GDL beugt sich dem Tarifkartell und der Großen Koalition

Lokführer müssen Mogelpackung zurückweisen!

Am Sonntag haben sich die Lokführergewerkschaft GDL und die Bahn AG auf die Eckdaten für einen Tarifvertrag geeinigt, über den es zehn Monate lang ungewöhnlich scharfe Auseinandersetzungen gab. Die ursprünglichen Forderungen der Lokführer nach deutlich mehr Lohn und einem eigenständigen Tarifvertrag hat die GDL-Führung weitgehend fallen gelassen.

Auch wenn noch nicht alle Einzelheiten bekannt sind, steht eines schon fest: Der bisher vereinbarte Kompromiss entspricht in keiner Weise den Forderungen für die die Lokführer monatelang gekämpft haben. Die Lohnerhöhungen von durchschnittlich sieben Prozent, betragen nicht einmal ein Viertel der angestrebten 31 Prozent! Schlimmer noch: es steht zu befürchten, dass der GDL-Vorstand den "eigenständigen Tarifvertrag", die Kernforderung der Lokführer, ganz preisgegeben hat.

Nach den bislang bekannten Eckpunkten wurde folgendes vereinbart: Eine Einmalzahlung von 800 Euro vom 1. Juli 2007 bis 29. Februar 2008 (entspricht real etwa drei Prozent!). Ab 1. März soll es acht Prozent mehr Geld geben und ab 1. September weitere drei Prozent. Der Tarifvertrag soll bis Februar 2009 laufen, ab da soll dann auch die Wochenarbeitszeit von 41 auf 40 Stunden abgesenkt werden.

Die GDL-Vertreter werten den Abschluss als Erfolg. Sie sprechen von durchschnittlich elf Prozent Lohnerhöhung die die Lokführer bekämen. GDL-Chef Manfred Schell verkündete zugleich, man habe einen eigenständigen Tarifvertrag erreicht. Doch betrachtet man die Fakten etwas genauer, kommt man zu einem anderen Schluss.

Zunächst was die Einkommenssteigerungen betrifft: rechnet man die abgestuften Erhöhungen samt der Einmalzahlung über die 19-monatige Laufzeit zusammen, dann bekommt ein Lokführer in diesem Zeitraum läppische fünf Prozent mehr Lohn. Die 40-Stundenwoche ab Februar 2009 wird sich auf die Einkommen kaum auswirken. Zumal die neue Entgeltstruktur, die ab März 2008 eingeführt werden soll und Berufserfahrung, Qualifikation und andere Tätigkeitsmerkmale berücksichtigt, was dazu führen wird, die Lokführer stärker als bisher zu differenzieren. Laut GDL sollen die Schwankungen in der Einkommenssteigerung dann zwischen sieben und 15 Prozent betragen. Nach ersten Schätzungen werden mehr als die Hälfte der Lokführer bestenfalls 7 Prozent bekommen.

Die GDL musste außerdem einräumen, dass nur 12 000 der 20 000 Lokführer von den neuen Regelungen davon profitieren werden. Die 8000 verbeamteten Lokführer, die Rangierlokführer und auch das gesamte Fahrpersonal, für deren Gleichbehandlung die GDL sich ursprünglich aussprach, bleiben im Regen stehen.

Die ersten Reaktionen der Gewerkschaft Transnet und der GDBA, die bekanntlich beide den Lokführer in den Rücken gefallen sind und vehement gegen den Streik gehetzt haben, sind dabei aufschlussreich. GDBA-Chef Hommel: "Wir gehen davon aus, dass der Abschluss in dem Rahmen liegt, den wir schon vor Monaten mit der Bahn verabredet haben". Und der Transnet-Tarifexperte Alexander Kirchner bemerkte gegenüber der Berliner Zeitung: "Ob da wirklich mehr herausgeholt wurde, bleibt abzuwarten". Er bewertete die Abschlüsse als "etwa deckungsgleich" (Transnet und GDBA vereinbarten im Sommer 4,5 Prozent mehr Gehalt plus 600 Euro Einmalzahlung plus zehn Prozent bis 2010). Außerdem betonte Kirchner: "Es bleibt dabei, dass sich auch die künftigen GDL-Abschlüsse widerspruchs- und konfliktfrei in das gesamte Bahntarifwerk einfügen müssen".

Sollte seine Einschätzung stimmen, und vieles spricht dafür, dann hat die GDL-Verhandlungsführung nicht nur einem miesen Lohnabschluss zugestimmt, sondern sich auch wieder dem Diktat der Tarifgemeinschaft unterworfen. Auch die jüngsten Verlautbarungen der GDL-Sprecherin Seibert, die GDL werde den Basistarifvertrag bei der Bahn akzeptieren, "wir werden nun das Gespräch mit Transnet und der GDBA suchen" weisen in diese Richtung.

Sehr ähnlich sieht es auch der Gewerkschaftsforscher Josef Esser. Er zweifelt an der "Eigenständigkeit" der GDL. In einem Interview in der Süddeutschen Zeitung sagte Esser: "Es soll künftig ein Gesamttarifwerk geben, in dem rund 80 Prozent aller Dinge geregelt werden. Und dann gibt es für die sechs dort definierten Berufssparten spezielle Tarifverträge, wo über die Arbeitszeiten und die Entgelte gesondert verhandelt wird." Eine dieser sechs Sparten würden dann die Lokführer sein und die GDL wäre für diese Sparte der Lokführer zuständig. "Das heißt aber nicht", betonte Esser, "dass sie dann völlig unabhängig für ihre Mitglieder und deren Löhne kämpfen kann, sondern sie wird dann diszipliniert, eingebunden in dieses Gesamtsystem. Das ist ein Fortschritt für die GDL, aber es ist nicht die Maximalforderung ‚eigenständiger Tarifvertrag’, wie die GDL das jetzt immer verkündet."

Im Sommer 2002 kündigten die GDL die Tarifgemeinschaft mit der DGB-Gewerkschaft Transnet und der Beamtenvereinigung GDBA auf. Nur so konnten die Lokführer den drastischen Lohnsenkungen und dem Abbau von Sozialstandards begegnen, denen diese Organisationen Jahr für Jahr zugestimmt hatten.

Darin lag die Bedeutung der Forderung nach einem "eigenständigen Tarifvertrag". Die Lohnforderung von 31 Prozent war so überhaupt erst möglich geworden. Seitdem weigerte sich der Bahnvorstand hartnäckig, mit der GDL einen Vertrag abzuschließen, der den Lokführern die Möglichkeit gäbe, Tarifinhalte selbstständig zu vereinbaren. Die Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag war also immer damit verbunden, aus der tarifpolitischen Zwangsjacke von Transnet und GDBA auszubrechen. Genau das wollte der Bahnvorstand, der Transnet als seine "Hausgewerkschaft" betrachtet und über vielfältige Kanäle finanziell unterstützt, unter keinen Umständen zulassen.

Die GDL-Führung unter Manfred Schell und Claus Weselsky war mit ihrer beschränkten gewerkschaftlichen Perspektive nie in der Lage, diesen Kampf konsequent zu führen. Ihre ständige Kompromissbereitschaft, ihr Zögern und opportunistisches Taktieren hat dazu geführt, dass der Kampf der Lockführer ständig zurückgehalten wurde. Während gleichzeitig der Bahnvorstand um Hartmut Mehdorn zu immer schärferen Angriffen und Provokationen überging.

Selbst als die GDL Anfang Dezember erneut auf weitere Streiks verzichtete und ohne jede Vorbedingung in dreiwöchige Verhandlungen eintrat, war Mehdorn zunächst nicht zu weiteren Zugeständnissen bereit. Er und das bestehende Tarifkartell zu dem die DGB-Gewerkschaften, die SPD, samt Linksprtei und die Große Koalition zählen, hielten bis zuletzt daran fest, den Lokführern die Eigenständigkeit zur verwehren.

Als die GDL vor Weihnachten praktisch wieder mit leeren Händen da stand, sah sie sich gezwungen die Verhandlungen abzubrechen und zu einem unbefristeten Streik ab 7. Januar aufzurufen. Erneut entrüsteten sich führende Gewerkschafts- und SPD-Funktionäre und attackierten die Lokführer. Rainer Wend von der SPD-Bundestagsfraktion, warf der GDL zum wiederholten Male vor, sie wolle "zu Lasten des Gemeinwohls ihre Partikularinteressen durchsetzen".

Nachdem der Kampf der Lokführer auch zum Jahresbeginn noch immer starke Unterstützung in der Bevölkerung hatte, schaltete sich Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) ein und drängte auf einen Abschluss. Die Regierung will unter allen Umständen vermeiden, dass der Kampf der Lokführer zusammenkommt mit den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst, die nun begonnen haben. Dazu kommt, dass der Widerstand gegen die Politik der Großen Koalition zunimmt und bei den Landtagswahlen in zwei Wochen möglicherweise deutlich sichtbar wird. Unter diesen Bedingungen drängte Tiefensee auf eine rasche Beendigung des Konflikts und forderte Bahnchef Mehdorn auf seine provokative Verweigerungshaltung zumindest teilweise aufzugeben.

Die Lokführer dürfen jetzt nicht nachgeben und müssen diesen Abschluss zurückweisen! Sich erneut in das alte Tarifkartell zu begeben, hätte nicht nur weitere Verschlechterungen für die Lokführer zur Folge, sondern schwächt vor allem den gerade begonnenen Kampf der Arbeiter, aus den Fängen der DGB-Bürokratie auszubrechen.

Gerade jetzt, in einer Situation in der im öffentlichen Dienst und in einigen wichtigen Industrien Tarifauseinandersetzungen beginnen, während gleichzeitig der Widerstand gegen die Merkel-Regierung zunimmt, ist es wichtig nicht zurückzuweichen.

Das Schwanken und die endlose Kompromissbereitschaft der GDL-Spitze stehen in direktem Zusammenhang damit, dass die alten gewerkschaftlichen Konzepte der Sozialpartnerschaft untauglich sind, um gegen die Provokationen und Attacken des Bahnvorstands und der hinter ihm stehenden Regierung zu kämpfen. Die GDL-Spitze sucht nach einem tragfähigen Kompromiss, den es aber nicht gibt, und bereitet damit eine Niederlage vor.

Jetzt ist ein mutiges und entschlossenes Eingreifen der Mitglieder notwendig. Der Arbeitskampf muss von unten reorganisiert werden. Das erfordert eine grundlegend neue Strategie und Perspektive. Anstatt der Profitinteressen der Wirtschaft müssen die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung in den Mittelpunkt gestellt und eine sozialistische Zielsetzung verfolgt werden. Die Produktion im allgemeinen und derart wichtige Unternehmen wie die Bahn AG müssen der Kontrolle der Finanzaristokratie entrissen und in den Dienst der Gesellschaft als ganzer gestellt werden.

Nur auf dieser programmatischen Grundlage ist es möglich eine enge Beziehungen zu allen anderen Arbeitern aufzubauen und eine internationale Strategie zu entwickeln, die die Arbeiter über alle Landesgrenzen hinweg vereint und sich gegen das Machtkartell der Konzerne, der Regierung, des DGB und der EU richtet.

Siehe auch:
Die Privatisierung der Bahn und der Lokführerstreik
(5. Dezember 2007)
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