Die Scottish National Party veröffentlicht ein Unabhängigkeitspapier

Vergangene Woche veröffentlichte die von der Scottish National Party geführte schottische Minderheitsverwaltung ein 40-seitiges Dokument mit dem Titel "Unabhängigkeit und Verantwortung in der modernen Welt". Es ist das erste, gewissermaßen offizielle Dokument, das für die Loslösung Schottlands von England eintritt.

SNP-Führer Alex Salmond erklärte, damit erfülle seine Partei ihr Wahlkampfversprechen, innerhalb der ersten 100 Amtstage ein Papier zur Unabhängigkeit Schottlands vorzulegen.

In dem Dokument werden im Wesentlichen die Standpunkte aus dem Wahlprogramm der SNP wiederholt. Hinzugefügt wurde der Vorschlag für ein Unabhängigkeitsreferendum. Die schottischen Wähler sollen sich darin für oder gegen den Satz aussprechen: "Die schottische Regierung soll mit der Regierung des Vereinigten Königreichs eine Vereinbarung aushandeln, die Schottland zu einem unabhängigen Staat macht."

Die SNP-Verwaltung versucht schon Pflöcke für die künftige Unabhängigkeit einzuschlagen. Salmond fordert die Schaffung eines unabhängigen schottischen öffentlichen Dienstes und ist - wie in der Formulierung der Referendumsfrage sichtbar - dazu übergegangen, die Regionalverwaltung als schottische "Regierung" zu bezeichnen. Bevor Salmond England als "Erster Minister" seinem Antrittsbesuch abstattete, reiste er nach Brüssel - um Verbindungen zur Europäischen Union und zur Regionalverwaltung Nordirlands zu knüpfen.

Das ändert allerdings nichts daran, dass die SNP eine Minderheitsverwaltung führt und nur etwa dreißig Prozent der schottischen Bevölkerung die Unabhängigkeit unterstützen. Deshalb konzentriert sich das Papier auf zwei Alternativen zur völligen Unabhängigkeit: die Beibehaltung des Status Quo und die Übertragung weiterer Machtbefugnisse der Zentralregierung auf das schottische Parlament.

Die Tatsache, dass das Dokument Alternativen zur völligen Lostrennung in Erwägung zieht, wird in der britischen Presse als Zeichen für eine versöhnliche Haltung der SNP gewertet. In Wirklichkeit lässt aber nicht das Streben der SNP nach Unabhängigkeit nach, sondern die offiziellen Oppositionsparteien haben sich in der Frage weiterer Vollmachten für das schottische Parlament der SNP angenähert.

Das Dokument beginnt mit einem Zitat des irischen Nationalisten Charles Stewart Parnell: "Niemand hat das Recht, dem Marsch einer Nation Grenzen zu setzen; niemand hat das Recht, dem Land zu sagen: ‚Bis hierher und nicht weiter’."

In Wirklichkeit setzt die SNP hier einer Debatte Grenzen, die wenig mit einer angeblichen demokratischen Entscheidung des Volkes über die Zukunft der Schotten zu tun hat.

In dem Dokument heißt es: "Als souveränes Volk, als das Volk von Schottland, haben wir - und wir allein - das Recht zu entscheiden, wie wir regiert werden wollen."

Dieser Anspruch, wonach ein Referendum demokratisch legitimiert sei, wird weitgehend unbesehen akzeptiert. Soweit es zwischen den zahlreichen schottischen Parteien Meinungsverschiedenheiten über das Referendum gibt, drehen sich diese hauptsächlich um Fragen des Zeitpunkts und der Formulierung.

Die SNP nutzt den Gesichtsverlust der anderen großen Parteien - die Konservativen sind immer noch dezimiert, Labour hat in den letzten Jahren nördlich und südlich der Grenze massiv an Unterstützung verloren - um dem korrupten, rechten Regime in London den Beginn einer angeblich neuen Ära der schottischen Politik entgegen zu stellen.

Aber das Bemühen für eine größere Unabhängigkeit Schottlands steht nicht im Gegensatz zur Rechtsentwicklung der offiziellen Politik in ganz Großbritannien. Beide sind Bestandteil einer Entwicklung, die die demokratischen und sozialen Bestrebungen der arbeitenden Bevölkerung den selbstsüchtigen Interessen der Wirtschaft und ihrer kleinbürgerlichen Vertreter unterordnet.

Alle preisen die Europäische Union

Die SNP tritt für Separatismus oder zumindest für erweiterte Autonomie ein, um Schottland zu einem Billiglohnparadies mit niedrigen Unternehmenssteuern zu machen. Das richtet sich gegen die Interessen der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung auf beiden Seiten der Grenze. Wie viele andere separatistische Bewegungen will die SNP Schottland direkt mit dem Weltmarkt verbinden und Investitionen großer Konzerne anziehen, die Zugang zu den europäischen Märkten suchen.

Im Dokument heißt es zustimmend: "Im zwanzigsten Jahrhundert sind 150 neue Staaten entstanden, ein großer Teil von ihnen infolge der Dekolonisierung und dem Auseinanderbrechen der ehemals kommunistischen Staaten in Zentral- und Osteuropa."

Was ist hier gemeit? Kann tatsächlich jemand, ohne rot zu werden, behaupten, Länder wie Estland, Litauen oder die Ukraine, um nur einige zu nennen, seien im eigentlichen Sinne des Wortes "unabhängige", "souveräne" Staaten? In Wirklichkeit hat sich, besonders seit dem Irakkrieg, gezeigt, dass viele dieser neuen "unabhängigen" Staaten lediglich Schachfiguren der einen oder anderen Großmacht sind.

Die Ansprüche der SNP auf Unabhängigkeit sind genauso falsch. In Wahrheit schlägt sie vor, den Rahmen des Vereinigten Königreichs zu sprengen, um Schottland umso fester in den Rahmen der Europäischen Union zu bringen. Deren Großzügigkeit, so hofft die SNP, werde die Schaffung einer unternehmensfreundlicheren Umgebung ermöglichen.

Um das zu erreichen, hat die SNP ein Sammelsurium politischer Argumente zusammengetragen, mit denen sie erreichen will, dass Schottland mit seiner Bevölkerung von fünf Millionen ein ebenso großes, wenn nicht größeres Gewicht in der EU bekommt, als gegenwärtig im Verbund mit dem Vereinigten Königreich. "Ihre Majestät, die Königin, bliebe Staatsoberhaupt Schottlands. Die gegenwärtige parlamentarische und politische Union Großbritanniens und Nordirlands würde zu einer monarchischen und sozialen Union werden."

Würde sich eine Mehrheit für die Unabhängigkeit finden, würde Schottland Verhandlungen mit England aufnehmen, um "die Aufteilung der Aktiva und Passiva des Vereinigten Königreichs zwischen den verbleibenden Teilen des Vereinigten Königreichs und einem unabhängigen Schottland zu regeln. Darunter würden Fragen fallen wie die Aufteilung der nationalen Schulden; die Zuweisung angehäuften Vermögens wie der offiziellen Reserven des Vereinigten Königreichs, die BBC und die Botschaften des Außenministeriums im Ausland; zukünftige Verpflichtungen bei den Pensionen im öffentlichen Dienst und Ansprüche aus der Sozialversicherung; die Aufteilung der Verteidigungsanlagen und die Ausrüstung der Streitkräfte."

Auf dieser Grundlage könne Schottland "mit demselben Status wie die anderen Mitgliedstaaten" in der EU verbleiben und "Vollmitglied der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen wie dem Commenwealth, der Weltgesundheitsorganisation, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und der Welthandelsorganisation" werden.

Außerdem könnte es in der Verteidigungspolitik "mit eigener Stimme sprechen", fährt der Bericht fort.

Der Teil des Dokuments, in dem die Unabhängigkeit beschrieben wird, ist teilweise deswegen so vage, weil die SNP weiß, dass sie keine unmittelbare Aussicht auf Verwirklichung hat. Aber die in dem Bericht dargelegten Pläne für eine erweiterte Autonomie machen klar, dass es den Nationalisten im Grunde ausschließlich um die Interessen der Wirtschaft geht. Es heißt dort: "Die Übertragung der Verantwortung für Steuern und Ausgaben insgesamt - gemeinhin als ‚Haushaltsautonomie’ bekannt - würden es dem schottischen Parlament und der schottischen Regierung erlauben, die Besteuerung dem für Schottland am besten geeigneten Niveau öffentlicher Ausgaben anzupassen."

Mit der Übertragung der Verantwortung für Wettbewerbsgesetzgebung auf Schottland "könnte Schottland dann den Marktbedürfnissen besser angepasst werden, natürlich im Rahmen der Gesetze der Europäischen Union".

Dieses "natürlich" ist bezeichnend. Während die SNP gegen die angebliche Unterordnung Schottlands unter England zu Felde zieht, ist sie nur zu gern bereit, die Autorität der EU zu akzeptieren. So drängt der Bericht darauf, dass "Schottland bei Verhandlungen mit der EU eine größere Rolle spielt", und fordert die Übertragung der Verantwortung für die Regulierung der Finanzdienstleistungen, um "Schottland in die Lage zu versetzen, mehr Einfluss in der EU auszuüben, damit die spezifischen schottischen Gegebenheiten besser berücksichtigt werden".

In Fragen der Beschäftigung, der Gewerkschaftsrechte und der Arbeitssicherheit "könnte das schottische Parlament eine neue Balance finden zwischen den Rechten der Arbeiter und dem Bedürfnis nach einem modernen, flexiblen Arbeitsrecht und einem angemessenen Mindestlohn für alle Altersgruppen". In gleicher Weise wäre es möglich, die Regeln für den Bezug von Sozialleistungen und Renten usw. festzulegen.

Oppositionsparteien unterstützen Forderung nach erweiterter Autonomie

Als Reaktion auf den Bericht riefen Labour, die Liberaldemokraten und die Konservativen eine "Pro-Union-Allianz" ins Leben. In einer gemeinsamen Erklärung bezeichneten sie Salmonds Unabhängigkeitsplan als "spalterisch". Aber alle drei haben klar gemacht, dass sie an dem "Diskurs" beteiligt sein wollen, und haben zu erkennen gegeben, dass sie größere Befugnisse für das schottische Parlament unterstützen. In deutlichem Gegensatz zu Erklärungen Labours und der Konservativen vor der Wahl im Mai, die existierende Autonomieregelung gehe weit genug, heißt es jetzt in der gemeinsamen Erklärung: "Wir sind zu einer gemeinsamen Debatte darüber bereit, wie die Regionalisierung im Vereinigten Königreich in den nächsten Jahren am besten entwickelt werden kann."

Was die Liberaldemokraten betrifft, so hatte ein Bericht zum Thema Verfassungsreform, der im vergangenen Jahr unter der Federführung des vormaligen Parteiführers David Steel erstellt wurde, die Übertragung einer ganzen Reihe momentan noch von Westminster ausgeübter Vollmachten an Edinburgh gefordert.

Die Labour-Regierung in London hat selbst, wie in dem Bericht aufgezeigt wird, weitgehende Änderungen an der Verfassung des Vereinigten Königreichs vorgenommen. Aufgezählt werden die Referenden über die Regionalisierung von Schottland und Wales, die Reform des Oberhauses, die Regionalisierung selbst, die Direktwahl des Londoner Oberbürgermeisters, neue Vollmachten für das regionale Parlament von Wales und das Machtteilungsabkommen in Nordirland.

Im Ergebnis sitzen jetzt jede Menge Geschäftsleute und politische Protegés im Oberhaus. Es sind mehrere neue, aus Steuergeldern finanzierter regionaler Staatsapparate entstanden, die aufstrebenden nationalistischen Politikern eine Nische bieten, in der sie diskutieren können, wie man am besten "Haushaltsstabilität" und internationale Wettbewerbsfähigkeit erreichen kann. Diese "Pionierarbeit" wurde von drakonischen Maßnahmen gegen demokratische Rechte begleitet, und ging mit einer wachsenden sozialen Ungleichheit und mehreren Präventivkriegen einher.

Da solche Verfassungsänderungen als Deckmantel dienen, um eine unpopuläre Politik durchzusetzen und zu tarnen, sind alle Parteien auf Salmonds Zug des "nationalen Diskurses" aufgesprungen.

Die Reaktion der Konservativen ist typisch für die üblen Manöver aller offiziellen politischen Parteien. Obwohl sie anfänglich gegen die Regionalisierung waren, hat das schottische Parlament, das nach dem Verhältniswahlrecht gewählt wird, ihnen die Möglichkeit gegeben, trotz geringer Wählerunterstützung in der Verwaltung und bei den politischen Entscheidungen des Landes mitzumischen. Die Autonomie ist deshalb für die Tories lebenswichtig, wenn sie nördlich der Grenze überhaupt mitreden wollen. Die Vorsitzende der schottischen Tories, Annabel Goldie, hat ihre Unterstützung für größere Haushaltsautonomie für das schottische Parlament signalisiert und befürwortet eine "intelligente Debatte" über Schottlands Zukunft.

Weil die Konservative Partei ihre Wahlunterstützung hauptsächlich aus englischen Wahlkreisen bezieht, nutzt sie die Pläne für die Unabhängigkeit Schottlands auch, um größeren Einfluss Englands zu fordern. Führende Konservative argumentieren, dass die Übertragung von mehr Vollmachten auf Schottland zur Folge haben sollte, dass die schottischen Abgeordneten in Westminster kein Recht mehr haben, bei Angelegenheiten mitzubestimmen, die England betreffen. Eine solche Maßnahme würde die Parlamentsmehrheit Labours stark schwächen, wenn nicht sogar vollkommen beseitigen.

Auch in der Labour Party spiegelt sich diese regionale Spaltung wider. Premierminister Gordon Brown hat wissen lassen, Labour werde sich dafür einsetzen, dass " das schottische Parlament noch mehr Vollmachten erhält, um seine inneren Angelegenheiten zu regeln". Damit versucht er, die SNP auszumanövrieren.

In Schottland selbst hat die neue Fraktionsvorsitzende der Labour Party, Wendy Alexander, gesagt, man müsse sich die Beziehungen zum Vereinigten Königreich noch einmal vornehmen, und signalisiert, ihre Partei werde sich von London distanzieren. Gleichzeitig hat ein Labour-naher Think Tank, das Institute for Public Policy Research (IPPR), Brown aufgefordert, die Zahl der schottischen Parlamentsabgeordneten zu verringern und die Ausgaben der Zentralregierung für Schottland zu kürzen, um "möglichen Unmut in England aufzufangen", berichtete der Scotsman. "Andernfalls, so warnen die Forscher, könne die Unzufriedenheit in England letztlich die Einheit des Vereinigten Königreichs bedrohen", fuhr die Zeitung fort.

Kleinbürgerlich-Radikale treten als Jubeltruppe für Nationalismus auf

Die momentane Debatte unterstreicht die politisch kriminelle Rolle der kleinbürgerlich-radikalen Gruppen in Großbritannien.

Vor den Wahlen im Mai wandten sich Millionen von Arbeitern in Schottland, England und Wales wegen ihrer Unterstützung für imperialistische Kriege und ihrer wirtschaftsfreundlichen Politik angewidert von der Labour Party ab. Anstatt diese im Kern linke Stimmung durch einen politischen Kampf zu entwickeln und den Arbeitern die Notwendigkeit des Aufbaus einer wirklich sozialistischen und internationalistischen Bewegung bewusst zu machen, betätigen sich die radikalen Gruppen als Jubeltruppe der Nationalisten.

Die Scottish Socialist Party, Tommy Sheridans Gruppe Solidarity und die Grünen haben die SNP als linke Alternative zu Labour dargestellt. Sheridan äußerte über die neue SNP-Regierung bewundernd: "Zum ersten Mal hat Schottland eine nationalistische Regierung, und was noch wichtiger ist, eine Regierung links der Mitte."

Die SSP, deren Web Site nicht sehr oft aktualisiert wird, begrüßte Salmonds "nationalen Diskurs" schon 48 Stunden nach seiner Bekanntgabe.

"Wir glauben, dass es Schottland wirtschaftlich, politisch, kulturell und sozial besser ginge, wenn wir unsere eigenen Entscheidungen träfen und auf unseren eigenen Füßen stünden", erklärte sie. Sie werde mit der SNP und anderen in diesem bevorstehenden "großen Kampf" zusammenarbeiten, "um das schottische Volk entscheidend für die Sache der Unabhängigkeit Schottlands zu gewinnen".

Wofür die schottischen Arbeiter tatsächlich gewonnen werden sollen, machte die Financial Times klar. Jede Entscheidung zu Verfassungsregelungen im Vereinigten Königreich müsse sich durch ihren Vorteil für die Wirtschaft legitimieren, betonte sie. "Die wirkliche Frage ist, ob größere Autonomie zu einer Verringerung der Abhängigkeit Schottlands von Subventionen des Vereinigten Königreichs führt und Bedingungen für eine dynamischere und elastischere Wirtschaft schafft."

Robert Crawford, Ex-Vorstandschef der offiziellen Wirtschaftsförderungsgesellschaft, Scottish Enterprise, sagte: "Wir müssen mit Sicherheit in der Frage der Steuern etwas unternehmen, weil das die beste Art und Weise ist, ein Land schnell konkurrenzfähig zu machen. Die Senkung der Unternehmenssteuern hat in Europa und weltweit zu mehr Investitionen in diesen Ländern und zu einer deutlichen Ausdehnung bestehender Volkswirtschaften geführt."

Siehe auch:
Eine Absage an Nationalismus und ein Debakel für Labour
(15. Mai 2007)
Die Scottish National Party - schottische Konservative unter linker Tünche
( 21. April 2007)
Das Wahlmanifest der Scottish Socialist Party - eine nationalistische Hetzschrift
( 17. April 2007)
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