US-General macht Parteien und Medien für Irak-Debakel verantwortlich

Der pensionierte US-General Ricardo Sanchez, der vom Juni 2003 bis zum Juni 2004 die US-Truppen im Irak kommandierte, hat am 12. Oktober in einer außergewöhnlichen Rede antidemokratische Gedanken zum Besten gegeben, wie sie in breiten Kreisen des US-Offizierskorps kursieren.

Sanchez sprach vor der Jahreskonferenz der Militärreporter und Herausgeber in Arlington, Virginia. Er schrieb den militärischen Misserfolg im Irak der "skrupellosen Berichterstattung" und der "zielgerichteten Einseitigkeit" der Medien zu, sowie der "zersetzenden Partei-Politik, die unser Land zerstört und unsere Soldaten tötet, die sich im Krieg befinden".

Sanchez bekannte sich zu Pressefreiheit und Demokratie, aber die unausgesprochene Botschaft seiner Rede war, dass demokratische Prozesse unvereinbar mit einem globalen Krieg gegen den "Extremismus" sind. Er erklärte: "Unsere Vorfahren haben verstanden, dass gigantische wirtschaftliche und politische Kapazitäten mobilisiert, koordiniert und eingesetzt werden müssen, wenn man den Sieg in einem globalen Krieg erringen will. Das war und wird auch weiterhin der Schlüssel zum Sieg im Irak sein...

Die Partei-Politik hat diese Kriegsanstrengung behindert, und Amerika sollte das nicht akzeptieren. Amerika muss eine einheitliche nationale Strategie fordern, die weit über den Rahmen von Partei-Politik hinausgeht und das allgemeine Wohl über alles andere stellt...

Unsere Politiker müssen sich an ihren Amtseid erinnern und sich von neuem verpflichten, unserer Nation zu dienen und nicht ihren eigenen Interessen oder den Interessen ihrer Partei. Die Sicherheit Amerikas steht auf dem Spiel, und wir können nichts anderes akzeptieren."

An einer Stelle rief Sanchez mehr oder weniger zur systematischen Pressezensur auf; er erklärte: "So wie ich die verschiedenen Medien einschätze, betreiben einige eine unkontrollierte politische Propaganda."

Scheinbar ist er der Ansicht, die einzige Grundlage für einen erfolgreichen Krieg im Irak und in anderen Ländern sei eine Form von Militärherrschaft im eigenen Land. Er sagte: "Wie wir alle wissen, ist der Krieg die Fortführung der Politik, und wenn eine Nation in den Krieg zieht, dann muss sie alle Elemente der Macht zum Tragen bringen, um zu gewinnen. Die Kriegsführung ist nicht nur die Verantwortung des militärischen Befehlshabers, es sei denn, man hat ihm die Verantwortung und Mittel gegeben, die politische, wirtschaftliche und nachrichtentechnische Macht der Nation zu koordinieren.

Wer ist trägt also die Verantwortung, die große Strategie zu entwickeln, die es Amerika ermöglicht, siegreich aus diesem Generationen dauernden Kampf gegen den Extremismus hervorzugehen?"

Weil es eine solche "große Strategie" nicht gebe, erklärt Sanchez, sei das Beste, worauf die USA hoffen könnten, ein Patt mit einer verkleinerten US-Armee im Irak "für die absehbare Zukunft".

Er brachte die verbreitete Wut und Frustration innerhalb des Militärs angesichts der Belastungen durch zwei gleichzeitige Kriege im Irak und in Afghanistan zum Ausdruck und deutete indirekt die Notwendigkeit für die Wiedereinführung der Wehrpflicht an: "Das amerikanische Militär befindet sich in einer schwierigen Situation... Die Einsatzzyklen unserer Einheiten sind völlig durcheinander geraten, die Herausforderungen an die Ausrüstung und die Ausbildung sind erheblich und Amerika kann die Einsatzfähigkeit von mehr als 150.000 Mann nur aufrechterhalten, wenn drastische Maßnahmen ergriffen werden, die bisher politisch unannehmbar waren."

Sanchez Rede war in Teilen eine Attacke auf die militärische Strategie und die Kriegsführung der Bush-Regierung. Der pensionierte Kommandeur nannte den Irak-Krieg "einen Alptraum ohne absehbares Ende" und erklärte: "Von der katastrophal fehlerhaften, unrealistisch optimistischen Kriegsplanung angefangen bis zur jüngsten,Aufstockungs-Strategie war diese Regierung nicht in der Lage, ihre wirtschaftlichen, politischen und militärischen Kräfte einzusetzen und zu koordinieren.

Die jüngste,überarbeitete Strategie’ ist der verzweifelte Versuch einer Regierung, welche die politischen und wirtschaftlichen Realitäten dieses Kriegs nicht akzeptiert hat; auf jeden Fall hat sie diese Realität dem amerikanischen Volk nicht vermittelt."

Die Medienberichte über die Rede konzentrierten sich auf Sanchez Kritik an der Kriegstaktik der Regierung, während sie die weitergehende autoritäre Ausrichtung so gut wie ignorierten.

Die Ausführungen von Sanchez enthielten ein Element der persönlichen Verbitterung; man hatte ihn im April 2004 als Folge des Abu-Ghraib-Skandals vom Oberbefehl im Irak entbunden. Die sadistischen Folterungen irakischer Gefangener und deren Aufdeckung ereigneten sich in der Zeit seines Oberbefehls. Sanchez sagte vor dem Kongress aus, dass er nichts mit der Genehmigung der in dem US-Gefängnis praktizierten Folter zu tun gehabt hätte. Dokumente, die später veröffentlicht wurden, zeigen aber, dass er persönlich Verhörmethoden genehmigt hat, die von der Genfer Konvention verboten sind.

Eine interne Armeeuntersuchung kam zu dem Schluss, dass Sanchez indirekt verantwortlich für die Misshandlungen in Abu Ghraib sei, entlastete ihn jedoch im Rahmen des offiziellen Persilscheins, der allen Militäroffizieren und Bush-Beamten erteilt wurde. Die negativen politischen Auswirkungen des Skandals führten jedoch dazu, dass er kein erneutes Oberkommando erhielt. Kurz nachdem der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld von Bush seines Amtes enthoben worden war, schied er im November 2006 aus der Armee aus.

Im Verlauf seiner Hasstirade gegen die Medien, spielte Sanchez auf Abu Ghraib an, indem er erklärte: "Im Verlauf dieses Kriegs sind aufgrund der gewaltigen Macht und des Einflusses der Medien - und damit Ihres Einflusses als Journalisten - taktisch unbedeutende Ereignisse zu strategischen Niederlagen für Amerika geworden. In vielen Fällen haben die Medien ungerechter Weise das persönliche Ansehen und die Karriere der Beteiligten zerstört."

Sanchez sprach eindeutig für eine größere Gruppe. Der Misserfolg des amerikanischen Militärabenteuers im Irak hat gegenseitige Beschuldigungen und Konflikte innerhalb des Militärs und zwischen dem Militär und den Zivilbehörden ausgelöst. In bestimmten Schichten des Offizierskorps wird die Unterstützung für die Verfassung und ihres Prinzips der Unterordnung des Militärs unter die Zivilgewalt immer schwächer.

In seiner Rede zog Sanchez gegen die Bush-Regierung, das Außenministerium, den Nationalen Sicherheitsrat, den Kongress, die Demokraten sowie die Republikaner und die Medien zu Felde, während er das Pentagon verschonte und über die Rolle der Militärbefehlshaber hinwegging.

Am Sonntag, zwei Tage nach Sanchez’ Rede, veröffentlichte die New York Times einen Artikel, der auf Interviews mit Offizieren basierte, die das Command and General Staff College in Fort Leavenworth, Kansas, besuchen. Darin wird klar, dass die Möglichkeit eines Militärputsches in den USA offen diskutiert wird. Der Artikel beschreibt widersprüchliche Ansichten unter den Offizieren der mittleren Laufbahn an dieser Schule zu der Frage, wo die Hauptschuld für die militärische Katastrophe im Irak liege - bei der Zivilmacht oder den militärischen Befehlshabern, die sich ihr nicht widersetzt hätten.

Der Artikel zitiert den pensionierten Obersten Gregory Fontenot, der an der Schule lehrt, mit den Worten, er bezweifle, "ob Amerikaner wirklich wollen, dass ein Vier-Sterne-General sich öffentlich gegen den Präsidenten dieser Nation stellt, in der Zivilisten die Armee kontrollieren."

Der Artikel fährt fort: "Nur um des Arguments willen wurde die Frage gestellt: Wenn genügend Vier-Sterne-Generäle das getan hätten, hätte das den Krieg beendet?

,Ja, wir nennen das einen Staatsstreich’, erklärte Colonel Fontenot.,Wollt Ihr einen Staatsstreich? Ihr müsst Euch entscheiden, was Ihr wollt. Wollt Ihr die Verfassung oder seid Ihr so aufgebracht über den Irak-Krieg, dass Ihr bereit seid, die Verfassung nur für diesen einen Fall außer Acht zu lassen in der Hoffnung, dass dann alles gut wird? Ich glaube nicht.’"

Dass Sanchez putschistische Stimmungen innerhalb des Militärs sowohl wiedergibt als auch ermutigt, wird durch einem Ausschnitt seiner Rede unterstrichen, in dem er erklärt: "Wer wird unsere politischen Führer zur Rechenschaft ziehen, die für die Führung dieses Kriegs verantwortlich sind? Sie waren zweifellos nachlässig in der Erfüllung ihrer Pflicht. In meinem Beruf würde diese Art von Führern sofort abgelöst oder vor ein Militärgericht gestellt."

Sanchez schloss seine Bemerkungen mit einem Bekenntnis zu seinem evangelisch-christlichen Glauben und erklärte: "Gelobt sei Gott, mein Fels, der meine Finger für den Kampf und meine Hände für den Krieg ausbildet." Dies ist bezeichnend, da ein wichtiger ideologischer Bestandteil des in wachsendem Maße politisierten amerikanischen Militärs darin besteht, dass sich rechte fundamentalistische Dogmen in ihren Reihen ausbreiten.

Die Gefahr eines Militärputsches in den USA ist sehr real. Wie die World Socialist Web Site schon seit einiger Zeit klar gemacht und gewarnt hat, übt das Militär einen immer größeren Einfluss auf das politische Leben in Amerika aus. Es verschlingt einen gewaltigen Teil des Staatshaushalts, seine führenden Persönlichkeiten besetzen Schlüsselpositionen in der Regierung und in großen Unternehmen und sind gegenwärtig in der neo-kolonialen Besatzung zweier Länder engagiert.

Die wachsende politische Macht des Militärs und die Schwächung der zivilen Kontrolle ist ein Prozess, der sich schon über einen längeren Zeitraum, sowohl unter republikanischen als auch unter demokratischen Regierungen, entwickelt hat. Mit der Bush-Regierung hat dieser Prozess ausgeprägtere und offenere Formen angenommen. Die gegenwärtige Regierung zeichnet sich dadurch aus, dass sowohl der Präsident als auch der Vizepräsident öffentliche Reden fast nur noch vor militärischem Publikum halten.

Die Regierung führt einen unpopulären Krieg, bekommt ihre Unterstützung im Wesentlichen von der Finanzaristokratie aus Multimilliardären und Multimillionären und stützt sich offen auf ein Bündnis mit dem Militär gegen den Willen der Bevölkerung. Im letzten Juli rechtfertigte Bush auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus seine Fortführung des Krieges gegen den Willen der Bevölkerung - der sich nicht nur in Meinungsumfragen, sondern auch in den Kongresswahlen 2006 ausgedrückt hatte -, indem er das Militär als eine gesellschaftliche Gruppe bezeichnete, die größeres Gewicht habe als das amerikanische Volk.

Erst diesen Monat hat General Peter Pace, der scheidende Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs, erklärt, das Volk könne nicht "das Ende des Kriegs herbei stimmen". Vorangegangen war die Verabschiedung von Resolutionen im Repräsentantenhaus und im Senat mit Unterstützung beider Parteien, die die der Demokratischen Partei nahestehende Gruppe MoveOn.org verurteilen, weil sie eine Anzeige veröffentlicht hatte, die den gegenwärtigen Oberbefehlshaber im Irak, General David Petraeus, kritisiert.

Weder die Demokratische Partei noch die Medien sind bereit, der immer unheilvolleren Einmischung des Militärs in politische Angelegenheiten entgegenzutreten. Die Reaktion des politischen Establishments und der Medien auf Sanchez Rede unterstreicht dies.

Weder das Weiße Haus noch das Pentagon haben reagiert. Der Nationale Sicherheitsrat dankte Sanchez lediglich für seine militärischen Dienste und äußerte die Meinung, die militärische und die Sicherheits-Lage im Irak verbesserten sich für die USA.

Keine der großen Zeitungen hat sich in einem Leitartikel mit der Rede beschäftigt. Genauso wenig haben sie über den völlig antidemokratischen Inhalt berichtet.

Die führenden Demokraten haben feige geschwiegen. In den Talkshows am Sonntagmorgen wurde Sanchez’ Rede nur am Rande erwähnt. Republikanische Anhänger der Bush-Regierung und des Kriegs, wie der Führer der Senatsminderheit Mitch McConnell, verwiesen ledigkich auf einen Leitartikel der Washington Post, der behauptet, die geringere Zahl von irakischen Todesopfern lasse eine verbesserte Sicherheitslage im Irak erkennen.

Sanchez’ Rede unterstreicht, dass der Krieg im Irak und die Vorbereitungen auf neue und noch blutigere Kriege in wachsendem Maße die demokratischen Rechte des amerikanischen Volks gefährden. Kein Teil der herrschenden Elite fühlt sich noch in irgendeiner Weise verpflichtet, diese Rechte zu verteidigen. Nur die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen beide Parteien des amerikanischen Kapitalismus kann dem Krieg und der Gefahr einer Diktatur ein Ende bereiten.

Siehe auch:
Journalist verklagt US-Sender weil er dem Druck der Rechten geopfert wurde
(3. Oktober 2007)
Stoppt die US-Kriegsvorbereitungen gegen den Iran!
(16. Februar 2007)
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