Die Weltkrise des Kapitalismus und die Perspektive des Sozialismus

Wir veröffentlichen hier den einleitenden Bericht von Nick Beams auf der internationalen Schule des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und der International Students for Social Equality in Sydney, Australien, vom 21. bis 25. Januar 2008. Beams ist Mitglied der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site und Nationaler Sekretär der Socialist Equality Party Australiens.

Auf unserer Schulung vor zehn Jahren, die wir am Vorabend des Starts der World Socialist Web Site abgehalten haben, verwendeten wir einige Zeit darauf, die so genannte Asienkrise zu untersuchen, die im Juli des Vorjahres ausgebrochen war.

In meinem Bericht über diese Krise sagte ich, es sei etwas schwierig, sich mit einem beweglichen Ziel auseinanderzusetzen. Heute habe ich das Gefühl eines déjà vu, denn wir befinden uns unzweifelhaft inmitten einer verschärften Krise des amerikanischen und weltweiten Kapitalismus.

Als die Asienkrise ausbrach, erklärten wir, dass es sich nicht so sehr um eine Asienkrise handele als vielmehr um eine Krise des Weltkapitalismus, die sich in Asien manifestiert hat. Heute sind wir nicht einfach mit einer Krise des US-Kapitalismus konfrontiert, sondern mit einer Weltkrise die in den Vereinigten Staaten ausgebrochen ist.

Jeden Tag gibt es neue Nachrichten über Verluste großer Finanzhäuser - Merill Lynch hat gerade einen Abschreibungsverlust von 16,7 Milliarden Dollar erlitten und davor gewarnt, dass er noch größer werden kann. Citigroup hat kürzlich den größten Verlust ihrer 196-jährigen Geschichte bekannt gegeben. Es geht um 9,83 Milliarden Dollar im letzten Quartal, nachdem Subprime Hypotheken im Wert von 18 Milliarden Dollar abgeschrieben werden mussten.

Große Finanzinstitute balgen sich um riesige Finanzspritzen, wo immer sie welche ergattern können. Allein Meryll Lynch und die Citigroup versuchen 21 Milliarden Dollar bei Fonds in Singapur und Saudi Arabien aufzutreiben.

Jeder Tag bringt neue Ankündigungen. Der Economis t vom 18. Januar berichtete unter der Überschrift Stürzt alles ab? über die sich im Versicherungsmarkt für Anleihen entwickelnde Krise.

"Amerikas große Anleihenversicherer, die private und öffentliche Anleihen im Wert von etwa 2,4 Billionen Dollar versichert haben, gehen in der Regel unbemerkt ihren Geschäften nach. Aber jetzt sehen sie ausgesprochen wacklig aus und ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Wenn eine oder mehrere von ihnen abstürzen, wird das einen gewaltigen knock-out -Effekt auf Banken und andere Finanzinstitute haben, die sich auf deren Garantien verlassen. Dies wiederum wird die Kreditknappheit verschlimmern und den Politikern, die jetzt schon mit einem scharfen Rückgang in der amerikanischen Wirtschaft zurechtkommen müssen, noch größere Kopfschmerzen verursachen.

Die Drohung eines derartigen finanziellen Dominoeffekts zeichnet sich seit langem ab. Moody´s, eine Kreditbewertungsagentur, hat signalisiert, dass sie die AAA-Ratings der beiden großen Anleihenversicherer MBLA und Ambac möglicherweise in naher Zukunft herabstufen werde."

Am Mittwoch, dem 16. Januar, kündigte Ambac, einer der großen Versicherer, eine Abschreibung in Höhe von 3,5 Milliarden Dollar und die Entlassung ihres Vorstandsvorsitzenden an. Der Economist zitierte Jamie Dimon, den Chef von JP Morgan Chase, der sagte, dass die Ausfälle infolge der Krise der Anleihenversicherer für die Finanzmärkte "ziemlich schlimm" werden könnten. "Wenn einer der großen Versicherer ...ins Schleudern käme, könnte dies noch untertrieben sein."

Die meisten Wirtschaftsexperten sagen jetzt eine Rezession voraus, und die Diskussion beginnt sich darum zu drehen, wie schnell sie eintreten und wie lange sie dauern wird.

Am 10. Januar hielt Ben Bernanke, der Chef des Federal Reserve Board, der US-Notenbank eine wichtige Rede zum Zustand der US-Wirtschaft, in der er eine starke weitere Zinssenkung in Aussicht stellte, wenn das Offenmarktkomitee Ende des Monats zusammenträfe. Aber anstatt, dass diese Nachricht eine Entlastung für die Finanzmärkte bewirkte, fiel der Dow Jones Index kurz nach der Rede um 25 Punkte.

Was nicht verwunderlich war: Bernanke sprach von einer "volatilen Situation, die Vorhersagen über die wirtschaftliche Entwicklung noch schwieriger mache als gewöhnlich." Er wies auf den Rückgang im Hausbau und beim Verkauf neuer Häuser um etwa 50 Prozent gegenüber ihrem jeweiligen Höhepunkt hin und stellte eine "beträchtliche Unsicherheit der Investoren bezüglich des tatsächlichen Werts zahlreicher Finanzanlagen, nicht nur der Subprime Hypotheken" fest. Er warnte davor, dass "einlaufende Informationen vermuten lassen, dass sich die Grundbedingungen für die Realwirtschaft für 2008 verschlechtert haben, und sich Risiken für das Wirtschaftswachstum deutlicher abzeichnen". Er meinte, dass trotz Verbesserung auf einigen Gebieten "die Finanzsituation höchst unsicher" bleibe.

Wie unsicher sie tatsächlich ist, lässt sich aus Kommentaren ablesen, die in den Finanzzeitungen der letzten Monate erschienen sind.

Der Economist notierte am 19. Dezember, dass die Krise mehr als ein Liquiditätsengpass sei, sondern dass es "jetzt danach aussieht, als ob es auch zu einer Bankenkrise kommt." Der Moment, an dem sich "der Mageninhalt umdrehte", trat im November letzten Jahren ein, als sich herausstellte, dass die Verluste auf dem Immobilienmarkt groß waren und die Banken sie würden übernehmen müssen, ohne Kapital beiseite gelegt zu haben, um sie auszugleichen. "Insolvenzen, Rezession, Gerichtsprozesse, Protektionismus: so traurig das ist, aber all das ist 2008 möglich", warnte das Blatt.

In einer Kolumne vom 12. Dezember schrieb Martin Wolf, der Wirtschaftskommentator der Financial Times : "Zu allererst einmal ist das, was sich auf den Finanzmärkten heute abspielt, ein gewaltiger Schlag gegen das angelsächsische Modell des an Finanztransaktionen orientierten Kapitalismus. Eine Mischung aus Gefälligkeitskapitalismus und grober Inkompetenz hat auf den zentralen Finanzmärkten von New York und London Platz gegriffen.

David Ignatius schrieb in der Washington Post vom 16. Dezember: "Der weltweite Kreditengpass, der im letzten Sommer begann, ist immer noch nicht vorbei. Die Zentralbanker fürchten, dass das gebeutelte Finanzsystem die Weltwirtschaft in eine tiefe Krise hineinziehen könnte."

Der Kolumnist der Financial Times, Wolfgang Munchau, wies am 16. Dezember darauf hin, es sich im Kern bei dieser Krise nicht um eine Liquiditätskrise handele, denn eine solche wäre inzwischen längst behoben.

"Es handelt sich um eine voll ausgebildete Krise der Bonität, die sich entwickelt hat, weil zwei riesige mit einander verbundene Blasen gleichzeitig geplatzt sind - eine auf dem Immobilienmarkt und eine im Kreditgeschäft -, die Banken und Investoren an den Rand des Bankrotts getrieben haben, von denen einige am Abgrund stehen. Dennoch gibt es nichts, was die Zentralbanken in diesem Stadium anbieten, um in der Solvenzkrise Erleichterung zu verschaffen.

Einige Finanzblätter zitieren Bill Gross, den Chef der Anlagenmanagement Gruppe Pimco. "Wir werden Zeuge", schrieb er, "eines veritablen Zusammenbruchs unseres modernen Banksystems, eines komplexen, schwer zu durchschauenden Systems von Anleihen und Fremdfinanzierung." Pimco mit seiner Verwaltung von Fonds in Höhe von ungefähr einer Billion Dollar ist beileibe keine kleine Firma.

Die ersten Anzeichen der Krise begannen sich 2006 bemerkbar zu machen, als die Immobilienpreise in den USA zu fallen begannen. Die rasche Zunahme der Finanzoperationen, die auf Hypotheken basierten, bedeutete, dass dieser Absturz von einiger Bedeutung für das Finanzsystem und die allgemeine US-Wirtschaft war.

Die offizielle Position der Fed war, dass man die Probleme in den Griff bekommen könne. Am 14. Februar 2007 bemerkte der Vorsitzende Ben Bernanke, dass "seit neuestem einige zaghafte Anzeichen der Stabilisierung auf dem Immobilienmarkt auszumachen sind." Am 28. März meinte er sogar, "die Auswirkungen der Probleme auf dem Subprime Markt auf die allgemeine Wirtschaft und die Fínanzmärkte scheinen sich in Grenzen zu halten."

Am 17. März stellte er fest: "Wir glauben die Auswirkungen der Probleme im Subprime Sektor auf den gesamten Immobilienmarkt werden vermutlich begrenzt bleiben und wir erwarten kein ernsthaftes Überschwappen auf die übrige Wirtschaft oder das Finanzsystem." Und am 5. Juni, kurz bevor der Kreditengpass eintrat: "Grundlegende Faktoren - einschließlich eines soliden Anstiegs der Einkommen und relativ geringer Hypothekenzinsen - sollten letztlich die Nachfrage nach Häusern stützen und zu diesem Zeitpunkt ist es unwahrscheinlich, dass die Probleme im Subprime Sektor ernsthaft auf die allgemeine Wirtschaft oder das Finanzsystem übergreifen."

Wie sehr diese Erklärungen die Situation unterschätzten, sollte rasch klar werden. Mitte Juni begann die Subprime Krise sichtbar zu werden, als die Investmentbank Bear Stearns ankündigte, dass zwei Hedgefonds, die sie aufgelegt hatte, in Probleme geraten seien, weil sie in Subprime Hypotheken investiert hatten.

In den darauffolgenden zwei Monaten entwickelte sich die Krise rasch, da die Besorgnis immer größer wurde, dass führende Banken und Finanzinstitute in riskante Finanzoperationen verwickelt seien. Am 17. August griff die Federal Reserve erstmals in stärkerem Umfang ein, indem sie eine Senkung des Diskontsatzes ankündigte, den sie anderen Banken berechnet. Daraufhin kam es an der Wall Street einen Tag lang zu Berg- und Talfahrten, während derer es zu zwei größeren Interventionen von Seiten der Finanzbehörden kam, um einen Totalabsturz zu verhindern. Es war klar, dass der Markt am nächsten Tag um 1000 Punkte gefallen wäre, wenn die Fed sich nicht bewegt hätte.

Die US Zentralbank bewegte sich erneut am 18. September und senkte ihren Leitzins um 50 Basispunkte. Dies brachte einige Erleichterung für die Märkte, aber im November war klar, dass die Krise alles andere als vorüber war. Das Hauptproblem war, dass die grundlegenden Kreditoperationen des weltweiten kapitalistischen Systems durch den Vertrauensverlust angeschlagen waren. Großbanken und Finanzinstitute weigerten sich ebenfalls, Geld zu verleihen, weil sie Geld für den Fall zurückhalten wollten, dass einige der außerhalb ihrer eigenen Bilanzen abgewickelte Operationen ins Trudeln gerieten, oder weil sie die Belastung durch zweifelhafte Schulden der Banken oder anderen Institutionen nicht abschätzen konnten, denen sie womöglich Geld liehen.

Diese Befürchtungen spiegelten sich in der LIBOR Rate wider (London Interbank Offered Rate), d.h. in dem Zinssatz, zu der Banken ungesicherte Kredite an andere Banken verleihen. In normalen Zeiten ist der LIBOR nur geringfügig höher als der Zinssatz für US-Schatzbriefe, die als sicherste Investitionen gelten. Aber als die Subprime Krise ausbrach und die Abschreibungen der Großbanken anwuchsen, schoss der LIBOR Zins rasant in die Höhe.

Die Spitzenwerte des LIBOR Zinssatzes zeigen den Vertrauensverlust der Großbanken zueinander an. Dieser Vertrauensverlust wird umso größer, wenn andere Finanzinstitute betroffen sind. Sie finden heraus, dass das billige Geld, das ihnen zur Verfügung stand und mit dem sie ihre Transaktionen abwickelten, nicht mehr zu haben ist.

Genau dies hat zum Niedergang der Northern Rock Bank in England geführt. Sie ist nicht bankrott gegangen, weil sie in US-Subprime Hypotheken investiert hatte - ihr Engagement auf diesem Gebiet ist unerheblich. Sie fiel vielmehr dem Zusammenbruch der Kredite zum Opfer, der durch die Subprime Krise ausgelöst wurde. Northern Rock verdiente ihr Geld damit, dass sie große Geldmengen auf den Märkten für kurzfristige Kredite auslieh und dieses Geld dann benutzte, um langfristige Anleihen zu finanzieren, für die sie geringfügig günstigere Zinsen gewährte als andere Finanzinstitute. Da sie mit sehr engen Margen operierte, musste sie sehr große Mengen ausleihen. Diese Methode funktionierte gut ... solange eben kurzfristige Kredite kontinuierlich zu haben waren. Als dies nicht mehr der Fall war, brach die Bank zusammen.

Der gleiche Prozess hat den Zusammenbruch der australischen Immobilien Gruppe Centro verursacht. Im letzten Jahrzehnt hatte sie den Investoren jährliche Gewinne von 20 Prozent und mehr beschert. Sie verfolgte dabei eine Strategie, die darauf basierte in einem aufstrebenden Markt Einkaufszentren aufzukaufen und dann Teile davon an Investment Fonds zu verkaufen. Im Mai letzten Jahres machte sie ihr größtes Geschäft, eine Transaktion in den USA in Höhe von 6,3 Milliarden Dollar. Sie entschied sich einen Teil des Geschäfts mit kurzfristigen Krediten zu finanzieren. Am 17. Dezember kündigte Centro an, dass sie kurzfristige Kredite in Höhe von 2,5 Milliarden Dollar nicht refinanzieren könne. "Wir haben niemals erwartet, noch konnten wir vernünftigerweise erwarten, dass die Quellen, die uns und vielen anderen Gesellschaften in der Vergangenheit immer zur Verfügung standen, austrocknen würden", erklärte der Geschäftsführer von Centro.

Wie so oft in der Vergangenheit erwischte die Finanzkrise die Weltwirtschaft genau in einem größeren Aufschwung.

Im vergangenen Mai hieß es im World Economic Outlook (WEO) des Internationalen Währungsfonds (IWF), dass die Wachstumsrate für die Periode 2003 bis 2006 über 4,9 Prozent betrug und sagte voraus, dass sie die nächsten beiden Jahre weiter steigen würde. Die einzige Periode, in der es ein ähnlich rasantes Wachstum gab, war die von 1970 bis 1973, als das Wachstum im Schnitt 5,4 Prozent betrug und wenn sich die aktuelle Wachstumsrate fortgesetzt hätte, hätte dies die stärkste Expansion der Weltwirtschaft seit den siebziger Jahren bedeutet.

Das Bild, das der Bericht der Weltbank über die Aussichten der Weltwirtschaft (Global Economic Prospects Report) im Dezember 2006 zeichnete, unterschied sich kaum davon. Der Bericht wies auf "eine starke globale Leistung" hin, die ein "sehr rasches Wachstum in Entwicklungsländern" widerspiegele, "das mehr als zweimal so rasch zunehme wie in den entwickelten Ländern". Dies sei nicht einfach das Ergebnis des Einflusses der chinesischen Wirtschaft, die um 10,4 Prozent wachse, sondern erstrecke sich auf eine ganze Reihe von Entwicklungsländer. Insgesamt 38 Prozent des Zuwachses der Weltwirtschaft stamme aus diesen Regionen, was weit über ihrem Anteil am weltweiten Bruttoinlandsprodukt in Höhe von 22 Prozent liege.

Der Weltbankbericht bemerkt, dass bei einer Aufteilung der vergangenen 25 Jahre in zwei Perioden - von 1980-2000 und von 2000-2005 - das durchschnittliche Bruttoinlandsprodukt der Entwicklungsländer von 3,2 Prozent in der ersten auf 5 Prozent in der zweiten Periode gesteigert worden sei. Obwohl diese Steigerung nicht in allen Ländern erreicht worden sei, sei sie doch auch nicht allein das Ergebnis des Wachstums in China und Indien.

Der WEO-Bericht des IWF enthielt eine ganze Reihe ähnlicher Geschichten ökonomischer Erfolge. Die wirtschaftlichen Aktivitäten in Westeuropa hätten 2006 mit einem Wachstum um 2,6 Prozent in der Eurozone eine "Eigendynamik erreicht", wodurch sich die Wachstumsrate seit 2005 nahezu verdoppelt und die höchste Rate seit 2000 erklommen habe. "Deutschland sei die wichtigste Lokomotive gewesen, angetrieben durch eine robuste Exportsteigerung und starke Investitionen, durch die die Firmen ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihren Allgemeinzustand in den letzten Jahren erheblich verbessert haben." Insgesamt sei die Arbeitslosigkeit in der Eurozone auf 7,6 Prozent gefallen, den niedrigsten Stand seit 15 Jahren.

Sogar aus Japan gab es gute Nachrichten. Dort hatte die Wirtschaft buchstäblich mehr als ein Jahrzehnt lang stagniert, seit 1990 der aufgeblähte Aktien- und Grundstücksmarkt zusammengebrochen war. Trotz eines unerwarteten Einbruchs beim Verbrauch in der Mitte des Jahres sei 2006 "die Eigendynamik der Wirtschaft robust geblieben, da sich die privaten Investitionen erhöhten - unterstützt von hohen Profiten, verbesserten Firmenbilanzen und gelockerter Kreditvergabe durch die Banken - sowie die Exporte stiegen." Das reale Wirtschaftswachstum Japans werde wohl über 2 Prozent liegen.

Obwohl man davon ausging, dass die Wachstumsrate in Lateinamerika 2007 von 5,5 Prozent 2006 auf 4,9 Prozent sinken werde, werden die Jahre 2004 bis 2006 als "die stärkste dreijährige Wachstumsperiode in Lateinamerika seit den späten 70er Jahren" angesehen.

In der sogenannten "asiatischen Schwellenwirtschaft" setzt sich "die wirtschaftliche Aktivität lebhaft fort", unterstützt durch das "sehr starke Wachstum sowohl in China als auch in Indien". In China stieg das Bruttoinlandsprodukt 2006 um 10.7 Prozent, während in Indien die Wachstumsrate 9,2 Prozent betrug, was auf steigenden Konsum, Investitionen und Exporte zurückzuführen war.

Das Wachstum in Osteuropa stieg 2006 auf 6 Prozent und für Russland erwartete man, dass die Wachstumsrate 2007 von 7,7 Prozent in 2006 geringfügig auf 7,0 Prozent und 2008 auf 6,4 Prozent sinken werde.

Der WEO Bericht beschreibt vor dem Hintergrund eines starken globalen Wachstums und steigendem Kapitalzufluss, höherer Ölproduktion in einer Reihe von Ländern sowie zunehmender Nachfrage nach Waren außerhalb des Energiesektors die wirtschaftlichen Aussichten für Afrika als "sehr positiv". "Es ist zu erwarten, dass das BIP in diesem Jahr [2007] von 5,5 Prozent 2006 auf 6,2 Prozent steigen wird, bevor es sich 2008 auf 5.8 Prozent abschwächen wird."

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich bemerkt in einem im Juni letzten Jahres veröffentlichten Bericht, dass die Weltproduktion 2006 um 5,5 Prozent gestiegen sei, was bedeute, dass das Wachstum in vier aufeinander folgenden Jahren über vier Prozent gelegen habe. Die wirtschaftliche Stärke stützte sich damit auf eine breitere Basis, da tatsächlich alle entwickelten Industrieländer 2006 über dem langfristigen Trend lagen und alle aufsteigenden Märkte vorwärts kamen.

"Der Aufschwung der letzten vier Jahre unterschied sich in einigen Aspekten von dem der Jahre 1994-1997, als die Weltwirtschaft ebenfalls in vier aufeinander folgenden Jahren ein Wachstum im oder über dem Trend verzeichnen konnte. Vor allem haben Entwicklungsländer, besonders in Asien, mit 1,25 Prozentpunkten mehr zum globalen Wachstum beigetragen als vor einem Jahrzehnt. Dies widerspiegelt sehr das starke Wachstum der chinesischen Wirtschaft."

Ein Artikel im IWF Survey Magazine vom Oktober 2007 macht klar, wie bemerkenswert das chinesische und das indische Wachstum war. China trägt jetzt am meisten zum weltwirtschaftlichen Wachstum bei, wie die folgende Statistik zeigt.

[Unter Market Exchange Rates versteht man die Kurse, die im Außenhandel dominieren, während die PPP Exchange Rate definiert wird als der Kurs, den die Währung eines Landes benötigt, um die gleiche Kaufkraft in einem andern Land zum Erwerb von Gütern und Dienstleistungen zu haben. Der Gebrauch der PPP Exchange Rates verleiht den aufsteigenden Marktwirtschaften ein größeres Gewicht in den globalen Wachstumstabellen.]

Das Ausmaß des chinesischen Wirtschaftswachstums ist in der folgenden erstaunlichen Statistik zusammengefasst: China hatte 2007 7000 Stahlwerke, damit hat es die Anzahl seit 2002 verdoppelt.

Ebenso euphorisch waren Finanzinstitute. Im April 2006 bemerkte die Deutsche Bank Research, dass die Weltwirtschaft sich der längsten Wachstumsperiode seit den 1970er Jahren erfreue, dieses Mal jedoch ohne steigende Inflationsraten. Es habe mit der New Economy 1.0 1999/2000 Probleme gegeben [den Zusammenbruch des Aktienmarkts und das Platzen der dot-com-Blase, sowie die Entwicklung einer Rezession in den USA], aber die New Ecomomy 2.0 scheine in Ordnung zu gehen.

Auch heute noch gehen die Voraussagen dahin, dass die Weltwirtschaft insgesamt weiter wachsen werde, und die Weltbank schätzt, dass das globale Wachstum 2008 3,3 Prozent betragen werde, da "das robuste Wachstum in den Entwicklungsländern teilweise die schwächeren Ergebnisse in den Ländern mit hohen Einkommen kompensieren" werde. Dennoch sei dies nicht ganz sicher, und sie fügte hinzu, dass "ernsthafte Abschwungsrisiken einen Schatten auf diese weiche Landung werfen."

Die Kernfrage jedoch ist nicht, ob die Wirtschaft der USA und die Weltwirtschaft als ganze in eine Rezession abgleiten, sondern welche Prozesse zu dieser Krise geführt haben und welche Implikationen sie haben.

Hier ist es notwendig, die einerseits - andererseits Methode zurückzuweisen, die die den letzten Weltbankbericht kennzeichnet, der zweifellos woanders nachgeplappert werden wird.

Die Finanzkrise in den USA und das gesteigerte Wachstum der Weltwirtschaft, besonders in den vergangenen sieben Jahren in den weniger entwickelten Ländern, sind nicht voneinander getrennte Ereignisse, sondern zwei Seiten ein und desselben Prozesses.

Kurz zusammengefasst: das gesteigerte Wachstum Chinas (und anderer Länder) wäre nicht möglich gewesen ohne das gewaltige Anwachsen der Verschuldung in den USA. Aber das Anwachsen der Verschuldung, durch das die US-Wirtschaft und die weltweite Nachfrage gestützt wurden, ist jetzt in eine Krise gemündet.

Gleichzeitig haben die Billigproduktion in China und anderen Regionen und die Integration dieser Regionen in die Weltwirtschaft den Inflationsdruck niedrig gehalten. Dieser Prozess schuf die Bedingungen für niedrigere Zinsen, was die Kreditexpansion förderte, die eine entscheidende Rolle dabei spielte, die US-Wirtschaft und die Weltwirtschaft als Ganze zu stützen.

Lasst uns diesen Prozess genauer untersuchen. Die jüngste Finanzkrise ist nicht vom Himmel gefallen. Sie ist aus der Reaktion auf frühere Krisen entstanden, die bis zum Zusammenbruch der Aktienmärkte von 1987 zurückreichen. Damals öffnete der neu ins Amt gekommene Vorsitzende der Fed Alan Greenspan die Kreditlinien, um die Stabilität des Marktes zu sichern.

Die ersten Jahre, die auf die Rezession von 1991-92 folgten, waren von langsamem Wachstum gekennzeichnet - die so genannte Erholungsphase ohne Abbau der Arbeitslosigkeit. Aber in der Mitte des Jahrzehnts gab es eine Veränderung. 1996 wies Greenspan auf ein Ansteigen der Aktienpreise hin, das eine Schlüsselrolle im Aufschwung für die US-Wirtschaft spielte, und warnte in einer Rede Ende des Jahres vor "irrationalem Überschwang".

Aber nach einem kurzen Versuch, die Zinsen zu erhöhen, der auf eine feindselige Reaktion der Wall Street stieß, fuhr Greenspan damit fort, die Zinsen zu senken. Als die Asienkrise 1997 ausbrach, nannte US-Präsident Clinton sie eine "Panne", während Greenspan darauf bestand, dass es sich um ein Ergebnis des "asiatischen Gefälligkeitskapitalismus" gehandelt habe, der die Methoden des "freien Marktes" nicht assimiliert habe. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der anderen stalinistischen Regime habe dies erneut die historische Überlegenheit des angelsächsischen Systems der freien Marktwirtschaft erwiesen.

Innerhalb von wenigen Monaten wurde jedoch deutlich, dass die Krise in Asien Symptom tiefer liegender Probleme war. Im August 1998 geriet Russland in Verzug bei seinen internationalen Krediten und im September musste der Hedgefond Long Term Capital Management durch eine Rettungsaktion in Höhe von 3 Milliarden Dollar saniert werden, um zu verhindern, dass sein Zusammenbruch eine Krise des Finanzsystems auslöste. Die Reaktion der US Federal Reserve war, die Zinsen zu senken.

Das Resultat war, dass die wirtschaftlichen Unwetter sich relativ rasch zu verziehen schienen und die US-Wirtschaft am Ende des Jahrzehnts einen Boom erlebte, der als Morgenröte der "New Economy" begrüßt wurde. Tatsächlich erreichten zwar die Aktienmärkte Rekordhöhen, aber die Profitrate hatte zu fallen begonnen und die gesteigerten Profite, die Konzerne wie Enron oder Worldcom erwirtschaftet hatten, erwiesen sich als fiktiv. Die Börsen-Blase platzte 2000 und die US-Wirtschaft erlebte eine Rezession, bei der 3 Millionen Arbeitsplätze in der Produktion verloren gingen.

Der Niedergang hielt jedoch nur relativ kurz an und die US-Wirtschaft trat in eine Aufwärtsphase ein, die jedoch eine Reihe bemerkenswerter Charakteristika aufwies. Zwar basierte sie weitgehend auf gestiegenen Konsumausgaben, aber diese waren nicht das Ergebnis von höheren Löhnen und einem Zuwachs an Beschäftigung - die Reallöhne stagnierten geradezu - vielmehr lag dem ein Anwachsen von Konsumentenkrediten zugrunde, das durch die Zinssenkungen der US Notenbank ermöglicht wurde. Diese Zinssenkungen entfachten einen Immobilienboom, der seinerseits die Steigerung der Konsumausgaben ermöglichte.

Einer der Schlüsselfaktoren, der die niedrigen Zinsen möglich gemacht hatte, die so entscheidend für das Wirtschaftswachstum waren, war das Investieren von großen Mengen von Finanzkapital in US-Vermögenswerten durch die chinesischen Behörden.

Dieses Recycling chinesischer Handelsbilanzüberschüsse zurück ins US-Finanzsystem schien einen optimalen Kreis zu schließen. Der Kapitalzufluss durch das Aufkaufen von US-Schatzbriefen und anderen Schuldpapieren versetzte die US Zentralbank in die Lage, die Zinsen niedrig zu halten, was wiederum den Immobilienmarkt anheizte. Dies ermöglichte dann die Finanzierung höherer Konsumausgaben, wodurch für die gesteigerte chinesische Produktion ein Markt entstand. Dadurch wuchs der chinesische Handelsüberschuss in den Vereinigten Staaten, der dann in den US-Finanzmärkten investiert wurde. Dieser Prozess war der Kern des Wachstums der Weltwirtschaft nach der US-Rezession von 2000-2001.

Der Zufluss großer Mengen an Krediten ins Finanzsystem hat eine Schlüsselrolle in der Aufrechterhaltung des Wachstums der US- und Weltwirtschaft gespielt. Aber Kredite verschwinden nicht einfach, wenn ihre Aufgabe, die Wirtschaft zu beleben, erfüllt ist. Vielmehr tragen sie dazu bei, das Finanzkapital innerhalb der Weltwirtschaft aufzustocken, was erhebliche Folgen für die Stabilität des Systems als Ganzes hat.

Wenn wir auf die vergangenen 25 Jahre zurückblicken, dann sind, wie Greenspan erklärt, als Resultat der niedrigeren nominalen und realen Zinssätze die Vermögenswerte in jedem Jahr seit 1981 mit Ausnahme von 1987 und 2001/2002 rascher angewachsen als das Bruttoinlandsprodukt.

Was sind die Implikationen dieses Prozesses? Als Erstes ist zu bemerken, dass kreditfinanzierte Aktien, Immobilien und andere Vermögenstitel in der einen oder anderen Form Ansprüche auf Einkommen sind. Das bedeutet letztlich, sie sind Ansprüche auf den Mehrwert, der aus der Arbeiterklasse gezogen wird.

Der Wert dieser Vermögenswerte kann rascher steigen als das Bruttoinlandsprodukt, solange der Anteil am Nationaleinkommen, der in die Rendite fließt, ansteigt, d.h. solange der verfügbare Mehrwert insgesamt wächst. Aber dieser Prozess, in dem der Wert der Vermögenswerte, also der Ansprüche auf Einkommen, rascher ansteigt als das BIP, kann sich nicht unaufhörlich fortsetzen.

Ein Anzeichen dafür, wie weit der Prozess fortgeschritten ist, findet sich in einem Artikel der Financial Times vom 25. Juni 2007. Darin wird erklärt, dass vor 1995 das Verhältnis des Reichtums in privatem Besitz zum BIP in den USA um einen Durchschnitt von 3,4 zu 1 schwankte. "Jetzt liegt der Quotient trotz eines Mangels an Sparguthaben in der US-Wirtschaft bei 4,1. Eine Rückkehr zum langjährigen Durchschnitt würde bedeuten, dass in den USA die persönlichen Vermögen um ungefähr 10.000 Milliarden Dollar sinken würden. Auf den größten Teil der Welt übertragen würde eine künftige Finanzkrise global leicht zu Verlusten in Höhe von 25.000 Milliarden bis zu 30.000 Milliarden Dollar führen.

Dem McKinsey Global Institute zufolge hatte 2005 das globale Geldanlagevermögen einen Umfang von 140 Billionen Dollar erreicht - das ist mehr als das Dreifache des Bruttoinlandsprodukts aller Länder der Welt. 1980 war die Lage noch völlig anders, damals waren die Summe der globalen Vermögenswerte und das globale BIP noch in etwa gleich.

Wenn wir uns dem US-Hypothekenmarkt zuwenden, dann wird klar, dass dieser den größten Teil dieser Dekade die Form eines Schneeballsystems angenommen hat. Das heißt, Aktivposten in Form von Hypothekenschulden leiteten ihren Wert nicht aus den erwarteten Einnahmen ab - es war klar, dass es im Fall der Subprime-Anleihen keine Möglichkeit gab, die Zahlungen aufrecht zu erhalten - sondern aus der erwarteten Wertsteigerung der betreffenden Immobile. Diese wiederum war davon abhängig, dass zusätzliche Kredite den Markt ankurbeln würden. Ein Markt im Aufwind bedeutete, dass man größere Risiken eingehen konnte, weil die Immobilien, die die Schulden abdeckten, im Wert gestiegen waren.

2001 schlugen Subprimes mit 8,6 Prozent (190 Milliarden Dollar) bei der Ausgabe von Hypotheken zu Buche. 2005 stieg dieser Prozentsatz auf 20 Prozent (625 Milliarden Dollar). Diese Hypotheken wurden dann in Form von Finanzanlagen verkauft. 2001 beliefen sich so genannte verbriefte Subprimes auf nur 95 Milliarden Dollar, 2005 war diese Anlageform auf 507 Milliarden Dollar gewachsen.

In früheren Zeiten mussten ausgebende Banken das Risiko von Hypotheken einschätzen. Es war das Zeitalter der so genannten 3-6-3 Bankgeschäfte. Leihe Geld für 3 Prozent, verleihe es an Immobilienkäufer für 6 Prozent, und gehe um 3 Uhr zum Golfplatz.

In der neuen Finanzwelt wurde die Risikoabschätzung zum großen Teil fallengelassen. Es gab keine Notwenigkeit für Hypothekengeber, sich dieser Aufgabe zu unterziehen, weil sie die Hypothek an andere weiter verkauften. Wer die Hypotheken ausgab, ging keinerlei Risiko ein. Wie hätte das Risiko eingeschätzt werden sollen? Dies besorgen Ratingagenturen wie Standard and Poors, Moody`s und Finch. Sie stellten sicher, dass die Schuldenbündel, die sich aus Subprime und anderen risikoreichen Hypotheken zusammensetzten, in den Ratings hoch bewertet wurden. Und es lag in ihrem Interesse das zu tun.

Einer neueren Studie über die Subprimekrise zufolge waren die Gebühren, die an die Rating-Agenturen bezahlt wurden, um die Vermarktung von Hypothekenanleihen zu ermöglichen, "ungefähr zweimal so hoch wie für die Bewertung von Anleihen der Wirtschaft - das übliche Geschäft von Rating-Firmen. Moody´s erzielte im Jahr 2006 44% seiner Gewinne aus der Bewertung von individuellen Finanzierungsstrukturen, genannt ‚Structured Finance’ (das sind Kredite an Studierende, Kreditkartenschulden, und Hypotheken)." [L Randall Wray Lessons from the Subprime Meltdown Levy Economics Institute, December 2007 S. 21]

Jetzt ist der gesamte Subprime-Markt zusammengebrochen. Es wird geschätzt, dass "Subprime-Hypotheken im Wert von weit über einer Billion Dollar die Hälfte ihres Wertes verlieren werden." [Wray S. 22]

Die Aufblähung der Kredite hat nicht nur die Hauspreise in die Höhe getrieben, sondern zu einem immer rascheren Anstieg der Verschuldung geführt. "[W]ährend sich die Immobilienpreise im Laufe der letzten zehn Jahre mindestens verdoppelt haben, und von 10 Billionen Dollar 1997 auf weit über 20 Billionen 2005 gestiegen sind, stiegen die Verbindlichkeiten für Immobilienhypotheken noch schneller von weniger als 2 Billionen Dollar 1997 auf 10 Billionen Dollar im Jahr 2005. (Tatsächlich stieg das gesamte Kreditaufkommen von 2002 bis 2006 um 8 Billionen, während das BIP nur um 2,8 Billionen Dollar zunahm.)" [Wray S. 27]

Einer der wichtigsten Mechanismen für die Entstehung dieser Finanzblase war die Verwandlung von Hypotheken in Wertpapiere - die Zusammenfassung großer Mengen von Hypotheken zu Schuldenpaketen, die dann en block verkauft wurden. Dadurch sollten die Risiken aus den Bilanzen der Banken und anderen Finanzinstitute ausgelagert werden. In Wirklichkeit geschah aber folgendes: Das Risiko, das zur Vordertür hinausgeschickt wurde, kam durch die Hintertür wieder herein, weil die risikobehafteten Schulden von Organisationen gekauft wurden, die von Banken gegründet worden waren, um außerhalb ihrer Bilanzen zu operieren - von so genannten Structured Investment Vehicles (SIV). Die zunehmende Bedeutung der Subprimehypotheken bei der Schaffung dieser Wertpapiere wird in der folgenden Tabelle deutlich, die der IWF veröffentlicht hat.

Der Prozess der Verbriefung hat zur Folge, dass über einen Umweg Banken jetzt Bündel von Hypotheken halten, die ihren Ursprung bei Institutionen haben, die keinerlei Interesse daran hatten zu evaluieren, ob sie bedient werden können. Dies bedeutet, dass Banken die Schulden von Schuldnern besitzen, deren Risiko nie eingeschätzt wurde. Dieser Prozess, in dessen Verlauf große Profite gemacht wurden, gründete sich auf der Annahme, dass die fortlaufende Versorgung mit Krediten dadurch gesichert würde, dass die Immobilienpreise weiter stiegen. So gab es keine Notwendigkeit das Risiko der Schuldner einzuschätzen, denn im Falle, dass die Kredite nicht bedient werden könnten, könnte das Haus einfach verkauft werden und dabei mehr als der ursprüngliche Kaufpreis erzielt werden.

Diese Annahme hat sich nach 1994 etwa ein Jahrzehnt lang bestätigt, bis die Preise 2005-2006 zu sinken begannen. 2004 stieg der Case-Schiller-Hauspreisindex gegenüber dem Vorjahr noch um 20 Prozent an. 2006 sank er um 6 Prozent.

In der Immobilienblase gab es ein grundlegendes Problem - das Einkommen des größten Teils der Arbeiterfamilien, aus dem Hypothekenschulden bezahlt werden müssen, begann seit dem Ende der letzten Rezession 2001 zu sinken oder zu stagnieren. In den letzten acht Jahren stieg das BIP um mehr als ein Viertel, während die Durchschnittslöhne um vier Prozent gefallen sind.

Die Finanzprobleme gehen über die Subprime-Hypothekenkrise hinaus. Bei kurzfristigen Geldmarktpapieren - wo Firmen sich mit Zahlungsmitteln versorgen, indem sie kurzfristig Schulden aufnehmen - gibt es ungefähr 2,2 Billionen Dollar an Außenständen, von denen 1,2 Billionen Dollar durch Immobilienhypotheken, Kreditkartenforderungen, Autokredite und andere Schuldverschreibungen gedeckt sind. Es könnte sein, dass die größten Banken bis zu einer halben Billion Dollar in möglicherweise völlig wertlosen Papieren besitzen. [Wray p. 36]

Jetzt gibt es Warnungen (Financial Times 14. Januar 2008), dass Credit Default Swaps, ein Versicherungssystem für Schulden, das nächste Gebiet werden könnte, auf das sich die Krise ausdehnt.

Keiner weiß eigentlich, wie hoch die Verluste wirklich sind. Als die Subprime-Krise ausbrach, schätzte Bernanke die Verluste auf etwa 50 bis 100 Milliarden Dollar. Jetzt werden bereits Verluste in Höhe von 300 bis 400 Milliarden Dollar erwartet. Aber es könnten auch viel mehr sein. Einer Schätzung zufolge könnten die Kreditverluste 900 Milliarden Dollar betragen, wenn die Häuserpreise um etwa 30 Prozent fallen. [Siehe Jan Kregel Minsky’s Cushions of Safety Levy Institute]

Abgesehen von der Lage der Banken gibt es die Frage, welche Auswirkungen der Einbruch auf dem Immobiliensektor für die Konsumausgaben in den USA hat, was eine entscheidende Rolle für in China und Asien produzierte Güter spielt.

Weil die Realeinkommen für die amerikanische Bevölkerung mit Ausnahme der etwa 20 oberen Prozent gesunken sind, hat der Häuserpreis eine wichtige Rolle gespielt, um die wachsenden Schulden großer Teile der Bevölkerung zu finanzieren. Seit 2002 betrug die durch die Beleihung von Immobilien erzielte Kreditsumme 1,2 Billionen Dollar, was 46 Prozent des Zuwachses der Konsumausgaben während dieser Periode ausmacht. Die sozialen Konsequenzen sind enorm, wie David North in seinem Bericht an die Mitgliederversammlung der SEP zu Beginn des Monats deutlich gemacht hat. Er sagte:

"Auf diese Weise beraubt der Zusammenbruch der Eigenheimpreise große Teile der arbeitenden Bevölkerung Amerikas eines äußerst wichtigen Mittels, die finanzielle Belastung infolge der seit 35 Jahren stagnierenden Löhne leichter zu ertragen. Das Einkommen eines etwa dreißigjährigen Arbeiters ist heute um 12 Prozent niedriger als das eines gleichaltrigen Arbeiters 1978. Wie der frühere Arbeitsminister Robert Reich festgestellt hat, bestanden die wichtigsten "Mechanismen", um den Rückgang der Löhne auszugleichen, im massiven Zustrom weiblicher Arbeitskräfte in die Arbeitswelt (von 38 Prozent 1970 auf heutige 70 Prozent), und in der Aufstockung der Jahresarbeitszeit um zwei Wochen. Amerikaner arbeiten im Durchschnitt 350 Stunden länger als ihre europäischen Kollegen.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stießen Arbeiter bei ihrem Bemühen, durch Mehrarbeit mehr Geld zu verdienen, an physische Grenzen, und infolgedessen wurden sie immer stärker von geliehenem Geld abhängig und benutzten ihr Haus als Pfand. Wenn jetzt die Möglichkeit wegfällt, die wachsende Kluft zwischen Einkommen und Bedarf auf diese Weise zu überbrücken, droht Millionen der Sturz in den finanziellen Abgrund. Schon in der ersten Hälfte des Jahres 2007 stieg die Zahl der Privatinsolvenzen in den USA um 48 Prozent. Das Ausmaß der finanziellen Belastung für Arbeiter zeigt sich an der Tatsache, dass 27 Millionen Arbeiter sich in diesem Winter Geld leihen müssen, nur um ihre Heizkosten zu bezahlen. Dabei ist die Nutzung von Kreditkarten genau so problematisch wie die von Hypotheken. Da alle traditionellen und individuellen Methoden, mit den herrschenden wirtschaftlichen Realitäten fertig zu werden, versagen, ist die Arbeiterklasse gezwungen, sich der einzigen Methode zuzuwenden, mit der sie sich verteidigen kann - dem kollektiven und bewussten sozialen und politischen Kampf gegen das kapitalistische System."

In seiner Analyse der Rolle, die die Schulden bei der Aufrechterhaltung der Nachfrage spielen, macht L. Randall Wray vom Levy Institute klar, dass kein finanzieller Zusammenbruch notwendig ist, um einen konjunkturellen Abschwung in eine tiefe Rezession zu verwandeln.

"Wenn der private Sektor unter ansonsten konstanten Bedingungen seine Ausgaben beispielsweise auf 97 Cent pro Dollar Einkommen beschränken würde, würde dies das Bruttoinlandsprodukt um etwa sechs Prozent senken. Wenn der private Sektor richtig Angst bekommt, könnten die privaten Konsumausgaben auf 90 Cent pro Dollar sinken - wie das normalerweise in einer Rezession stattfindet - was dem BIP eineinhalb Billionen Dollar entziehen würde. Dadurch würde eine große Lücke klaffen, die aller Wahrscheinlichkeit nach durch explodierende Haushaltsdefizite oder Exporte nicht vollständig ausgeglichen werden könnte." [Wray, S. 44]

Selbst wenn man diese beschränkte Auswahl an Statistiken betrachtet, ist klar, dass die kapitalistische Weltordnung es mit einer Reihe von Problemen zu tun hat, die den innersten Kern des Weltfinanzsystems betreffen. Martin Wolf von der Financial Times warnt, dass dies das Ende des angelsächsischen Modells bedeute. Malcolm Knight, Geschäftsführer der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, weist auf den Zusammenbruch des Originate-and-distribute-Modells (oder KVV-Modells, bei dem Kredite kreiert, verbrieft und schließlich an Investoren verkauft werden), das sich im Zentrum der Finanzinnovationen des letzten Jahrzehnts befand.

Es ist weithin anerkannt, dass die finanziellen Methoden und Praktiken, die in letzter Zeit entwickelt wurden, zu ernsthaften Problemen geführt haben. Diese Methoden sind jedoch nicht von einigen wild gewordenen Händlern entwickelt worden, die zufällig an den Schalthebeln saßen. Sie wurden auf höchster Ebene von Banken und Finanzinstituten gebilligt und waren mit Entwicklungen der Weltwirtschaft selbst verbunden. Es geht daher nicht einfach darum, etwas anderes auszuprobieren oder zu weniger riskanten Methoden zurückzukehren, als wenn es eine Frage wäre, einfach ein anderes Paar Schuhe anzuprobieren.

Es ist inzwischen weithin erkannt worden, dass die Kreditverknappung große Bedeutung für die Stabilität des kapitalistischen Weltsystems hat.

Die Besorgnis über die gegenwärtige Lage und die Furcht vor einer Rezession, wenn nicht sogar einem Absturz oder Zusammenbruch, ergibt sich aus dem gewaltigen Anstieg der Verschuldung in den USA und der Weltwirtschaft als ganzer in der vergangenen Periode. Die Frage, vor der unsere Bewegung steht, ist die folgende: Was bedeutet diese Krise für die Entwicklung unserer Perspektiven?

Vor zwei Jahren bemerkte David North bei der Eröffnung unserer damaligen Diskussion:

"Jeder ernsthafte Versuch einer politischen Prognose und einer Einschätzung des Potenzials, das die bestehende politische Situation birgt, muss seinen Ausgangspunkt in einem präzisen und akkuraten Verständnis der historischen Entwicklung des globalen kapitalistischen Systems haben.

Die Analyse der historischen Entwicklung des Kapitalismus muss die folgende wesentliche Frage beantworten: Befindet sich der Kapitalismus als Weltwirtschaftssystem in einer Aufwärtsbewegung und hat seinen Höhepunkt noch nicht erreicht, oder befindet er sich im Niedergang und steht vielleicht sogar kurz vor dem Abgrund?

Die Antwort, die wir auf diese Frage geben, hat notgedrungen äußerst weit reichende Konsequenzen, und zwar nicht nur in Hinblick auf die Bestimmung unserer praktischen Aufgaben sondern ebenso für die gesamte theoretische und programmatische Orientierung unserer Bewegung. Nicht der subjektive Wunsch nach sozialer Revolution bestimmt unsere Analyse der historischen Bedingungen des globalen kapitalistischen Systems. Vielmehr muss sich die revolutionäre Perspektive auf eine wissenschaftlich begründete Einschätzung der objektiven Tendenzen in der sozioökonomischen Entwicklung gründen. Getrennt von den notwendigen objektiven sozioökonomischen Voraussetzungen ist eine revolutionäre Perspektive nichts weiter als ein utopisches Konstrukt." (WSWS, 8. März 2006)

Das Ausbrechen der gegenwärtigen Krise unterstreicht den zentralen Punkt, den wir in unserer Analyse betont haben: dass die Globalisierung weit davon entfernt sei, den Kapitalismus in eine neue Epoche des Fortschritts zu katapultieren. Vielmehr habe sie alle Widersprüche intensiviert, die ihn im 20. Jahrhundert heimgesucht und zu Kriegen und Revolutionen geführt haben.

Unsere Gegner werden uns mit dem Argument entgegentreten, das kapitalistische System durchlaufe zwar durchaus einige schwerwiegende Probleme und vielleicht sogar eine Krise. Aber es handle sich um einen jener "heilsamen Stürme", die sich während seiner gesamten Geschichte als gesund für die Entwicklung des kapitalistischen Systems erwiesen hätten. Nach einer Periode der Stürme und Aufregungen werde es einen neuen, stabileren Entwicklungsprozess geben und wir würden uns wieder in der besten aller möglichen Welten befinden.

Schließlich, so werden sie argumentieren, seien auch der Zusammenbruch der Aktienmärkte 1987, die Asienkrise 1997-98, der Bankrott von Long Term Capital Management 1998 sowie der Kollaps des Aktienmarkts und der spekulativen dot.com-Blase überstanden worden. Genauso würden die Probleme gemeistert werden, die mit dem Platzen der Eigenheimblase und der Subprimekredite verbunden sind.

Wie muss also die gegenwärtige Lage eingeschätzt werden? Nicht einfach, indem wir da ein Plus setzen, wo die Kapitalisten ein Minus setzen und umgekehrt, sondern durch eine historische Analyse der Prozesse, die zu ihr geführt haben.

Wenn der Marxismus eine Wissenschaft der Perspektive ist, dann ist eines der wichtigsten Werkzeuge für die Analyse die Auffassung Trotzkis über die langen Wellen der kapitalistischen Entwicklung, die er 1921 in seinem Bericht vor dem Dritten Kongress der Komintern und in späteren Berichten und Diskussionen in den 1920er Jahren darlegte.

In diesem Bericht unterschied Trotzki streng zwischen Veränderungen, die durch den Konjunkturzyklus - Boom, Krise, Rezession, Erholung, Boom - verursacht werden, der mit der Geburt des Kapitalismus entstanden ist und ihn bis zu seinem Ende begleiten wird, und den langfristigeren Phasen der kapitalistischen Entwicklung, innerhalb derer diese ökonomischen Zyklen stattfinden.

Anhand von Zahlen über den Welthandel zeigte er die verschiedenen Phasen der kapitalistischen Entwicklung im vorhergehenden Jahrhundert auf. Die Periode von 1781 bis 1851 wies eine relativ schwache Aufwärtsbewegung in der "Entwicklungskurve" auf. Nach den Revolutionen von 1848, die, obwohl sie in Niederlagen endeten, dennoch den Rahmen des kapitalistischen Marktes in Europa erweiterten, folgte eine rasche Aufwärtsbewegung, die bis 1873 anhielt. Die Krise des Bank- und Finanzkapitals jenes Jahres wurde schließlich überwunden, aber das führte nicht zu den früheren Bedingungen zurück. Vielmehr waren die nächsten 20 Jahre von einer Depression gekennzeichnet - die Preise und die Gewinne fielen. Von Mitte der 1890er Jahre an, gab es jedoch einen Aufschwung in der Entwicklungskurve, der 1913 in einer Krise und 1914 im Ausbruch des ersten Weltkriegs gipfelte.

Die Beziehung zwischen den beiden Bewegungen ist folgende: In Perioden des Aufschwungs der langfristigen Kurve tendieren Konjunkturaufschwünge dazu, sich länger hinzuziehen, während Krisen relativ kurz sind. Auf der anderen Seite neigen die Boomphasen in einer Abschwungsperiode dazu, oberflächlich und spekulativ zu sein, während sich Rezessionen eher länger hinziehen.

In einer Reihe von Artikeln und Diskussionen in den 1920er Jahren vertiefte Trotzki diese Analyse. Insbesondere setzte er sich mit einer Analyse des bürgerlichen Ökonomen und Sozialdemokraten Kondratieff auseinander, der der Auffassung war, die längeren Phasen der kapitalistischen Entwicklung müssten ebenfalls als "Zyklen" charakterisiert werden. Dem lag keine Meinungsverschiedenheit über die Terminologie zugrunde, vielmehr handelte es sich um grundlegende Fragen der Perspektive.

"Das periodische Wiederkehren der kleinen Zyklen", schrieb Trotzki, "ist durch die innere Dynamik der kapitalistischen Kräfte bewirkt und zeigt sich immer und überall, seit Markt existiert. Was die großen Abschnitte (50 Jahre) der Entwicklungskurve des Kapitalismus betrifft, bei denen Professor Kondratieff unvorsichtigerweise vorschlägt, sie auch als Zyklen zu bezeichnen, so sind ihr Charakter und ihre Länge nicht durch die inneren Wechselwirkungen der Kräfte des Kapitalismus bestimmt, sondern durch jene externen Faktoren, die die Bahn bilden, in der die Entwicklung des Kapitalismus verläuft. Die Einverleibung neuer Länder und Kontinente durch den Kapitalismus, die Entdeckung neuer natürlicher Ressourcen und in deren Gefolge solche Hauptereignisse im Bereich des ‘Überbaus’ wie Kriege und Revolutionen, determinieren den Charakter und das Abwechseln von ansteigenden, stagnierenden oder niedergehenden Epochen der kapitalistischen Entwicklung." [Die langen Wellen der Konjunktur. Beiträge zur Marxistischen Konjunktur- und Krisentheorie. Von Parvus, Karl Kautsky, Leo Trotzki, N.D. Kondratieff und Ernest Mandel Berlin 1975, S. 128]

Kondratieffs Bestimmung der längeren Phasen der kapitalistischen Entwicklung als Zyklen war verbunden mit einer sozialdemokratischen Perspektive, die davon ausging, dass es keinen "Zusammenbruch" des kapitalistischen Systems geben werde, da auf jede Periode des Niedergangs unausweichlich ein neuer Aufschwung folge, genau wie innerhalb des Konjunkturzyklus auf eine Rezession eine Wiederbelebung kommt.

Trotzki, der die Weltsituation in den 1920er Jahren analysierte, schloss die Möglichkeit nicht aus, dass es in der Kurve der kapitalistischen Entwicklung wieder einen Aufschwung geben könne. Aber dieser könne nur stattfinden, wenn die europäische Wirtschaft gewaltsam in eine Rückwärtsentwicklung geworfen werde, was den Tod von Millionen von Arbeitern bedeute. Ein neuer Aufschwung werde nur möglich, wenn die Kommunistische Internationale und ihre Sektionen es nicht schafften, die revolutionären Möglichkeiten zu ergreifen, die sich in den kommenden Jahren böten. Wie wir wissen, sind diese Bedingungen, die Trotzki nur hypothetisch annahm, eingetreten. Revolutionäre Möglichkeiten wurden nicht ergriffen und unter der Herrschaft der stalinistischen Bürokratie verwandelte sich die Kommunistische Internationale in eine konterrevolutionäre Agentur des Weltkapitalismus.

Nach dem zweiten Weltkrieg gab es einen neuen Aufschwung in der Kurve der kapitalistischen Entwicklung. Er resultierte aus der weltweiten Ausbreitung der produktiveren Methoden, die vom amerikanischen Kapitalismus entwickelt worden waren. Dadurch erhöhte sich die Masse des aus der Arbeiterklasse herausgepressten Mehrwerts, und die Profitrate für das gesamte kapitalistische System erholte sich. Aber wie Trotzki analysiert hatte, war dieser Aufschwung nur wegen grundlegenden Entwicklungen im Überbau möglich - insbesondere wegen des Verrats des revolutionären Aufschwungs der Arbeiterklasse durch die stalinistischen Apparate in der Spätphase des Krieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit und wegen den großen Veränderungen der internationalen politischen Beziehungen, die durch den Eintritt des amerikanischen Imperialismus in den Krieg eingetreten waren.

Trotzki hatte bereits in seinem berühmten Artikel Nation und Weltwirtschaft von 1934 auf die explosiven Folgen des Widerspruchs zwischen der rasanten Entwicklung des amerikanischen Kapitalismus und der Aufteilung der Welt in eine Reihe geschlossener Imperien hingewiesen - das britische Weltreich, Japans Bestreben Asien zu erobern und die ehrgeizigen Pläne des Nazi-Regimes, Europa zu beherrschen.

Der Artikel beginnt damit, die Bedeutung der Entwicklung der Arbeitsproduktivität in der Evolution der menschlichen Gesellschaft herauszuarbeiten. Die Produktivität der Arbeit war das grundlegendste Kriterium, um den Charakter einer Gesellschaft zu beurteilen und zu bestimmen. Letztlich erklärt sie die Ersetzung einer Gesellschaftsform durch eine andere - die Ablösung des Kannibalismus durch die Sklaverei, der Sklaverei durch die Leibeigenschaft und die Ersetzung des Feudalismus durch das System der bezahlten Arbeit im Kapitalismus.

Wie zeigte sich dieses Gesetz der Produktivität der Arbeit unter den Bedingungen der 1930er Jahre?

"Die Vereinigten Staaten", schrieb Trotzki, "stellten den vollendetsten Typus der kapitalistischen Entwicklung dar. Das relative Gleichgewicht des unerschöpflich scheinenden inneren Marktes sicherte ihnen ein gewaltiges technisches und ökonomisches Übergewicht über Europa. Doch die bloße Tatsache des Eingreifens Amerikas in den Weltkrieg war eine Äußerung des bereits gestörten inneren Gleichgewichts. Die Veränderungen, die der Krieg in der Struktur der Vereinigten Staaten verursachte, bewirkten, dass der amerikanische Kapitalismus in die Weltarena trat und dies zu einer Lebensfrage für das System wurde. Vieles spricht dafür, dass dieser Ausweg außerordentlich dramatische Formen annehmen muss." [L. Trotzki, Schriften über Deutschland, Frankfurt 1971, Bd. II, S. 643 Hier ist nur ein Teil des Aufsatzes abgedruckt, Anm. d. Übers.]

"Das Gesetz der Produktivität der Arbeit ist von entscheidender Bedeutung für die Beziehungen zwischen Amerika und Europa und im Allgemeinen für die Bestimmung des Platzes der USA in der Welt. Die höchste Form, die die Yankees dem Gesetz der Produktivität der Arbeit gaben, nennt man Förderband, Standard- oder Massenproduktion. Es schien so, als sei der Punkt, von dem aus der Hebel des Archimedes die Welt umdrehen könnte, gefunden worden sei. Aber der alte Planet weigert sich, umgedreht zu werden. Jeder verteidigt sich gegen jeden, schützt sich durch Zollwälle und einen Zaun von Bajonetten. Europa kauft keine Güter, bezahlt keine Schulden und bewaffnet sich auch noch. Mit fünf armseligen Divisionen erobert das ausgehungerte Japan ein ganzes Land [China]. Die fortschrittlichste Technik auf der Welt scheint plötzlich kraftlos vor Hindernissen, die sich auf eine viel primitivere Technik stützen. Das Gesetz der Produktivität der Arbeit scheint seine Kraft einzubüßen.

Aber es scheint nur so. Das Grundgesetz der menschlichen Geschichte muss sich an abgeleiteten und sekundären Erscheinungen unweigerlich rächen. Früher oder später muss sich der amerikanische Kapitalismus auf dem gesamten Planeten der Länge und der Breite nach Wege eröffnen. Mit welchen Methoden? Ein hoher Koeffizient der Produktivität bedeutet auch immer einen hohen Koeffizienten der Zerstörungskraft. Ich predige den Krieg? Keineswegs: Ich predige überhaupt nichts. Ich versuche nur die Weltlage zu analysieren und Schlussfolgerungen aus den Gesetzen der ökonomischen Mechanik zu ziehen." [Übersetzt aus dem Englischen: L. Trotsky , Writings 1933-34, S. 161-162]

Für den amerikanischen Kapitalismus war die entscheidende Frage im zweiten Weltkrieg nicht die Demokratie, sondern die Wiederherstellung der Weltwirtschaft, um die freie Bewegung der Güter und Waren zu sichern und die alten Imperien zu Fall zu bringen.

Die Wiederherstellung der Weltwirtschaft nach dem Krieg machte einen neuen Aufschwung in der Kurve der kapitalistischen Entwicklung möglich. Das heißt, sie ermöglichte die Entwicklung und Verbreitung produktiverer Methoden, die die Profitrate steigerten und trugen.

Aber alle Widersprüche der Profitwirtschaft blieben in Kraft und begannen sich um die Mitte der 1960er Jahre erneut im Fall der Profitrate zu äußern.

Das Ende des Nachkriegsbooms war gekennzeichnet durch ein Vorpreschen der Arbeiterklasse. David North wies in seinen Bemerkungen anlässlich der Mitgliederversammlung der SEP in Detroit zu recht darauf hin, dass das grundlegende Charakteristikum dieser Periode nicht der Aufstand der Studenten und eine "neue Avantgarde" war, wie die Theoretiker der Neuen Linken behaupteten, sondern das Hervortreten der Arbeiterklasse.

In seinem Buch Der eindimensionale Mensch, das 1964 erschien und die Theorien der Frankfurter Schule zusammenfasste, behauptete Herbert Marcuse, die Arbeiterklasse könne in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern nicht länger als revolutionäre Kraft gelten.

"Als die kritische Theorie der Gesellschaft entstand, war sie mit real vorhandenen (objektiven und subjektiven) Kräften in der bestehenden Gesellschaft konfrontiert, die sich in Richtung auf vernünftigere und freiere Institutionen bewegten (oder dahin gelenkt werden konnten), indem sie die bestehenden abschafften, die dem Fortschritt hinderlich geworden waren. Sie waren der empirische Boden, auf dem die Theorie sich erhob, und von diesem empirischen Boden leitete sich die Idee der Befreiung der inhärenten Möglichkeiten her - der andernfalls blockierten und verzerrten Entwicklung der materiellen und geistigen Produktivität, Anlagen und Bedürfnisse. Ohne den Aufweis solcher Kräfte wäre die Gesellschaftskritik zwar noch gültig und rational, aber außerstande, ihre Rationalität in die Begriffe der geschichtlichen Praxis zu übersetzen. Was folgt daraus? Dass die Befreiung der ‘inhärenten Möglichkeiten’ die geschichtliche Alternative nicht mehr angemessen ausdrückt." [Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch, Frankfurt/Main 1989, S. 265]

Das heißt, die Arbeiterklasse war vollständig in den Rahmen der kapitalistischen Ordnung integriert worden. Andere Kräfte, ein Bodensatz von Randgruppen und Außenseitern, bildeten die einzige revolutionäre Opposition.

Vier Jahre später wurde Frankreich vom größten Generalstreik der Geschichte erschüttert. Durch alle wichtigen Länder der Welt ging eine Welle von ökonomischen und politischen Kämpfen. Wie Trotzki früher einmal erklärt hatte, bedeutet die politische Aktivität von Studenten nicht das Entstehen einer neuen gesellschaftlichen Kraft, sie ist vielmehr Ausdruck tieferer Bewegungen im Fundament der Gesellschaft, die anhand ihre unbeständigsten Schichten sichtbar werden.

Der revolutionäre Aufschwung von 1968 bis 1975 wurde von den stalinistischen und sozialdemokratischen Führern der Arbeiterklasse verraten. Die pablistischen Tendenzen leisteten dabei entscheidende Hilfe, da sie in der Nachkriegszeit die Vierte Internationale geschwächt und untergraben hatten und eine entscheidende Rolle spielten, die bürgerliche Ordnung gegen die Erhebungen der 1960er und frühen 1970er Jahre zu festigen. Im Falle von Sri Lanka war ihre Rolle für die Stabilisierung der politischen Lage sogar entscheidend. Als sie 1964 in die Regierung Bandaraneike eintraten, war das nicht nur für dieses Land, sondern für den gesamten Subkontinent und die asiatische Region insgesamt von großer Bedeutung.

Das Ende des Aufschwungs in der Kurve der kapitalistischen Nachkriegsentwicklung setzte mit dem Beginn der Inflation von 1973 und der Rezession von 1974-75 ein, der tiefsten, die es bis zu diesem Zeitpunkt in der Nachkriegszeit gegeben hatte. Mit dem Konjunkturzyklus nach 1975 setze eine Erholung ein, aber diese ging nicht einher mit einer Wiederherstellung der Wachstumsraten und der Rentabilität der 1960er Jahre. Im Gegenteil, ein neues Phänomen tauchte auf - eine Stagflation, die aus einer Kombination von anhaltend hoher Arbeitslosigkeit und hoher Inflation bestand.

Die keynesianischen Methoden, von denen die Sozialdemokraten behauptet hatten, dass sie den Marxismus überflüssig gemacht hätten, weil die Regierungen die kapitalistische Wirtschaft jetzt im Griff hätten, verschlimmerten die Lage noch. Ihr offizielles Begräbnis, so könnte man sagen, fand auf dem Labour Parteitag im September 1976 statt, auf dem Premierminister Callaghan erklärte: "Wir haben uns daran gewöhnt zu glauben, dass wir einen Ausweg aus einer Rezession haben, indem wir die Steuern senken und die Staatsausgaben erhöhen. Ich sage Euch in aller Offenheit, dass diese Option nicht länger existiert..."

Nachdem sich die Situation stabilisiert hatte, ging die Bourgeoisie in die Offensive. Ihre Antwort auf den Fall der Profitrate war zweifach: Senkung der Löhne und Verschlechterung des Bedingungen für die Arbeiterklasse auf der einen und massive Zerstörung der Verluste bringenden Teile des Kapitals auf der anderen Seite. Dies war im Wesentlichen die Politik, die unter Reagan und Thatcher eingeführt wurde. Sie begann 1979 unter der Präsidentschaft des Demokraten Jimmy Carter, der Paul Volcker mit dem Auftrag zum Präsidenten der US Notenbank, des Federal Reserve Board machte, die Inflation zu bekämpfen.

Dies war niemals einfach nur eine Frage der Wirtschaftspolitik, sondern eng mit der Entwicklung des Klassenkampfs verbunden. Sofort nach seinem Amtsantritt war Volcker unmittelbar in die Vorgänge um den Chrysler-Bankrott verwickelt, der den Weg für eine Reihe von Lohnsenkungen als Gegenleistung für Kredite freimachte. Später gab er zu, wie wichtig die Zerschlagung des Streiks der Fluglotsen und die Zerstörung ihrer Gewerkschaft (PATCO) 1981 gewesen sei. "Die wichtigste Einzelaktion der Regierung in Bezug auf die Bekämpfung der Inflation", erklärte er, "war die Niederlage des Streiks der Fluglotsen."

Die Niederlage der Fluglotsen - infolge des Verrats des Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO - kennzeichnete den Beginn einer Offensive gegen die Arbeiterklasse in den USA und international. In Großbritannien war einer der entscheidenden Wendepunkte die Niederlage des Bergarbeiterstreiks 1984-85. In Australien begann die Offensive gegen die Arbeiterklasse mit der Labor-Regierung unter Hawke und Keating, nachdem die Liberale Regierung unter Fraser zusammengebrochen war.

Der Anstieg der Zinsen, den Volcker herbeiführte, trug dazu bei, die Rezession von 1982-83 auszulösen, die tiefste seit den 1930er Jahren. Das Ausmaß des Ansteigens der Zinsen wird in der folgenden Graphik deutlich.

Der Anstieg der Zinsen hatte große Auswirkungen auf die so genannten Entwicklungsländer, die tief in die Verschuldung geraten waren, nachdem die Ölpreise 1973-74 angestiegen waren. Die Rückzahlungen der Kredite eskalierte, als gleichzeitig die Preise für Exportwaren real zu sinken begannen. Dadurch wurde ein Prozess ausgelöst, der bis zum heutigen Tag andauert - der Transfer von Ressourcen aus den ärmsten Ländern der Welt in die Tresore der Großbanken und Finanzinstitute.

Das Ergebnis dieses Prozesses lässt sich an den folgenden Zahlen ablesen. 1970 hatten die ärmsten Länder der Welt (ungefähr 60 Staaten, die von der Weltbank als diejenigen mit dem geringsten Einkommen klassifiziert werden) Schulden in Höhe von 25 Milliarden Dollar. 2002 waren es 523 Milliarden Dollar. Für Afrika waren es 1970 etwas unter 11 Milliarden Dollar. 2002 betrug die Summe 295 Milliarden Dollar. In den letzten drei Jahrzehnten wurden für Kredite in Höhe von 540 Milliarden Dollar insgesamt 550 Milliarden Dollar an Rückzahlungen und Zinsen zurückgezahlt. Und dennoch bleibt eine Schuldenlast von 523 Milliarden Dollar. [Siehe: http://www.globalissues.org/TradeRelated/Debt/Scale.asp]

Die 1980er Jahre standen im Zeichen der Reaktion des Kapitals auf den Fall der Profitrate im vorhergehenden Jahrzehnt und auf die ernsten wirtschaftlichen Probleme, die sich daraus ergaben. Als erstes begann ein Angriff auf die soziale Lage der Arbeiterklasse, der heute noch andauert, und es wurde versucht, mehr Profit und mehr Einnahmen aus den früheren Kolonien herauszupressen, was ebenfalls bis heute anhält. Gleichzeitig wurde die Wirtschaft durch den Einsatz von Computern und anderen Informationstechnologien in der Industrieproduktion und anagement umstrukturiert.

Computer waren schon in der Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg in den 1950er Jahren entwickelt worden, der Personal Computer tauchte jedoch nicht vor 1981 auf. Sein Einsatz bewirkte eine gewaltige Veränderung in einer ganzen Reihe von Management- und Arbeitsmethoden, in der Kommunikation und auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens.

Diese Veränderungen führten zwar in den 1980er Jahren zu einem Anstieg der Profitrate, jedoch nicht zu einer neuen Aufwärtsbewegung der Kurve der kapitalistischen Entwicklung. Dies lässt sich aus der folgenden Graphik ablesen.

(Lange Wellen und historischer Verlauf der kapitalistischen Entwicklung, Minqi Li und andere)

(Quelle: US Bureau of Economic Analysis)

Wenn wir die zweite Graphik ansehen, die die Profitrate in den USA darstellt, sehen wir, dass zwar in den 1980er Jahren eine Erholung eintrat, die aber nicht besonders kräftig war. Dann folgte am Ende des Jahrzehnts erneut ein Rückgang, der mit der Rezession von 1991-92 zusammentraf.

Vom Beginn der 1990er Jahre an trat eine nachhaltigere Erholung ein, aber um 1997 bis 2001 setzte dann ein scharfer Fall ein. Dies waren die Jahre der Spekulationsblase am Aktienmarkt. Die Gründe für den Zusammenbruch des Aktienmarkts von 2000 bis 2001 lagen auf der Hand: Während die Aktienpreise auf neue Höhen kletterten, sanken die Erträge (Profite), auf die Aktien einen Anspruch darstellen - eine Tatsache, die Konzerne wie Enron und Worldcom durch betrügerische Bilanzmanipulationen zu vertuschen versuchten.

Was ist die Ursache für die Wende von 1991 und den Beginn eines neuen Aufschwungs in der Kurve der kapitalistischen Entwicklung? Zweifellos fand eine der weitest reichenden Veränderungen in der Geschichte des Weltkapitalismus statt - das waren der Zusammenbruch der stalinistischen Regime, die Öffnung Chinas und das Ende der nationalen Entwicklungsstrategien in Indien und ähnlichen Ländern. In seinem Artikel Die Kurve der kapitalistischen Entwicklung hatte Trotzki erklärt, dass eine Aufwärtsentwicklung kein Produkt eines der kapitalistischen Wirtschaft selbst innewohnenden Prozesses sei, sondern das Ergebnis äußerer Bedingungen, innerhalb derer der Kapitalismus sich entwickelt, wie die Einverleibung "neuer Länder und Kontinente". Genau dies fand statt.

Etliche Jahre zuvor hatte Trotzki die Bedingungen aufgezeigt, unter denen ein neuer Aufschwung im Kapitalismus möglich sein konnte.

"Theoretisch ist natürlich auch ein neues Kapitel eines allgemeinen kapitalistischen Fortschritts in den besonders mächtigen, herrschenden Ländern nicht ausgeschlossen. Dazu müsste der Kapitalismus jedoch erst ungeheure sowohl klassenmäßige als auch zwischenstaatliche Barrieren überwinden. Er müsste für lange Zeit die proletarische Revolution abwürgen. Er müsste China endgültig versklaven, die Sowjetrepublik stürzen usw." [Trotzki: Die Dritte Internationale nach Lenin, Essen, 1993, S. 94]

Trotzki ging von der Vorstellung aus, dass die Eroberung Chinas und der Sowjetunion mit militärischen Mitteln stattfinden würde. Aber die Geschichte nahm einen anderen Weg.

Zwar hatte der Zusammenbruch der Sowjetunion seine Ursache in wirtschaftlichen Prozessen, dennoch fand die Restauration des Kapitalismus nicht "automatisch" statt. Sie war auch nicht unvermeidlich. Die stalinistische Bürokratie fürchtete, dass die wachsende wirtschaftliche Leistungsschwäche der Sowjetwirtschaft in einer Epoche der Computerisierung und der technologischen Entwicklungen, sowie die Unfähigkeit der Sowjetwirtschaft, ihre Produktivität zu steigern - was letztlich auf ihre erzwungene Isolation von der internationalen Arbeitsteilung zurückzuführen war - einen Aufstand der Arbeiterklasse provozieren könnte, der ihre Herrschaft in Frage stellt. Die Entwicklungen in Polen 1980-81 waren ein Warnsignal.

Mit dieser Aussicht konfrontiert, entschied sich die stalinistische Bürokratie für einen Präventivschlag - für die Liquidation der Sowjetunion und die Sicherung ihrer Privilegien und ihrer gesellschaftlichen Stellung im Rahmen kapitalistischer Eigentumsverhältnisse. Wie wir damals betonten, hatte sie damit erfolg, weil es in der sowjetischen und der internationalen Arbeiterklasse eine Krise der Perspektiven gab. Diese war ein Ergebnis des enormen Schadens, den der Genozid an Marxisten in der Sowjetunion und die lähmenden Auswirkungen jahrzehntelanger bürokratischer Vorherrschaft über die Arbeiterklasse in den kapitalistischen Ländern im politischen Bewusstsein der Arbeiterklasse angerichtet hatten. Hätte es einen politischen Widerstand gegen die Zerstörung der Sowjetunion gegeben, wäre die Entwicklung sehr viel anders verlaufen. Mit anderen Worten: Obwohl die Krise der Sowjetunion ihre Ursache in wirtschaftlichen Prozessen hatte, waren ihre Liquidation und "die Einverleibung von neuen Ländern und Kontinenten in den Kapitalismus" das Resultat von Faktoren des Überbaus.

In China hat die maoistische Bürokratie seit 1978 eine marktorientierte Politik verfolgt, deren Grundlage 1971 mit der Wiederannäherung an die USA gelegt wurde. Obwohl diese Politik zu einer gewissen Stimulation der Wirtschaft führte, brachte sie doch eine Reihe sozialer Widersprüche hervor, die schließlich in die Ereignisse von 1989 und das Massaker auf dem Tienanmen-Platz mündeten. Die Repressionsmaßnahmen des Regimes richteten sich damals weniger gegen die Studenten als gegen die Arbeiterklasse.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 stellte das chinesische Regime vor etliche neue Probleme. Im Januar 1992, gerade acht Wochen nach der Liquidation der UdSSR, unternahm Deng seine "Südreise", auf der er signalisierte, dass sich die chinesische Wirtschaft für ausländische Investitionen öffnen wolle und eine Reihe "marktwirtschaftlicher" Reformen in Angriff nehme.

1992 wurden mehr als 8.500 neue Sonderwirtschaftszonen geschaffen. Vor Dengs Reise waren es nur einhundert gewesen.

Nach der Aufhebung restriktiver Bedingungen verdreifachten sich 1992 die ausländischen Investitionen auf 11 Milliarden Dollar. 1994 verdreifachten sie sich erneut auf 33 Mrd. Dollar und ein Jahrzehnt später hatten sie sich noch einmal auf 61 Milliarden Dollar im Jahr 2004 nahezu verdoppelt. Gegen Ende von 2005 waren ungefähr 50.000 US-Firmen in der einen oder anderen Art geschäftlich in China engagiert. Seit 1978 ist die chinesische Wirtschaft um etwa 9 Prozent im Jahr gewachsen. In den letzten fünfzehn Jahren waren es sogar fast 10 Prozent und manchmal noch mehr.

China ist zum wichtigsten Zentrum der Industrieproduktion der Weltwirtschaft geworden. Der Anteil Chinas am weltweiten Bruttoinlandsprodukt hat sich infolge der rapiden Kapitalakkumulation im letzten Vierteljahrhundert nahezu verdreifacht. Er ist von 5 Prozent auf 14 Prozent angestiegen. [Andrew Glyn: Capitalism Unleashed, Oxford University Press, 2006, S. 90].

Der chinesische Anteil an den weltweiten Exporten von Industriegütern wurde in den letzten 25 Jahren um das Zehnfache gesteigert. Seit 1990 ist das Wachstum der chinesischen Exporte in absoluten Zahlen höher, als das der neun nächstgrößten Exporteure von Billiglohnprodukten zusammen genommen. Bis zu einem Drittel der chinesischen Hersteller produzieren in Fabriken im Besitz ausländischer Firmen. Die meisten davon gehören Japanern, wodurch ständig Importe von Maschinen und Bauteilen von Japan nach China strömen. [Glyn, S, 90-91]

Nach zehn Jahre wird eine der wichtigsten Folgen der asiatischen Finanzkrise von 1997-98 deutlicher. Mit Ausnahme von Südkorea wachsen die asiatischen Tigerstaaten heute, nach einem anfänglichen Produktionsrückgang von zehn Prozent, um zwei Prozent weniger schnell als vor 1997. Vor der Krise hatten diese Staaten den amerikanischen und europäischen Markt mit Billigprodukten beliefert. Nach der Krise zeichnete sich eine andere Struktur ab. China ist zum überragenden Hersteller von Billigprodukten geworden und zieht dadurch Importe von Vorprodukten und Halbfabrikaten aus der asiatischen Region an sich.

Die frühere Struktur wurde gelegentlich als Modell der fliegenden Gänse bezeichnet - die asiatischen Billigproduzenten fliegen in Formation hinter Japan her. Heute ist es jedoch vollkommen anders. China ist zum Zentrum einer riesigen Produktionsdrehscheibe geworden.

Es gibt viele Aspekte der asiatischen Krise, aber einer der wesentlichsten Gründe war das Auftauchen Chinas als Billigproduzent, der in der Lage war, die asiatischen Tiger zu unterbieten, die sich von Mitte der 1980er bis Mitte der 90er Jahre eines zunehmenden Wachstums hatten erfreuen können.

Die gewaltigen Investitionen in China sind Teil eines umfassenderen Prozesses. Die Weltbank schreibt: "Von einem niedrigen Ausgangsniveau von 22 Milliarden Dollar im Jahre 1990 ausgehend, liegen die ausländischen Direktinvestitionen in Entwicklungsländern gegenwärtig bei etwa 200 Milliarden Dollar im Jahr, was 2,5 Prozent des BIP der Entwicklungsländer ausmacht." Entwicklungsländer ziehen zurzeit ungefähr ein Drittel aller ausländischen Direktinvestitionen an sich.

Unter all den Fakten und Zahlen, die die Veränderungen in der Struktur der globalen Wirtschaft dokumentieren, ist das weltweite Anwachsen des Arbeitskräftepotentials der für eine sozialistische Perspektive auffälligste und weitreichendste Aspekt. Der Eintritt von Millionen von Arbeitskräften in den globalen Arbeitsmarkt ist eine bahnbrechende Entwicklung.

Es gibt verschiedene Schätzungen über den Umfang dieser Veränderung. In einem Papier, das der Konferenz der Federal Reserve Bank in Boston 2006 unterbreitet wurde, schätzte ein Arbeitswissenschaftler der Harvard Universität, dass mit dem Eintritt Chinas und der früheren Sowjetunion in den Weltmarkt die Zahl der Arbeitskräfte in der Marktwirtschaft sich von 1,46 auf 2,93 Milliarden etwa verdoppelt habe.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) veröffentlichte im World Economic Outlook vom Mai 2007 eine Schätzung der weltweit verfügbaren Arbeitskräfte. Der IWF gewichtete die Zahl der Arbeitskräfte nach dem Anteil der jeweiligen Länder an der Weltwirtschaft - gemessen am Anteil der Exporte am BIP - und fand heraus, dass sich die "effektive Zahl der Arbeitskräfte weltweit in den vergangen vier Jahrzehnten vervierfacht hat. Dieses wachsende weltweite Reservoir an Arbeitskräften wird von den entwickelten Volkswirtschaften durch verschiedene Kanäle ausgeschöpft. Darunter fallen Importe von Fertigprodukten, die Verlagerung der Herstellung von Vor- und Zwischenprodukten ins Ausland und die Immigration."

Der größte Teil des Zuwachses fand nach 1990 statt. Ostasien trug ungefähr die Hälfte dazu bei, während der Anteil Südasiens und der ehemaligen Länder des Sowjetblocks geringer ausfiel. Zwar besteht der größte Teil der absoluten Zunahme der Arbeitskräfte weltweit aus weniger gut ausgebildeten Arbeitskräften, dennoch ist auch der Anteil solcher mit höherer Qualifikation während der vergangenen 25 Jahre um 50 Prozent gestiegen. Dies ist sowohl eine Folge des Zuwachses in den fortgeschrittenen Ökonomien als auch in China.

Diese weit reichenden Veränderungen in der Struktur des weltweiten Arbeitskräftepotentials hatten große Auswirkungen auf die Löhne der Arbeitskräfte in den entwickelten kapitalistischen Ländern und auf die Verteilung des Nationaleinkommens auf Löhne und Profite. Der IWF schreibt, dass es seit 1980 eine deutliche Verringerung des Anteils der Löhne am Nationaleinkommen gegeben habe. Er schätzt, dass diese Verschiebung bis zu 8 Prozent beträgt. Die Bedeutung lässt sich aus der folgenden Graphik über den Anteil der Arbeitseinkommen am Nationaleinkommen ablesen.

In einem Bericht auf der Konferenz der Federal Reserve in Boston, gelangte Richard Freeman zum Schluss, dass sich "die globale Verteilungsquote zwischen Arbeit und Kapital durch das Hinzukommen Chinas, Indiens und der Ex-Sowjetunion massiv zuungunsten der Arbeiter verschoben hat. Ausgaben für höhere Bildung in Entwicklungsländern haben das Angebot an gut ausgebildeten Arbeitskräften erhöht, so dass die aufstrebenden Giganten den entwickelten Ländern sogar auf dem Gebiet der Spitzentechnologie, die letztere nach dem Nord-Süd-Modell für ihr Geburtsrecht hielten, Konkurrenz machen konnten."

Er schätzte, dass die Verdoppelung des weltweiten Arbeitskräftepotentials das Verhältnis von Kapital zu Arbeit in der Weltwirtschaft um 40 bis 50 Prozent reduziert hat. Mit anderen Worten, da das Angebot an Arbeitskräften im Verhältnis zum Kapital zunimmt, sinkt deren Preis, der Lohn.

Im Juli 2006 schrieb der Economist : " Im letzten Jahr stieg der Anteil der Gewinne nach Steuern am BIP in den USA auf den höchsten Stand seit 75 Jahren, Die Gewinnanteile in der Eurozone und in Japan liegen auch im höchsten Bereich seit 25 Jahren... Chinas Aufstieg in der Weltwirtschaft hat, relativ gesehen, Arbeit im Überfluss zur Verfügung gestellt und das Kapital relativ knapp werden lassen, so dass die Kapitalrendite relativ gestiegen ist."

Die Financial Times schrieb am 14. Oktober 2006, dass die Gewinne britischer Firmen 2005 ihr höchstes Niveau erreicht hätten, während die Wochenlöhne inflationsbereinigt um 0,4 Prozent gefallen seien.

"Es ist die gleiche Geschichte in allen reichen Ländern des Westens", heißt es in dem Bericht weiter. "In einer neueren Forschungsstudie zur US-Wirtschaft erklärt die US-Investmentbank Goldman Sachs: ‚Der Anteil der Profite am BIP hat im ersten Quartal 2006 eine Rekordhöhe erreicht. Mehrere Faktoren haben zu dem Anstieg der Gewinnmargen beigetragen. Der wichtigste ist das Absinken des Anteils der Arbeit am Nationaleinkommen’."

Der Bericht zitiert einen unverblümten Kommentar der Ökonomen Stephen King und Jane Henry von HSBC Global Research: "Die Globalisierung ist nicht bloß die Geschichte von mehr Exportmärkten für westliche Produkte. Sie ist vielmehr die Geschichte großer Umschichtungen in der Einkommensverteilung: von reichen zu armen Arbeitskräften, von den Arbeitskräften insgesamt zum Kapital, von Arbeitern zu Konsumenten und von Energieverbrauchern zu Energieproduzenten. Sie ist die Geschichte von Gewinnern und Verlierern, keine Fabel über wirtschaftliches Wachstum."

Aber das Sinken des Anteils der Löhne ist nicht der alleinige Weg, durch den die Profite angekurbelt wurden. Der Eintritt Chinas in den Weltmarkt hat nicht nur zur Verbilligung von Konsumgütern geführt, gleichzeitig hat er eine Absenkung der Ausgaben für Industrieanlagen bewirkt. Das heißt, ausgedrückt in der Terminologie der marxistischen Ökonomie, nicht nur die Ausbeutungsrate wurde infolge der Verringerung des Werts der Arbeitskraft gesteigert, sondern die organische Zusammensetzung des Kapitals ist tendenziell gefallen, weil sich die Kosten des konstanten Kapitals verringert haben. Dadurch tendierte die durchschnittliche Profitrate der kapitalistischen Wirtschaft insgesamt nach oben.

Welche Bedeutung hat diese Analyse für die Entwicklung unserer Perspektiven?

Bedeutet der Aufschwung in der Kurve der kapitalistischen Entwicklung seit 1992, dass die sozialistische Revolution zumindest für die vorhersehbare Zukunft von der Tagesordnung zu streichen ist?

Oder bringt nicht andererseits ein solcher Aufschwung neue Spannungen und Widersprüche in das kapitalistische Weltsystem, die dann die objektive Grundlage für eine neue Periode politischer Erhebungen und revolutionärer Kämpfe bilden?

Beginnen wir unsere Analyse dieser Frage mit der Feststellung, dass ein Aufschwung in der Kurve der kapitalistischen Entwicklung eine soziale Revolution nicht ausschließt. Im Gegenteil, der Erste Weltkrieg von 1914 und die Russische Revolution von 1917 fanden am Ende eines Aufschwungs der kapitalistischen Entwicklung statt, der Mitte der 1890er Jahre eingesetzt hatte. Zu Beginn dieses Prozesses hatte Eduard Bernstein die Veränderungen in der Wirtschaft festgestellt und daraus geschlossen, dass die Revolution nicht länger eine realistische Perspektive sei und der Sozialismus nur das Ergebnis einer Reihe von Reformen sein könne. Diese Perspektive hat sich als vollkommen falsch erwiesen!

Auch die Bewegung der Arbeiterklasse von 1968 bis 1975, die unter einer anderen Führung durchaus eine soziale Revolution hätte hervorbringen können, fand nach dem längsten Aufschwung in der Geschichte des Weltkapitalismus statt. Die Bewegung brach, wie wir schon früher festgestellt haben, zu einem Zeitpunkt aus, an dem die Theoretiker der Neuen Linken, wie Marcuse, zum Schluss gelangt waren, die Arbeiterklasse sei so gründlich in das kapitalistische Ordnungsgefüge integriert, dass sie zumindest in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern nicht länger in der Lage sei, eine revolutionäre Rolle zu spielen. Auch diese Perspektive erwies sich als vollkommen unhaltbar.

Nach dieser Feststellung dürfen wir uns nicht in Phrasen verlieren oder einfach ein Plus setzen, wo andere ein Minus anbringen. Wir müssen die Veränderungen der objektiven Bedingungen nüchtern einschätzen, ihre Auswirkungen untersuchen und uns auf die politischen Entwicklungen vorbereiten, die sich daraus ergeben.

Wenn wir die Aussichten des Kampfs für den Sozialismus analysieren wollen, müssen wir und mit dem von Trotzki so bezeichneten kapitalistischen Gleichgewicht befassen. Der Kapitalismus, erklärte Trotzki, erzeugt ein Gleichgewicht, zerstört es, stellt es wieder her, um es erneut zu zerstören. Er wies dabei auf drei Schlüsselfaktoren hin: die ökonomische Entwicklung, die Klassenbeziehungen und die Beziehungen zwischen den kapitalistischen Staaten. Lasst uns nacheinander diese Faktoren untersuchen und sie zum Zweck der Analyse voneinander trennen, aber im Gedächtnis behalten, dass sie alle miteinander reagieren und interagieren.

Was die Sphäre der Wirtschaft angeht, so ist klar, dass ihre Ausdehnung während der letzten fünfzehn Jahre eine höchst instabile Lage geschaffen hat - verstärktes Wirtschaftswachstum in einigen Regionen, wenngleich, wie im Fall Chinas, auf unsicherem Fundament, verbunden mit weit reichenden Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur der am weitesten entwickelten kapitalistischen Länder.

Amerika, die immer noch stärkste kapitalistische Macht und der größte Binnenmarkt, hat ein derartig hohes Defizit in seiner Zahlungsbilanz angehäuft, dass es auf den Zufluss von 75 Prozent der Rücklagen der gesamten Welt angewiesen ist, um weiter funktionieren zu können. In den letzten fünfzehn Jahren (wenn wir zurückgehen bis zum Zusammenbruch des Aktienmarkts 1987 sind es 20 Jahre) hielt eine Reihe spekulativer Blasen die amerikanische Wirtschaft am Laufen. Jetzt ist ein Stadium erreicht, in dem die Stabilität des Finanzsystems ernsthaft bedroht ist.

Der Umstrukturierungsprozess, der in den 1980er Jahren einsetzte und sich aufgrund der Globalisierung seit Beginn der 1990er Jahre bis heute beschleunigt, hat das Gesicht des amerikanischen Kapitalismus verändert.

Der Aufstieg des amerikanischen Kapitalismus im 20. Jahrhundert ging mit der Vorherrschaft seiner Industrie einher. Am Ende des 20. Jahrhunderts jedoch macht der Sektor Finanzwirtschaft, Versicherungswesen und Immobilienwirtschaft 20 Prozent der US-Wirtschaft aus, während die Industriegüterproduktion im Vergleich dazu nur noch bei 14,6 Prozent liegt.

In seinem Buch American Theocracy (Der amerikanische Gottesstaat) schreibt Kevin Phillips: "Die Gewinne des Finanzsektors sind Mitte der 1990er Jahre an denen der Produktion vorbei geschossen und gewinnen seither an Vorsprung. 2004 rühmten sich die Finanzkonzerne, fast 40 Prozent aller US-Gewinne zu erzielen. Der Finanzsektor kontrolliert in diesem Jahr ein Viertel der amerikanischen Börsenwerte, während es 1980 nur 6 Prozent und 1990 erst 11 Prozent waren. Historisch gesehen ist diese Veränderung so folgenschwer wie die Einführung der Eisenbahnen, von Eisen und Stahl und die Ablösung der Landwirtschaft in den Jahrzehnten nach dem Bürgerkrieg." (Kevin Phillips , American Theocracy, New York 2006, S. 265f)

Diese weit reichenden Veränderungen in der amerikanischen Wirtschaft bedeuten nicht einfach nur den Aufstieg der Finanzwirtschaft gegenüber der Industrie, sondern beinhalten eine grundlegende Verwandlung der Arbeitsweise des Finanzsystems selbst.

Während des Nachkriegsbooms akkumulierte das Finanzkapital Profite, indem es der Industrie Kredite zur Verfügung stellte und andere Formen des Bankgeschäfts betrieb sowie Hypotheken für den Eigenheimbau gewährte. Es bestand also eine ziemlich direkte Beziehung zwischen dem Herauspressen von Mehrwert aus der Arbeiterklasse und der Aneignung eines Teils davon durch das Finanzkapital. Heute funktioniert das anders. Die Profite des Finanzkapitals entstehen weniger durch eine direkte Aneignung von Mehrwert als durch die Veränderung von Kurswerten - d.h. durch Finanzmarktgeschäfte.

Was hat zu dieser Veränderung geführt? Im Wesentlichen waren es der Fall der Profitrate in den 1970er Jahren und die Tatsache, dass sich die Profitraten in den 1980er Jahren nicht ausreichend erholen konnten. Mit anderen Worten: Der Abschwung in der kapitalistischen Entwicklungskurve führte nicht nur zu Veränderungen in der Industriestruktur und zu einer Offensive gegen die Arbeiterklasse, sondern auch zu einer Umstrukturierung des Finanzkapitals.

Eine neuere Studie zeigt die Entwicklungslinien dieses Prozesses folgendermaßen auf:

"Nach dem Gewinnrückgang der Geschäftsbanken in den Vereinigten Staaten in den 1980er Jahren wurden die Regeln, denen Banken bei Geldanlagen und der Gewährung von Kurzzeitkrediten unterworfen waren, gelockert, um einen größeren Spielraum für Aktivitäten auf dem Kapitalmarkt zu schaffen, insbesondere für die Gründung von Tochtergesellschaften, die früher keine solchen Geschäfte getätigt hatten."

Der Autor bemerkt, dass Abschnitt 20 des Glass-Steagall-Gesetzes*) von 1933 ein derartiges Engagement verhindert habe, diese Hindernisse jedoch während der 1980er Jahre aus dem Weg geräumt wurden.

"Auf diese Weise dient das Bankensystem, das aus der Immobilienkrise der 1980er Jahre hervorging, nicht mehr in erster Linie der Unternehmensfinanzierung, noch hängen seine Einnahmen in erster Linie von der Nettoverzinsung ab. Grundlagen des Systems sind nun die Fähigkeit der Banken, durch den unmittelbaren Handel mit Sicherheiten, Aktien etc. Gewinne zu erwirtschaften, sowie Tochtergesellschaften, die Provisionserträge einbringen.

Dieses System hat eine neue Art von Bankgeschäften hervorgebracht, die als ‘Originate and Distribute’ bezeichnet werden. Damit maximieren die Banken ihre Einnahmen aus der Neukreditvergabe. Sie verwalten diese Darlehen bilanzextern in Tochtergesellschaften und verbriefen bei deren Weiterveräußerung die Sicherheiten für die Kredite und deren Rückzahlung." (Jan Kregel Minsky , Cushions of Safety, Levy Institute Public Policy Brief No. 93, 2008, S. 10-11) .

Der Gewinn der Bank basiert bei diesem Modell auf der Veräußerung der selbst vergebenen Kredite und nicht auf Zinsgewinnen aus ihrem Darlehensbestand - d.h. auf der Zinsspanne zwischen vergebenen und aufgenommenen Krediten.

Im System "Originate and Distribute" wird der Umfang der Kreditvergabe dadurch bestimmt, wie viele Kredite weiterveräußert werden können - d.h. durch die Nachfrage nach verbrieften Krediten auf dem Finanzmarkt. Bei niedrigem Zinsniveau blieb die Nachfrage hoch, wobei die Finanzmärkte auf die Vergabe immer neuer und risikobehafteter Kredite drängten.

Die niedrigen Zinsen, die für dieses System so entscheidend waren, hingen wiederum davon ab, dass die Inflationsrate trotz sich ausweitender Kreditvergabe niedrig blieb. Dies war möglich durch die Einbeziehung Chinas, Indiens und der früheren stalinistischen Länder in den Weltmarkt.

Jetzt gibt es klare Anzeichen, dass die Zeit der niedrigen Inflation ans Ende gekommen ist, und dies schafft größere Probleme für die Wirtschaftspolitik.

Die bevorzugte Methode, mit welcher der frühere Vorsitzende der amerikanischen Notenbank Fed, Alan Greenspan, Rezessionstendenzen begegnete und die Verluste aus Finanzkrisen aufzufangen pflegte, waren Zinssenkungen und das Anheizen der Finanzmärkte. Aber das Ansteigen der Inflation schafft jetzt größere Probleme.

Wie der aktuelle US-Notenbankchef Ben Bernanke in seiner Rede vom 10. Januar deutlich machte, will die Fed alles Erdenkliche unternehmen, um einer Rezession entgegenzuwirken. Aber andererseits nimmt der inflationäre Druck zu und jede "Andeutung einer möglichen Inflation" würde "das Aufrechterhalten der Preisstabilität sehr verkomplizieren und die Flexibilität der Zentralbankpolitik beeinträchtigen, künftig einer Wachstumsdelle entgegenwirken zu können."

Dies ist kein kurzfristiges Problem. In seiner jüngst erschienenen Autobiografie erklärt Greenspan, dass er während seiner Amtszeit begünstigt war, weil er wegen des deflationären Drucks, den der Eintritt Chinas in den Weltmarkt mit sich brachte, sich bei der Zinssenkung keine Gedanken um die Auswirkungen auf die Inflation machen musste. In späteren Interviews deutete er an, dass seine Nachfolger wohl weniger Glück hätten, da die Preise und der inflationäre Druck unvermeidlich steigen würden.

Es ist klar, dass es an der ökonomischen Front bedeutende Faktoren gibt, die das relative Gleichgewicht der vergangenen Periode zu stören drohen. Die für die Geldpolitik Verantwortlichen stehen vor Widersprüche, durch die sich sinkende Profitraten ankündigen könnten. Durch geringere Kosten für Arbeitskraft und Kapitalbeschaffung konnte in den vergangenen 15 Jahre ein gewisses Niveau der Profitrate erhalten werden, doch nun spricht einiges dafür, dass der kapitalistische Aufschwung sein Ende findet.

Die zweite Schlüsselfrage ist das Verhältnis der großen kapitalistischen Mächte untereinander. Der Aufschwung in der kapitalistischen Wirtschaft, der zu einem Wachstumsschub seit dem Jahr 2000 geführt hatte, erweist sich als ein in hohem Maße destabilisierender Prozess.

Der Aufstieg Chinas und anderer Mächte wie Russland stört das alte Gleichgewicht, das nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist. Ähnliches gab es schon in einer früheren Periode, als gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch den Aufstieg Deutschlands, Japans und der USA das Gleichgewicht durcheinander geriet, das bis dahin durch Großbritannien und sein Weltreich aufrechterhalten worden war. Das Ergebnis war in diesem Fall eine drei Jahrzehnte umspannende Kriegsperiode. Ein neues Gleichgewicht wurde erst unter der Vorherrschaft der USA 1945 geschaffen. Es gründete sich nicht so sehr auf die amerikanische Militärmacht, sondern vor allem auf wirtschaftliche Überlegenheit der Vereinigten Staaten. Jetzt ist diese wirtschaftliche Machtposition untergraben. Dies ist ganz ersichtlich anhand einer bemerkenswerten Zahl: Die amerikanische Wirtschaft hat heute den gleichen Anteil an der Weltwirtschaft wie 1940.

Der amerikanische Imperialismus versucht jetzt, dem Verlust seiner wirtschaftlichen Dominanz entgegenzuwirken und seine globale Position mit militärischen Mitteln aufrechtzuerhalten. Dies steht historisch hinter dem Ausbruch des US-Militarismus, der sich von seiner blutigsten Seite zurzeit im Irak zeigt, aber global agiert. Von der Arktis bis zum Nahen Osten, in Zentralasien, Afrika, Osteuropa und auf dem Balkan gibt es zahlreiche Konfliktherde, wo die Interessen zweier oder mehrerer kapitalistischer Mächte aufeinanderprallen.

Wenn wir auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts zurückblicken, dann ist klar, dass die Pax Americana, die nach dem Zweiten Weltkrieg, nach drei Jahrzehnten kriegerischer Auseinandersetzungen errichtet wurde, von entscheidender Bedeutung für die Stabilisierung des kapitalistischen Weltsystems war. Jetzt ist der Niedergang des amerikanischen Kapitalismus der explosivste Faktor in den internationalen Beziehungen - nicht zuletzt da alte und neu aufstrebende Mächte bereitstehen, die Weltmacht zu beerben.

In der Struktur der Weltwirtschaft hat es eine große Veränderung gegeben. Vor fünfzehn Jahren betrug der Anteil der G7-Volkswirtschaften an den globalen ökonomischen Aktivitäten annähernd 70 Prozent (nominell). Jetzt entfallen auf sie nur noch 62 Prozent der ökonomischen Aktivitäten und 43 Prozent auf der Basis der Kaufkraftparität.

Lasst uns jetzt zur Frage kommen, welches Verhältnis die Klassen zueinander einnehmen.

Das überragende Merkmal des gesellschaftlichen Lebens in allen entwickelten kapitalistischen Ländern ist die wachsende soziale Ungleichheit. Die Zahlen für die Vereinigten Staaten sind am drastischsten, aber keineswegs singulär. Sie stehen für eine allgemeine Entwicklung.

Wie Dave North in seinem einleitenden Bericht zur Mitgliederversammlung der SEP (USA) feststellte: "Neueste Untersuchungen von Edward N. Wolff vom Levy Economics Institute of Bard College belegen das enorme Ausmaß der sozialen Ungleichheit in den Vereinigten Staaten. Die statistischen Daten, die die Verteilung von Vermögen und Einkommen betreffen, belegen den außergewöhnlich hohen Grad der gesellschaftlichen Schichtenbildung. Das oberste Prozent der Bevölkerung besitzt 34,3 Prozent des Vermögens aller Haushalte der USA, die nächsten vier Prozent 24,6 Prozent und die nächsten fünf Prozent 12,3 Prozent. Zusammen genommen besitzen die reichsten 10 Prozent etwa 71 Prozent des Volksvermögens. Die darauf folgenden 10 Prozent besitzen gerade mal 13,4 Prozent des Volksvermögens, das dritte Quintil [Fünftel] 3,8 Prozent und die untersten 40 Prozent der Haushalte 0,2 Prozent!

Lässt man Grundstücks- und Wohneigentum außer Acht, dann ist die gesellschaftliche Teilung noch stärker. Das oberste Prozent aller Haushalte besitzt 42,2 Prozent des Vermögens (ohne Immobilien), die obersten 10 Prozent knapp 80 Prozent und die unteren 80 Prozent 7,5 Prozent. Die ärmsten 40 Prozent besitzen minus 1,1 Prozent des Vermögens ohne Immobilien.

Was das Einkommen angeht, so erzielt das oberste Prozent 20 Prozent des Gesamteinkommens, die obersten 10 Prozent bekommen 45 Prozent, die unteren 80 Prozent 41,4 Prozent. Auf die ärmsten 40 Prozent entfallen nur 10,1 Prozent des Einkommens."

Diese Studie enthält noch einige andere Zahlen, die die Bedeutung dieser Entwicklung verdeutlichen. In den ersten Jahren dieses Jahrhunderts konnten wir einen steilen Anstieg bei der Verschuldung der Privathaushalte beobachten. Das Durchschnittsvermögen, das einem Haushalt zur Verfügung steht, sank in den Jahren von 2001 bis 2004 um 0,7 Prozent. So etwas fand früher nur in Zeiten der Rezession statt. Das Durchschnittsvermögen ohne Grundstücks- und Wohneigentum fiel von 2001 bis 2004 um 27 Prozent. Das Durchschnittseinkommen sank von 2000 bis 2003 um ungefähr sieben Prozent.

Wenn man einen längeren Zeitraum betrachtet, dann ist das durchschnittliche Vermögen der ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung von 1983 bis 2004 um 59 Prozent gesunken. In der gleichen Zeit hat sich das reichste Prozent nicht weniger als 35 Prozent des Gesamtanstiegs beim Eigenkapital angeeignet. Das reichste Hundertstel erlangte 42 Prozent des Vermögenszuwachses, wenn man Grundstücke und Häuser nicht einrechnet, und vom Gesamtzuwachs bei den Einkünften erhielt es 33 Prozent. Die den Vermögenswerten nach mittleren drei Fünftel der Bevölkerung erlebten von 2001 bis 2004 einen gewaltigen Anstieg der Verschuldung. Im Verhältnis zu den Einkünften wuchs ihre Verschuldung von 100,3 auf 141,2 Prozent; gleichzeitig verdoppelte sich die Verschuldungsrate im Verhältnis zum Eigenkapital, nämlich von 31,7 auf 61,6 Prozent.

Die Ausrichtung der amerikanischen Wirtschaft auf das Finanzkapital - ein Prozess, der sich in anderen kapitalistischen Ländern ebenfalls abgespielt hat - war der zentrale Mechanismus, durch den das Vermögen an die oberen Einkommen umverteilt wurde. Diese Entwicklung beruhte auf niedrigen Zinsen und der Ausweitung des Kreditwesens, wodurch es zu einem Wachstum der Vermögenswerte kam und mit Hilfe finanzieller Transaktionen enorme Gewinne akkumuliert werden konnten. Diese niedrigen Zinsen waren hingegen nur möglich, weil sich die Integration Chinas und anderer Billigproduzenten in den kapitalistischen Weltmarkt deflationär auswirkte.

Das erklärt den Zusammenhang zwischen dem Anwachsen der sozialen Ungleichheit und der Herausbildung einer sozialen Schicht, die ein unmittelbares materielles Interesse daran hat, dass sich die Herrschaft des "freien Marktes" unter der Oberhoheit der USA in jedem Winkel der Erde ausbreitet.

Wie David North in Nach der Schlächterei: Politische Lehren aus dem Balkankrieg schreibt, gibt es eine Schicht in den entwickelten kapitalistischen Ländern, die direkt vom Imperialismus und Militarismus profitiert. Diese soziale Schicht ist kein Produkt der Bush-Regierung. Ihr Ursprung liegt weiter zurück.

Bill Clinton spielte am Vorabend der Bombardierung Serbiens im April 1999 auf die wirtschaftlichen Grundlagen des amerikanischen Imperialismus an. Er sagte: "Wenn wir starke wirtschaftliche Verhältnisse haben wollen, dann muss es uns möglich sein, überall auf der Welt zu verkaufen. Europa hat da eine Schlüsselstellung.... Darum allein geht es im Kosovo."

Der Auslandskorrespondent der New York Times drückte es noch etwas drastischer aus: "Die verdeckte Hand des Marktes wird nie funktionieren ohne eine verdeckte Faust - McDonalds kann keine Geschäfte machen ohne McDonnell Douglas, den Erbauer der F-15. Und die verdeckte Faust, die die Welt sicher macht für die Technologien aus dem Silicon Valley nennt man das Heer der USA, die Luftwaffe, die Marine, das Marine Corps...Ohne das Amerika, das seine Pflicht erfüllt, gibt es kein America Online." (New York Times Magazine, 28. März, 1999).

Der Verlauf der objektiven Entwicklung, den wir aufgezeigt haben, bildet die Grundlage für das Aufbrechen von Klassenkonflikten und grundlegende Veränderungen in der politischen Orientierung der Arbeiterklasse. Alles deutet auf den Beginn einer neuen Periode revolutionärer Kämpfe hin.

Unsere Aufgabe ist es, die notwendigen politischen Vorbereitungen zu treffen, um den Herausforderungen gewachsen zu sein.

Zum Schluss meiner Ausführungen komme ich auf einige dieser Entwicklungen im Gebiet der politischen Ökonomie zu sprechen.

Der Wissenschaftler David Harvey hat einige Bücher zur politischen Ökonomie geschrieben und seine Werke enthalten wichtige Erkenntnisse. Aber wie so vieles, was man mangels besserer Begriffe "akademischen Marxismus" nennen könnte, wird die Geschichte des Kampfs für den Marxismus in der Arbeiterklasse darin vollkommen falsch dargestellt und entstellt.

In seinem Buch Der neue Imperialismus greift Harvey ein Thema auf, das er die "klassische Ansicht" der marxistischen Linken nennt: Die Lohnarbeiter als entscheidende Kraft historischen Wandels. Das Proletariat als alleinige Kraft der historischen Transformation anzusehen, so Harvey, ignoriere soziale Bewegungen wie den Feminismus und die Umweltbewegung und diese "zielgerichtete Konzentration eines großen Teils der marxistisch und kommunistisch inspirierten Linken auf proletarische Kämpfe unter Ausschluss aller anderen war ein verhängnisvoller Fehler." (Harvey, David, Der neue Imperialismus, Hamburg 2005, S. 168).

Harveys Ansicht nach ist genau dies für die Rückschläge nach dem Ende des Nachkriegsbooms verantwortlich. Das wirkliche Problem aber liegt nicht da, wo Harvey es auszumachen glaubt, sondern in der Führung der Arbeiterbewegung und ihrem Verrat der Kämpfe in den Jahren von 1968 bis 1975, wodurch die Bourgeoisie ihre Offensive der letzten 30 Jahre beginnen konnte.

Harveys Ansichten erinnern an die Vorstellungen, die früher Marcuse vertrat. Gerade zu einem Zeitpunkt, wo die Entwicklung der globalen kapitalistischen Produktion zu einer atemberaubenden Anwachsen des Proletariats geführt hat - der Klasse, die ganz unabhängig von der verrichteten Tätigkeit vom Besitz an Produktionsmitteln ausgeschlossen ist und für ihr Auskommen arbeitet - vertritt er eine Umorientierung auf neue soziale Bewegungen.

Harvey setzt eine Hinwendung zur Arbeiterklasse mit gewerkschaftlichem Kampf für höhere Löhne gleich. Tatsächlich hat der Marxismus eine derartige Auffassung jedoch immer abgelehnt. Marxisten betonten stets, dass die sozialistische Bewegung nur auf der Grundlage eines politischen Kampfes aufzubauen ist, der sich gegen alle Formen von Unterdrückung richtet.

Man muss nur an Lenins Bemerkung erinnern, dass der revolutionäre Führer als "Volkstribun" kämpfen müsse, "der es versteht, auf alle Erscheinungen der Willkür und Unterdrückung zu reagieren, wo sie auch auftreten mögen, welche Schicht oder Klasse sie auch betreffen mögen, der es versteht, an allen diesen Erscheinungen das Gesamtbild der Polizeiwillkür und der kapitalistischen Ausbeutung zu zeigen, der es versteht, jede Kleinigkeit zu benutzen, um vor aller Welt seine sozialistischen Überzeugungen und seine demokratischen Forderungen darzulegen, um allen und jedermann die welthistorische Bedeutung des Befreiungskampfes des Proletariats klarzumachen." (Lenin, W.I.: Ausgewählte Werke, Berlin 1970, Band 1, Was tun? III, e, S.212f)

Was schlägt Harvey anstelle eines solchen Kampfes vor? Zwar stellt er fest, dass der Rückgriff auf den Militarismus ein verzweifelter Versuch der USA ist, ihre weltweite Vorherrschaft aufrecht zu erhalten, doch dann schreibt er: " Die einzig mögliche, wenn auch befristete Antwort auf dieses Problem innerhalb der Regeln einer kapitalistischen Produktionsweise ist eine Art von neuem ‘New Deal’ mit weltweitem Einflussbereich. Das würde bedeuten, die Logik der Kapitalzirkulation und -akkumulation von ihren neoliberalen Kräften zu befreien, die Staatmacht in die Richtung erweiterter Eingriffs- und Umverteilungsmöglichkeiten umzuformulieren, die Spekulationsmacht des Finanzkapitals einzuschränken und die überwältigende Macht von Oligopolen und Monopolen (insbesondere den ruchlosen Einfluss des militärisch-industriellen Komplexes), alles von den Bedingungen des internationalen Handels bis hin zu dem, was wir in den Medien sehen, lesen und hören, zu diktieren, zu dezentralisieren oder demokratisch zu kontrollieren. Der Effekt wäre die Rückkehr zu einem abgemilderten ‘New Deal’-Imperialismus, die zustande kommen würde durch die Koalition kapitalistischer Mächte, die Kautsky sich vor langer Zeit vorstellte." (Harvey, a.a.O., S. 202)

"Natürlich", so fährt er fort, "warten noch viel radikalere Lösungen hinter den Kulissen, aber die Entwicklung eines neuen ‘New Deal’, innenpolitisch wie international angeführt von den USA und Europa, ist angesichts der dagegen in Anschlag gebrachten überwältigenden Kräfte der Klassen und speziellen Interessen in der momentanen Situation sicherlich ein ausreichend harter Brocken." (Harvey, a.a.O., S. 204)

Die Verwüstungen, die das Finanzkapital und die neoliberale Doktrin des "freien Marktes" angerichtet haben, lassen zahllose Rufe nach einer Rückkehr zu regulierten Verhältnissen laut werden.

Nach den Worten eines anderen Autors ist es Zeit, "eine starke Haltung" einzunehmen und sichtbar einzugreifen, aber dies nicht mehr auf Nationalstaaten beschränkt - das sei offensichtlich unzureichend - sondern im Weltmaßstab. "Die Zeit ist reif, einen weltweiten Sozialvertrag zu schließen mit ausreichendem Spielraum für alle... Der historische Moment ist gekommen, dass die sichtbare Hand **) die Kontrolle übernimmt und die Marktbeziehungen umstrukturiert und sie wieder in das Leben der Menschen integriert." (Wim Dierckxsens, The Limits of Capitalism, London, 2000, S. 126-127)

Die französischen politischen Ökonomen Dumenil und Levy, die mit der ATTAC-Bewegung zusammenarbeiten, lassen keinen Zweifel an dem reformistischen Charakter ihrer politischen Ansichten, obwohl sie immer wieder auf Marx Bezug nehmen. Sie behaupten, dass ihre Analyse der kapitalistischen Krisen am Ende des 20. Jahrhunderts "die Diagnose von Keynes bestätigt: Die Kontrolle über die makroökonomische Situation und die Finanzinstitutionen darf nicht in privaten Händen gelassen werden, das heißt in denen des Finanzkapitals."

Weiter heißt es dort: "Diese keynesianische Sicht auf die Geschichte des Kapitalismus, einschließlich seiner gegenwärtigen Probleme, ist sehr vernünftig. Man kann nur bedauern, dass die politischen Bedingungen der letzten Jahrzehnte die neoliberale Offensive nicht stoppen konnten, um im Kontext anderer gesellschaftlicher Allianzen eine alternative Politik an ihre Stelle zu setzen - einen anderen Weg, die Krise zu managen. [...]

Sollte Keynes seines Reformismus wegen von denjenigen angeklagt werden, die immer noch von einer revolutionären Zukunft träumen? [...] Keynes Werk ist zweifellos das eines Reformisten. Seine brillanten, offenen, aber gesellschaftlich beschränkten Perspektiven sind trotzdem die einzige Alternative zu einem radikaleren Weg, von dem wir seit Jahrzehnten wissen, dass er in jeder Hinsicht ein Fehlschlag ist." (Duménil, Gérard; Lévy, Dominique , Capital Resurgent, Cambridge, Mass.Harvard University Press, 2004 , S. 201ff).

Andere Autoren wir Panitch und Gindin von der New York University, die mit der Zeitschrift Socialist Register zusammenarbeiten, gehen davon aus, dass der amerikanische Imperialismus sich noch lange nicht im Niedergang befindet. Er werde vielmehr die Krisen des kapitalistischen Weltsystems aufhalten und managen. "In China, in Nordamerika und überall sonst", schreiben sie, "bleibt es die zentrale Frage für Sozialisten, wie der richtige Widerstand zu entwickeln ist, um den Kapitalismus zu verändern". Der Kampf für seinen Sturz sei eindeutig von der Tagesordnung gestrichen.

Die radikale kanadische Autorin Naomi Klein erklärt, ihr jüngstes Buch mit dem Titel Die Schock-Strategie stelle die zentrale und beliebteste Behauptung der offiziellen Geschichte in Frage - "dass der Triumph des deregulierten Kapitalismus aus Freiheit geboren war, dass ungezügelte freie Märkte und Demokratie Hand in Hand gehen." Stattdessen zeige sie, "dass die Geburtshelfer dieser fundamentalistischen Form von Kapitalismus", wie sie der rechte Ökonom des 'freien Marktes' Milton Friedman und die so genannte Chicago School propagierten, "die brutalsten Formen von Gewalt waren, die man sowohl einer Bevölkerung kollektiv als auch einer Person individuell antun kann." (Klein, Naomi, : Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus, Frankfurt am Main, 2007, S. 34)

Aber Klein verneint ausdrücklich, "dass alle marktwirtschaftlichen Systeme zur Gewalt tendieren." Sie schreibt: "Natürlich ist eine Marktwirtschaft, die nicht mit solcher Gewalt durchgesetzt werden muss und keinen solchen ideologischen Purismus verlangt, absolut im Bereich des Möglichen." (Klein, a.a.O., S. 36) Es könne einen freien Markt für Konsumgüter geben, kombiniert mit freier öffentlicher Gesundheitsversorgung, öffentlichen Schulen und einem großen Segment der Wirtschaft in der Hand des Staates und mit Gesetzen, die von den Konzernen verlangen, dass sie anständige Löhne zahlen und die Rechte der Gewerkschaften respektieren, sowie einer Verteilung des Reichtums, um die drastischen Ungleichheiten zu mildern.

"Keynes hatte nach der Weltwirtschaftskrise genau diese Art von gemischter, geregelter Wirtschaft vorgeschlagen, die zum New Deal und zu ähnlichen Veränderungen überall auf der Welt führten. Und um genau dieses System von Kompromissen, Regeln und Kontrollen in einem Land nach dem anderen systematisch wieder zu demontieren, wurde Friedmans Gegenrevolution gestartet." (Klein, a.a.O., S. 37) In einem Interview zu ihrem Buch, machte Klein deutlich, dass sie eine keynesianische "gemischte Wirtschaft" befürwortet, weil diese "realistisch" sei.

Aber nichts ist unrealistischer als die Vorstellung, es sei möglich, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und eine Version des Nachkriegsbooms für das 21. Jahrhundert zu erfinden.

Vor allem ignorieren die Befürworter derartiger Vorschläge die Tatsache, dass der Boom nicht aufgrund keynesianischer Politik entstand, sondern verbunden war mit großen Veränderungen in der Struktur des Weltkapitalismus, die nicht zuletzt ein Ergebnis der Gewalt und der Zerstörungen infolge des zweiten Weltkriegs waren. Und mit dem Zusammenbruch des Booms - einer Folge objektiver Prozesse - waren die keynesianischen Methoden nicht mehr in der Lage, die darauf folgende Krise zu mildern. In einigen Fällen verschlimmerten sie die Krise sogar, und so trugen sie dazu bei, dass innerhalb der Mittelklasse eine gesellschaftliche Basis für Angriffe gegen die Arbeiterbewegung entstand.

Und darüber hinaus: Auch wenn sich eine bedeutende Bewegung für soziale Reformen in der Weise herausbilden würde, wie Klein und andere Befürworter des Keynesianismus es vorschlagen, so würde diese sehr rasch auf den Widerstand einer fest verwurzelten Elite stoßen, die entschlossen und mit allen Mitteln ihre Interessen verteidigt.

Die Leute, die derartige politische Vorschläge machen, wollen 'Realisten' sein. Sie grenzen sich ab von Marxisten, denen zufolge der einzige Weg vorwärts in der Mobilisierung der Arbeiterklasse für einen politischen Kampf gegen die kapitalistische Ordnung besteht und die für sozialistisches Bewusstsein als Grundlage dieser Perspektive kämpfen.

Tatsächlich aber folgen diese Leute dem gleichen Weg wie die Radikalen, die Marx vor mehr als 150 Jahren kritisiert hat. Statt objektive Prozesse und Entwicklungen zu untersuchen und das notwendige politische Programm daraus abzuleiten, arbeiten sie eine Reihe von Maßnahmen aus, die ihnen am angenehmsten und bequemsten sind, und preisen diese als allgemeine Lösung an.

Die Perspektive der sozialistischen Revolution und die Neuorganisation der Weltwirtschaft ist keine in weiter Ferne liegende Perspektive. Eine Untersuchung der objektiven wirtschaftlichen Entwicklungen und Tendenzen zeigt, dass sie die einzige realisierbare Grundlage für die Arbeiterklasse und gesamte Menschheit ist, um auf die sich verschärfende Krise der kapitalistischen Weltordnung und auf die Katastrophen, die sie hervorbringt, zu reagieren. Unser Ziel besteht darin, wichtige theoretische und politische Fragen zu klären, um das notwendige politische Bewusstsein zu entwickeln und dadurch diesen Kampf voranzubringen.

Anmerkungen des Übersetzers:

*) Der aus den Jahren 1932 und 1933 stammende Glass-Steagall Act diente der Eindämmung der Inflation während der Großen Depression. Das Gesetz schreibt unter anderem den Goldstandard sowie die Trennung von Geschäftsbanken und Investmentbanken vor.

**) sichtbare Hand (visible Hand): Anspielung auf Adam Smith, den Theoretiker des freien Marktes, der mit unsichtbarer Hand die Verteilung der Güter regele.

Siehe auch:
David North: Einleitender Bericht zur Internationalen Redaktionskonferenz der WSWS
(8. März 2006)

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