Sarkozys Washington-Besuch: Die Huldigung eines Vasallen

Am 6. und 7. November stattete der französische Präsident Nicolas Sarkozy Washington eine zweitägige Staatsvisite ab, in deren Verlauf er mit Präsident Bush, wie auch mit Vertretern der französischen Auslandsgemeinde zusammenkam. Am 7. November hielt er eine Rede vor beiden Häusern des Kongresses, und anschließend gab er mit Bush zusammen eine Pressekonferenz.

Sarkozys Reise wurde in den französischen und amerikanischen Medien fast unisono gelobt, weil sie die freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern wieder hergestellt habe, die durch die Opposition von Sarkozys Vorgänger, Präsident Jacques Chirac, gegen die amerikanische Invasion im Irak beschädigt worden waren. Journalisten hoben hervor, dass die in "freedom fries" ("Freiheits-Fritten") umbenannten Pommes Frites wieder als "French fries" auf der Speisekarte des Kongresses auftauchten. Trotz scheinbar überströmender Herzlichkeit kam es aber zu praktisch keiner neuen Vereinbarung in der Außenpolitik.

Sarkozys Rede vor dem Kongress mutete regelrecht irreal an. Unterwürfig erklärte er: "Amerika ist heute das stärkste Land. Amerikas Größe hat es geschafft, seinen Traum, den amerikanischen Traum, in eine Hoffnung für die ganze Menschheit zu verwandeln."

In Wirklichkeit sprach Sarkozy aus dem von Bereitschaftspolizisten und Soldaten umstellten Kapitol zu einer Bevölkerung, die in einer der am stärksten polarisierten Gesellschaften der Welt lebt.

In Frankreich versucht Sarkozy, den "amerikanischen Traum" gegen den Sozialstaat auszuspielen. Dabei hat die Vorstellung, dass die große amerikanische Bevölkerungsmehrheit im Kapitalismus ein sicheres Leben und bescheidene Annehmlichkeiten genieße, längst Schiffbruch erlitten. Der Traum hat sich in einen Albtraum verwandelt, er ist heute von Zwangsversteigerungen, Betriebsschließungen und heruntergewirtschafteten Arbeitervierteln einerseits, von milliardenschweren Hedge-Fond-Spekulanten andererseits geprägt. Die Stadt New Orleans wurde dem Zerfall überlassen, nachdem sie 2005 von Hurrikan Katrina - einem vorhersehbaren Ereignis - weitgehend zerstört worden war. Das allein zeigt schon, wie bankrott der amerikanische Kapitalismus wirklich ist.

Ohne rot zu werden, pries Sarkozy die USA als Hort von Demokratie und Freiheit. Dabei kam der amerikanische Präsident 2000 durch eine gestohlene Wahl an die Macht, und er stürzte das Land in die verhassten neokolonialen Kriege in Afghanistan und im Irak, die bis heute schon über eine Million Menschen das Leben gekostet und weitere Millionen zu Flüchtlingen gemacht haben.

Das wahre Gesicht Amerikas nimmt mehr und mehr die Fratze von Abu Ghraib und Guantánamo Bay an.

Sarkozy bekräftigte seine Unterstützung für die amerikanischen Provokationen und militärischen Drohungen gegen den Iran: "Das iranische Volk mit seiner bedeutenden Zivilisation verdient Besseres als die Sanktionen, zu denen seine Herrscher es verdammen." Dabei ignorierte er geflissentlich, dass die Sanktionen gegen den Iran nicht von Teheran, sondern von Washington und Paris ausgehen. Erneut erklärte er: "Die Perspektive eines nuklear bewaffneten Irans ist für Frankreich unakzeptabel."

Trotz seiner kriegerischen Erklärungen vollführt Sarkozy einen wahren Drahtseilakt. Einerseits will er eine engere Zusammenarbeit mit den USA, weil er fürchtet, dass ein völliger Zusammenbruch der politischen Ordnung im Nahen Osten die Interessen Frankreichs und seinen Zugang zum Öl gefährden könnte. Andererseits ist er den Interessen von Teilen der französischen Bourgeoisie verpflichtet, die enge wirtschaftliche Beziehungen zum Iran unterhalten. Die größte französische Ölgesellschaft, Total, hat riesige Öl- und Gasinvestitionen im Iran getätigt, und mehrere französische Konzerne - z.B. Autohersteller Renault - haben Produktionsanlagen im Iran aufgebaut. Obwohl französische Firmen offenbar den Anweisungen der Behörden Folge leisten und keine neuen Investitionen im Iran mehr tätigen, haben sie ihr Engagement dort nicht eingestellt.

Immerhin hat der französische Außenminister Bernard Kouchner, ehemals Menschenrechtsaktivist und Leiter der Organisation Ärzte ohne Grenzen, angedeutet, dass das französische Militär Schläge gegen den Iran führen könnte.

Regierende Kreise in Washington und Paris prüfen verschiedene Möglichkeiten französisch-amerikanischer Militärkooperation, und Frankreich hat den Austausch von Geheimdiensterkenntnissen zwischen EU-Behörden und der Nato vorgeschlagen.

Die weitest reichende Überlegung geht dahin, dass Frankreich wieder der einheitlichen militärischen Kommandostruktur der NATO beitreten könnte. 1966 war Frankreich unter Präsident Charles de Gaulle ausgetreten. Der Knackpunkt bei den letzten Verhandlungen in dieser Frage 1996 zwischen den Präsidenten Bill Clinton und Jacques Chirac war der Anspruch Frankreichs, den Posten des Kommandierenden des NATO-Südkommandos in Neapel besetzen zu wollen.

Dies würde es Frankreich ermöglichen, seinen politischen Einfluss in Regionen, in denen es erhebliche Wirtschaftsinteressen hat, wie beispielsweise dem Maghreb, aufrechtzuerhalten. Ein französischer Offizier als Oberkommandierender der amerikanischen Sechsten Flotte im Mittelmeer war aber in Washington nicht durchsetzbar.

In einem Interview mit der New York Times am 21. September erläuterte Sarkozy die Bedingungen für eine Rückkehr Frankreichs in die Kommandostruktur der NATO. Er verlangte eine Erhöhung der europäischen Verteidigungsfähigkeiten und -ausgaben und erklärte, eine Rückkehr Frankreichs in die NATO sei "nur denkbar, wenn in den NATO-Leitungsgremien an höchster Stelle Posten für Vertreter Frankreichs freigemacht werden".

Während Sarkozys Besuch in Washington schrieb der Wall Street Journal -Kommentator und Mitarbeiter des Council on Foreign Relations, Frederick Kempe, einen Artikel für Bloomberg News, in dem er die Bush-Regierung aufforderte, einem französischen Offizier die Verantwortung für das NATO-Südkommando zu übertragen. Er bezeichnete diese Maßnahme als entscheidend für die Realisierung "einer der wichtigsten strategischen Erfolge der Bush-Präsidentschaft - einer Revolution in der französischen Außenpolitik, die die transatlantischen Beziehungen robuster und nützlicher machen würde".

Kempe schrieb, Frankreich werde "in einer immer komplexeren Welt mit relativ abnehmendem amerikanischem und europäischem Gewicht eine zweitrangige globale Macht sein, wenn es ihm nicht gelingt, mit seinem natürlichen Verbündeten, den USA, zusammenzuarbeiten."

In der notorisch abwertenden Sprache des außenpolitischen Establishments der USA formulierte Kempe hier das zentrale Dilemma der französischen und darüber hinaus der europäischen Bourgeoisie: Angesichts des Debakels des US-Imperialismus im Nahen Osten versteht sie, dass sie zu schwach ist, um ohne Hilfe den politischen und militärischen Status Quo des Nahen Ostens militärisch durchzusetzen.

Aus Furcht vor potentiellen politischen Umwälzungen und sozialen Unruhen - Zusammenbruch der saudischen Monarchie, Krieg im Iran usw. - reagiert sie mit einer Annäherung an Washington, um die gemeinsame Kraft des westlichen Imperialismus in der Region zu stärken.

Eine solche Allianz ist aber wegen der starken ökonomischen und strategischen Rivalitäten ihrer Teilnehmer ihrer Natur nach unstabil. Eine Bemerkung in Sarkozys Rede vor dem Kongress war besonders auffällig, als er Kritik an der Schwäche des Dollars übte, die dazu führt, dass europäische und besonders französische Exporte und auf den Weltmärkten immer teuerer und immer weniger konkurrenzfähig werden.

Er sagte: "Der Dollar darf nicht länger nur das Problem der Anderen sein. Wenn wir nicht aufpassen, dann wachsen sich die Probleme an den Geldmärkten zu einem Wirtschaftskrieg aus, dessen Opfer wir alle sein werden."

Die Spannungen zwischen Frankreich und den USA bestehen nach wie vor. Das kann man daran sehen, dass es keinerlei neue außenpolitische Initiativen gibt. Sarkozy ließ sich auf keine Entsendung weiterer Truppen nach Afghanistan oder auf die Verlegung der dort präsenten Truppen in den Süden des Landes ein, wo die blutigsten Kämpfe stattfinden. Auch dem Wunsch der USA, die Türkei in die EU aufzunehmen, gab Sarkozy nicht nach.

Siehe auch:
Frankreich: Sarkozy fordert Europas militärische Aufrüstung
(11. September 2007)
Sarkozy kündigt umfangreiche Angriffe auf Rechte französischer Arbeiter an
(11. Oktober 2007)
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