Rechte fordern Begnadigung für verurteilten Cheney-Berater

In der vergangenen Woche wurde der ehemalige Bürochef von US-Vizepräsident Cheney, I. Lewis Libby, wegen Faschaussage, Meineids und Rechtsbehinderung verurteilt. Eine Geschworenenjury sah es als erwiesen angesehen hatte, dass Libby sich in vier von fünf Anklagepunkten schuldig gemacht hatte. Seitdem fordern ehemalige Mitglieder der Bush-Regierung, Republikaner im Kongress und die ganze Führungsclique der extremen Rechten in den Vereinigten Staaten von Präsident Bush, er solle Libby umgehend begnadigen.

Zum Teil die gleichen Personen und Institutionen - der Meinungsmacher William Kristol, Moderator Brit Hume von Fox News, die Redaktion des Wall Street Journal - riefen einst lautstark nach der Amtsenthebung von Präsident Bill Clinton, weil er über eine private sexuelle Beziehung gelogen hatte. Aber jetzt heißt es von eben diesen Leuten empört, dass Libbys Verurteilung wegen der gleichen Vergehen (Meineid und Rechtsbehinderung), für die gegen Clinton ein Amtsenthebungsverfahren in Gang gesetzt wurde, auf "eine Kriminalisierung politischer Differenzen" hinausliefen.

Tatsächlich sind die beiden Fälle grundlegend verschieden. Das Amtsenthebungsverfahren gegen Clinton war in der Tat in dem Sinne eine "Kriminalisierung politischer Differenzen", als die Anklage gegen Clinton aus politischen Gründen konstruiert wurde. Ultrarechte Gruppen initiierten und finanzierten den Paula-Jones-Prozess, um die Clinton-Regierung unter Druck zu setzen und zu destabilisieren. Der Oberste Gerichtshof traf die beispiellose Entscheidung, dass Clinton als amtierender Präsident gezwungen werden konnte, in einem Zivilprozess auszusagen. Daraufhin stellten die Anwälte von Jones Clinton eine Falle mit Fragen zu der überhaupt nicht mit diesem Prozess in Beziehung stehenden Monica-Lewinsky-Affäre und übergaben den Fall dann an den Unabhängigen Sonderermittler Kenneth Starr.

Das Strafverfahren gegen Libby geht ebenfalls auf politische Konflikte in Washington zurück, aber die Anklage bezieht sich unmittelbar auf Libbys Handeln in seiner Funktion als Staatsvertreter. Libby hat die Anklagejury nicht in einer rein privaten Sache belogen (wie sie beispielsweise die Lewinsky-Affäre darstellte). Er log über die Bemühungen des Weißen Hauses, den ehemaligen US-Botschafter Joseph Wilson zu verleumden und zu bestrafen, weil dieser die Kriegspolitik im Irak kritisiert hatte.

Zwar wurde niemand wegen der zugrunde liegenden Tat angeklagt - der Enttarnung von Wilsons Ehefrau Valerie Plame Wilson als CIA-Agentin, die in den Medien stattfand. Es steht aber außer Frage, dass Libbys Verhalten in direktem Zusammenhang mit seiner Rolle als Cheneys rechte Hand stand. Er war zudem ein entschiedener Befürworter des Irakkriegs. In diesem Zusammenhang ist seine Verurteilung ein schwerer Schlag für die Bush-Regierung.

Das Wall Street Journal ist sich über die Bedeutung des Urteils natürlich völlig im Klaren. In einem Leitartikel vom 7. März fordert die Tageszeitung, Libby umgehend zu begnadigen. Die Verurteilung eines Regierungsberaters wegen Lügen im Zusammenhang mit dem Irakkrieg werde nur denjenigen Oberwasser geben, die (vollkommen zu Recht) glauben, dass "Präsident Bush uns mit Lügen in den Krieg manövriert hat", und werde zu Forderungen führen "als nächstes Dick Cheney aufzuknüpfen". Die Redaktion kritisiert Bush, weil er nicht mit Nachdruck eingegriffen und somit zugelassen habe, dass "eine Nebensächlichkeit zu einer Gefahr für die ganze Regierung wird".

Im spanischsprachigen Programm des Senders CNN wurde Bush vor seiner Lateinamerikareise zu dem Urteil befragt und reagierte eher zurückhaltend. "Das war ein langes Verfahren in einer wichtigen Sache und die zuständige Jury hat ihn verurteilt", sagte er. "Wir müssen diesen Schuldspruch respektieren." Er erklärte, er werde sich aus dem Fall Libby "eher heraushalten", solange dieser juristisch noch nicht abgeschlossen sei. Die ausgebliebene Ankündigung einer sofortigen Begnadigung machte die Rechten nur noch wütender.

Vom Wall Street Journal ; der National Review und dem Weekly Standard waren kaum andere Kommentare zu erwarten, bezeichnend war jedoch ein Leitartikel in der Washington Post vom 7. März. Diese angeblich liberale Zeitung ist in den letzten zehn Jahren scharf nach rechts gerückt und in der amerikanischen Medienlandschaft vielleicht die wichtigste Unterstützerin des Irakkriegs.

Der Leitartikel stellt zunächst fest, dass Libbys Verurteilung wegen Meineids, Falschaussage und Behinderung der Justiz "auf klaren Beweisen beruht und die Jury ihr Urteil offenbar sorgfältig abgewogen hat". Doch dann kommt er zu dem Schluss, dass dies keine Rolle spielt.

Der Libby-Fall sei "ein sinnloser Washingtoner Skandal", der "sich durch einen Mangel an Substanz auszeichnet. Er lebte nicht vom tatsächlichen Fehlverhalten sondern durch aufgeblähte und häufig falsche Behauptungen und durch die aggressive und gelegentlich verantwortungslose Reaktion hoher Vertreter der Bush-Regierung - wobei Libbys Meineid den Höhepunkt darstellte."

Tatsächlich hat der Fall Libby nicht nur deshalb Gewicht, weil Meineid und Rechtsbehinderung schwerwiegende Vergehen sind. Darüber hinaus sind diese Taten nur die Spitze des Eisbergs. Libbys Meineid war nur ein kleiner Aspekt des monumentalen Lügengebildes, das von der Bush-Regierung errichtet wurde, um den Krieg zu begründen und zu verteidigen - von den angeblichen "Massenvernichtungswaffen" bis hin zu der Behauptung, Saddam Hussein habe etwas mit den Terroranschlägen vom 11. September zu tun gehabt.

Was das "tatsächliche Fehlverhalten" angeht, besteht die gesamte Politik der Bush-Regierung aus einer einzigen Abfolge von völkerrechtswidrigem Verhalten sowie Verstößen gegen die amerikanische Verfassung und die demokratischen und sozialen Interessen einer großen Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung.

Libbys Meineid und Rechtsbehinderung waren notwendige Bestandteile des völkerrechtswidrigen Kriegs, dem mehr als 3.200 amerikanische Soldaten und Hunderttausende Iraker zum Opfer gefallen sind. Der unmittelbare Zweck von Libbys Taten - die Absicht, einen Kritiker des Kriegs zu diskreditieren und zu bestrafen - passt zur wichtigsten innenpolitischen Zielsetzung der Bush-Regierung: Diese schafft den gesetzlichen Rahmen für einen Polizeistaat, in dem jeder, der ins Visier des Staates gerät, ausspioniert, belauscht oder als "illegaler feindlicher Kämpfer" eingestuft und lebenslang in ein Lager des amerikanischen Staates gesperrt werden kann, ohne dass ihm rechtlichem Einspruchsmöglichkeit offenstehen.

Libby ist - zumindest bis jetzt - der einzige Vertreter der Bush-Regierung, der zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Das mag unfair erscheinen, da kein Mangel an Regierungs- und Staatsvertretern herrscht, die noch viel eher eine Anklage verdient hätten. Aber dies rechtfertigt nicht, den Libby-Prozesses herunterzuspielen, sondern ist vielmehr ein Argument dafür, ein internationales Tribunal einzurichten, vor das alle zu stellen sind, die Verantwortung für den amerikanischen Angriffskrieg gegen den Irak tragen. Dies betrifft nicht nur diejenigen, die diesen verbrecherischen Krieg direkt befohlen haben, sondern auch diejenigen, die sich bei seiner Rechtfertigung hervorgetan und die politische Deckung für das monströse Abschlachten der irakischen Bevölkerung geliefert haben - darunter die Herausgeber des Wall Street Journal und der Washington Post.

Ein weiterer Aspekt des Libby-Falls verdient Aufmerksamkeit: Nämlich die Frage, ob das Weiße Haus ungeachtet der offiziellen Beteuerung, die Hände von dem Fall zu lassen, in Wirklichkeit insgeheim mit Libbys Anwälten und ihm selbst zusammengearbeitet hat.

Eine erstaunliche Passage in einem Artikel in der Washington Post vom 8. März lautet: "Die Verteidigung argumentierte zwar, dass Libby vom Weiße Haus zum Sündenbock gemacht worden sei. Doch Mitarbeiter und Berater ließen durchblicken, dass es im direkten Umkreis des Präsidenten und seiner Regierung keinen Unmut über Libby gebe. Libbys Verteidiger hätten sich nach ihrem Eröffnungsstatement eines Mittelsmannes bedient, um das Weiße Haus über ihre Strategie zu informieren, berichtet eine gut informierte Quelle."

Im Großen und Ganzen gingen die amerikanischen Medien über diesen Bericht hinweg, aber der Online-Berichterstatter der Washington Post für das Weiße Haus, Dan Froomkin, griff die Frage in einem Artikel auf und gab ihm die Überschrift "Hat Libby einen Deal gemacht?". Froomkin stellt einige berechtigte Fragen zum plötzlichen Taktikwechsel von Libbys Verteidigern, die ursprünglich Cheney und Libby in den Zeugenstand rufen und argumentieren wollten, dass Libby im Interesse höherer Regierungsvertreter zum Sündenbock gemacht werden solle (angesichts der ziemlich hohen Position von Libby konnte es sich dabei nur um Karl Rove, Cheney und Bush selbst handeln).

Froomkin schreibt: "Wow! In welcher Form fand diese Kontaktaufnahme statt? Ging sie von beiden Seiten aus? War die Drohung von Libbys Verteidigern, Rove anzugreifen, Cheney in den Zeugenstand zu rufen und eine Menge Geheimnisse des Weißen Hauses auszuplaudern nur ein Druckmittel für bestimmte Verhandlungen? Hat ihre Entscheidung, diese Vorhaben ruhen zu lassen, mit irgendwelchen Versprechungen des Weißen Hauses zu tun? Könnte es sein, dass Libby einen Deal mit dem Weißen Haus gemacht hat und ihm dafür eine Begnadigung durch den Präsidenten versprochen wurde?"

Wenn es einen solchen Handel gegeben hat - was wahrscheinlich scheint - dann kommt zu den Verbrechen des Weißen Hauses ein weiteres hinzu, nämlich der Versuch, die Justiz zu behindern. Die US-Regierung will unbedingt vermeiden, dass im Libby-Prozess aufgedeckt wird, welche Verantwortung ihrer höchsten Vertreter für die Verleumdungskampagne gegen Joseph Wilson und seine Frau tragen. Wenn Libby heimlich eine Begnadigung zugesichert wurde, so wäre dies eine Fortführung des ursprünglichen Verbrechens, das er mit seinem Meineid beging: Die Behinderung einer Untersuchung zu den Umständen, unter denen Plames Name an die Presse gelangte, indem Libby ein Anreiz gegeben wurde, seine Vertuschung fortzusetzen.

Die Auswirkungen des Libby-Prozesses zeigen sich auch in einem weiteren bemerkenswerten Kommentar in der Washington Post vom selben Tag, der vom außenpolitischen Kommentator der Zeitung, Jim Hoagland, stammt. Hoagland befürwortete schon lange einen Krieg, um Saddam Hussein zu stürzen. "Was ist mit Dick Cheney los?" fragt er nun in der Überschrift seiner Kolumne. "Verliert der Vizepräsident seinen Einfluss oder vielleicht seinen Verstand?"

Er stellt fest, dass Fragen zu Cheneys Geisteszustand in Regierungskreisen rund um die Welt und zunehmend auch unter den einflussreichen Politikern und Medienmachern in den USA diskutiert werden. Er erwähnt das erregte und unbeherrschte Verhalten Cheneys bei mehreren Fernsehauftritten in der letzten Zeit und schreibt. "Sein Aufbrausen in Fernsehinterviews wird in diplomatischen Kreisen hektisch diskutiert und sein mentales Gleichgewicht analysiert."

Hoagland merkt an: "Der Libby-Prozess legt tiefe Differenzen zwischen Cheney und Bushs politischem Team offen, an dessen Spitze Karl Rove steht. Rove wurde für seine Rolle in dem Skandal nicht juristisch abgestraft." Hoagland meint allerdings, dass Cheney höchstens dann zurückträte, wenn in Zweifel stände, dass die Vereinigten Staaten noch "einen physisch, psychisch und politisch gesunden Vizepräsidenten haben." Mit anderen Worten: Dieser Washingtoner Insider vertritt die Meinung, dass "Gesundheitsgründe" als Vorwand dienen, wenn Cheney abtreten muss, weil er eine zu große politische Belastung geworden ist.

Siehe auch:
Der Irakkrieg und die amerikanische Demokratie
(23. Januar 2007)
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