Französischer Wahlkampf stößt auf großes Interesse

Die französische Präsidentschaftswahl wird von einem tiefen Widerspruch beherrscht. Breite Schichten der Bevölkerung lehnen die gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklung ab und suchen eine fortschrittliche Alternative. Die vergangenen zehn Jahre waren durch eine lange Reihe von Streiks und Protestaktionen gekennzeichnet, die oft wochenlang andauerten und an denen sich Hunderttausende, wenn nicht Millionen beteiligten. Doch in der offiziellen Politik findet diese Entwicklung keinen Ausdruck, die politischen Parteien bewegen sich ausnahmslos nach rechts.

Dieser Widerspruch verleiht dem Wahlkampf einen hochpolitischen und gleichzeitig gespannten und unbeständigen Charakter. Obwohl die Wahl seit vielen Wochen die Medien beherrscht und dies auch in den kommenden Wochen tun wird (der Präsident wird am 22. April sowie am 6. Mai gewählt und Mitte Juni folgen die Parlamentswahlen), ist das politische Interesse ungebrochen. Die Kandidaten sprechen vor vollen Hallen, und auch die unzähligen Diskussionsrunden in allen Fernsehkanälen verzeichnen hohe Einschaltquoten.

Obwohl das politische Interesse groß ist, unterliegen die Wahlumfragen heftigen Schwankungen. Viele Wähler wissen noch nicht, wem sie ihr Stimme geben werden, oder ändern häufig ihre Meinung, weil sie sich durch keinen Kandidaten wirklich vertreten fühlen.

Das hohe politische Interesse an der Wahl äußert sich auch in einer Rekordzahl von Neueintragungen in den Wahllisten. Innerhalb von einem Jahr haben 1,8 Millionen Franzosen erstmals einen Wahlausweis beantragt - die höchste Zahl seit einem Vierteljahrhundert. Vor allem in den Städten und den Vorstädten, wo es vor eineinhalb Jahren zu heftigen Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und der Polizei gekommen war, haben sich viele junge Wähler in die Listen eingetragen.

Die Zeitung le monde, die seit einem Jahr regelmäßig 15 Jugendlichen in einer Vorstadt bei Paris befragt, berichtet, ihre einst trotzige Haltung sei einer Stimmung der Angst gewichen. Sie hätten Angst vor einem Wahlsieg des UMP-Kandidaten Nicolas Sarkozy. "Ein Wahlsieg Sarkozys bedeutet, dass fünf Jahre ohne Hoffnung vor uns stehen," zitiert die Zeitung einen 20-jährigen Gymnasiasten. Und ein 22-jähriger Kleinhändler sagte ihr: "Als Innenminister hat Sarkozy den Polizisten freie Hand gegeben. Wird er Präsident, gibt es keine Grenzen mehr."

Die vagen Hoffnungen auf eine Besserung ihrer Lage, die diese Jugendlichen und viele andere sozial Benachteiligte mit einer Wahlteilnahme verbinden, werden von keinem der Bewerber um das höchste Staatsamt erfüllt.

Ségolène Royal, die für die Sozialistische Partei antritt, hat in den vergangenen Wochen vor allem ihren grenzenlosen Opportunismus bewiesen. Getrieben von den offiziellen Meinungsmachern ändert sie ihre Wahlaussagen von Woche zu Woche. Während Sarkozy mit der Aggressivität und Hartnäckigkeit eines Kampfhundes eine rechte Law-and-order-Politik vertritt, hechelt Royal ihm hinterher.

Sie begann ihren Wahlkampf im Namen einer "Modernisierung" im Stile Tony Blairs. Als sie merkte, wie unpopulär dies ist, schob sie einige soziale Forderungen hinterher. Sie versprach eine Erhöhung des Mindestlohns und eine Arbeitsplatzgarantie für alle Jugendlichen - ohne allerdings zu erklären, wie dies zu finanzieren sei. Sie beschwor die Sozialreformen früherer Zeiten herauf, indem sie altgediente Vertreter der Sozialistischen Partei, die sogenannten "Elefanten", in ihr Wahlkampfteam holte. Eine Woche später warf sie die Elefanten über Bord und verkündete, sie werde ein Wahlkampf ganz auf sich allein gestellt führen.

Vergangene Woche lieferte sie Sarkozy einen bizarren Wettkampf, wer sich am besten in die Nationalfahne hüllen kann. Nachdem der UMP-Kandidat verkündet hatte, er werde ein "Ministerium für nationale Identität und Immigration" schaffen, versucht Royal ihre Treue zur Nation unter Beweis zu stellen, indem sie jedem Franzosen empfahl, eine Trikolore im Haus zu haben, und auf ihren Wahlveranstaltungen die Nationalhymne anstimmte. Das Thema beherrschte eine ganze Woche lang die Schlagzeilen.

In dieser Woche versicherte Royal den Chefs kleiner und mittlerer Unternehmen ihre Treue zur kapitalistischen Markwirtschaft. Sie sei gegen eine "Ideologie, die den Profit bestraft", und wolle, "dass die Unternehmer Lust am Erfolg haben", sagte sie in einem Gespräch, das die Zeitschrift Challenges am Donnerstag veröffentlichte. "Ich möchte, dass sich Frankreich mit dem Unternehmergeist versöhnt, dass es wieder an die Risikobereitschaft anknüpft. Es ist keine Schande, Geld zu verdienen. Ja, ich bin sogar bereit, den Unternehmen zu sagen: Es ist keine Schande, Gewinne zu machen, seine Einkommen zu erhöhen."

Man darf gespannt sein, welche Kapriolen Royal in den kommenden Tagen vollziehen wird. Eines hat sie jedenfalls bereits erreicht: Sie steht als Kandidatin ohne Grundsätze da, die alles sagt und tut, was ihr die Medien und die herrschenden Kreise im Hintergrund einflüstern.

Vorübergehend konnte François Bayrou, der Kandidat der rechtsliberalen UDF, von der rechten Politik Royals profitieren. In den Umfragen zog er zeitweise mit der sozialistischen Bewerberein gleich, inzwischen ist er aber wieder zurückgefallen. Bayrou tritt als Kandidat der "Einheit" und der "Mitte" auf, der "Parteiengezänk" ablehnt und die großen Parteien in einer gemeinsamen Regierung vereinen will. Sollte Bayrou den Einzug in die zweite Wahlrunde schaffen, werden ihm beträchtliche Siegeschancen eingeräumt.

Auch dem mittlerweile 79-jährigen rechtsextremen Jean-Marie Le Pen ist es gelungen, den rechten Kurs von Royal und Sarkozy für sich zu nutzen. Nachdem brutalen Polizeieinsatz gegen Jugendliche vom vergangenen Dienstag am Pariser Gare du Nord, der von Sarkozy voll unterstützt wurde, stiegen Le Pens Umfragewerte erstmals auf 15 Prozent. Er liegt damit hinter Bayrou an vierter Stelle. 2002 war Le Pen mit 17 Prozent der Stimmen als Herausforderer des Gaullisten Jacques Chiracs in die zweite Runde eingezogen.

Die Rolle der "Linken"

Eine wichtige Rolle im französischen Wahlkampf spielen die Parteien der sogenannten "Linken". Es ist bemerkenswert, dass sich sechs der zwölf Kandidaten, die zur Präsidentenwahl zugelassen wurden, als links von der Sozialistischen Partei stehend betrachten.

Im Vergleich zu anderen Ländern verleiht das französische Wahlrecht Kandidaten kleinerer Parteien relativ große Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen. Haben sie die Eingangshürde - die Patenschaft von 500 Bürgermeistern oder anderen gewählten Vertretern - überwunden, steht ihnen (zumindest theoretisch) gleich viel Fernsehzeit zur Verfügung, wie den Kandidaten der großen Parteien. Auch die Nachrichtensendungen sind verpflichtet, über ihre Kampagnen zu berichten. Außerdem werden ihnen die Wahlkampfkosten bis zu 800.000 Euro in voller Höhe aus der Staatskasse ersetzt. Erhalten sie mehr als fünf Prozent der Stimmen, steigt diese Summe in Millionenhöhe.

Die Wahlteilnahme derart vieler linker Parteien ist ein verzerrter Reflex der Stimmung in der Bevölkerung. Auf der Rechten treten nur zwei Kandidaten, Le Pen vom Front National sowie Philippe de Villiers vom Mouvement pour la France (MPF), gegen die etablierten Parteien an. Ein Kandidat, Frédéric Nihous von der Jägerpartei CNPT, lässt sich nur schwer in ein Schema einordnen.

Die "Linken" sind allerdings alles andere als eine Alternative zu den Parteien des Establishments. Sie übernehmen die Aufgabe, die oppositionellen Stimmungen der Bevölkerung aufzufangen, um sie dann ins Fahrwasser der einen oder anderen bürgerlichen Partei zu lenken. In dieser Hinsicht hat die französische Bourgeoisie viel Erfahrung und großes Geschick entwickelt. Sie verfügt über eine ganze Reihe von Organisationen, die es Arbeitern und Jugendlichen extrem schwer machen, ihre politische Vorherrschaft zu durchbrechen.

Zwei "linke" Kandidatinnen, Marie-George Buffet von der Kommunistischen Partei und Dominique Voynet von den Grünen, blicken auf langjährige Regierungserfahrung zurück. Sie bekleideten beide Ministerämter in der Regierung von Lionel Jospin. Sowohl Buffet wie Voynet wollen auch unter Royal am Bündnis mit den Sozialisten festhalten. Buffets zentrale Wahlparole lautet: "Alle außer Sarkozy" - was auch als Unterstützung für Bayrou interpretiert werden kann. Daniel Cohn-Bendit, der die französischen Grünen im Europaparlament vertritt, hat sogar ein Regierungsbündnis von Grünen und Sozialisten mit der UDF Bayrous vorgeschlagen.

Der Bauernführer und Kandidat der Globalisierungsgegner, José Bové, vertritt ein rückwärts gewandtes, nationalistisch gefärbtes Programm, das auf den Erhalt des ländlichen Frankreichs gegenüber den Auswirkungen der Globalisierung abzielt. Ähnliche Standpunkte vertritt auch Gérard Schivardi, der vom Parti des travailleurs unterstützt wird und sich als "Kandidat der Bürgermeister" bezeichnet.

Es bleiben die beiden Kandidaten der sogenannten "extremen Linken": Olivier Besancenot von der Ligue Communiste Révolutionnaire und Arlette Laguiller von Lutte Ouvrière. Sie treten radikaler auf als Buffet, Voynet oder Schivardi, doch auch sie dienen der bürgerlichen Politik als Feigenblatt. Beide umgehen die zentrale Frage, mit der die Arbeiterklasse konfrontiert ist: Die Notwendigkeit, mit den ex-reformistischen Parteien und den Gewerkschaften zu brechen.

Ohne den Aufbau einer unabhängige politische Bewegung der Arbeiterklasse, die sich gegen die verbürgerlichten Apparate der Sozialistischen Partei und der Gewerkschaften richtet, kann keine einige soziale und politische Errungenschaft verteidigt werden. Dies deutlich zu machen und für eine internationale, sozialistische Orientierung zu kämpfen, ist die wichtigste Aufgabe in dieser Wahl.

Doch darüber findet man bei Laguiller und Besancenot kein Wort. Sie legen im Wahlkampf ein Programm vor, als handle es sich um das Menu eines guten französischen Restaurants. Man findet darin alle möglichen Vorschläge und sozialen Forderungen, aber kein Wort darüber, wie sie verwirklicht werden sollen. Im Restaurant übernimmt normalerweise der Koch diese Aufgabe, doch welcher Koch soll die Vorschläge von Besancenot und Laguiller umsetzen?

Beide setzen offensichtlich auf die Sozialistische Partei, die sie in der zweiten Wahlrunde offen oder unausgesprochen unterstützen werden. Vor fünf Jahren hatte die LCR sogar zur Wahl des Gaullisten Jacques Chirac aufgerufen, nachdem der sozialistische Kandidat Lionel Jospin in der ersten Runde gescheitert war.

Siehe auch:
Der Nationalismus der Parti des travailleurs
(29. März 2007)
Olivier Besancenot: "Ich war nie Trotzkist"
( 16. März 2007)
Torschlusspanik bei der Sozialistischen Partei
( 14. März 2007)
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