PDS und WASG besiegeln ihre Fusion

In der Bundestagswahl 2005 warb der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine für die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) mit einem Zitat des Schriftstellers Victor Hugo: "Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist." Auf dem Doppelparteitag von Linkspartei.PDS und WASG, der am letzten Wochenende in Dortmund tagte, hätte man ausrufen können: "Nichts ist ideenloser als das Manöver, das hier veranstaltet wird." Zwei bürokratische Apparate vereinen sich, um einem dritten - der SPD - neues Leben einzuhauchen.

Die zeitgleich stattfindenden Bundes-Parteitage in der Dortmunder Westfalenhalle beschlossen mit großer Mehrheit ihre Fusion zur Partei "Die Linke", die im kommenden Juni aus der Taufe gehoben werden soll. Die Mehrheit bei der Linkspartei erinnerte an alte SED-Zeiten: 96,9 Prozent Zustimmung zum Verschmelzungsvertrag. Bei der WASG stimmten 88 Prozent für die Vereinigung.

Die Parteiführungen hatten penibel Regie geführt, um am Ende dieses Ergebnis zu erhalten. Es war vereinbart worden, die "Politischen Eckpunkte", eine Art Grundsatzprogramm, von beiden Parteien in gleichlautender Version verabschieden zu lassen. Beschloss eine Partei eine Änderung, musste diese von der anderen abgesegnet werden. Das führte zu teilweise bizarren Debatten.

Sobald die Politik der Berliner Landesregierung ins Spiel kam, stand der Doppelparteitag vor einem Dilemma. Er musste das, was die neue Partei zu sein vorgibt, mit dem in Übereinstimmung bringen, was sie tatsächlich ist. Er musste Formeln finden, die links klingen, aber dennoch eine rechte Politik ermöglichen.

Seit die Linkspartei.PDS nämlich in Berlin gemeinsam mit der SPD die Landesregierung stellt, hat sie exakt das getan, was sie und die WASG sonst in Sonntagsreden demagogisch anprangern: Soziale Umverteilung von unten nach oben, Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen im öffentlichen Dienst, Verteuerung der sozialen Infrastruktur wie Schulen und Kinderbetreuung, Verkauf von öffentlichem Eigentum an private Investoren usw.

Hätte auch nur ein Delegierter die "Politischen Eckpunkte" halbwegs ernst genommen, hätte der Berliner Landesverband der Linkspartei.PDS sofort ausgeschlossen werden müssen. Doch selbstverständlich hat dies niemand gefordert. Man mühte sich lieber daran ab, Formulierungen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen.

So befürwortete der ursprüngliche Entwurf eine Regierungsbeteiligung der neuen Partei, wenn sie das Ziel verfolgt, "öffentliche Dienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger nicht durch Personalabbau zu verschlechtern und Kürzungen sozialer Leistungen nach Kräften zu verhindern". Mit diesem "nach Kräften" lässt sich allerdings auch die Politik der Berliner Linkspartei rechtfertigen, die stets betont, dass es ihr nicht an gutem Willen fehle, nur lasse die Finanzlage der Stadt eine andere Politik leider nicht zu.

Der WASG-Parteitag wollte diesen Passus daher durch folgende Formulierung ersetzen: "Die Linke wird aber nur unter Beachtung ihrer Grundsätze Koalitionen mit anderen Parteien eingehen. Öffentliches Eigentum darf nicht privatisiert werden. Der Personalabbau im öffentlichen Dienst muss generell gestoppt und ebenso die Kürzung sozialer Leistungen verhindert werden."

Die Linkspartei lehnte dies ab.Darauf wollten einige WASG-Mitglieder über jeden Satz einzeln abstimmen lassen. Doch kaum hatte der WASG-Parteitag den ersten Satz angenommen, man werde nur unter Beachtung der eigenen Grundsätze Koalitionen eingehen - bei einigen Gegenstimmen, was zur Erheiterung der anwesenden Gästen und Journalisten führte -, da erklärte ein Sprecher der Wahlkommission: "Wir können hier viel abstimmen, aber die Linkspartei hat schon abgestimmt und nur den ersten Satz akzeptiert."

Wie zu erwarten, einigte man sich schließlich auf eine schwammige Formel. Statt "öffentliches Eigentum darf nicht privatisiert werden" heißt es nun "öffentliche Daseinsvorsorge darf nicht privatisiert werden". Den Unterschied wird die Berliner Bevölkerung wahrscheinlich genauer erklärt bekommen, wenn wieder ein landeseigener Betrieb, eine Wohnungsgesellschaft oder dergleichen an einen Investor verkauft wird.

Auch ein weiterer Antrag der WASG, wonach Regierungsbündnisse aufgekündigt werden müssen, wenn Koalitionsvereinbarung gebrochen werden, wurde abgelehnt.

Ähnlich unbestimmt sind auch alle anderen Passagen des Programms. Zwischen den proklamierten Zielen und den praktischen Schlussfolgerungen klafft eine tiefe Kluft, woran sich niemand in der WASG und der Linkspartei stört. So kann das Programm festschreiben, der demokratische Sozialismus solle den Kapitalismus "überwinden" - das am meisten verwendete Wort - und den Neoliberalismus "zurückdrängen", und gleichzeitig verkünden, gewinnorientiertes Unternehmertum könne zum Wohle anderer arbeiten.

Dass die Grundsätze der Linkspartei dehnbar und zudem auf geduldigem Papier geschrieben sind, beweist auch die Sprachregelung über UN-Kriegseinsätze.

Die Parteitage einigten sich auf die Formel, die Frage, ob UN-Kampfeinsätze "unter den gegenwärtigen Bedingungen in regionalen Kriegs- und Bürgerkriegskonstellationen zu einer Rückkehr in eine friedliche Entwicklung beitragen", sei "zu verneinen". Ursprünglich hatte es geheißen, "im Wesentlichen zu verneinen". Doch damit, argwöhnten einige Delegierte, könnten derartigen Einsätzen in Zukunft befürwortet werden. Also wurde der Passus "im Wesentlichen" gestrichen. Doch dadurch wird die Sache nicht besser. Die Formulierung "unter gegenwärtigen Bedingungen" lässt die zukünftige Zustimmung zu solchen Einsätzen ebenso offen.

Was ist "Die Linke"?

Das Gefeilsche um Worte, Kommas und Gedankenstriche, das den Dortmunder Doppelparteitag kennzeichnete, ist Ausdruck der inhaltlichen Leere der neuen Partei. "Die Linke" bietet keine Alternative zur Politik der etablierten Parteien. Sie erfüllt vielmehr ein dringendes Bedürfnis der herrschenden Elite: Sie versucht das Vakuum zu füllen, das die Rechtentwicklung der SPD hinterlassen hat.

In den sieben rot-grünen Regierungsjahren haben sich zahlreiche SPD-Mitglieder und -Wähler empört von ihrer Partei abgewandt, und mit dem Eintritt in die Große Koalition hat die SPD auch noch den letzten Anschein linker Politik aufgegeben. Sie hat ein Vakuum hinterlassen, das zu einer Radikalisierung und zur Herausbildung einer revolutionären sozialistischen Opposition führen könnte. Dies will "Die Linke" um jeden Preis verhindern. Sie dient sich den Herrschenden an, um die wachsende Opposition innerhalb der Bevölkerung aufzufangen und Regierungsverantwortung zu übernehmen. Sie stellt das letzte Aufgebot der bürgerlichen Herrschaft dar.

Die WASG war 2004 von langjährigen Sozialdemokraten und Gewerkschaftsbürokraten als Reaktion auf die wachsende Opposition gegen die rechte Politik der rot-grünen Bundesregierung gegründet worden. Ihr führender Kopf ist Oskar Lafontaine, bis 1999 SPD-Vorsitzender und Architekt des rot-grünen Wahlsiegs von 1998. Die Linkspartei.PDS ist die Nachfolgeorganisation der DDR-Staatspartei, der stalinistischen SED.

So unterschiedlich die Geschichte von SPD und SED ist - was deren Granden Lothar Bisky und Gregor Gysi nicht müde wurden zu betonen -, haben sie doch eines gemeinsam: Beide sahen ihre Aufgabe darin, jede unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse zu unterbinden und für "gesellschaftliche Stabilität" zu sorgen. Diesem Zweck dienten auch sozialen Reformen. Beide hassten - nach einem Wort von Friedrich Ebert - "die Revolution wie die Sünde".

An dieser Sichtweise hat sich bei der WASG und der Linkspartei.PDS bis heute nichts geändert. Das ist der eigentliche Inhalt ihrer ständigen Warnung, der "soziale Frieden" sei gefährdet.

Gysi äußerte dies in seiner Parteitagsrede recht unverblümt. Nachdem er langatmig die sozialen Vorzüge der DDR gelobt hatte, erklärte er, in der DDR hätten hundert Welten zwischen den oberen und unteren Schichten der Gesellschaft bestanden. Heute lägen "eine Million Welten" zwischen Arbeitlosen und Managern. "Das hält auf Dauer keine Gesellschaft aus."

So ist es nicht verwunderlich, dass sich Linkspartei und WASG als Druckmittel verstehen, um die SPD "sozialdemokratischer" werden zu lassen. Gysi erläuterte in einem Interview mit dem ZDF, er gehe davon aus, dass der Druck, den "Die Linke" in sozialen Fragen ausübe, der SPD, zu der es "eine besondere Nähe" gebe, helfen werde, "sozialdemokratischer zu werden".

Der WASG-Vorsitzende Klaus Ernst, ehemals hauptamtlicher IG-Metall-Sekretär in Schweinfurt, wird von der jungeWelt mit den Worten zitiert: "Ich wünsche, das die SPD irgendwann wieder eine sozialdemokratische Partei wird. Dann haben es auch die Brückenbauer zwischen Linkspartei und SPD leichter."

Da ist es nur konsequent, dass Oskar Lafontaine, der zunächst gemeinsam mit Lothar Bisky eine Doppelspitze in der fusionierten Partei bilden wird, inzwischen sogar als zukünftiger alleiniger Vorsitzender gehandelt wird, wenn Bisky in zwei Jahren in Rente geht. Kein anderer verkörpert die Ordnungsrolle der SPD so wie er.

Lafontaines Vergangenheit, seine politischen Konzepte und sein gesamtes Verhalten der letzten Jahre belegen, dass ihn allein die Sorge treibt, die soziale Bewegung gegen den Sozialabbau könnte der Kontrolle der SPD und der Gewerkschaften entgleiten. Eine neue, von ihm geführte Partei würde versuchen, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen, um ihr die Spitze zu brechen und sie in harmlose, sozialdemokratische Bahnen zu lenken. In den letzten Jahren warnte er stets vor der sozialen und politischen Sprengkraft der Opposition in der Bevölkerung, hervorgerufen durch die Politik der rot-grünen Bundesregierung.

Seine lautstark vorgetragene Anprangerung sozialer Ungerechtigkeit ist reine Demagogie. Er behauptet stets, eine andere, sozial ausgewogene Politik sei im Rahmen der bestehenden kapitalistischen Gesellschaft machbar. Das ist politischer Betrug. Die Globalisierung der Produktion hat der sozialreformistischen Politik den Boden entzogen. Die internationalen Kapitalmärkte diktieren die Wirtschaftspolitik in jedem Land.

Wer wie Lafontaine, Gysi und Co. behauptet, man könne unter den heutigen Bedingungen zur sozialreformistischen Politik der siebziger Jahre zurückkehren, schürt verhängnisvolle Illusionen. Die Liberalisierung der internationalen Kapitalmärkte, die zu einem katastrophalen Niedergang der Lebensbedingungen der Arbeiter in aller Welt geführt hat, ist nicht nur eine "Mode", der niemand rechtzeitig entgegentrat - wie Lafontaine glauben machen möchte -, sie entspringt handfesten materiellen Interessen. Sie ist Bestandteil einer politischen Offensive der bürgerlichen Klasse, die seit über zwanzig Jahren weltweit gegen die Errungenschaften vorgeht, die die Arbeiterbewegung in den frühen siebziger Jahren erkämpft hat.

Die Sozialdemokratie hatte dieser Offensive nichts entgegenzusetzen und hat sie tatkräftig unterstützt. Das begann nicht erst nach Lafontaines Rücktritt, sondern lange davor. Wollte Lafontaine den Wirtschaftsinteressen wirklich stärker entgegentreten, wie er heute großspurig erklärt, hätte er das als Bundesfinanzminister der Regierung Schröder und Vorsitzender der SPD beweisen können. Damals war er nicht bereit, an die Arbeiterklasse zu appellieren, weil ein ernsthafter Konflikt mit den Wirtschaftsverbänden die kapitalistische Ordnung in Frage gestellt hätte. Stattdessen schmiss er das Handtuch und überließ Schröder das Feld.

Auch heute sieht Lafontaine seine Aufgabe darin, die wachsende Opposition gegen Sozialabbau, Armut und Krieg mit markigen Worten unter Kontrolle zu halten. So hatte er keine Skrupel, sich auf dem WASG-Parteitag für den "politischen Massenstreik" auszusprechen und sich dabei auch noch auf Rosa Luxemburg zu berufen. Es sei daran erinnert, dass Luxemburg die SPD, die Lafontaine wie kein anderer personifiziert, schon vor über 90 Jahren einen stinkenden Leichnam nannte.

Siehe auch:
Linkspartei.PDS und WASG einigen sich auf gemeinsame Programmeckpunkte
(28. Dezember 2006)
Was will Lafontaine?
( 12. August 2004)
Die Sackgasse des nationalen Reformismus
( 10. Juni 2005)
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