Frankreich: Sozialistische Partei driftet nach rechts ab

Die Niederlage der Sozialistischen Partei (SP) Frankreichs bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai und Juni dieses Jahres hat die Partei in einen chaotischen Zustand gestürzt. Sie reagiert auf die tiefe interne Krise mit einer weiteren scharfen Rechtswende.

Ein Teil der Partei läuft direkt ins Lager des Präsidenten Nicolas Sarkozy von der rechten gaullistischen UMP (Union für eine Volksbewegung)über. Dies beschränkt sich keineswegs nur auf führende Parteimitglieder, die Posten in Sarkozys Kabinett akzeptiert haben oder Regierungskommissionen angehören, sondern reicht weit hinein in die niedrigeren Ebenen der Partei.

Die SP-Fraktion im Stadtrat von Mühlhausen im Elsass will - mit Ausnahme eines einzigen Mitglieds - auf der UMP-Liste für die Kommunalwahlen 2008 kandidieren. Die SP sah sich gezwungen, ihre gesamte Fraktion aufzulösen und eine andere Liste zu präsentieren, die von dem einzigen verbliebenen Stadtrat geführt wird. Zu denen, die in Sarkozys Kabinett eingetreten sind, gehört auch der derzeitige Bürgermeister von Mühlhausen, Jean-Marie Bockel, der als Minister für Zusammenarbeit fungiert. Bockel hat erklärt, er habe "viel mehr Gemeinsamkeiten mit der derzeitigen Regierung" als mit der Sozialistischen Partei.

Ein anderer Teil der SP, die so genannten Rénovateurs (Erneuerer) unter Führung der Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal, versucht die SP in eine zweite konservative bürgerliche Partei zu verwandeln und verbündet sich mit François Bayrou und seiner Mitte-Rechts-Bewegung MoDem (Demokratische Bewegung). Diese Fraktion schlägt vor, den Namen der Partei zu ändern und alle Anklänge an den Sozialismus fallen zu lassen.

Schließlich sind da noch diejenigen, die sich um den Parteivorsitzenden François Hollande gruppieren. Sie haben zwar keine größeren politischen Differenzen mit Royal oder denjenigen, die ins Lager von Sarkozy übergelaufen sind, vertreten jedoch die Auffassung, das Etikett "sozialistisch" sollte nicht aufgegeben werden.

Vom 31. August bis zum 2. September fand die jährliche Sommeruniversität der SP in La Rochelle mit über 1.000 Parteimitgliedern statt. Die dreitägige Diskussion führte der Öffentlichkeit vor Augen, wie sehr sich die Partei im Zustand der fortgeschrittenen Auflösung befindet.

Es gab keine ernsthafte Debatte oder Diskussion über die große Zahl von führenden Mitgliedern, die in das Lager Sarkozys überwechseln. Viele hohe Tiere der Partei - wie der ehemaliger Premierminister Laurent Fabius, Martine Aubry und Dominique Strauss-Kahn (den Sarkozy für die Leitung des Internationalen Währungsfonds nominiert hat) - ließen sich noch nicht einmal auf der Veranstaltung blicken.

Der Überläufer Michel Rocard, der künftig in einem Ausschuss der Regierung Sarkozy die Bildungspolitik mitgestaltet, nahm an der Sommeruniversität teil und wurde, abgesehen von ein paar Buhrufen aus dem Publikum, recht herzlich empfangen. Und all dies unter Bedingungen, wo die Regierung alle sozialen und demokratischen Rechte angreift und ganz besonders den Bildungssektor unter Beschuss nimmt.

Die Zeitung Libération berichtet, dass "die Hälfte des Saales buhte, als Rocard sich erhob, um zu sprechen, und die andere applaudierte". Weiter heißt es in dem Artikel: "André, ein etwa 60jähriges SP-Mitglied, ergriff das Mikrophon und stellte die Frage: ‘Was werden wir unternehmen, um die Verräter aus unseren Reihen zu entfernen?’ Aber alle, die auf dem Podium saßen, ließen die Frage unbeantwortet."

In seinem Schlusswort fasste der nominelle Parteivorsitzende Hollande den Zustand der SP mit folgenden Worten zusammen: "Ich kenne all unserer Fehler, künstlichen Differenzen, politischen Rivalitäten, Disziplinlosigkeiten, unsere Selbstsucht, unseren Mangel an Standfestigkeit... Wir leiden ständig unter schlechtem Gewissen, unternehmen Balanceakte, stoßen Beschwörungsformeln aus und sind unfähig, einen klaren Kurs zu verfolgen."

Ein SP-Mitglied der Europäischen Parlaments, Vincent Peillon, sprach von dem "Zustand der heutigen Linken - zerstritten, geschwächt, auf sich selbst konzentriert, voller Misstrauen und ohne jeder wirklich innovative oder mitreißende Perspektive."

Im Leitartikel der Zeitung Le Monde vom 27 August heißt es: "Die Sozialistische Partei befindet sich in einer tiefen Depression, sie leidet unter einem dreifachen Zusammenbruch - der Führung, der Strategie und des Programms." Und weiter steht dort: "Die Fraktionen in ihrem Innern, das Ergebnis lange währender interner Auseinandersetzungen, sind verhärtet und haben sich abgekapselt. Die historischen Verbündeten der SP, die Kommunisten und die Grünen, sind noch viel mehr mit einer morbiden Nabelschau beschäftigt."

Der Leitartikel fürchtet um die Stabilität der parlamentarischen Demokratie: "Es gibt keine ordentliche Demokratie ohne Wechsel. Dieser aber erfordert eine dynamische und glaubwürdige Opposition."

Eine Stütze der kapitalischen Herrschaft

Le Monde befürchtet, der buchstäbliche Zusammenbruch der Sozialistischen Partei könnte ein Vakuum hinterlassen, in das eine Bewegung aus der Arbeiterklasse eindringt. Die Angst besteht vor allem darin, dass sich eine solche Bewegung außerhalb der traditionellen politischen Bahnen entwickeln und einen revolutionären Kurs einschlagen könnte.

Seit ihrer Gründung im Jahre 1969, als sich etliche sozialdemokratische Gruppierungen zusammenschlossen, und seit François Mitterrand 1971die Parteiführung übernahm, hat die SP als verlässliche Stütze zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Herrschaft in Frankreich gedient, die zuvor durch die Studentenrevolte und den Generalstreik der Arbeiter von 1968 tief erschüttert worden war. Mitterand schuf die Bedingungen, unter denen die stalinistische Kommunistischen Partei, die schon lange eine revolutionäre Perspektive aufgegeben hatte aber sich immer noch beträchtlicher Unterstützung in der Arbeiterklasse erfreute, in die Regierungsverantwortung einbezogen werden konnte.

Aber die Fähigkeit dieser offiziellen "Linken", die Arbeiterklasse zu kontrollieren und in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften zu desorientieren, ist inzwischen unterhöhlt.

Wie Henri Emmanuelli, ein Führer des "linken Flügels" der Partei in einem heftigen Wortgefecht in La Rochelle ausführte, wandte sich die SP bereits 1983dem kapitalistischen Markt zu, kurz nachdem Mitterand erstmals zum Präsidenten gewählt worden war.

Le Monde berichtet: "Die Sozialisten sagen, sie hätten genug von den ewigen Vorwürfen, sie würden die Marktwirtschaft nicht akzeptieren. 'Sie akzeptierten sie - unsere Kritiker mögen das beachten - am Freitag, den 23. März 1983 um 11 Uhr vormittags', erklärte ein verstörter Henri Emmannuelli, 'als sie nach einer lebhaften Debatte zustimmten, dem Europäischen Währungssystems beizutreten, dem Vorläufer des Euro, und als sie einen harten Sparplan durchsetzten.'"

Die rechte Politik der verschiedenen Regierungen unter Führung der Sozialistischen Partei hat den Einfluss der SP und ihrer Verbündeten in der Kommunistischen Partei und den Gewerkschaften untergraben. 2002 erlitt ihr Präsidentschaftskandidat Lionel Jospin, der fünf Jahre lang als Premierminister die Regierung geführt hatte, eine schwere Niederlage im ersten Wahlgang. Er erreicht nur den dritten Platz hinter dem amtierenden gaullistischen Präsidenten Chirac und dem Kandidaten der Nationalen Front Jean Marie Le Pen.

In diesem Jahr trat die Präsidentschaftskandidatin der SP Ségolène Royal mit einem Programm an, das in weiten Teilen nicht von Sarkozys zu unterscheiden war. Es richtete sich gegen Zuwanderer, war nationalistisch und militaristisch geprägt und hielt Frankreichs Status als Atommacht hoch. Royal schlug vor, straffällig gewordene Jugendliche in die Armee zu stecken, und verlangte, dass es "keine Rechte ohne Pflichten" geben dürfe - dahinter steht die Forderung, arbeitslose Jugendliche zur Annahme eines beliebigen Jobs zu verpflichten und ihnen andernfalls die Unterstützung zu streichen, eine Losung, die auch Sarkozy seit Langem propagiert.

Bei der Sommeruniversität verteidigten Royal und ihre Anhänger nicht nur ihren rechten Wahlkampf sondern verbrachten auch eine großen Teil der Zeit damit, Sarkozys reaktionäres und von sozialer Unterdrückung geprägtes Regierungsprogramm zu verteidigen.

Manuel Valls, ein Führer der Erneuerer, sagte: "Wir können uns teilweise der Mehrheit anschließen, solange sie uns in den Fragen anhört, in denen wir übereinstimmen. Ich denke dabei an die Mittel, die wir der Justiz im Kampf gegen das Verbrechen an die Hand geben sollten, und auch in der Frage der Einwanderung." Er wiederholte Sarkozys und Royals Standpunkt mit der Forderung, die Sozialisten sollten "endlich zugeben", dass wir uns in einer Marktwirtschaft befinden und sich gegen eine Gesellschaft aussprechen, "in der der Staat die die Verteilung übernimmt".

Royal stimmt mit Valls überein, wie sie wenige Tage zuvor bei einer Rede in Melle deutlich machte. Sie drängte ihre Anhänger, "in Bezug auf die Regierung nicht übertrieben zu reagieren", und erklärte: "In dieser neuen Regierung existiert ein ernsthafter Wille zu Reformen, was die Mehrheit unserer Mitkämpfer heute anerkennt."

Royal griff zudem die Regierung von rechts an, weil diese ihrer Ansicht nach nicht weit genug geht: "Aber eine Reform anzukündigen, heißt nicht sie zu vollenden." Sie beklagte, die 110 unternehmerfreundlichen Vorschläge des ehemaligen IWF-Vorsitzenden Michel Camdessus, die Sakozy im Wahlkampf seine "Bettlektüre" genannt hatte, seien durch andere Pläne ersetzt worden.

Für Law-and-Order-Maßnahmen und den Gefängnisbau würden nicht genügend Finanzmittel bereitgestellt, beschwerte sich Royal. Sie verteidigte Sarkozys Angriff auf das Streikrecht, das Gesetz zur Aufrechterhaltung wichtiger Dienstleistungen bei Streiks, verurteilte aber seine "Politik, die Frankreich und die Franzosen nicht ausreichend auf die Herausforderung vorbereite, die Wachstum und Globalisierung" sowie die nationale Haushaltsverschuldung bereithalten.

Sie behauptete, dass "unser Land zurückfällt", und klagte über das "Risiko der Untätigkeit". Sie drängte, Sarkozy und seine Regierung müssten "über die Ankündigungen und unbedeutende Gesetze hinausgehen, jetzt verantwortungsvoll handeln und tief greifende Reformen umsetzen, um wieder Wachstum zu schaffen. Die Rolle der Linken besteht darin, zum sofortigen Handel zu drängen und die richtige Richtung vorzugeben." Genau dies ist damit gemeint, wenn sie erklärt "Wir sollten so handeln, als ob wir in der Regierung wären."

In La Rochelle drückte Royal ihre Unterstützung für den US-Imperialismus im Irak aus und lobte den "bemerkenswerten" Baker-Bericht und die "unnachgiebige und mutige" Haltung, die die Sprecherin der Demokratischen Partei im Repräsentantenhaus Nancy Pelosi bewiesen habe. Tatsächlich hat Pelosi für die weitere Finanzierung der neokolonialen Besatzungspolitik im Irak gestimmt.

Jean-Marc Ayrault, ein Anhänger von Royal und Vorsitzender der SP-Fraktion in der Nationalversammlung, griff - deutlich im Stil von Sarkozy - die Gleichmacherei an und drosch auf die am stärksten benachteiligten Schichten der Gesellschaft ein. Er erklärte: "Wo Angehörige der arbeitenden Klasse nach Anerkennung ihrer Mühen, Verdienste und ihrem Streben nach sozialem Aufstieg verlangen, da haben wir allzu oft Sozialpolitik mit dem Kampf gegen Exklusion verwechselt." Er forderte eine Anhebung des Renteneintrittalters und beklagte die "immer höheren Kosten" für "unsere faule Gesellschaft".

Meinungsverschiedenheiten über taktische Fragen

Royals Gegner unter Führung ihres früheren Lebensgefährten Hollande stimmen weitgehend mit ihren oben skizzierten politischen Perspektiven überein. Hollande unterstützte ausdrücklich ihre oben zitierte Rede in Melle. Er sagte: "Ihre Rede war vollständig in Übereinstimmung mit dem, was ich für richtig halte." Er schloss sich Sarkozys Offensive gegen die 35-Stunden-Woche und das Pensionsrecht an und erklärte: "Frankreich sollte generell mehr arbeiten.... Es ist nicht mehr die Zeit allgemeiner Arbeitszeitverkürzung."

Jenseits der persönlichen Vorwürfe und Beleidigungen sind die politischen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der SP rein taktischen Überlegungen geschuldet. Die Gruppe um Royal ist für die Ausmerzung aller Bezüge zum Sozialismus und für eine Allianz mit der Mitte-Rechts-Bewegung MoDem von François Bayrou. Andere aus der übrigen Führungsriege sind dafür, sich weiterhin in Worten auf den Sozialismus zu beziehen und gleichsam eine Allianz mit ihren traditionellen Koalitionspartnern anzustreben - der Kommunistischen Partei, den Grünen und der PRG (Linksrepublikanischen Partei), die alle bei den jüngsten Wahlen nicht über ein oder zwei Prozent hinausgekommen sind.

Hollande verteidigte die Beibehaltung des Begriffs "sozialistisch" im gegenwärtigen Parteinamen mit dem Argument, dass sonst irgendjemand anderes in die Lücke springen könnte. Nach einem Bericht im Nouvel Observateur, "bezog er sich dabei auf eine 'sehr weise' Bemerkung François Mitterands: 'Überlegt es euch gut, wir haben seit hundert Jahren versucht unsere Markenzeichen zu etablieren. Wenn wir es fallen lassen, wird sicher jemand danach greifen', zitierte er die Worte des ehemaligen Präsidenten."

Das "Markenzeichen" beizubehalten ist jedoch geradezu unmöglich angesichts des zwanghaften Bedürfnisses der SP-Führung, zu betonen, dass sie nicht gegen den kapitalistischen Markt ist. Ständig fühlt sie sich genötigt, das Gespenst der Planwirtschaft und des tatsächlichen Sozialismus zu verscheuchen, das sie verfolgt

Wie Emmannuelli klagt Hollande, dass "wir seit fünfundzwanzig Jahren eine Änderung der Parteipolitik in Bezug auf den Markt einfordern. Daher kann ich Sprüche gegen den Kapitalismus nicht akzeptieren. Wir werden nicht fortfahren, Märchen zu erzählen, dass wir in fünf oder zehn Jahren dem Kapitalismus ein Ende bereiten. Wir müssen erklären, dass die Große Revolution ein alter Hut ist."

Rocard brachte es auf den Punkt, ohne den Widerspruch der versammelten "Sozialisten" zu ernten: "Politisch sind wir Anhänger der freien Marktwirtschaft."

Angesichts der Kommunalwahlen im März 2008 drängt sich die Frage auf, welche Bündnisse einzugehen sind und wie man populär bleiben kann, wenn man eine Politik propagiert, die sich nicht grundsätzlich von dem Programm der UMP und Sarkozy unterscheidet. Das war ein wichtiger Punkt während der Debatten auf der SP-Versammlung.

Viele SP-Mitglieder sind in regionalen oder kommunalen Behörden angestellt und tragen sich mit der Frage, welche lokalen Beschlüsse sie in die Lage versetzen, lukrativere Posten in den rund 36.000 Kommunen und Stadtverwaltungen Frankreichs zu ergattern.

Bei der Sommeruniversität der SP war auch ein Vertreter der Ligue Communiste Revolutionaire (LCR) anwesend, die angekündigt hat, sie wolle sich in eine breit angelegte "antikapitalistische Partei" umwandeln. Jean-Marie Benaben., ein enger Vertrauter des LCR-Sprechers Olivier Besancenot, nahm an einer Diskussion am runden Tisch teil, die von der Jugendbewegung der SP, der MJS, organisiert worden war. Wie Libération berichtet, erhielt er "Beifall, als er erklärte, dass 'wir gemeinsam auf der Straße gegen den Ersteinstellungsvertrag gekämpft haben'."

Benabens Anwesenheit bestätigt, dass sich die LCR trotz ihres beabsichtigten Faceliftings weiterhin als integralen Teil der "Linken" versteht und als linkes Feigenblatt der SP zur Verfügung steht. Die LCR will ihr Glaubwürdigkeit verleihen, indem sie gemeinsam mit der SP einzelne Protestaktionen durchführt.

Siehe auch:
Differenzen brechen in der französischen Sozialistischen Partei auf
(7. Juli 2007)
Parlamentswahlen in Frankreich: Der Zusammenbruch der "Linken"
( 9. Juni 2007)
Loading