Frankreich: Attali-Bericht fordert Marktreformen

Jacques Attali, ein hochrangiger Politikerberater der Sozialistischen Partei (PS) und Vorsitzender eines vom rechten Präsidenten Nicolas Sarkozy gegründeten Think Tanks, hat am 23. Januar einen neuen Wirtschaftsplan vorgestellt. Dieser soll ein "entfesseltes Wirtschaftswachstums" in Frankreich entfachen. Sarkozy hat versprochen, die Vorschläge "im Großen und Ganzen" umzusetzen.

Die 316 Empfehlungen laufen im Wesentlichen darauf hinaus, die Ausgaben der öffentlichen Hand drastisch zu reduzieren und zwei Drittel der Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes schrittweise abzubauen. Im Bericht heißt es: "Die Franzosen müssen vor allem wissen, dass die Zukunft der Arbeit nicht im öffentlichen Sektor liegt... und dass die Zukunft der Unternehmen nicht in Subventionen liegt." Der Plan will die Sozialbeiträge der Unternehmen weiter verringern, die angeblich die höchsten in Europa sind, was unmittelbare Auswirkungen auf die öffentlichen Ausgaben haben wird.

Der Bericht schlägt vor, alle Preiskontrollen bei Konsumgütern abzuschaffen; insbesondere soll das Galland-Gesetz von 1996 aufgehoben werden. Dieses Gesetz schützt kleine Einzelhandelsgeschäfte vor Dumpingpreisen großer Supermarktketten. Diese dürfen Waren nicht mit Verlust verkaufen, um den kleinen Geschäften die Kunden abzuwerben.

Der Bericht schlägt eine wichtige Veränderung im Arbeitsrecht vor. Unternehmer sollen künftig das Recht haben, unbefristete Vollzeitbeschäftigte zu entlassen, wenn sie es für die Umstrukturierung oder die Erhöhung der Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit für erforderlich halten. Der Arbeitslose soll dann einen Monat lang ein "Gehalt" beziehen, um sich neue Arbeit suchen zu können. Attali behauptet, wenn seine Vorschläge umgesetzt würden, würde die Arbeitslosigkeit in zwei Jahren von acht Prozent auf fünf Prozent sinken, und die Zahl der Armen würde innerhalb von fünf Jahren von heute sieben Millionen auf drei Millionen zurückgehen. Das Ziel besteht darin, die Staatsverschuldung von 64 Prozent des BIP auf 55 Prozent zu senken.

Im Bereich der Universitätsausbildung befürwortet Attali die Schaffung von zehn "Leuchttürmen", d.h. einer Gruppe von Eliteuniversitäten, die "sich zu 80 Prozent privat finanzieren können". Diese schleichende Privatisierung hat mit dem LRU-Gesetz der Regierung Sarkozy bereits begonnen, gegen das die Studenten schon vor Monaten entschieden dagegen gekämpft haben. Eltern sollen Bildungsgutscheine erhalten, die es ihnen erlauben, die passende Schule für ihre Kinder "auszuwählen". Im Namen des Wettbewerbs werden den Schulen und Familien in den vernachlässigten Gebieten ständig schlechtere Bildungsstandards zugemutet werden.

Außerdem sieht der Attali-Plan die Deregulierung von Berufsfeldern z.B. für Apotheker oder Taxifahrer vor, um die Gründung von mehr Kleinunternehmen zu ermutigen.

Es ist für die politische Lage in Frankreich bezeichnend, dass ein Intellektueller aus dem Umfeld der PS diesen Plan öffentlich vorstellt. Als Sarkozy im vergangenen Sommer kurze Zeit hohe Umfragewerte verzeichnen konnte, war dies hauptsächlich der generell wohlwollenden Berichterstattung in den bürgerlichen Medien über seine angekündigten Reformen geschuldet. Dieses einträchtige Zusammenwirken aller politischen Tendenzen trat vielleicht am deutlichsten in Sarkozys Ernennung hoher PS-Politiker in Erscheinung. So wurden PS-Prominente wie Dominique Strauss-Kahn, Jack Lang und Bernard Kouchner in hohe Ämter gehievt.

Attali selbst ist ein makelloser Vertreter des Establishments. Er wurde an der Eliteschule ENA zum Ökonomen ausgebildet, wo er enge Freundschaft mit dem PS-Elefanten Laurent Fabius schloss. Als François Mitterand 1981 Präsident wurde, wurde Attali sein "Sonderberater". Als Mitterands Wirtschaftspolitik 1982-83 auf den Widerstand der Geldmärkte traf, setzte sich Attali öffentlich für mehr "ökonomische Disziplin" und gegen Deficit Spending ein.

Attalis Zusammenarbeit mit Mitterand dauerte zehn Jahre. 1991 gründete Attali die Europäische Wiederaufbau- und Entwicklungsbank (BERD), deren Ziel die Finanzierung privater Initiativen im Zusammenhang mit der Zerschlagung der Volkswirtschaften der Länder des ehemaligen Ostblocks war. 1993 gab Attali nach einem Skandal um den Bau der Bankzentrale in London den Vorsitz bei der BERD auf. Der Kostenrahmen des Neubaus wurde um 560 Millionen Franc überzogen. Das war mehr, als die Gesamtsumme der nach Osteuropa vergebenen Kredite. Schließlich musste Attali 2007 noch mehr als eine Million Franc Geldbuße zahlen, um ein Verfahren wegen der Annahme ungerechtfertigter Zahlungen im Zusammenhang mit dem Waffenschmuggelskandal Angola-Gate vom Hals zu kriegen.

Die Reaktion der PS auf Attalis Bericht unterstreicht die Schwierigkeiten, die ihr die offene Zusammenarbeit führender Persönlichkeiten aus den eigenen Reihen mit der Sarkozy-Regierung bereitet.

Attalis Plan wurde ausdrücklich von der Präsidentschaftskandidatin der Sozialistischen Partei, Ségolène Royal, begrüßt, die von allen wichtigen SP-Politikern vielleicht am offensten rechte Positionen vertritt. Sie kommentierte: "Der Hauptverdienst des Berichts ist, dass es ihn gibt. Wir müssen die intellektuelle Ehrlichkeit aufbringen, die Vorschläge zu prüfen, die auf dem Tisch liegen. Ich denke, dass alles, was in die Richtung geht, Initiative zu fördern, geprüft werden muss. Frankreich braucht Reformen. Dieser Bericht ist erstellt worden, um Frankreich zu helfen, und auch ich will Frankreich helfen."

Andere SP-Politiker kritisierten den Bericht in einer Weise, die ihre grundlegende Übereinstimmung mit seiner rechten Ausrichtung zeigte. So sagte Jean-Christophe Cambadélis: "Der Attali-Bericht ist wie ein Supermarkt. Jeder findet darin etwas für seine Zwecke. Wie auch immer, Sarkozy wird letztlich die Finanzkrise als Rechtfertigung anführen, warum die meisten in dem Bericht enthaltenen Dinge nicht gemacht werden können."

Die stärkste Ablehnung kam aus dem Lager von Laurent Fabius, dem Freund Attalis und ehemaligen wirtschaftsfreundlichen Finanzminister unter Mitterand. So behauptete Claude Bartolone demagogisch, dass er "die Kluft zwischen der Ernsthaftigkeit der Situation und diesem Projekt der ‚freien Marktwirtschaft’ skandalös findet, dem nichts anderes einfällt, als eine Beschneidung der Löhne und sozialen Sicherheit zu fordern".

Zustimmung zu dem Attali-Plan kam, wie nicht anders zu erwarten, vom Unternehmerverband Medef, der "die Prinzipien und Werte teilt, die diesen Bericht inspirieren: die Dringlichkeit einer Politik, die von der Angebotsseite ausgeht, eine ambitionierte Bildungsreform, mehr Wettbewerb, eine Staatsreform, die striktere Kontrolle der Staatsausgaben und die Verringerung der Sozialabgaben [für die Unternehmer]".

Das weitere Schicksal des Berichts ist im Moment noch ungewiss. Präsident Sarkozy hat deutlich gemacht, dass er mindestens zwei Empfehlungen nicht folgen wird. Eine Anhebung der Mehrwertsteuer um 1,2 Punkte und eine Erhöhung der Einkommenssteuer, (die der Finanzierung von Sozialleistungen diente), kämen überhaupt nicht in Frage. Premierminister Francois Fillon kommentierte: "Eines ist klar: wir werden die Mehrwertsteuer nicht erhöhen. Unsere Priorität ist die Senkung der Ausgaben."

Sarkozy wandte sich auch gegen Attalis Vorhaben, die Departements abzuschaffen, die zweite, regionale Verwaltungsebene Frankreichs, die auf die Zeit der Französischen Revolution zurückgeht. Im Wesentlichen gibt er damit zu, dass eine grundlegende Verwaltungsreform sofort zu intensiven Kontroversen führen würde, weil sich die öffentliche Meinung immer mehr gegen ihn wendet.

Attali stieß auch Mitglieder der rechten Regierungspartei UMP mit dem Vorschlag vor den Kopf, 250.000 Einwanderer mehr pro Jahr einzuladen, um Arbeitsplätze in Bereichen zu besetzen, in denen es an Arbeitskräften mangelt. Attali behauptet, das werde zu einem zusätzlichen Wachstum von einem halben Prozent im Jahr führen, weil dadurch ausreichend Arbeitskräfte in Branchen mit geringer Entlohnung zur Verfügung stünden, zum Beispiel auf dem Bau, in der Gastronomie und im Gesundheitswesen. Für Sarkozy würde eine solche Politik zweifellos einige Schwierigkeiten mit sich bringen. Schließlich hat er seinen Wahlkampf mit nationalistischer Einfärbung geführt. Die Razzien gegen Einwanderer und die Deportationen, die sein Minister für Einwanderung und Nationale Identität, Brice Hortefeux, durchsetzt, sind Schlüsselelemente seiner Politik.

In grundlegenden politischen Fragen gibt es jedoch keine prinzipiellen Differenzen zwischen den UMP-Mitgliedern der Regierung und PS-Leuten wie Attali. Sie alle sehen es als ihre Aufgabe, unpopuläre Maßnahmen gegen die französische Bevölkerung durchzusetzen. In einem Interview mit der Financial Times über den Attali-Bericht sagte Fillon: "Es braucht nur ein Ereignis, das die Franzosen aufregt, und schon ändern sich die Umfragen. Das tut alles nichts zur Sache. Wichtig ist, dass wir fünf Jahre lang einen Präsidenten haben, der entschlossen ist, die Dinge zu ändern. Der Rest ist nebensächlich."

Siehe auch:
Eine sozialistische und internationalistische Perspektive für den Kampf gegen Sarkozys Sozialkürzungen
(15. November 2007)
Studenten brauchen eine sozialistische Perspektive und müssen sich der Arbeiterklasse zuwenden
( 11. Januar 2008)
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