Vier Tage nach dem G8-Gipfel

Polizei durchsucht elf Wohnungen wegen "Terror"-Verdachts

Nur wenige Tage nach dem G8-Gipfel hat die Polizei erneut Razzien bei linken und autonomen Gruppen in Norddeutschland durchgeführt. Am frühen Mittwochmorgen durchsuchten Bundesanwaltschaft und Polizei insgesamt elf Häuser in Hamburg und Schleswig-Holstein.

An der Aktion nahmen mehrere hundert Beamte teil, die in Büros und Privatwohnungen Computer und Dokumente beschlagnahmten. Die Razzien wurden nach Paragraph 129a des deutschen Strafgesetzbuches durchgeführt, der die Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung unter Strafe stellt. Die Polizei nahm niemanden fest und gab bekannt, dass auch keine Haftbefehle ausgestellt worden waren.

Die Sprecherin der Bundesanwaltschaft Petra Kneuer dementierte umgehend, dass die Razzien irgendetwas mit dem G8-Gipfel zu tun haben. Sie behauptete, die koordinierten Durchsuchungen fänden vielmehr wegen Brandanschlägen auf Gebäude und Fahrzeuge statt, die zum Teil bereits im Jahre 2002 begangen wurden. Sie gab ebenso an, die jüngste Aktion stände in keinem Zusammenhang mit den Durchsuchungen, die vor dem G8-Gipfel bei linken Gruppen vorgenommen worden waren.

Am 9. Mai hatte die Polizei eine ganze Serie schon lange geplanter Razzien bei Globalisierungsgegnern und linken Organisationen in ganz Deutschland durchgeführt. Damals durchsuchten 900 Polizisten insgesamt 40 Örtlichkeiten in Norddeutschland - ebenfalls aufgrund des Verdachts, die betroffenen Organisationen könnten sich an der "Bildung einer terroristischen Organisation" beteiligen. Die Bundesanwaltschaft hatte argumentiert, es gebe Hinweise, dass in Zusammenhang mit dem G8-Gipfel Terroranschläge geplant würden.

Die Behauptung der Bundesanwaltschaft, dass die aktuellen Durchsuchungen nichts mit dem G8-Gipfel zu tun haben, sind unglaubwürdig. Die Razzien vom Mittwoch können nur als Teil einer systematischen Offensive der Bundesregierung und des Innenministers verstanden werden, mit der linke und anarchistische Organisationen kriminalisiert und systematisch demokratische Rechte unterhöhlt werden sollen.

Mehrere führende deutsche Publikationen wie SpiegelOnline und die Süddeutsche Zeitung stellen eine Verbindung zwischen den Razzien vom Mittwoch und dem G8-Gipfel her. Sie beginnen ihre Berichte über die Polizeimaßnahmen mit dem Hinweis auf die Gewaltausbrüche und die Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten bei der Massendemonstration am 2. Juni in Rostock. Die Welt schmückt ihren Bericht über die Razzien mit Bildern von bedrohlich wirkenden Autonomen aus dem Schwarzen Block bei der Anti-G8-Demonstration.

Die Zusammenstöße von Rostock werden dabei als Rechtfertigung für die jüngsten Razzien gegen linke Organisationen angeführt. Unerwähnt bleiben dagegen die umfangreichen Hinweise, dass in Rostock und bei anderen Gelegenheiten im Umfeld des Gipfels Polizeiprovokateure und V-Leute der Gewalt aktiv Vorschub geleistet haben.

Bei einer Blockade von Gipfelgegnern am Sicherheitszaun um das G8-Tagungsgelände hatten Demonstranten einen Polizeiprovokateur enttarnt. Der verdeckte Ermittler war wie ein Autonomer gekleidet und weckte den Argwohn von Demonstranten, weil er laut dazu aufrief, Steine auf die Polizei zu werfen. Die Demonstranten ergriffen den Mann und übergaben ihn der Polizei, die aber nur geringes Interesse zeigte, ihren Kollegen festzunehmen und gegen ihn vorzugehen.

Nach dem Zwischenfall bestätigte der verantwortliche Einsatzleiter, dass Beamte verdeckt unter den Demonstranten agierten, und betonte, dies sei eine normale Vorgehensweise. Es mag zwar sein, dass die Polizei diese Einsätze als normal betrachtet, aber trotzdem verletzt eine solche Infiltration das Recht auf Versammlungsfreiheit. Trotz des Eingeständnisses von Seiten der Polizei bleibt jedoch völlig ungeklärt, welche Rolle die verdeckten Ermittler bei den gewaltsamen Zusammenstößen in Rostock spielten, bei denen mehrere Hundert Gipfelgegner Verletzungen davontrugen.

Protest und Terrorismus gleichgesetzt

Die jüngsten Razzien bei linken Organisationen können nur als Teil der Kampagne von Innenminister Wolfgang Schäuble verstanden werden, Demonstrationen, Proteste und Aktivitäten linker Organisationen mit Terrorismus gleichzusetzen.

Nach den ersten "Anti-Terror"-Razzien vom 9. Mai hatten Schäuble und Kanzlerin Angela Merkel betont, sie würden das Versammlungsrecht und friedlichen Protest respektieren. Gleichzeitig verstärkte die Bundesregierung ihre repressiven Maßnahmen in der Vorbereitung auf den G8-Gipfel.

Schon bald nach den Razzien vom 9. Mai stellte sich heraus, dass die Ermittler zur "Beweissicherung" auch Geruchsproben von den Opfern der Durchsuchungen genommen hatten. Mit Hilfe der Geruchsproben sollten Spürhunde später in der Lage sein, "Verdächtige" zu entdecken. Diese Methoden erinnern an die berüchtigten Praktiken der Stasi in der DDR.

Schäuble lehnte es ausdrücklich ab, diese Praxis zu verurteilen, und brachte obendrein die "Vorbeugehaft" gegen Demonstranten ins Spiel, um Störungen beim G8-Gipfel zu verhindern. Auch diese Maßnahme stellt einen offenen Verstoß gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit dar, das im Grundgesetz verankert ist. Dann verhängte die Polizei über ein 40 Quadratkilometer großes Gebiet um Heiligendamm und den Flughafen Rostock ein Versammlungsverbot. Nachdem die Organisatoren der geplanten Demonstration gegen die Entscheidung geklagt hatten, urteilte schließlich das Bundesverfassungsgericht, dass diese Maßnahme rechtens sei.

Die beispiellose Sicherheitsoperation im Umfeld des Gipfels, an der 16.000 Polizisten beteiligt waren, stellt den größten Polizeieinsatz in der deutschen Nachkriegsgeschichte dar. Darüber hinaus nahmen Polizei und Sicherheitsorgane umfangreiche und weit reichende Eingriffe in den privaten Postverkehr und Onlinedurchsuchungen von Computern und Internetseiten vor, um Informationen über die Aktivitäten von Protestgruppen und linken Organisationen zu erlangen. Auch diese Maßnahmen verstoßen gegen das Grundrecht auf Privatsphäre.

Erstmals wurden auch Kampfflugzeuge der Bundeswehr zur Überwachung der Demonstranten während des Gipfels herangezogen. Nachdem Demonstranten davon berichtet hatten, bestätigte schließlich das Verteidigungsministerium, dass zwei der auch in Afghanistan eingesetzten Aufklärungsflugzeuge vom Typ Tornado benutzt worden waren, um das Gebiet um den G8-Tagungsort zu überwachen.

Erst kürzlich gab es kontroverse Diskussionen um die Entscheidung, deutsche Aufklärungsflugzeuge zu "Anti-Terror"-Einsätzen nach Afghanistan zu entsenden. Jetzt hat Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) dafür gesorgt, dass solche Kampfflieger eingesetzt werden, um Widerstand im eigenen Land einzuschüchtern und zu unterdrücken.

Innenminister Schäuble drängt schon seit geraumer Zeit darauf, die Bundeswehr im Innern gegen "Terroristen" einzusetzen. Darunter fallen für ihn auch anti-kapitalistische Demonstranten und linke Organisationen. Die jüngsten Polizeirazzien nach dem G8-Gipfel sind ein offener Bruch mit den Normen des Grundgesetzes.

Siehe auch:
Guantanamo in Mecklenburg
(16. Juni 2007)
Bundesverfassungsgericht bestätigt Verbot von Sternmarsch gegen G-8-Gipfel
(8. Juni 2007)
Was geschah in Rostock wirklich?
(7. Juni 2007)
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