USA weiten den Krieg nach Pakistan aus

Raketenangriffe sollen verstärkt werden

Generalstabschefs Admiral Mike Mullen und Richard Holbrooke, Sondergesandter der USA für Afghanistan und Pakistan, waren am Montag und Dienstag in Islamabad zu Besuch, um Druck auf die pakistanische Regierung auszuüben, damit diese den anti-amerikanischen Aufstand im paschtun-sprachigen afghanischen Grenzgebiet eindämmt.

Gegen Ende des letzten Monats hatte US-Präsident Barack Obama Washingtons neue Strategie zur Befriedung Afghanistans öffentlich bekannt gegeben. Sie beinhaltet eine dramatische Eskalation des Kriegs - die US-Truppenstärke in Afghanistan soll von 38.000 auf 68.000 Mann fast verdoppelt werden - und seine weitere Ausdehnung nach Pakistan, sowohl durch koordinierte Maßnahmen mit Islamabad als auch mit unilateralen US-Angriffen innerhalb Pakistans.

Seit 2004 hat das pakistanische Militär wiederholt Operationen zur Bekämpfung des Aufstands in den historisch autonomen Stammesgebieten (Federally Administered Tribal Areas, FATA [föderativ verwaltete Stammesgebiete]) durchgeführt. Dabei sind 1.500 Soldaten ums Leben gekommen. Die Operationen haben in der Bevölkerung verbreitet Wut ausgelöst angesichts der kriminellen Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern in der Zivilbevölkerung; außerdem haben sie zu einer wachsenden humanitären Krise geführt. Mehr als eine halbe Million Einwohner der FATA-Gebiete wurden zu Flüchtlingen gemacht.

In Bajur, wo im letzten Herbst schwere Kämpfe stattgefunden haben, hat das Militär ganze Dörfer dem Erdboden gleich gemacht. Laut einem jüngeren BBC-Bericht wächst der Unmut unter den Flüchtlingen, weil die Regierung ihnen keine Hilfen zum Wiederaufbau ihrer Häuser zur Verfügung stellt. Der Lehrer Abdul Haleem lebt in einem Flüchtlingslager in der Nähe von Peschawar lebt, in dem Afghanen untergebracht waren, die durch den Bürgerkrieg der 1980er Jahre vertrieben worden waren. Er erklärte gegenüber der BBC: "Sie haben das gesamte Dorf zerstört, den ganzen Markt. Es gibt keine Krankenhäuser, keine Schulen, keine Lehrer mehr in Bajur. Sie sind alle hier."

Die militärische und politische Elite der USA fordert jedoch hartnäckig, dass Pakistan aktiver einschreiten muss, um den Aufstand niederzuschlagen. Sie werfen Pakistan vor, das FATA-Gebiet, die angrenzenden Gebiete Belutschistans und die nordwestliche Grenzprovinz seien zu einem "sicheren Hafen" für antiamerikanische Kräfte geworden. In den letzten Tagen haben hohe Regierungsbeamte, darunter Holbrooke und General David Petraeus, der Vorsitzende des Zentralkommandos des Pentagons, sich öffentlich beschwert, Elemente im pakistanischen Militärgeheimdienst, dem ISI, stünden immer noch in Verbindung mit den Taliban und anderen gegen die USA arbeitenden islamistischen Aufständischen.

Noch während des Besuchs von Holbrooke and Mullen in Islamabad veröffentlichte die New York Times, zweifellos auf Betreiben der Regierung Obama, einen Bericht, mit dem die Entschlossenheit Washingtons unterstrichen werden sollte, in Pakistan Krieg zu führen. Unter dem Titel "Mehr Angriffe mit Drohnen in Pakistan geplant", zitierte der Bericht "hohe Regierungsbeamte" mit den Worten, die USA beabsichtigten, "den Einsatz von Drohnen zu verstärken, um die Kämpfer in den Stammesgebieten Pakistans anzugreifen".

Seit letztem August haben US-Streitkräfte mindestens 35 Raketenangriffe mit Drohnen in Pakistan geflogen und dabei mehr als 340 Menschen getötet, von denen viele, wenn nicht die meisten, Zivilisten waren. Der jüngste Angriff wurde am Morgen des 4. April in Nord-Wasiristan durchgeführt. Örtliche Vertreter erklärten, unter den dreizehn Toten seien Frauen und Kinder gewesen.

Der Artikel in der Times von Dienstag berichtet auch, die Obama-Regierung plane, "die Raketenangriffe auf Belutschistan" auszudehnen, und wiederholte damit eine Meldung aus einem früheren Bericht der Times.

Sprecher der US-Regierung erklärten, die Raketenangriffe auf das FATA-Gebiet, hätten dazu geführt, dass einige Führer des antiamerikanischen Aufstands nach Quetta, der Hauptstadt Belutschistans, geflohen seien. Die Schlussfolgerung daraus ist: Wenn die pakistanische Regierung nicht bald handelt, um diese Aufständischen festzunehmen oder zu töten, dann werden die USA mit Drohnen-Angriffen auf Quetta beginnen - eine Stadt von mehr als einer Million Einwohnern.

Die Drohnen-Angriffe veranschaulichen sehr drastisch die unterwürfige Beziehung Islamabads zu Washington, und so wird sie auch von der pakistanischen Bevölkerung gesehen. Washington hat für den größten Teil des letzten Jahrzehnts den Diktator General Pervez Musharraf unterstützt, weil er der US-Invasion und der Besetzung Afghanistans entscheidenden Rückhalt gegeben hat. Deshalb beanspruchen die USA jetzt frech das Recht, nach Belieben die pakistanische Souveränität zu verletzen und Tod über die verarmte Landbevölkerung zu bringen.

Die Stimmung in der Bevölkerung hat dazu geführt, dass die politische Elite Pakistans gezwungen war, die Drohnen-Angriffe zu verurteilen. Aftab Ahmad Sherpao, lange Zeit Innenminister unter Musharaf, erklärte kürzlich gegenüber der Times, dass nur etwa ein bis zwei Prozent der Pakistaner die US-Politik gegenüber ihrem Land unterstützen: "Die meisten Menschen sind absolut gegen die Amerikaner. Ein weiterer Teil ist nicht sehr glücklich damit, äußert sich aber nicht."

Ein Sprecher der Tehreek-e Taliban Pakistan (TTP) hat erklärt, die in den FATA operierende Pro-Taliban-Gruppe werde zwei Selbstmordattentate pro Woche verüben, bis die USA ihre Drohnen-Angriffe einstellten. Die pakistanische Regierung hat den TTP-Führer Baitullah Mehsud für eine Serie verheerender Attentate im Zentrum der größten Städte Pakistans verantwortlich gemacht, darunter auch für die Ermordung von Benazir Bhutto, der Vorsitzenden der Pakistan People’s Party. Mehsud hat die meisten dieser Vorwürfe zurückgewiesen, aber er hat die Verantwortung für das Attentat von letzter Woche auf eine Polizeiakademie in Lahore und ein paramilitärisches Lager in Islamabad übernommen.

Ungeachtet der Stimmung im Volk ist es ein offenes Geheimnis, dass die pakistanische Regierung die Drohnenangriffe - wenn auch nur widerwillig - als notwendig duldet, um die reaktionäre Vasall-Herr-Beziehung zwischen dem pakistanischen Militär und dem Pentagon aufrechtzuerhalten, die jahrzehntelang im Zentrum der geopolitischen Strategie der pakistanischen Elite stand. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass viele Drohnenangriffe von einer CIA-Basis innerhalb Pakistans gestartet wurden.

Auf einer Pressekonferenz am Dienstag trat Pakistans Außenminister Shah Mehmood Qureshi zusammen mit Holbrooke und Mullen auf und erklärte: "Wir haben über die Drohnen gesprochen, und ich will offen sein, da gibt es eine Kluft zwischen uns und ihnen [den US-Vertretern]. Ich möchte diese Kluft überwinden."

"Meiner Ansicht nach wirken sie [die Drohnenangriffe] sich zugunsten der Extremisten aus."

Qureshi erklärte, die beiden Seiten "seien sich einig, in dieser Frage uneins zu sein". Mit anderen Worten, die USA werden auch weiterhin unilaterale Angriffe auf Pakistan durchführen, eine Verletzung internationalen Rechts, die gleichbedeutend ist mit einer Kriegshandlung.

Qureshi behauptete, die USA hätten zugestimmt, "bestimmte rote Linien" zu respektieren, insbesondere, dass es keine "fremden Stiefel auf pakistanischem Boden" geben dürfe. Tatsächlich haben Holbrooke und der Stellvertretende US-Außenminister für Süd- und Zentral-Asien Richard Boucher schon im letzten Monat in Erklärungen deutlich gemacht, dass es keine Wiederholung des Überraschungsangriffs der US Special Forces vom September in Pakistan geben werde. Dieser Angriff führte zu einer Krise in den Beziehungen zwischen den USA und Pakistan. Das pakistanische Militär schloss damals für kurze Zeit die wichtigste pakistanische Versorgungsroute für die US-Streitkräfte in Afghanistan und schoss demonstrativ auf US-Hubschrauber, als sie von Afghanistan kommend in den pakistanischen Luftraum wechselten.

Das Pentagon würde ohne Frage gerne über die Möglichkeit verfügen, mit seinen Streitkräften in Süd-Afghanistan nach Pakistan überwechseln zu können. Das wesentlich wichtigere Ziel für das Militär und für Washington ist jedoch, Pakistan dazu zu bewegen, Militäraktionen mit den US-Streitkräften in Afghanistan abzustimmen und einen großen Teil der Kampfhandlungen und der wachsenden Opfer zu tragen, die sich aus der Intensivierung des Kriegs ergeben. Die Obama-Regierung betrachtet die Region jetzt offiziell als einen einzigen umfassenden Kriegsschauplatz, der Afghanistan und die Grenzregionen Pakistans umfasst.

Die Spannungen, von denen die Beziehung zwischen den USA und Pakistan geprägt ist, fanden einen verhaltenen Ausdruck, als Qureshi erklärte: "Im Endeffekt geht es um Vertrauen. Wir könne nur zusammenarbeiten, wenn wir uns gegenseitig respektieren und vertrauen."

Diese Bemerkungen waren eine eindeutige Reaktion auf die Behauptung hoher amerikanischer Regierungsvertreter, Teile des ISI unterhielten immer noch Beziehungen zu den Taliban und ähnlichen Gruppen, weil sie diese für ein wichtiges Instrument der pakistanischen geo-politischen Strategie hielten. Vor allem aber waren sie eine Reaktion auf die Klagen der USA, Islamabad habe Washington keinen wirklichen Gegenwert für die mehr als zehn Milliarden Dollar Militärhilfe und "Bezahlungen für den Krieg gegen den Terror" geliefert, mit der die Bush-Regierung das Musharraf-Regime versorgt hat.

Ein zentrales Element der Kriegsstrategie der Obama-Regierung für Afghanistan ist eine Neudefinition von Washingtons Beziehungen zu Islamabad. Der Plan Obamas beinhaltet, dass Pakistan für die nächsten 5 Jahre 1,5 Milliarden Dollar pro Jahr an Entwicklungshilfe erhält und fast 3 Milliarden Dollar an zusätzlicher Hilfe im Verlauf von 5 Jahren für den Kampf gegen die Aufständischen. Die Entwicklungshilfe bedeutet weniger als 10 Dollar je Einwohner Pakistans pro Jahr, aber es ist weit mehr als das, was Washington Islamabad je an nicht-militärischer Hilfe angeboten hat.

Zur Enttäuschung der pakistanischen Elite ist das Hilfsangebot an beträchtliche Bedingungen gebunden. Obama verkündete demonstrativ, dass es keinen "Blankoscheck" für Pakistan geben werde. Das jährliche Entwicklungsgeld wird an bislang noch nicht genannte Bedingungen gebunden, die dazu da sind, mindestens einmal im Jahr einzuschätzen und zu beurteilen, ob Pakistan die amerikanischen Anweisungen im afghanisch-pakistanischen Krieg befolgt. Der "Pakistanische Fond für die Aufstandsbekämpfung" wird Pentagon-Kontrollen in bisher ungekanntem Ausmaß unterliegen und außerdem der Bedingung, dass die Militärhilfe nicht gegen Indien eingesetzt werden darf.

Islamabad beschwert sich schon seit längerer Zeit, dass Washington das pakistanische Militär nicht mit modernen Geräten zur Aufstandsbekämpfung versorgt, darunter Nachtsichtgläsern und Kampfhubschraubern.

Als sie ihre neue Kriegsstrategie für Afghanistan verkündeten, machten hohe Beamte der Obama-Regierung - zum Unmut Islamabads auch klar, dass die USA nicht die Absicht haben, sich im indisch-pakistanischen Konflikt um Kaschmir zu engagieren. Während der Wahlkampagne zu den US-Wahlen im November letzten Jahres schlugen Obama und einige seiner Berater vor, die USA sollten eine aktivere Rolle bei der Lösung des Kaschmir-Konflikts spielen. Dahinter stand die Vorstellung, Druck auf Indien auszuüben, damit es Pakistan Konzessionen in der Kaschmir-Frage macht. Das sei als Gegenleistung geeignet, um Pakistan dazu zu bewegen, die US-Besetzung von Afghanistan noch besser zu unterstützen.

Indien als die größere und stärkere Macht hat immer betont, dass der Konflikt um Kaschmir eine bilaterale Frage sei und sich energisch gegen jegliche Einmischung einer dritten Partei gewandt. In den letzten Monaten hat Neu Delhi die Verhinderung einer möglichen US-Einmischung im Kaschmir-Konflikt zur vorrangigsten Angelegenheit gemacht. Durch diplomatische Kanäle, direkt an Washington gerichtet, hat es seinen Widerspruch eindringlich klar gemacht. Indien hat aber auch die terroristische Gräueltat von Mumbai im letzten November genutzt, um seine Behauptung zu untermauern, Pakistan sei das Verbindungsglied zum globalen Terrorismus und der Aufstand in Kaschmir sei nur ein Produkt der Machenschaften des militärischen und geheimdienstlichen Establishments Pakistans.

Washington hat die Botschaft verstanden und ist bestrebt, Indien zu beschwichtigen, das es ein Jahrzehnt lang als potentielles asiatisches Gegengewicht gegen das aufstrebende China umworben hat. Um Neu Delhi zu besänftigen wurde Holbrookes Tätigkeitsbeschreibung in letzter Minute in Sonderbeauftragter für Afghanistan und Pakistan geändert und nicht wie ursprünglich Afghanistan, Pakistan und Indien. Hohe Beamte der USA, die damit beauftragt waren, die Presse über die neue Kriegsstrategie der Regierung Obama in Afghanistan zu unterrichten, wiederholten, dass die USA sich nicht an der Lösung des Kaschmir-Konflikts beteiligen werden. "Wir haben nicht vor, uns in diese Frage einzumischen", erklärte der Nationale Sicherheitsbeauftragte der USA General James Jones. "Aber wir beabsichtigen, beiden Ländern zu helfen, mehr Zuversicht und Selbstvertrauen aufzubauen, sodass Pakistan die Probleme angehen kann, mit denen es an der westlichen Grenze des Landes konfrontiert ist."

In Wirklichkeit üben Washingtons Bestreben, den Einfluss der USA durch die Eroberung Afghanistans auf das ölreiche Zentralasien auszudehnen, und sein Versuch, Indien zu einem "globalen, strategischen Partner" zu machen, einen enormen Druck auf den krisengeschüttelten pakistanischen Staat aus.

Vor dreißig Jahren stifteten die USA Islamabad an, als Teil ihres reaktionären Kampfs gegen die Sowjetunion islamisch-fundamentalistische Milizen in Afghanistan zu unterstützen. Damals unterstützten sie ohne Einschränkung den pakistanischen Diktator und islamistischen Reaktionär General Zia ul Haq.

Heute fordern sie Pakistan auf, die Taliban zu vernichten. Das untergräbt nicht nur den Versuch der pakistanischen Elite, ihren Einfluss in Afghanistan zu wahren, während gleichzeitig die Regierung in Kabul mit US-Unterstützung weit reichende Beziehungen zu Indien geknüpft hat. Es facht auch nationalistische Gefühle der Paschtunen auf beiden Seiten der afghanisch-pakistanischen Grenze an, was wiederum nationale und ethnische Spannungen innerhalb des pakistanischen Staats verstärkt. Es hat außerdem zu Spaltungen im Militär geführt und die Regierung in den Augen des pakistanischen Volks weiter diskreditiert, weil sie sich als US-amerikanisches Söldnerregime bewiesen hat.

Siehe auch:
Mehr als 60 Tote bei zwei Raketenangriffen auf Pakistan
(5. März 2009)
Obamas neues Team für die Außenpolitik bereitet noch mehr Blutvergießen in Afghanistan und Pakistan vor
( 31. Januar 2009)
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