Die Finanzkrise und das Comeback von Gerhard Schröder

Anfang der Woche erschien das Nachrichtenmagazin Der Spiegel mit der Titelstory "Schröders Comeback". Der Aufmacher beschreibt den "schleichenden Putsch", mit dem die SPD-Führung sich "neu sortiert" habe, und bemerkt dann: "Plötzlich ist auch Ex-Kanzler Gerhard Schröder wieder im Spiel."

Am selben Tag beschrieb die Berliner Morgenpost "die Rückkehr des Machtmenschen Schröder", und Die Welt kommentierte die "erstaunliche Wandlung des Frank-Walter Schröder".

Dass Außenminister Frank-Walter Steinmeier ein politischer Ziehsohn des Ex-Kanzlers ist und nicht nur das rot-grüne Kanzleramt, sondern davor bereits Schröders Staatkanzlei in Hannover geleitet hat, ist bekannt. Mittlerweile ist auch bekannt, dass der SPD-Putsch und die Inthronisierung von Steinmeier als Kanzlerkandidat und von Franz Müntefering als SPD-Chef in enger Absprache mit Gerhard Schröder und führenden Wirtschaftsverbänden vorbereitet und vereinbart wurde.

Nicht zufällig begrüßten die Spitzenvertreter der deutschen Wirtschaft den abrupten Wechsel im Parteivorsitz und die Nominierung von Steinmeier zum Kanzlerkandidaten als "ermutigendes Zeichen für einen Kurswechsel der SPD". Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, Georg Ludwig Braun, erklärten, sie sähen jetzt "gute Chancen für eine Fortsetzung der Agenda-Politik Gerhard Schröders".

Die Rückkehr Schröders auf die politische Bühne muss im Zusammenhang mit der dramatischen Zuspitzung der internationalen Finanzkrise gesehen werden. Seit Monaten warnen deutsche Politiker und Wirtschaftsvertreter, dass die amerikanische Hypothekenkrise "noch lange nicht ausgestanden" sei. Als im März der amerikanische Staat mit Milliardenunterstützung bei Bear Stearns einsprang, klingelten in Berlin bereits alle Alarmglocken. Als aber am vergangenen Wochenende Lehman Brothers in die Pleite trudelte und in der Nacht zum Montag auch noch Merrill Lynch eilig verkauft wurde, stockte den Verantwortlichen an der Spree der Atem.

In nur sechs Monaten sind drei der fünf weltgrößten Investmentbanken untergegangen. "Der Absturz" überschrieb die Süddeutsche Zeitung gestern einen Kommentar, der sich wie ein Nachruf auf die Wall Street liest: "Die Wall Street: Das war der Stolz Amerikas. Das Herz des Kapitalismus. Der Ort, der die Spielregeln der Weltwirtschaft bestimmt. Die Wall Street, wie wir sie kennen: Das war einmal."

Angesichts ihres großen Exportanteils ist die deutsche Wirtschaft von den internationalen Auswirkungen der Bankenkrise direkt betroffen. Dazu kommt die Erinnerung an die politischen Folgen des Bankenkrachs und Wirtschaftszusammenbruchs vor 80 Jahren. Als im Oktober 1929 die Aktienkurse an der Wall Street einbrachen und amerikanische Banken ihr Kapital aus Europa abzogen, stieg die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland fast über Nacht auf sechs Millionen. Um die Last der Krise der Arbeiterklasse aufzubürden wurden die demokratischen Strukturen abgeschafft, das Parlament suspendiert, und die Regierung herrschte mit Notverordnungen. Die SPD unterstützte damals den bonapartistischen Kurs der Brüning-Regierung und bereitete damit den Nazis den Weg an die Macht.

Auch heute ist die herrschende Elite entschlossen, die Milliardenverluste auf die Bevölkerung abzuwälzen. Und wieder spielt die SPD eine Schlüsselrolle. Schröders Rückkehr auf die politische Kommandobrücke ist direkt damit verbunden, die Agenda-Politik zu verschärfen und eine neue Runde sozialer Angriffe durchzusetzen. Schon werden Rufe nach der Abschaffung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und der Einschränkung des gesetzlichen Kündigungsschutzes laut.

Abstand von Amerika

Schröders Rückkehr ist aber noch in anderer Hinsicht bedeutsam. Als Bundeskanzler vertrat Schröder eine ausgesprochen Amerika-kritische Außenpolitik. Seine Opposition gegen den Irakkrieg hatte nichts mit einer prinzipiellen Ablehnung von Krieg zu tun. Die rot-grüne Regierung hatte schon 1999 - ganz am Anfang ihrer ersten Amtsperiode - den Nato-Krieg gegen Serbien unterstützt. Und auch in Bezug auf den Irak arbeitete die Schröder-Regierung auf vielen Ebenen eng mit der US-Kriegsführung zusammen.

Doch Schröder schickte keine Bundeswehreinheiten in den Irak und machte deutlich, dass sich die deutschen Wirtschafts- und geostrategischen Interessen deutlich von denen der USA unterscheiden. Im Gegensatz zu den USA, die neben dem Irak und Iran auch Russland stark unter Druck setzten, baute Schröder die Zusammenarbeit mit Moskau aus.

Auch, dass er nach seinem weitgehenden Rückzug aus der Tagespolitik Anfang 2006 den Aufsichtsrats-Vorsitz des Pipeline-Konsortiums NEGP Company übernahm, war eine politische Entscheidung. Die Nordeuropäische Gasleitungs-Gesellschaft (North European Gas Pipeline Company) ist ein Joint Venture, an dem neben dem russischen Energiekonzern Gazprom (51 Prozent) die deutschen Gesellschaften E.ON Ruhrgas AG und die BASF Tochter Wintershall AG mit jeweils 20 Prozent beteiligt sind. Die restlichen neun Prozent hält das niederländische Unternehmen Gasunie.

Dieses im Wesentlichen deutsch-russische Pipelineprojekt soll die Energieverbindung zwischen Europa und Russland stärken. Vom russischen Wyborg westlich von Sankt Petersburg soll eine über 1.200 Kilometer lange Pipeline durch die Ostsee bis in die Nähe von Greifswald an der deutschen Ostseeküste verlegt werden. Geplant sind zwei Leitungsstränge mit einer Kapazität von insgesamt 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr.

Zwar sind die Warnungen vor den wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen einer wachsenden Energieabhängigkeit von Moskau nicht verstummt. Doch der anhaltende Zusammenbruch des US-Finanzsystems hat diejenigen Kräfte im Außenministerium gestärkt, die auf eine größere Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von Washington drängen.

Schon während der Georgienkrise in den vergangenen Wochen war auffallend, mit welcher Vehemenz sich einige Sprecher deutscher Großkonzerne gegen anti-russische Sanktionen wandten.

Nach dem EU-Sondergipfel zu Georgien erklärte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Jürgen Thumann, dem Sender n-tv, Deutschland und Russland seien auf gute Beziehungen angewiesen. "Überlegungen, Russland mit Sanktionen unter Druck zu setzen oder Verhandlungen zum WTO-Beitritt und zum Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit der EU zu stoppen, führen in die falsche Richtung." Ein Sprecher des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft erklärte in der selben Sendung: "Wir hoffen, dass der Scheitelpunkt der Eskalation jetzt überschritten ist."

Die Ostorientierung der deutschen Außenpolitik ist nicht unumstritten, nimmt aber angesichts des Niedergangs der USA an Bedeutung zu.

In diesem Zusammenhang steht auch eine stärkere Orientierung auf die Linkspartei. Die Zeit schreibt in ihrer jüngsten Ausgabe, dass mit dem Wechsel an der SPD-Spitze durch Müntefering und Steinmeier "schon bald die Taburituale gegenüber der Linken auch im Bund der Vergangenheit angehören" könnten. "Es ist schon heute kaum noch vermittelbar, warum eine Partei, die in gemeinsamen Landesregierungen ein verlässlicher Partner ist (wie beispielsweise in Berlin) im Bund aus prinzipiellen Erwägungen als Koalitionspartner nicht infrage kommt", schreibt das Blatt, das immer der rechten SPD-Führung nahe stand.

Der Vorsitzende der Linkspartei, Oskar Lafontaine, begann seine bundespolitische Karriere von drei Jahrzehnten, als er sich an die Spitze der Protestaktionen gegen den so genannten Nato-Doppelbeschuss stellte. Ende der siebziger Jahre hatte die Nato den Staaten des Warschauer Pakts Verhandlungen über eine beidseitige Begrenzung atomarer Mittelstreckenraketen angeboten, beschloss aber gleichzeitig die Aufstellung einer neuen Generation amerikanischer Raketen, der Pershing II und Marschflugkörper (Cruise Missiles) in Westeuropa.

Die mit Abstand meisten Mitglieder der Linkspartei gehörten der früheren PDS an und standen vor der Wende ohnehin auf der anderen Seite des "Eisernen Vorhangs".

Lafontaine und die Linkspartei könnten im Bündnis mit der SPD schon bald eine Schlüsselrolle in der Neuorientierung der deutschen Außenpolitik spielen und dabei gezielt die Interessen eines wichtigen Flügels des deutschen Imperialismus vertreten.

Siehe auch:
Der Putsch der SPD-Rechten und die Rolle der Linkspartei
(13. September 2008)
Führungswechsel in der SPD: Putsch der Partei-Rechten
( 9. September 2008)
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