Missstände am Gießener Uniklinikum

Folgen der Privatisierung

Im privatisierten Gießener Universitätsklinikum wird das Leben der Patienten den Gewinninteressen des Betreibers Rhön AG untergeordnet. Dies belegen die gravierenden Mängel und Missstände, die Mitarbeiter der Intensivstationen an die Öffentlichkeit gebracht haben. Dieser "heftige Hilferuf" vermittelt einen Eindruck davon, welche Folgen die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen besonders im Gesundheitssektor hat.

Es ist bezeichnend, dass gerade in den letzten Wochen die Klinikleitung ihre finanziellen Erfolge öffentlich mitteilte. Für das dritte Quartal 2007 meldete der Vorsitzende der Geschäftsführung, Gerald Meder, die Einrichtungen schreibe mittlerweile schwarze Zahlen. Vor zwei Jahren sei noch ein Minus von 15 Millionen Euro zu verzeichnen gewesen. Für 2007 zeigte sich Meder zuversichtlich, eine "schwarze Null" erreicht zu haben. Die genaue Zahl wird das im DAX notierte Unternehmen Mitte Februar bei der Vorlage der Bilanz nennen.

Für das hessische Wissenschaftsministerium sind die privatisierten Kliniken ein Erfolgsmodell. Dort ließ man verlauten, die Betriebsabläufe seien jetzt "wesentlich effizienter".

Das Bild, das der "Zustandsbericht" der Mitarbeiter zweier Intensivstationen, der KVC-Intensiv und der Operativen Intensivstation, beschreiben, zeigt jedoch, dass dies zu Lasten der Patienten und Beschäftigten geht. Anhand von Beispielen schildern sie massive Mängel in der pflegerischen und medizinischen Versorgung der Patienten. Mehrere Mitarbeiter schildern darin hygienische und fachliche Defizite, die sich mit ihrer Berufsauffassung nicht mehr unter einen Hut bringen lassen. Die Oberhessische Presse zitiert den Bericht von Pflegekräften, die erklären: "Wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, an dem wir diese Zustände nicht mehr mit unserem Gewissen vereinbaren können".

So seien Patienten mit Verbandmitteln nicht hinreichend versorgt worden. Teilweise lagen Patienten lange Zeit in ihrem Wundsekret, was die Gefahr von schwerwiegenden Infektionen beinhaltet. Die ansonsten strikten Hygienevorschriften sind sträflich vernachlässigt worden. Als Beispiel wurde angeführt, dass Infusionssysteme oft tagelang nicht gewechselt wurden. Abgelaufene Medikamente wurden auf Anweisung weiter verabreicht.

Hinzu kommen schlichte Anzeichen chronischer Überlastung des Pflegepersonals. Diese haben sich Patienten gegenüber im Ton vergriffen. Ausschlaggebend dafür war zum großen Teil die andauernde Unterbesetzung der Stationen, die eine fachgerechte Durchführung der Arbeiten schlicht unmöglich macht. Die Leitung der Intensivabteilung ist seit längerem nur kommissarisch besetzt. Aus dem Bericht geht hervor, dass die betreffende Führungskraft hoffnungslos überfordert war, die Missstände nicht beseitigen konnte und ihren Aufgaben gerade der Mitarbeiterführung nicht hinreichend nachkam.

Andere Vorgesetzte wurden mehrmals auf die Situation hingewiesen, allerdings ohne Folgen. Bereits im Sommer sei die zuständige Pflegedienstleitung über die gefährlichen Zustände auf den Stationen informiert gewesen. Mit Sicherheit war auch die Klinikleitung über die Bedingungen in den Bereichen in Kenntnis gesetzt worden.

Während monatelang überhaupt nichts unternommen wurde, ist die Geschäftsführung des Klinikums jetzt, nachdem die Vorwürfe publik wurden, bemüht, die Vorgänge herunter zu spielen und den Schaden zu begrenzen. Meder traf sich mit den Mitarbeitern der Stationen und dem Betriebsrat zu Gesprächen. Darin erklärte er, zu den personellen Engpässen sei es lediglich wegen fehlerhafter Urlaubsplanungen gekommen, und weil neue Mitarbeiter noch nicht richtig eingearbeitet gewesen seien.

Insgesamt räumte Meder ein, er habe einen "Strauß von Problemen", der in den kommenden Monaten "abgearbeitet" werden solle. Gleichzeitig erklärte er, der Bericht sei "zum Teil übertrieben". Bei den beschriebenen Missständen handle es sich um eine auf die beiden Gießener Stationen begrenzte Problematik.

Dagegen trifft die Einschätzung des Betriebsratsvorsitzenden Klaus Hanschur schon eher den Kern: "Es ist kein isoliertes Problem, hier ist es nur sehr deutlich geworden."

In der Tat sind die Zustände auf den Intensivabteilungen der Klinik nur die Spitze des Eisbergs. Laut einem Bericht der Internetausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, hielt der Gießener Landtagsabgeordnete Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) dem Klinik-Management ein Protokoll entgegen, in dem Chefärzte einen erheblichen Mangel an Pflegekräften und eine unzureichende Kommunikation mit der Geschäftsführung beklagen. Die Zahl der Pflegekräfte sei von 870 Ende Mai 2005 auf 815 am 1. Oktober 2007 gesunken, heißt es in dem Protokoll.

Dies alles ist hinlänglich bekannt. Betriebsrat Hanschur hatte mehrmals die Stimmung unter den Mitarbeitern als "sehr schlecht" gewertet. Immer wieder beschweren sich Beschäftigte beim Betriebsrat. Die Anzahl der so genannten Überlastungsanzeigen steigt seit der Privatisierung der Einrichtung unentwegt, berichtete Hanschur: "Es werden Pausen nicht mehr genommen und Überstunden geleistet." In einer steigenden Zahl von Fällen sei eine Station nur noch mit einer Pflegekraft besetzt. "Wenn einer ausfällt, wird es eng", erklärte Hanschur.

Ähnliches erklärten Mitarbeiter der Klinik im Dezember gegenüber der WSWS. Sie berichteten, man könne "von Qualität in der Pflege nicht mehr sprechen". Schüler, Praktikanten und Zivildienstleistende würden eingesetzt, um ausgebildetes Personal zu ersetzen. Auf vielen Stationen arbeite eine Fachkraft pro Schicht ausschließlich mit Schülern und Zivildienstleistenden. Dadurch sinke auch die Qualität der Ausbildung.

Egal in welchem Klinikbereich, der Druck und die Arbeitshetze haben in den vergangenen beiden Jahren stetig zu genommen. Geplante Operationen mussten bereits mehrmals abgesagt werden, weil keine Mitarbeiter zur Verfügung standen, die für die Erkrankten einspringen konnten. Bei gleicher Stationsgröße wird heute teilweise nur noch halb so viel Personal pro Schicht als noch vor einigen Jahren eingeteilt. Entsprechend sind die Überstunden und die Krankheitsausfälle rapide gestiegen.

Der Geschäftsführung ist dies seit langem bekannt. Auf einem Neujahrsempfang wiegelte Meder öffentlich ab. "Berufene und Unberufene" würden versuchen, die Situation in den Kliniken schlecht zu reden. Er beklagte sich über Chefärzte und anderes Führungspersonal, die den vom Management eingeführten Strukturen und Abläufen nicht folgen wollten.

Ähnlich wie Meder reagierte auch der ärztliche Direktor der Gießener Klinik, Werner Seeger, im Hessenjournal des Hessischen Rundfunks. Auf die Frage ob es nicht einen Zusammenhang zwischen der Privatisierung des Klinikums und den unzumutbaren Zuständen gebe, reagierte er ausweichend. Er versuchte, alles auf die neuen Strukturen und die gestiegene Zahl der Patienten zu schieben. Einen direkten Zusammenhang könne er nicht feststellen.

Die Geschäftsleitung möchte glauben machen, dass die Missstände auf kurzzeitige Umstände oder das Versagen einzelner Mitarbeiter zurückzuführen seien. Das entspricht nicht den Tatsachen. Vielmehr wurde mit der Privatisierung der ehemals landeseigenen Kliniken auch dieser Bereich den Gesetzen des freien Marktes unterworfen.

2005 wurden die Kliniken in Gießen und Marburg durch die CDU-Landesregierung fusioniert, ein Jahr später als erste deutsche Universitätsklinik privatisiert und an die Röhn-Klinikum AG verkauft. Die daraus resultierenden katastrophalen Folgen für Patienten und Personal kommen nun in den bekannt gewordenen Berichten der Beschäftigten zum Ausdruck.

Siehe auch:
Nach der Privatisierung der Uniklinik Gießen-Marburg: Steigende Umsätze auf Kosten der Beschäftigten
(18. Dezember 2007)
Beschäftigte der Gießener Uniklinik berichten: "Gesundheit gehört nicht in private Hände"
( 18. Dezember 2007)
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