Wall Street fordert freie Verfügung über Geld des Finanzministeriums

Die amerikanische Regierung hat ihren Rettungsplan, mit dem sie Hunderte Milliarden Dollar Steuergelder an die Wall Street aushändigen will, in einem wichtigen Punkt geändert. Dies erklärte Finanzminister Henry Paulson vergangenen Freitag. Die Bush-Regierung will Kapital direkt in Finanzinstitute investieren, anstatt Hypotheken gestützte Papiere aufzukaufen.

Diese Änderung ist teilweise durch die schnelle Verschlechterung der Lage an den globalen Finanzmärkten bedingt. Dadurch erscheint das ursprünglich von Paulson vorgeschlagene Verfahren viel zu langsam, um große Mengen Bargeld in das Finanzsystem einzuspeisen. Ursprünglich war ein komplizierter Prozess vorgesehen, bei dem Banken ihre faulen Papiere dem Finanzministerium in Form absteigender Auktionen anbieten konnten.

In der Finanzpresse wurde viel lamentiert, dass das Vorgehen, das der britische Premierminister vorgeschlagen hatte, viel effektiver sei und schneller wirke als der Paulson-Plan. Brown erklärte, sein Plan mache großen Banken schon am Montagmorgen Hunderte Milliarden an öffentlichen Geldern direkt verfügbar.

Um die Rettungsaktion zusätzlich zu beschleunigen, wies Paulson die von der Regierung übernommenen Hypothekengiganten Fannie Mae und Freddie Mac an, sofort mit dem Ankauf von Hypotheken gestützten Papieren zu beginnen und dafür die jeweils 100 Milliarden Dollar zu verwenden, die ihnen im Juli vom Kongress zur Verfügung gestellt worden waren. Diese Summe kommt noch zu den 700 Milliarden Dollar hinzu, die der Kongress am 3. Oktober für die Rettung der Banken bewilligt hat.

Viele fragen sich besorgt, ob der Umfang des Rettungspakets heute, nach der schlimmsten Woche der Geschichte für die globalen Börsen, der Katastrophe noch angemessen sei. Der New York Times vom Sonntag zufolge "lehnte Finanzminister Henry Paulson eine Stellungnahme ab, ob das Programm der Kapitalaufstockung für die Banken größer sein werde, als das ursprüngliche Programm zum Ankauf Not leidender Wertpapiere."

Die Times berichtete, an der Wall Street gehe man mittlerweile davon aus, dass die Ereignisse den ursprünglichen Plan Paulsons überholt hätten. "Selbst wenn er anfänglich ausreichend gewesen sein sollte, - jetzt reicht er nicht mehr aus", sagte der ehemalige Gouverneur der Notenbank, Frederic Mishkin, der Zeitung.

Die Times stellte die internen Diskussionen zwischen dem Weißen Haus und der Federal Reserve so dar, dass das Finanzministerium den Vorschlag des Zentralbankvorsitzenden Ben Bernanke, Kapital direkt in die Banken zu investieren, zuerst abgelehnt habe. "Diese Ablehnung war teilweise ideologisch motiviert, weil das Ministerium eine direkte Einmischung der Regierung in die Unternehmensführung ablehnt."

Aber in den letzten zehn Tagen verlangten wichtige Finanzinstitute wie Goldman Sachs und Morgan Stanley dringendes Handeln. Paulson und sein vorläufiger Verwalter des Rettungsplans, Neel Kashkari, stammen beide aus dem alt gedienten Führungspersonal von Goldman Sachs.

Als Paulson erkennen ließ, er befürworte inzwischen den Erwerb entweder von normalen oder von Vorzugsaktien, berichtete die Times : "Vorstände aus der Wirtschaft ließen Paulson sofort wissen, sie hielten das für eine gute Idee. Aber sie rieten dem Finanzministerium davon ab, die vorhandenen Aktienbesitzer hinauszudrängen. Sie baten Paulson auch, keine engen Grenzen für Vorstandsgehälter und Abfindungen für gefeuerte Vorstände zu erlassen. Paulson ist diesen Bitten nachgekommen."

Es ergibt sich ein wahrhaft bemerkenswertes Bild. Amerikanische Regierungsvertreter führen hochrangige Konsultationen mit wichtigen Bankiers und mit Vertretern anderer G-7-Staaten und China, um eine Kettenreaktion beim Zusammenbruch des Weltfinanzsystems zu vermeiden. Trotz Lippenbekenntnissen, wie sehr ihnen die Auswirkungen der Finanzkrise auf den "kleinen Mann" am Herzen lägen, geht es ihnen im Wesentlichen darum, den Reichtum der Unternehmenschefs und anderer Vorstände zu retten, obwohl diese mit ihren spekulativen Finanzmanipulationen für den Marktzusammenbruch verantwortlich sind.

Paulson, der frühere Chef von Goldman Sachs, der selbst als beinahe-Milliardär 2006 in die Bush-Regierung eintrat, hat volle Sympathie für die Forderungen seiner früheren Kollegen. In seiner Erklärung am Freitag sicherte er den Banken zu, die Regierung werde nur "stimmrechtslose" Aktien erwerben. Mit anderen Worten: Wall Street erhält so gut wie unbeschränkten Zugriff auf öffentliche Gelder und freie Hand, wie das Geld verwendet wird. Das heißt, dass die Banker auch selbst entscheiden werden, wie viel Geld direkt in die Taschen jener fließt, die für die Krise eigentlich verantwortlich sind.

So werden die gesamte Weltwirtschaft und das Leben von Milliarden Menschen den Forderungen einer Handvoll Wall-Street-Bankiers und Spekulanten untergeordnet, die sich damit ihre phantastischen Einkommen und Vermögen sichern. Die Vorstellung, dass die für den Finanzkollaps Verantwortlichen auch dafür bezahlen sollen, kommt in der offiziellen "Debatte" über die Wirtschaftspolitik überhaupt nicht vor.

Der revidierte Paulson-Plan ist eine noch dreistere Rettungsaktion für die reichsten Menschen Amerikas auf Kosten der großen Mehrheit. Deswegen wird er auch von den Säulen der kapitalistischen Presse in den Vereinigten Staaten so hoch gelobt. Das Wall Street Journal lobte in einem Leitartikel vom 9. Oktober die Entscheidung Gordon Browns, den britischen Banken Kapital zuzuführen, und die Andeutungen Paulsons, es ihm gleichzutun.

"Wir gehen davon aus - und hoffen -, dass Mr. Paulson bereit ist, einen Teil des 700 Milliarden Dollar schweren Rettungsprogramms für Not leidende Wertpapiere (Tarp) zu nutzen, um einzelnen Banken Kapital zuzuführen, wenn das notwendig ist, um einen Bankrott abzuwenden", schrieb das Journal.

Die Washington Post lobte Paulsons Entscheidung, dem britischen Beispiel zu folgen, in einem Leitartikel am 11. Oktober und schrieb: "Das würde ein direktes Zuführen von Kapital durch den Kauf von Aktien der Banken bedeuten. Im Gegensatz zu dem bisherigen Plan, mit dem größten Teil der 700 Milliarden Dollar ‚giftige’ [faule] Hypothekenpapiere zu kaufen, könnte die neue Strategie das Problem der Solvenz der Banken direkter lösen und schneller wirken."

Die Times äußerte sich am selben Tag in gleicher Weise: "Ein neuer globaler Lösungsansatz für die Krise sollte gewisse zeitweise Regierungsgarantien für Bankeinlagen und -kredite beinhalten, um die Kreditvergabe zwischen den Banken wieder in Gang zu bringen und etwas Zeit zu gewinnen, um herauszufinden, welche Banken gerettet werden können und welche nicht. Er sollte Regierungen auch in die Lage versetzen, Banken schnell Kapital zuzuführen."

Flankendeckung kam von den Kongressdemokraten und vom Demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama, der jede Maßnahme unterstützt, die von der Bush-Regierung vorgeschlagen und von der Wall Street gut geheißen wird. Senator Charles Schumer, der Vorsitzende des gemeinsamen Wirtschaftsausschusses, sagte, Paulsons Projekt, einzelnen Banken direkt Kapital der Bundesregierung zur Verfügung zu stellen, "nimmt Fahrt auf". Er fügte hinzu: "Ich erwarte, dass das Finanzministerium morgen bekannt gibt, dass sie das machen. Und sie müssen es schnell tun. Die Märkte warten."

Diese Kapitalzuführung wird häufig als "Teilverstaatlichung" des amerikanischen Bankensystems bezeichnet, als wenn es ein Angriff auf das Privateigentum wäre. Die richtigere Bezeichnung wäre im Gegenteil die "Teilprivatisierung", oder noch korrekter, die regelrechte Plünderung des amerikanischen Finanzministeriums durch die Chefs der Wall Street und großen Investoren, die jetzt fordern, dass die amerikanische Bevölkerung ihre faulen Kredite bezahlen soll.

Ein solches Konstrukt wäre das genaue Gegenteil einer wirklichen, d.h. sozialistischen Verstaatlichung, bei der das Finanzsystem in öffentliches Eigentum übernommen und reorganisiert würde, um den Bedürfnissen der Arbeiterklasse, der großen Mehrheit der Bevölkerung, zu dienen, und nicht der Finanzaristokratie.

Siehe auch:
Der Rettungsplan für die Wall Street und die Gefahr von Diktatur
(3. Oktober 2008)
Die Demokratische Partei und die Wall Street
( 2. Oktober 2008)
Börsensturz an der Wall Street nach Scheitern des Finanz-Rettungsplans im Kongress
( 1. Oktober 2008)
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