Wütende Reaktionen gegen Verdi-Ausverkauf

Als der Tarifabschluss bekannt wurde, den Verdi mit der Lufthansageschäftsleitung vereinbart hat, reagierten viele Beschäftigte mit Wut und Empörung.

Vor allem Flugzeugmechaniker sprachen sich scharf gegen den Abschluss aus und kritisierten das Vorgehen der Gewerkschaft. Eine Münchner Flugzeugtechnikerin, die jahrzehntelang Gewerkschaftsmitglied ist machte gegenüber Spiegel-Online ihrem Ärger Luft und erklärte:"Doch jetzt trete ich definitiv endgültig aus."

Die Streikbeteiligung der Mechaniker in München lag bei fast hundert Prozent und kaum einer sei mit dem Abschluss zufrieden, heißt es in dem Bericht. "Das Ergebnis war keinen Streik wert. Denn wegen der hohen Inflation bleibt da nicht viel übrig", kritisierte ein anderer Mechaniker den Abschluss.

Als der Münchner Verdi-Chef Heinrich Birner der Belegschaft die Ergebnisse der Verhandlungen präsentierte, erntete er nur schallendes Gelächter. Gleichzeitig versuchte er die einzelnen Berufsgruppen gegeneinander auszuspielen. "Ihr habt das Recht mit Nein zustimmen", sagt der Verdi-Funktionär mit Blick auf die Urabstimmung. Gleichzeitig kündigte er an, dass Verdi entschlossen ist, den Abschluss auch gegen die Mehrheit der Mitglieder durchzusetzen. Birner zeigte sich zuversichtlich, dass die nötige 25-Prozent-Mehrheit der am Streik beteiligten Mitglieder erreicht werde und damit das Ende des Arbeitskampfs durchgesetzt werden könne. Denn andere Teile des Lufthansa-Personals, etwa am Check-in, seien mit dem Ergebnis "sehr zufrieden", berichtet Spiegel-Online.

Der Ausverkauf in Zahlen

Vor erst einer Woche hatten 90 Prozent der Verdi-Mitglieder unter den Lufthansa-Beschäftigten in einer Urabstimmung für Streik gestimmt. Diese hohe Streikbereitschaft war mit einer Lohnforderung von 9,8 Prozent bei einer Laufzeit von 12 Monaten verbunden.

Das nun von Verdi ausgehandelte Ergebnis ist ein Schlag ins Gesicht aller Lufthansa-Beschäftigten. Die Tariferhöhung beträgt rückwirkend für dieses Jahr 5,1 Prozent ab Juli und weitere 2,3 Prozent ab 2009. Der Vertrag läuft über 21 Monate. Unter dem Strich geht das nur minimal über das von der Lufthansa vor dem Streik vorgelegte Angebot von 6,7 Prozent, bei einer Laufzeit von ebenfalls 21 Monaten hinaus.

Aufs Jahr gerechnet übersteigt die Erhöhung - angesichts ständig steigender Energie- und Lebensmittelpreise - kaum die Inflationsrate. Hinzu kommt, dass die Lufthansa-Beschäftigten in den letzten Jahren keine nennenswerten Lohnzuwächse verzeichnen konnten.

Stimmt bei der Urabstimmung mit Nein!

Die Redaktion der World Socialist Web Site fordert alle Lufthansa-Beschäftigten auf, den von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vorgelegten Tarifabschluss zurückzuweisen und bei der Urabstimmung abzulehnen.

Natürlich versucht Verdi das Ergebnis schönzureden. "Wir konnten ein Ergebnis erreichen, das sich sehen lassen kann", verteidigte Verdi-Verhandlungsführer Erhard Ott den Abschluss. In Wahrheit hat Verdi den Streik systematisch begrenzt und auf Sparflamme gehalten. Von Anfang an signalisierte sie der Geschäftsleitung, dass sie zu weitgehenden Zugeständnissen bereit sei und darauf bedacht war, dem Unternehmen nicht zu schaden. Von den 50.000 Mitarbeitern, für die der neue Tarifvertrag gilt, wurden bundesweit nur etwa 5.000 Verdi-Mitglieder in die Arbeitskampfmaßnahme einbezogen.

Als Beschäftigte im Bereich der Wartung, in dem besonders viele Arbeiter gewerkschaftlich organisiert sind, die Streikbeteiligung durchsetzten, begannen nach etwa drei Tagen die Flugausfälle zuzunehmen. Genau an diesem Moment, als der Streik Wirkung zeigte, brach Verdi den Streik ab und setzte einen faulen Kompromiss durch. Hätte Verdi den Streik intensiver fortgesetzt, wäre es in der jetzigen Ferienzeit zu massiven Verlusten für die Lufthansa gekommen und es wäre möglich gewesen, ein weitaus besseres Ergebnis zu erzielen.

Wortgleich mit Verdi sprach auch ein Unternehmenssprecher von einem "vertretbaren Ergebnis". Allerdings müssten die höheren Kosten durch eine gesteigerte Produktivität wettgemacht werden. Mit anderen Worten, das Unternehmen plant bereits, wie die Mehrkosten durch Einsparungen und verstärkte Arbeitshetze ausgeglichen werden können. Sprecher von Wirtschaftsverbänden bewerten den Abschluss ebenfalls positiv. "Die schnelle Einigung ist für alle Beteiligten schon das Günstigste", sagte Oliver Stettes vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Stimmen in der am kommenden Mittwoch beginnenden Urabstimmung über 25 Prozent der Verdi-Mitglieder für den Abschluss, dann gilt dieser zunächst nur für die Beschäftigen des Bodenpersonals. Für die rund 14.000 Mitarbeiter im Kabinenbereich steht er unter Vorbehalt. Denn dort hat die Gewerkschaft UFO (Unabhängige Flugbegleiter Organisation e.V.) deutlich mehr Mitglieder als Verdi. Funktionäre von UFO erklärten unmittelbar nach Bekanntgabe des Ergebnisses, dass ihre Organisation weiterhin eine Erhöhung von 15 Prozent anstrebe und den von Verdi ausgehandelten Vertrag als zu niedrig ablehne. Ende des Jahres läuft der bestehende Tarifvertrag zwischen Lufthansa und UFO aus, dann könnte es hier zu einem erneuten Arbeitskampf kommen.

In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Mitglieder von Verdi zu den Konkurrenzgewerkschaften Cockpit und UFO abgewandert. Die Piloten der Lufthansa werden mittlerweile mehrheitlich von der Vereinigung Cockpit vertreten und das Kabinenpersonal ist überwiegend bei der Spezialgewerkschaft UFO organisiert. Grund dafür sind vor allem die miserablen Abschlüsse die Verdi bereits in der Vergangenheit getätigt hat.

Stünde Verdi nicht von Seiten der kleineren Gewerkschaften unter Druck, wäre die ursprüngliche Forderung wohl nicht so "hoch" ausgefallen und man hätte sicherlich auf den Streik ganz verzichtet.

Da Lufthansa sich auf "Tarifeinheit" im Unternehmen beruft, dass heißt, dass die ausgehandelten Löhne für alle im Unternehmen beschäftigen Angestellten gelten, wird es in den kommenden Wochen zu weiteren Verhandlungen kommen. Verdi kündigte bereits an, Gespräche sowohl mit dem Lufthansa-Management als auch mit Vertretern von UFO führen zu wollen.

Was dahinter steckt ist völlig klar. Verdi wird als verlängerter Arm der Geschäftsführung agieren und versuchen Druck auf UFO auszuüben, den Verdi-Tarifabschluss zu übernehmen.

Als warnendes Beispiel sollte hier die Rolle der ebenfalls im DGB organisiert Gewerkschaft Transnet und der GDBA im Streik der Lokführer herangezogen werden. Beide stellten sich gegen die Lokführer-Gewerkschaft GDL, die für die Zugführer Lohnsteigerungen von über 30 Prozent und einen eigenständigen Tarifvertrag gefordert hatte.

Nachdem Transnet und GDBA zuvor einen Tarifvertrag abgeschlossen hatten, der lediglich eine wesentlich geringere Erhöhung vorsah, versuchten sie die GDL zur Übernahme ihres Vertrages zu bewegen und beschimpften die GDL die Tarif-Einheit zu brechen. Je mehr sich der Streik der Lokführer zuspitzte, desto offener schloss sich Transnet mit dem Bahn-Management gegen die streikenden Lokführer zusammen.

In der Geschichte des ehemaligen Staatsbetriebs Lufthansa spielten die Gewerkschaften ebenfalls eine üble Rolle. Anfang der neunziger Jahre, in Vorbereitung auf die anstehende Privatisierung des Unternehmens, unterschrieben die später in Verdi eingegangenen Gewerkschaften ÖTV und DAG ein Sanierungsprogramm, das Lohnsenkungen, Arbeitszeiterhöhungen und verschlechterte Arbeitsbedingungen zur Folge hatte.

Damals wie heute arbeiten die so genannten Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat eng mit der Geschäftsführung gegen die Beschäftigten zusammen. Die ehemalige ÖTV-Vorsitzende Monika Wulf-Mathies war 17 Jahre lang Mitglied des Aufsichtsrats der Lufthansa, lange Zeit als stellvertretende Vorsitzende. Diese Position hatte sie auch inne, als sie den Sanierungsplan gegen den Widerstand der Beschäftigten durchsetzte.

Heute ist Verdi-Chef Frank Bsirske stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates bei der Lufthansa und stellt seine Zugehörigkeit zum Management recht offen zur Schau.

Kurz vor Beginn des Arbeitskampfes flog Bsirske für knapp fünf Wochen demonstrativ mit Lufthansa in die Südsee. Für die Tickets zahlte er keinen Cent. Üblicherweise kosten First-Class-Tickets für diese Flüge zwischen 5.000 und 10.000 Euro. Auch als die Streiks begannen, brach Bsirske seinen Urlaub nicht ab. Aus Gewerkschaftskreisen hieß es dazu, so etwas sei "nicht ungewöhnlich".

Aus den Reihen der Gewerkschaftsmitglieder hagelte es allerdings Kritik. Bsirskes Luxus-Frei-Flüge wurden als das gewertet, was sie waren: Ein deutliches Zeichen an die Geschäftsleitung, dass die Verdi-Spitze bereit sei, weitgehenden Zugeständnissen zuzustimmen. Selbst aus seiner eigenen Partei, den Grünen, meldeten sich kritische Stimmen zu Wort. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion Thea Dückert bescheinigte ihrem Parteikollegen mangelndes "Fingerspitzengefühl".

Unterstützung bekommt Bsirske dagegen von anderen hochrangigen Gewerkschaftsbürokraten, wie der ehemaligen Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Ursula Engelen-Kefer. Sie erklärte gegenüber Welt-online : "Ich habe Frank Bsirske als jemanden kennengelernt, der sich sehr für die Interessen seiner Mitglieder eingesetzt hat. Er hat dabei immer seine persönlichen Interessen zurückgestellt".

Doch derartige "Rettungsversuche" können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Verdi immer offener als Komplize der Unternehmensleitung und der Regierung fungiert und daher der Widerstand unter den Mitgliedern immer heftigere Formen annimmt.

Siehe auch:
Ver.di führt Streik bei Lufthansa auf Sparflamme
(1. August 2008)
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