Frankreich

Studenten brauchen eine sozialistische Perspektive und müssen sich der Arbeiterklasse zuwenden

Trotz monatelanger Blockaden und Auseinandersetzungen mit der Polizei steckt die Bewegung, die die Abschaffung des Pécresse-Gesetzes zur Reform der französischen Universitäten fordert, in einer Sackgasse. Das Gesetz ist immer noch in Kraft und vor dem Beginn der Weihnachtsferien lösten sich die meisten Studentenblockaden auf oder wurden mit Gewalt beendet. Studierende, die gegen das Gesetz kämpfen, sind vor allem mit einer Frage konfrontiert: Auf welcher politischer Grundlage kann der Kampf gegen die Hochschulreform fortgesetzt werden?

Das Gesetz, das während der Sommersemesterferien vom französischen Parlament verabschiedet wurde, gibt den Universitäten mehr Autonomie bei der Verwaltung von Geldern und Etats, bei der Personalauswahl und in der Lehre, bei der Anknüpfung von Partnerschaften mit Unternehmen und der Beschaffung von Drittmitteln. Es gibt den Universitätspräsidenten die Kontrolle über Einstellungen und mehr Einfluss auf den Etat. Es erlaubt größere Privatinvestitionen in staatliche Universitäten und ordnet sie so direkt den Wirtschaftsinteressen unter.

Von den Streiks der Studenten war im Oktober und November etwa die Hälfte der französischen Universitäten betroffen. Zur selben Zeit organisierten die Eisenbahner machtvolle Streiks gegen die von der Regierung geplanten Rentenkürzungen. Die Studenten besetzten Universitätsgebäude und -büros, um Vorlesungen zu verhindern; Proteste und Blockaden griffen schnell um sich. An mehr als 50 der 85 Universitäten in Frankreich wurden Vollversammlungen abgehalten, etwa 30 stimmten für die Rücknahme des Gesetzes.

Die größte Studentengewerkschaft, die Union Nationale des Etudiants de France (UNEF), griff nur ein, um die protestierenden Studenten unter Kontrolle zu bringen. Die UNEF, die eng mit der Sozialistischen Partei (PS) verbunden ist, hatte den Widerstand gegen das Gesetz schon im Juli aufgegeben, als sie von Präsident Nicolas Sarkozy "Garantien" dafür erhielt, dass keine Ausleseverfahren für Master-Studiengänge geplant seien. Während die UNEF weiterhin Gespräche mit der Regierung führte, um mehr Geld für das Hochschulwesen zu bekommen, wählten die Studierendenvollversammlungen Delegierte in ein Nationales Studentisches Koordinierungskomitee und lehnten jegliche Verhandlungen mit der Regierung ab.

Das Nationale Studentische Koordinierungskomitee - das sehr stark beeinflusst ist von der militanten Gewerkschaft SUD-étudiant, der "linksradikalen" Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) und von anarchistischen Gruppen - hielt ein Reihe von wöchentlichen Treffen in verschiedenen Universitäten ab und forderte die Rücknahme des Gesetzes.

Unter den Studenten herrschte eine weit verbreitete Sympathie für die Eisenbahner. Da es jedoch an einer organisatorischen und größeren gegenseitigen Unterstützung innerhalb der verschiedenen Bewegungen von Arbeitern und Studenten fehlte, zeigte sich diese vor allem in isolierten Versuchen von Bahnhofsblockaden, die sehr schnell von der Polizei aufgelöst wurden. Dieses Versäumnis, die Kämpfe der Studenten und Arbeiter miteinander zu verbinden, ist direkt auf die politischen Perspektiven zurückzuführen, die von den Spitzen dieser Bewegungen vertreten werden.

Die Gewerkschaften waren ihrerseits absolut gegen eine Vereinigung der Kämpfe von Arbeitern und Studenten. Sie taten alles, um die Eisenbahner auf ein paar wenige isolierte eintägige Ausstände zu beschränken, während sie gleichzeitig an einer Einigung mit der Regierung arbeiteten. Sie unterstützten in keiner Weise die Studenten, die versuchten, Bahnhöfe zu blockieren. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Force Ouvrière, Jean-Claude Mailly, gab am 12. November ein Fernsehinterview, in dem er erklärte: "Ich denke nicht, dass die morgige Blockade von Bahnhöfen, wie sie von Einigen angekündigt wurde, eine gute Idee ist." Der CGT-Rail-Vorsitzende Didier Le Reste wandte sich ebenfalls gegen Bahnhofsblockaden und führte " das Risiko von Ausschreitungen" an. Und ebenfalls am 12. November erklärte der UNEF-Vorsitzende Bruno Julliard, die Studentengewerkschaft unterstütze keine Eisenbahnblockaden.

Die Niederlage der Eisenbahner-Streiks Mitte November erlaubte der Regierung dann, sich den Studenten-Protesten zuzuwenden und sie zu beenden.

Die Regierung wollte keine Gewalt gegen die Studenten einsetzen, solange sie mit der ernsten Gefahr einer Stilllegung im Bahn- und Transportsektor konfrontiert war. Als der Streik jedoch beendet war, ging in die Polizei in eine offene Auseinandersetzung mit den Studenten, die sich an den Blockaden beteiligten. Begleitet wurde dies von einer Sicherheitshysterie in den Medien; besonderen Aufwind bekam die Angstkampagne dabei nach dem gewaltsamen Vorgehen der Staatsgewalt gegen die Unruhen in Villiers-le-Bel, die durch den Tod zweier Jugendlicher am 25. November bei einem Zusammenstoß mit einem Polizeifahrzeug ausgelöst worden waren. Überfallkommandos der mobilen Bereitschaftspolizei CRS und reguläre Polizeieinheiten vertrieben schrittweise die an der Blockade beteiligten Studenten von den Unigeländen in Paris, Grenoble, Nantes, Lyon, Montpellier, Rouen, Rennes, Amiens und anderen Städten.

Die UNEF-Spitze zog nach der Niederlage des Eisenbahnerstreiks ihre beschränkte Unterstützung für die Streikaktionen zurück. Nachdem er in Gesprächen mit der Ministerin für Hochschulwesen und Forschung Valérie Pécresse minimale Zugeständnisse erreicht hatte, verkündete Julliard am 27. November "wichtige Fortschritte" und rief die Studierendenvollversammlungen dazu auf diesen "Beachtung zu schenken". Es gebe "neue Garantien und Absicherungen gegen die Befürchtungen der Studenten", erklärte er. Zwei Tage später forderte Julliard dazu auf, "die Blockaden und den Streik zu beenden angesichts der Fortschritte, die für die Studenten erzielt wurden".

Im Nationalen Studentischen Koordinierungskomitee, das sich nie ernsthaft auf einen politischen Kampf mit der Regierung vorbereitet hatte, wuchs die Verwirrung. Nach einem Treffen am 24./25. November in Lille veröffentlichte es eine Resolution, in der es heißt: "Wir können gewinnen und die Regierung zum Nachgeben zwingen. [...] Sarkozy kann beliebig oft erklären, er würde nicht vor uns zurückweichen, er und seine Regierung sind durch die Streiks geschwächt. [...] Besonders die Eisenbahner haben gezeigt, dass man gegen Sarkozy und seine Politik kämpfen kann."

Tatsächlich ist klar ersichtlich, dass die Niederlage im Eisenbahnerstreik der Regierung erst die Möglichkeit eröffnete, sich mit den Studenten zu beschäftigen. Arbeiter und Studenten können kämpfen, aber ohne einen politischen Plan, wie sie die ganze Bevölkerung auf ihre Seite ziehen, können sie nicht gewinnen. Dieses Fehlen einer politischen Perspektive kam zusammen mit einer enormen Überschätzung hinsichtlich des wirtschaftlichen und politischen Spielraums, den die Regierung für Zugeständnisse an die Studenten hat.

Hinter den Reformen der Regierung stehen die gewaltigen Veränderungen, die den Kapitalismus auf Weltebene erschüttern und die Stellung Europas gefährden. Frankreich erlebt seit mehr als einem Jahrzehnt ein verlangsamtes Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, während wettbewerbsintensive Billiglohnländer wie China und Indien einen rasanten Aufschwung erfahren. Um unter diesen neuen Bedingungen konkurrieren zu können, hat sich die französische Bourgeoisie auf die Strategie verlegt, ihre Wirtschaft im Hochtechnologie-Sektor zu stärken.

Ein Papier vom Wirtschaftsanalyserat des Premierministers (CAE) mit dem Titel "Globalisierung: Frankreichs Stärken" erklärt dazu: "42 Prozent der französischen Exporte sind High-Tech-Exporte. Mehr als Zweidrittel davon kommen aus dem Bereich Luftfahrt. Was China angeht, so beträgt der [High-Tech-]Anteil an den Exporten nur 13 Prozent. Das ist bedeutsam, weil dies eine Barriere gegen die Konkurrenz aus Billiglohn-Ländern darstellt. [...] Frankreich hat keine Wahl: [Das Land] muss sich im High-Tech-Bereich etablieren, um die chinesische Konkurrenz zu schwächen."

Frankreich hinkt jedoch immer noch hinterher, was die Entwicklung von High-Tech-Produkten angeht. Zum Beispiel lagen die französischen Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Jahr 2004 bei nur 2,16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit niedriger als in Deutschland (2,49 Prozent) und Schweden (3,74 Prozent). Die Anzahl an Patenten pro einer Million Einwohner betrug in Frankreich im Jahr 2003 lediglich 40,9 - verglichen mit 90,5 in Deutschland und 91,2 in Schweden.

Der französische Kapitalismus will die Universitäten in seinen Dienst zwingen, um diese Schwäche der Privatindustrie zu kompensieren. Der CAE-Bericht unterstreicht die Notwendigkeit "Zentren für Wettbewerbsfähigkeit" aufzubauen - Joint Ventures von staatlichen Forschungsinstituten, Universitäten und Privatfirmen. Es führt als Beispiel Medicen an, eine medizinische Forschungseinheit im Gebiet von Paris, die "[die Unternehmen] Gsk, Ipsen, Philips-Fr, Pierre Fabre, Sanofi Aventis, Servier, Siemens und [die staatlichen Forschungeinrichtungen] CEA, CNRS, INRIA, INSERM, die Pasteur-, Curie- und Roussy-Institute sowie die Universitäten Paris 5, 6, 7 und Paris-Süd, die zentrale Maschinenbauschule, ENS und ESPCI neu zusammenbringt."

Diese Veränderungen schaffen die objektive Grundlage für eine Einheit der Kämpfe von Studenten und Arbeitern, denn sie beinhalten eine umfassende Neuorganisation der französischen Universitäten und entschlossene Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiter.

Die Betonung der "Hochschulautonomie" führt zu einer ungleichen Behandlung der Universitäten. Nur solche Hochschulen, die als Forschungszentren für die Privatindustrie nützlich sind, werden demnächst Gelder erhalten; ländliche oder kleinstädtische Universitäten überlässt man dem Verfall. Darüber hinaus werden Fächer, die Privatunternehmen nicht unmittelbar profitabel scheinen, immer weniger Geld erhalten.

Stützen sich die Universitäten gezwungenermaßen immer mehr auf die Privatfinanzierung, so wird dies wegen der Einführung von hohen Studiengebühren unausweichlich die Studierenden aus der Arbeiterklasse von den Hochschulen fernhalten. Man schaue nur in die Vereinigten Staaten, um das Ergebnis dieser Politik zu sehen: Dort nehmen Studenten Kredite auf, um ihr Studium zu bezahlen und verlassen die Universität oft mit nicht mehr zu bewältigenden Schulden in Höhe von zig tausend Dollar.

Das Wachstum einer High-Tech-Industrie ist darüber hinaus auf kapitalistischer Basis unmöglich ohne einen Angriff auf die soziale Lage der Arbeiterklasse. Wenn sie Investitionen anziehen und international wettbewerbsfähig sein will, wird zum Beispiel die französische Pharmaindustrie die Preise für Medikamente und medizinische Behandlung auf die gleiche Höhe wie in den USA und Großbritannien anheben müssen, wo die Kosten dramatisch höher liegen. Das erfordert zudem die Entwicklung einer größeren Schicht von reichen Investoren - das heißt eine Verlagerung des sozialen Wohlstands weg von den Arbeitern und ein Anwachsen der gesellschaftlichen Ungleichheit. In diesem Zusammenhang heißt es im CAE-Bericht: "[Frankreich hat] zu wenig Spekulationskapitalisten oder private Anleger (600 in Frankreich im Vergleich zu fast 60 000 in Großbritannien)".

Um ihre Kämpfe fortzuführen und erfolgreich zu gestalten, müssen sich die französischen Studierenden der Arbeiterklasse zuwenden. Gegen die Profitpläne der herrschenden Klasse, die sich gegen die freie Lehre und Forschung richten, müssen die Studenten und Arbeiter eine neue Perspektive setzen: Die einer geplanten, demokratischen Nutzung der internationalen Reichtümer zur Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse. Eine solche Perspektive ist direkt verbunden mit der Wiederbelebung des revolutionären Marxismus auf internationaler Ebene. Und auf dieser Grundlage rufen wir zum Aufbau einer Sektion der Internationalen Studenten für Soziale Gleichheit (ISSE) und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) in Frankreich auf.

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