Augenzeugenbericht aus Athen

Die Proteste und Demonstrationen gegen den Tod des 15-jährigen Alexis Grigoropoulos in Griechenland gehen weiter. Koordinierungsgruppen der Schulen organisierten am Mittwoch weitere Proteste in Athen und Thessaloniki. Die Parlamentariergruppe SYRIZA veranstaltete ihre eigene Kundgebung vor dem griechischen Parlament unter Beteiligung von Vertretern von fünfzehn Oberschulen und Gymnasien. Einige Institute der Universität und der Technischen Hochschule sowie Oberschulen und Gymnasien sind weiterhin besetzt.

Zwischenfälle wurden auch vor dem Gerichtsgebäude in Thessaloniki gemeldet, nachdem das Urteil - Gefängnis auf Bewährung - gegen acht Polizisten bekannt wurde, die im November 2006 einen zypriotischen Studenten brutal zusammen geschlagen hatten. Es folgt ein Augenzeugenbericht aus Athen.

Augenzeugenbericht aus Athen

Montag

Am Montag, den 15. Dezember, versammelten sich um die Mittagszeit zwei- bis dreitausend Studenten vor der Polizeidirektion von Attika, um mit einer friedlichen Demonstration gegen den Tod von Alexandros Grigoropoulos zu protestieren und Verbesserungen im Bildungssystem zu fordern.

Die meisten Studenten ließen sich vor der Polizeidirektion auf der Alexandras Avenue nieder und protestierten vollkommen friedlich. Einige überreichten den Polizisten sogar Blumen. Die Atmosphäre wurde gespannter, als ein großes Kontingent Sonderpolizei in grünen Uniformen um das Polizeigebäude Position bezog, um es "zu beschützen".

Einige Studenten bewarfen die Polizisten daraufhin mit Orangen und Blumen, Diese drängten dann die Protestierenden zurück. Dann bildeten die Demonstranten selbst eine Verteidigungslinie, um sich gegen einen Angriff der Polizeikräfte zu wappnen, die mit Schlagstöcken und Reizgas bewaffnet waren. In dieser angespannten Situation trat ein älterer Mann zwischen die Studenten und die Polizei. Er begann den Polizisten laut zuzurufen: "Ihr solltet euch schämen, die griechische Flagge an eurem Kopf (d.h. am Helm) zu tragen. Wegen eures Vorgehens schäme ich mich, ein Grieche zu sein. Es sind doch nur Kinder. Ihr zerstört mit eurer Brutalität ihre Unschuld." Dann verließ er die Szene unter dem Applaus der Versammelten. Anfänglich reagierte die Polizei nicht, aber etwas später stießen sie in die Menge vor und versuchten unter Einsatz von Reizgas, einige Studenten festzunehmen.

Die aggressive Haltung der Polizei erzürnte die Demonstranten, sodass einige die Polizisten mit Steinen zu bewerfen begannen. Immer mehr Polizisten kamen und sie wirkten bald wie eine Armee. Erneut machten sie einen Vorstoß in die Menge, um Verhaftungen vorzunehmen. Diesmal waren sie erfolgreich.

Einer der Studenten wurde festgenommen und zusammengeschlagen. Einige Bürger und Studenten versuchten ihn aus den Händen der Polizei zu befreien. Aber das scheiterte, weil die Polizisten bald jeden, der sich näherte, mit Reizgas besprühten. Einige Demonstranten zündeten Mülleimer an. Die Polizei reagierte sofort und versuchte ein letztes Mal, so viele wie möglich festzunehmen. Unglücklicherweise erwischten sie einen ganz jungen Schüler, der gar nicht richtig verstand, was passierte. Nach den Festnahmen, den Gasangriffen und polizeilichen Drohungen zogen die meisten Studenten zur Uniklinik.

Auf dem Weg zur Uniklinik kamen wir an mehreren Krankenhäusern vorbei. Einige Ärzte solidarisierten sich mit uns und erklärten, für sie sei die Massenbewegung ein Kampf für eine bessere Demokratie. Am Eingang des Krankenhauses war ein Schild mit der Aufschrift zu sehen: "Nein zur Privatisierung des Sozialsystems! Keine Privatisierung der Krankenhäuser! Mehr Ärzte für die Krankenhäuser! Höhere Gehälter!"

Der Zerfall des Gesundheitssystems in Griechenland ist ein großes Thema. Es gibt zu wenige Ärzte, die schlecht bezahlt sind und in veralteten Krankenhäusern arbeiten. Das ist der Grund für Korruption im System. Es gibt einige Ärzte, die von Patienten Bestechungsgelder verlangen. Besonders bei Operationen kommt das häufig vor. Es gibt dafür sogar einen Namen: "Fakelaki".

Es fiel uns auf, dass die meisten Polizisten in diesen Aufgeboten, nicht älter waren, als wir. Ich fühlte mich ganz schlecht bei dem Gedanken, dass sie unter anderen Umständen meine Freunde oder Klassenkameraden sein könnten. Gleichzeitig war klar, dass Geheimpolizisten die Studentenproteste infiltriert hatten, Fragen stellten und Leute an die Spezialkräfte auslieferten.

Am Dienstag hielt der Ministerpräsident eine Rede vor der Fraktion seiner Nea Dimokratia. Er sprach über den "Fall Vatopedi", einen der empörendsten Fälle staatlicher Korruption in der modernen Geschichte Griechenlands. Der Vatopedi-Fall betrifft eine Off-Shore Immobilienfirma, die auf dem Gebiet des Berges Athos in Nordgriechenland residiert. Der Abt des Klosters Vatopedi war in einen Immobilienschwindel verwickelt, an dem auch führende Minister der Regierung beteiligt waren. Ministerpräsident Kostas Karamanlis gab zu: "Ich habe die Tragweite des Falls unterschätzt. Deshalb habe ich nicht früher reagiert. Dafür trage ich die Verantwortung." Aber Karamanlis weiß, dass auch führende PASOK-Politiker in zahlreiche ähnliche Skandale verstrickt sind. Deswegen hat er von der offiziellen Opposition nicht wirklich etwas zu befürchten.

Karamanlis verurteilte die Massenbewegung mit folgenden Worten: "Wir verurteilen die Ereignisse der letzten Tage, wir unterstützen keine Gewalt und wir billigen diese Haltung nicht, die keine Grenzen kennt." Er entschuldigte sich bei der Familie des getöteten Alexandros, aber machte klar, dass er vor allem um das Ansehen Griechenlands im Ausland und über die Auswirkungen der Proteste auf die griechische Wirtschaft besorgt ist. "Diese Ereignisse haben das Ansehen unseres Landes beschädigt und unser Land hängt sehr stark vom Tourismus ab. Jetzt leben wir in einem unsicheren Land und das könnte unsere Wirtschaft in Zukunft schädigen."

Die Proteste haben sich auch auf die Medien ausgeweitet. Am Dienstag drang eine Gruppe von Studenten in einen der staatlichen Fernsehsender ein, um gegen die Berichterstattung über die Massenbewegung zu protestieren und Forderungen zu stellen. Ihr Protest ging vollkommen friedlich vonstatten. Trotzdem besteht der Chef des Senders, Christos Panagopoulos, darauf, ein Verfahren gegen die Demonstranten anzustrengen.

Die Studenten trugen ein Plakat mit der Aufschrift mit sich: "Hört auf zuzuschauen, geht mit auf die Straße". Das richtete sich an die Menschen, die die Ereignisse den ganzen Tag im Fernsehen verfolgen. Sie hatten einen Text mit ihren Forderungen erstellt und baten darum, ihn im Fernsehen verlesen zu dürfen. Aber dazu kam es nicht. Die Hauptpunkte in dem Text waren: "Unsere Aktionen sind Ergebnis eines konzentrierten Drucks, der unser Leben ausplündert, und nicht nur eine emotionale Reaktion auf den Tod von Alexandros Grigoropoulos.

Wir protestieren gegen die Medienberichterstattung über die Ereignisse. Wir glauben, dass die Medien systematisch Furcht erzeugen. Sie desinformieren, statt zu informieren. Sie präsentieren eine vielschichtige Revolte als blinden Reflex. Wir verurteilen die Polizeigewalt. Wir verlangen die sofortige Freilassung aller Festgenommenen. Für menschliche Emanzipation und Freiheit."

Die Regierung verurteilte diese Aktion umgehend. Solche Aktionen beschädigten die unabhängige Funktion der Medien bei der Information der Bevölkerung, sagte sie.

Siehe auch:
Massenproteste in Griechenland - eine Frage der politischen Perspektiven
(18. Dezember 2008)
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