Frankreich: LCR signalisiert Bereitschaft zu Bündnis mit Sozialistischer Partei

Am 31. Mai veröffentlichte die französische Zeitschrift Marianne eine Debatte zwischen Ségolène Royal und Olivier Besancenot. Royal war bei der Präsidentenwahl 2007 für die Sozialistische Partei (PS) angetreten, Besancenot für die Ligue Communiste Revolutionnaire (LCR). Besancenot ließ im Verlauf des Interviews durchblicken, dass er eine Beteiligung an einer PS-geführten Regierung in Betracht zieht.

Die PS bemüht sich derzeit, die zunehmende Enttäuschung über die politische Klasse und die Wut über den konservativen gaullistischen Präsidenten auszunützen und gleichzeitig im Zaum zu halten.

Das Wahlversprechen Sarkozys, die Kaufkraft der arbeitenden Bevölkerung zu heben, ist angesichts explodierender Preise für Treibstoffe und Nahrungsmittel wie eine Seifenblase zerplatzt und hat zu einer Streikwelle von Fischern, Lastwagenfahrern und Bauern geführt. Gleichzeitig treibt der gaullistische Präsident seine Sparpolitik voran und provoziert damit Streiks und Proteste in verschiedenen Wirtschaftszweigen, wie dem Schiffsverkehr, dem Transportwesen und dem öffentlichen Dienst. Nach neuesten Meinungsumfragen sind seine Sympathiewerte auf 35 Prozent gefallen.

Im Interview mit Marianne machte Royal deutlich, dass sie sich der schwerwiegenden Risiken bewusst ist, die Sarkozys Diskreditierung für alle bürgerlichen Parteien bedeutet. Sie sagte: "Sarkozy hat mit seinen energischen Reden den Menschen den Verstand vernebelt, als er versprach:‚Ihr werdet es erleben, wählt mich und ich werde alles richten, denn ich bin ein Superman!’ Wenn wir heute nicht aufpassen, droht die Enttäuschung über diese Versprechungen jede Regierung in Verruf zu bringen."

Royal und Besancenot gaben sich Mühe, ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu betonen. Als Marianne Besancenot fragte, ob er ein Element von "Kampf" in einer Debatte mit Royal erwarte, antwortete er: "Nein, nein, ich bin hierher gekommen, um eine Debatte zu führen." Royal fügte sofort hinzu: "Es gibt so was wie eine kreative Konfrontation."

Besancenot machte seine Bereitschaft, mit der PS zusammen zu arbeiten, mit den Worten klar: "Sprechen wir konkret: wie fangen wir an, wo stehen wir mit unseren gegensätzlichen Standpunkten, wie schaffen wir eine Mehrheit, eine massive und solide Front, um auf die Angriffe der Regierung zu reagieren, die die Menschen gegeneinander aufzubringen versucht?....Wir mögen verschiedene Vorschläge haben, aber als erstes müssen wir Widerstand gegen die 55 Reformen Sarkozys zur Marktliberalisierung leisten. Dafür müssen wir uns zusammenschweißen und eine einheitliche Mobilisierung schaffen."

Royal gab sich Mühe zu zeigen, dass ihre Politik mit Besancenots Rhetorik vereinbar sei. Als Antwort auf Besancenots lobende Bemerkungen über den Anarchismus und die Kontrolle der Gemeinden über die Staatsfinanzen verstieg sie sich zu der absurden Behauptung, ihre Initiative als Präsidentin der Region Poitou-Charentes, den Schulen teilweise die Kontrolle über Gelder der Gemeinden zu übertragen, beweise, dass sie eine "Revolutionärin" sei. Dann sagte Royal noch, dass "die Bildung einer einheitlichen Opposition gegen Nicolas Sarkozy auch ohne Einigung auf alternative Lösungswege möglich ist".

Gegen Ende des Interviews fragte Marianne Besancenot, ob "die LCR zur Absicherung eines linken Sieges 2012 bereit ist, zur Wahl der PS aufzurufen, oder nach dem Sieg sogar an einer PS-Regierung teilzunehmen?"

Besancenot entgegnete: "Ich mache mir noch keine Gedanken um 2012. Wir kämpfen gegen die PS um die Führung auf der Linken und wir behaupten unsere Unabhängigkeit....Wenn es jedoch darum geht, sich an einer Regierung der antikapitalistischen Linken zu beteiligen, die die freie Marktwirtschaft in Frage stellt, dann bin ich nicht dagegen."

Zum Projekt einer vereinigten Linken, sagte Royal: "Wir brauchen eine außerordentlich attraktive PS. Ich kann mich mit einer Partei, die derart wenig Anhänger hat, nicht zufrieden geben. Jeder ist beim Kampf für den Aufbau einer neuen Welt willkommen. Aber wenn einige Leute lieber dabei verharren, (gegen Sarkozys Sozialkürzungen) zu kämpfen, als über die ganze Verantwortung zu reden, die die Macht mit sich bringt, dann ist das ihre Entscheidung. Das respektiere ich."

Besancenot erwiderte: "Keine Sorge, wir bleiben nicht nur in Auseinandersetzungen stecken (...) Wenn Sie als Präsidentin gewählt worden wären, hätte Ihre Regierung eine linke Opposition gehabt, die das Gute in ihrem Programm unterstützt, und den Rest durch ständiges Schubsen nach vorne gebracht hätte."

Besancenots Ausführungen zeigen deutlich, dass die Politik des Druck-Ausübens, für die die LCR-Führung eintritt, ihrem Wesen nach Klassenzusammenarbeit bedeutet. Sie beleuchten auch den Charakter der Forderung nach einer "antikapitalistischen Linken" deren fehlender Bezug auf Trotzki oder den revolutionären Sozialismus Kompromisse mit allen möglichen politischen Strömungen ermöglichen soll.

Momentan bereitet sich die LCR darauf vor, sich selbst in eine Neue Antikapitalistische Partei (NPA) aufzulösen, die das Ziel hat, alle desillusionierten Kräfte links von der PS - die so genannte "Radikale Linke", Teile der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF), Schichten aus bestimmten Universitätszirkeln, etc. - zu sammeln. Es soll eine breite, politisch amorphe Partei geformt werden, die versucht, in die bürgerliche Politik Frankreichs einzugreifen. Den Gründern der NPA schwebt eine Partei vor, die Druck auf bürgerliche Politiker ausübt, damit diese ihre Herrschaft in für die unterdrückten Klassen akzeptabler Weise ausüben. Das steht im völligen Gegensatz zur Perspektive des revolutionären Marxismus.

Es ist bedeutsam, dass die Kampagne der LCR für eine neue antikapitalistische Partei Che Guevara als Symbolfigur der Bewegung beschwört, während sie jede Berufung auf Trotzki fallen lässt. Im März vergangenen Jahres beteuerte Besancenot, nie Trotzkist gewesen zu sein

Die Kampagne der LCR hat in den Medien ein großes Echo gefunden, die Besancenot viel Beachtung und Sendezeit gewähren. Das hat ihm in den bürgerlichen Meinungsumfragen wachsende Zustimmung gebracht. Nach einer Ifop-Umfrage im Mai ist er, noch vor Royal selbst, der dritt-beliebteste linke Politiker. Für die PS, die verzweifelt um ihre politische Glaubwürdigkeit kämpft, könnte ein Bündnis mit der LCR ein Schritt sein, ihr Ansehen bei linken Wählern wieder aufzupolieren.

Obwohl die PS immer noch erste Wahl als "linke" Regierungspartei der französischen Bourgeoisie ist, konnte sie sich nie wirklich von ihrer demütigenden Niederlage in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl von 2002 erholen, als alle Illusionen in die PS als Alternative zur bürgerlichen Rechten mit einem Schlag zerstoben.

Wegen der Feindschaft gegen die rechte Sozialpolitik und die vielen Privatisierungen der sozialistisch geführten Regierung von Premierminister Lionel Jospin verteilten sich die linken Stimmen auf die PS, die angeblich trotzkistische "radikale Linke", auf Jean-Pierre Chevènements inzwischen nicht mehr existierenden Bürger-Block, die Grünen und die Kommunistische Partei. Die beiden rechten Kandidaten, Amtsinhaber Jacques Chirac und der Neo-Faschist Jean-Marie Le Pen, schlugen Lionel Jospin, den Kandidaten der PS, aus dem Rennen, der die zweite Runde der Wahl nicht erreichte.

Damals richtete die World Socialist Web Site einen offenen Brief an die LCR und an weitere, sich auf den Trotzkismus berufende Parteien - Lutte Ovrière (LO) und Parti des Travailleurs (PT) - und trat für einen Wahlboykott der Arbeiterklasse in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen ein, weil die Wähler vor die Entscheidung gestellt wurden, für einen der zwei rechten bürgerlichen Kandidaten zu stimmen, für Chirac oder Le Pen.

Die LCR wies diese prinzipielle Linie zurück und übernahm stattdessen die Position der französischen Führungselite und rief zur Wahl Chiracs auf. Dieses Vorgehen - und die politische Deckung, die die LCR der Gewerkschaftsbürokratie gewährt hat, als diese die Massenstreikbewegungen gegen die Sparpolitik der Regierung 2003, 2006 und 2007 verriet - hat Teile der PS zum Schluss geführt, die LCR könne ihnen noch von Nutzen sein.

Besonders seit der Wahl Sarkozys im letzten Jahr hat die PS ihre Fühler in Richtung LCR ausgestreckt. Die Kontakte zwischen PS und LCR wurden zunehmend öffentlich. Letzten Dezember traf sich Henri Weber, Mitglied der PS und ehemaliger Spitzenmann der LCR, mit dem Vorsitzenden der LCR, Alain Krivine, während gleichzeitig Besancenot von ein paar Schwergewichten der PS öffentliches Lob erfuhr.

Damals veröffentlichte die Tageszeitung Le Monde einen Artikel mit der Überschrift: "Die Bündnisfrage wird gestellt", der daraufhin wies, dass die PS ohne Unterstützung einer Partei zu ihrer Linken nicht an die Macht zurückkommen könne.

Unter Anspielung auf den Kongress von Epinay von 1971, auf dem die PS mit der Perspektive einer Zusammenarbeit mit der KPF gegründet wurde, hieß es in dem Le Monde- Artikel: "Bei Wahlen spielt die KPF keine Rolle mehr (1,3 Prozent 2007 für Buffet versus 15,3 Prozent 1981 für Georges Marchais). Das Gleiche bei den Grünen...die Linke hat mit den Bündnissen der ‚Epinay-Periode’ keine Hoffnung mehr auf Rückkehr an die Macht."

In PS-Zirkeln gibt es auch Kontroversen über die Absicht, durch Bündnisse mit der LCR wieder an die Regierung zu kommen. Die Anhänger des Pariser Bürgermeisters Bertrand Delanoe, Royals Hauptkonkurrent um die Parteiführung, nennen sie wegen ihrer Versuche, sich als Radikale zu geben, jetzt spöttisch "Che’golène Royal". Diese Teile der PS geben einem Bündnis mit dem rechts-bürgerlichen Politiker Francois Bayrou und seiner Demokratischen Bewegung (MoDem) den Vorzug.

Dennoch gibt es Elemente in der PS, die diesen Kurs ernsthaft in Betracht ziehen. Wie Le Monde berichtet, hat der Generalsekretär der PS, Francois Hollande, nach dem Auftritt Besancenots in der France 2 Fernsehshow "Vivement dimanche" am 11. Mai den Pariser Abgeordneten Daniel Vaillant gebeten, zu untersuchen, "welche Folgen die Bildung eines radikalen Pols" für die politische Landschaft Frankreichs haben könnte. Vaillant sagte, er werde die Bemühungen der LCR, eine antikapitalistische Partei zu gründen, genau studieren.

Gegenüber Le Monde sagte Vaillant: "1974 gab Francois Mitterrand Lionel Jospin den Auftrag, unsere Beziehungen zur Kommunistischen Partei unter die Lupe zu nehmen. Seine Arbeit erwies sich als sehr nützlich." Tatsächlich war sie so brauchbar, dass sie zum Wahlbündnis der PS mit der KPF führte und Mitterrand 1981 die Präsidentschaft einbrachte.

Siehe auch:
Französische Medien rollen für Olivier Besancenot den roten Teppich aus
(30. Mai 2008)
Frankreich: LCR Führer Bensaïd stellt Sozialistischer Partei Zusammenarbeit in Aussicht
(1. April 2008)
1968 - Generalstreik und Studentenrevolte in Frankreich
(21. Mai 2008)
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