei des kemalistischen Establishments und Organisation mit den besten Beziehungen zum Militär bedeutet die Niederlage der CHP eine schallende Ohrfeige der türkischen Wähler für die Versuche der Armee, sich in die türkische Politik einzumischen und die gewählte Regierung zu destabilisieren. Im April drohte die Armeeführung praktisch unverhohlen mit einem Putsch, sollte die Regierung ihr führendes Mitglied, Außenminister Abdullah Gül zum Präsidenten wählen zu lassen.

Gleichzeitig zog die Armee massiv Truppen an der türkischen Grenze zum Nordirak zusammen und hat immer wieder mit einem grenzüberschreitenden Militäreinsatz gegen PKK-Guerillas dort gedroht. Parallel zur Kampagne der Armee organisierten die CHP und MHP eine Reihe von Massendemonstrationen in verschiedenen türkischen Städten, um die AKP-Regierung unter Druck zu setzen. Die Entscheidung Erdogans, vorgezogene Neuwahlen auszurufen, war eine direkte Reaktion auf diese Angriffe von Militär und CHP auf seine Regierung.

Die türkische Armee hat ihrerseits ihre Provokationen verstärkt. Mitte letzter Woche, nur wenige Tage vor der Wahl, bombardierte das Militär Positionen im Nordirak, was von der irakischen Regierung sofort verurteilt wurde.

Dass die CHP nicht in der Lage war, die Provokationen der Armee politisch zu nutzen, zeigt eindeutig das Ausmaß der Opposition in der Bevölkerung gegen die Machenschaften des türkischen Generalstabs und des korrupten kemalistischen Establishments, das immer noch einige wichtige staatliche Einrichtungen unter Kontrolle hat und über starke Unterstützung in der türkischen Gewerkschaftsbürokratie verfügt.

Die AKP - eine Regierung der Banken und Konzerne

Während die AKP bei den Wahlen vom Sonntag von der breiten Ablehnung der kemalistischen Parteien und Institutionen profitieren konnte, ist die Partei von Erdogan nicht weniger entschlossen, die kapitalistischen Verhältnisse in der Türkei zu verteidigen wie ihre Gegner. Die AKP wurde im August 2001 auf der Grundlage einer Vereinigung von Kadern der vorher verbotenen Wohlfahrtspartei [RP] mit Aufsteigern aus der anatolischen Bourgeoisie, Händlern und Kaufleuten, ins Leben gerufen.

Unter den Bedingungen einer schweren Finanzkrise und starker Inflation konnte die AKP ein Jahr nach ihrer Gründung bei den Parlamentswahlen 2002 die Mehrheit der Sitze erobern. Nachdem sie dazu noch eine Kampagne gegen die Angriffe der Banken und Konzerne geführt hatte, stellte sie sich schnell als loyaler Verteidiger des Freien Marktes und des Profitsystems heraus.

Seit sie die Macht übernommen hat, ist die AKP oft für ihren wirtschaftsfreundlichen "Realismus" gelobt worden. Ein Eckpfeiler ihrer Politik war in diesem Zusammenhang die Einführung eines "Gesetzes über Ausländische Direktinvestitionen", das die Attraktivität der Türkei als Billiglohnstandort für internationale Konzerne stark erhöhte. In 2001 machten die ausländischen Direktinvestitionen [Foreign Direct Investment, FDI] gerade einmal 1,1 Mrd. $ aus. Im Jahr 2006 waren es 20 Mrd. $, und dieses Jahr sollen es Schätzungen zufolge 27 Mrd. $ werden.

Auf einer Konferenz in Istanbul Anfang April diesen Jahres, die von Tuskon, dem größten Wirtschaftsverband der Türkei, organisiert wurde, erklärte der türkische Wirtschaftsminister Ali Babacan: "Die Botschaft der ausländischen Direktinvestitionen ist, dass sie Vertrauen in die Zukunft dieses Landes haben." Seit die AKP an die Macht gekommen ist, sind die türkischen Börsenkurse fast um das fünffache gestiegen.

Das aggressive Privatisierungsprogramm der AKP hat große internationale Banken wie die Citigroup, BNP Paribas SA, Fortis, Rabobank und andere ermuntert, große Anteile an türkischen Banken zu erwerben. Jetzt versuchen auch große Telekommunikationsunternehmen, die EU-Beitrittspläne der Türkei zu nutzen. Das internationale Interesse an türkischem Grundbesitz steigt ebenfalls. Asiatische und andere Unternehmen wollen ebenfalls ihren Anteil an den hohen Profiten, die man in der Türkei machen kann.

Während die Türkei seit einigen Jahren beträchtliches Wirtschaftswachstum erlebt hat, ist die Verteilung von dessen Früchten sehr ungleich - insbesondere arme Bauern sind immer wieder gegen die Auswirkungen der AKP-Politik auf die Strasse gegangen. Während es Teilen der türkischen Mittelschichten und insbesondere der anatolischen Bourgeoisie beträchtlich besser geht, ist die Arbeitslosigkeit vor allem in ländlichen Gebieten nach wie vor hoch und der Lebensstandard der armen Schichten in den Städten hat sich ebenfalls nicht wirklich verbessert. In seinen Verlautbarungen unmittelbar nach der Wahl machte Erdogan klar, dass er mit seiner Politik, die Türkei dem internationalen Finanzkapital zu öffnen, weitermachen wird. Das wird die wachsenden sozialen Spannungen in der türkischen Gesellschaft nur noch mehr verschärfen.

Fragen vor denen die neue Regierung steht

Während die Wähler der kemalistischen CHP und ihren Freunden in der Armee eine klare Abfuhr erteilt haben, hat sich die AKP-Führung kontinuierlich an deren Positionen anzupassen versucht.

Auf dem Höhepunkt ihres Konflikts mit der Armee und deren Unterstützern in der CHP und den "unbewaffneten Streitkräften" beschuldigte AKP-Führer Erdogan das kemalistische Establishment, "eine Kugel gegen die Demokratie" abgefeuert zu haben. Im Laufe der Wahlkampagne schlug Erdogan jedoch sehr viel versöhnlichere Töne an. Einen Tag nach der Provokation des Militärs vom letzten Mittwoch, den Nordirak zu beschießen, kündigte Erdogan Pläne für ein trilaterales Treffen mit Vertretern der Türkei, der USA und des Irak an, um eine Strategie gegen die verbotene PKK [Arbeiterpartei Kurdistans] zu diskutieren. Das Treffen soll unmittelbar nach den Wahlen stattfinden.

Die schnelle Geste der Unterstützung für den Sieg der AKP durch die US-Botschaft in Ankara macht deutlich, dass die USA bereit sind, mit Erdogan Gespräche zu führen. Kurz nach der US-Botschaft gratulierte Erdogan der irakische Präsident und Führer der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) Jalal Talabani. Die kurdischen Nationalisten im Irak setzen ihre Hoffnungen offenbar ebenfalls auf einen Deal mit dem türkischen Premierminister, um die PKK im Nordirak zu isolieren und eine groß angelegte Invasion durch die türkische Armee zu verhindern.

Der Konflikt zwischen der AKP und dem kemalistischen Establishment wird voraussichtlich bald im Zusammenhang mit Plänen für eine neue Präsidentenwahl erneut aufbrechen. Erdogan hat versprochen, innerhalb von vier Wochen nach der Wahl vom Sonntag eine neue Wahl anzusetzen.

Erdogans Fraktion hat zwar nicht die erforderliche Zahl von 367 Abgeordneten, die für eine solche Nominierung durch das Parlament notwendig sind, aber mithilfe der DTP und einigen anderen Unabhängigen könnte er diese Zahl erreichen. Als er nach der Präsidentenwahl gefragt wurde, schloss DTP-Führer Ahmet Türk nicht aus, einen AKP-Kandidaten zu unterstützen: "Wer wird der Kandidat sein? Was werden die Bedingungen sein? Das müssen wir zuerst klären. Wenn die Zeit kommt, werden wir es bewerten."

Gleichzeitig ist die DTP gespalten zwischen so genannten "Gemäßigten" und "Hardlinern", die weiterhin eine eigene kurdische Provinz fordern. Es ist unklar, ob Parteichef Türk eine gemeinsame Politik seiner Fraktion durchsetzen kann. Die Beziehungen in dem neuen Parlament werden unzweifelhaft auch davon geprägt sein, dass die verfeindeten MHP und DTP in einem Raum sitzen.

Gleichzeitig wird das türkische Militär, das der Regierung bereits mit einem Putsch gedroht hat, nicht einfach tatenlos zusehen, wenn die AKP versuchen sollte, die Präsidentenfrage mithilfe der kurdischen Abgeordneten zu lösen.

Während die meisten westlichen Kommentatoren den Wahlsieg der AKP begeistert begrüßt haben, zeigen die Fragen, vor denen die Regierung steht, sehr deutlich, dass es falsch wäre, ihre Stabilität zu überschätzen. Größtenteils aufgrund ihrer geostrategischen Lage stellt die Türkei ein wichtiges Bindeglied zwischen Asien und Europa in einer Region dar, die durch den US-geführten Krieg im Irak destabilisiert worden ist.

Das Potenzial für einen Konflikt aufgrund außenpolitischer Fragen wie etwa die zukünftige außenpolitische Orientierung wird noch durch die enorme soziale Ungleichheit im Land selbst verstärkt - Ungleichheit die von der wirtschaftsfreundlichen Politik der AKP noch verschärft worden ist. Unter Bedingungen wo der türkischen Arbeiterklasse jegliche unabhängige politische Vertretung fehlt, konnte die rechte Wirtschaftspartei AKP die Wahlen gewinnen, aber neue Konflikte zwischen der Regierung und den türkischen Massen sind unvermeidlich.

Nach der Wahl erklärte Taha Akyol, ein Kolumnist der Tageszeitung Milliyet gegenüber dem Fernsehsender CNN-Türk : "Die AKP muss begreifen, dass sie ihren Sieg einer ganzen Reihe von Dingen verdankt - wirtschaftlicher Stabilität, dem Eindruck, dass sie vom Staat verfolgt worden ist... Die Wähler haben sie [die AKP] dieses Mal nicht für die Spannungen verantwortlich gemacht, aber wenn wieder Spannungen aufkommen, ist es unwahrscheinlich, dass sie so leicht davonkommt."

Siehe auch:
Wachsende Spannungen vor türkischer Parlamentswahl
(21. Juli 2007)
Der Machtkampf in der Türkei eskaliert
( 1. Mai 2007)
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