Über 170.000 Kurzarbeiter in der Autoindustrie

Mehr als 170.000 Beschäftigte der deutschen Autoindustrie sind bereits von Kurzarbeit betroffen, und täglich kommen neue Meldungen hinzu.

Betriebe, die sich wegen "unvermeidbarem vorübergehendem Arbeitsausfall" in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden, dürfen in diesem Jahr für maximal 18 Monate Kurzarbeit beantragen; bisher waren es sechs Monate. Das bedeutet, dass ganze Fabriken oder Abteilungen stillgelegt und die Beschäftigten für Wochen oder Monate nach Hause geschickt werden. Sie erhalten für diese Zeit von der Bundesagentur für Arbeit 60 Prozent ihrer Löhne, bzw. 67 Prozent, wenn sie Kinder zu versorgen haben. Sollte sich die Auftragslage nach den 18 Monaten nicht gebessert haben, drohen Entlassungen.

Bei BMW gilt im Februar und März Kurzarbeit für insgesamt 26.000 Beschäftigte in Bayern und in Berlin. Bei Daimler ist in den nächsten Wochen Kurzarbeit für insgesamt 39.000 Beschäftigte angesetzt, beim weltgrößten Autozulieferer Bosch für etwa 10.000 Beschäftigte. Viele Betroffene befinden sich bereits in Kurzarbeit.

Der Reifenhersteller Continental hat für die Mehrzahl seiner 50 deutschen Standorte mit insgesamt 50.000 Beschäftigten ab dem 1. Februar Kurzarbeit angemeldet. Ebenso die Schaeffler-Gruppe (LuK, FAG, INA). Wie viele der weltweit 66.000 Beschäftigten bei Schaeffler betroffen sind, ist noch nicht entschieden. Der Autozulieferer Grammer in der Oberpfalz schickt wegen der schwachen Nachfrage ab kommenden Freitag rund 2.000 Mitarbeiter in die Kurzarbeit.

Besonders hart trifft die Krise der Autoindustrie die kleineren, mittelständischen Zulieferbetriebe. Von den 300.000 mittelständischen Unternehmen der Autobranche in Europa sei jedes fünfte wegen der Konjunkturkrise in seiner Existenz gefährdet, erklärte EU-Vizepräsident Günter Verheugen (SPD). Um diese wichtige Branche zu verteidigen, plädiert Verheugen für eine Umstrukturierung und Konsolidierung der Autobranche, was im Klartext, Betriebstilllegungen und Kapazitätsabbau mit Massenentlassungen bedeutet

Inzwischen haben auch Ford, Opel und der größte deutsche Autohersteller Volkswagen Kurzarbeit angekündigt. Obwohl VW im letzten Jahr noch große Gewinne zu verzeichnen hatte, verkürzt der Konzern jetzt die Arbeitszeit von rund 60.000 seiner insgesamt 92.000 Beschäftigten in Deutschland. Vom 23. bis 27. Februar soll die Arbeit in vielen Bereichen ruhen. Ausgenommen sind Forschung und Entwicklung sowie Teile der Komponentenwerke.

Der Grund für die rasante Ausbreitung der Kurzarbeit, die mit großen Lohneinbußen verbunden ist, sind die massiven Einbrüche der europäischen und internationalen Auto-Verkaufszahlen im letzten Quartal. Auf dem amerikanischen Automarkt ist der Absatz 2008 um mehr als 18 Prozent eingebrochen. In Deutschland fiel die Zahl der Neuzulassungen auf den niedrigsten Stand seit 17 Jahren. Aufgrund des Einbruchs im letzten Quartal ergibt sich für das Gesamtjahr 2008 ein Rückgang um 1,8 Prozent auf 3,09 Millionen neu zugelassene Autos. Die deutschen Hersteller haben dabei durchschnittlich über 5 Prozent weniger Autos verkauft.

Besonders heftig vom Absatzeinbruch betroffen sind die europäischen Werke von General Motors. So gingen die Verkaufszahlen der europäischen GM-Marken Opel und Vauxhall um gut zehn Prozent auf 1,46 Millionen Wagen zurück, wie das Unternehmen am Freitag letzter Woche mitteilte. Auf diese beiden Marken entfallen rund drei Viertel des gesamten Geschäfts von GM in Europa.

Insgesamt verkaufte GM 2008 in Europa 2,04 Millionen Fahrzeuge. Das sind etwa sechs Prozent weniger als im Jahr davor. Bereits im dritten Quartal war das Europageschäft von GM mit einem operativen Verlust von rund einer Mrd. Dollar (780 Mio. Euro) in die roten Zahlen gerutscht.

Weltweit ging der Absatz von General Motors (GM) im vergangenen Jahr um elf Prozent auf rund 8,35 Millionen Fahrzeuge zurück. Das teilte die Konzernleitung am Mittwoch in Detroit (Michigan) mit. Besonders drastisch war der Rückgang im vierten Quartal. Da fielen die Verkaufszahlen um 21 Prozent auf rund 420.000 Wagen. Fast zwei Drittel seiner Autos verkaufte GM 2008 außerhalb der Vereinigten Staaten.

Klassenzusammenarbeit

Die Betriebsräte der Autokonzerne sowie die Gewerkschaft IG Metall arbeiten eng mit den Unternehmensführungen zusammen, um die Folgen der Absatzkrise auf die Belegschaften abzuwälzen und jeden Widerstand dagegen im Keim zu ersticken. Exemplarisch zeigt sich das bei der deutschen GM-Tochter Opel.

Um die Produktion zu drosseln, hat Opel Kurzarbeit und flexible Arbeitszeitmodelle mit Lohneinbußen angekündigt. Darüber verhandeln Management und Gewerkschaften seit Wochen und Monaten auf europäischer Ebene. Was die Opel-Betriebsräte des Europäischen Arbeitnehmerforums (EEF) unter Führung von Opel-Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz in der GM-Europa-Zentrale vereinbaren, setzen die Betriebsräte vor Ort dann um. Unter anderem soll die Arbeitszeit allgemein verkürzt werden und die Nachtschicht in allen europäischen Werken wegfallen. Wie das genau laufen soll, wird in den einzelnen Ländern bzw. Werken ausgehandelt.

In Bochum hatte der örtliche Betriebsratvorsitzende Rainer Einenkel noch in der zweiten Januarwoche gemeldet, nach mehrwöchiger Betriebsruhe werde in den Bochumer Opelwerken wieder gearbeitet. Alle drei Schichten, auch die Nachtschicht, würden gefahren.

Doch am Montag und Freitag der vergangenen Woche standen die Bänder bereits wieder still. Wie lange die Produktion noch ruht, ist ungewiss. Die Pause wird aber bis weit in den Februar andauern. Betroffen sind rund 3.000 Beschäftigte. Zurzeit laufen Verhandlungen mit dem Betriebsrat, die Kurzarbeit auf hundert Tage auszudehnen.

Auch im Eisenacher Opelwerk wird bereits seit Herbst weniger gearbeitet. Die Arbeitszeit wurde von 38 auf 33 Stunden verkürzt. Für Januar und Februar wurde zusätzlich für jeweils fünf Tage Kurzarbeit angemeldet.

Als großen Verhandlungserfolg wertete der Bochumer Betriebsratschef Einenkel, dass Opel einen Zuschuss zum Kurzarbeitergeld von 12,5 Prozent bezahlt und bei verkürzter Wochenarbeitszeit jede zweite ausgefallene Stunde vergütet. Beide Regelungen - Kurzarbeit und Arbeitszeitverkürzung - seien aus Sicht der Beschäftigten finanziell erträglich, behauptete Einenkel.

Tatsächlich dienen diese Almosen dazu, die Belegschaft ruhig zu halten. Als Gegenleistung unterstützt der Betriebsrat den Opel-Vorstand dabei, von der Bundesregierung staatliche Subventionen zu erbetteln. Diese Subventionen kommen nicht den Arbeitern zugute, sondern sollen die deutschen Werke auf Kosten der anderen GM-Werke in Europa und weltweit sichern. Der ständige Lohn- und Tarifabbau und die Verteidigung des "Standorts Deutschland" auf Kosten der Werke und Belegschaften in anderen Ländern sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.

So fordert der Bochumer Betriebsrat, den für 2011geplanten Produktionsanlauf für den neuen Astra vorzuziehen. Die technischen Voraussetzungen für einen früheren Produktionsbeginn seien erfüllt. "Eine Startverschiebung wäre eine reine Kostenfrage", erklärt der Bochumer Betriebsratschef. Er spekuliert dabei offensichtlich auf die von der Regierung in Aussicht gestellte Bundesbürgschaft. "Wenn die Investitionen früher getätigt und der Produktionsanlauf vorgezogen werden kann, dann würde das auch eine Schubwirkung für die Unternehmen in NRW mit sich ziehen, die mit Zulieferungen und mehr an der Produktion beteiligt sind", so Einenkel.

Die Verhandlungen mit der Bundesregierung über die finanzielle Unterstützung für Opel führt Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz gemeinsam mit dem Opel-Management.

Franz geht es bei seinen ständigen Treffen mit Opel-Managern und Regierungsvertretern nach Angaben des Handelsblatts sowohl um die staatliche Bürgschaft der Bundesrepublik wie auch um größeren Einfluss von Opel beim Mutterkonzern GM. Insbesondere dringt der Gesamtbetriebsrat darauf, einen Zuschlag für mindestens eine der globalen Plattformen für Opel zu bekommen und künftig auch für alle übrigen Modelle neben dem Astra das letzte Wort in der Entwicklung in Europa zu erhalten.

Es geht dabei um eine größeren Zugriff von Opel auf das GM-Entwicklungszentrum in Rüsselsheim, in dem 6.000 Ingenieure arbeiten, das bisher aber nur den Zuschlag für die aktuelle Mittelklasse und die Kompaktklasse hat. Noch im laufenden Jahr soll entschieden werden, wer die kommende Generation der globalen Kompaktwagen-Plattform für das Jahr 2014/2015 entwickeln darf. Darüber gibt es von GM noch keinerlei Aussagen.

Franz befürchtet, dass die GM-Zentrale künftig verstärkt neue Modelle in den USA entwickeln lassen könnte. So könnten zum Beispiel der nächste Saab 9.5, der Opel Zafira und eine neue Generation von Vierzylindermotoren und Getrieben statt in Rüsselsheim in den USA entwickelt werden. Gleichzeitig überlegt die GM-Konzernzentrale, die vorgesehene Fertigung des Saab-Modells 9-5, für die Opel bereits den Zuschlag erhalten hat, zur schwedischen Schwesterfirma Saab nach Trollhättan zurückzuverlagern, das von Schließung bedroht ist. Jetzt hofft man in Trollhättan auf die neue Modellserie und die Verlegung der Fertigung der Cabriolets der Serie 9-3, die bisher von Magna Steyr in Österreich gebaut werden.

Saab erhält auch eine eigene Finanzverantwortung. Damit soll die GM-Tochter offensichtlich attraktiver für potenzielle Käufer gemacht werden. GM hat Saab zum Verkauf angeboten, bisher aber noch keinen Interessenten gefunden. Saab schreibt seit 1996 ständig rote Zahlen. Um den Konkurrenten Opel innerhalb des Konzerns auszustechen, hatte der Betriebrat von Saab bei der letzten großen Krise massive Zugeständnisse auf Kosten der Belegschaft angeboten.

In einem Interview mit der WAZ drückte Opel-Betriebsratschef Franz seine Hoffnung aus, mit Hilfe der von ihm zusammen mit dem Opelvorstand erbettelten Staatsbürgschaft, die deutsche Tochter selbständiger zu machen: "Opel kann sich in Deutschland und Europa finanziell unabhängiger machen, indem wir für Investitionen mit Hilfe einer Staatsbürgschaft selbst Kredite aufnehmen - und damit endlich ein eigenes Bankkonto haben." Die Bürgschaft über 1,8 Milliarden Euro für Opel soll nach Informationen der Süddeutschen Zeitung bis Ende März perfekt sein, was aber vom Konzern nicht bestätigt wird.

Eine vollständige Loslösung vom Mutterkonzern hält Franz jedoch für unrealistisch: "Wir verkaufen 1,6 Millionen Fahrzeuge in Europa. Damit sind wir unter der kritischen Größe, um die enormen Investitionen tätigen zu können, die jetzt für die technologische Aufstellung nötig sind."

Auch wenn Franz eine Eigenständigkeit zur Zeit nicht für möglich hält, ist doch seine gesamte Perspektive darauf gerichtet, die deutschen Werke, insbesondere das in Rüsselsheim, auf Kosten der anderen GM-Werke weltweit und auch der anderen Opel-Werke in Europa zu sichern. Seit Jahrzehnten setzen die Betriebsräten und die hinter ihnen stehenden Gewerkschaften Zugeständnisse gegen die Belegschaften durch, um angeblich die Arbeitsplätze zu sichern. Dabei spielen sie bewusst die einzelnen Standorte gegeneinander aus, statt die Arbeitenden für eine gemeinsame Verteidigung ihrer Arbeitsplätze zu mobilisieren.

Mit dieser nationalistischen Politik manövrieren sie die Beschäftigten der Autoindustrie in eine tödliche Falle. So haben die Gewerkschaftsführer der UAW, der amerikanischen Autoarbeitergewerkschaft im Rahmen der staatlichen Rettungsaktion für GM und Chrysler bereits einem Streikverbot zugestimmt. Außerdem müssen die Autoarbeiter Massenentlassungen, Werksstilllegungen, weitgehende Lohnsenkungen und Kürzungen der Sozialleistungen akzeptieren. Andernfalls droht die Regierung die Rettungsaktion platzen zu lassen.

Doch diese Zugeständnisse retten keine Arbeitsplätze, wie sich in den letzten Jahrzehnten mehr als deutlich gezeigt hat. Denn hinter der Krise der Autoindustrie steht der Zusammenbruch des gesamten globalen Wirtschaftssystems. Jahrzehntelang haben Politiker, Wirtschaftsführer und die Medien die Weltbevölkerung mit Behauptungen bombardiert, der kapitalistische Markt sei das rationalste Instrument zur Verteilung der Reichtümer der Gesellschaft.

Immer deutlicher wird gerade in der Autoindustrie und im gesamten Verkehrswesen der grundlegende Konflikt zwischen den Bedürfnissen einer modernen Massengesellschaft und der Anarchie des Profitsystems. Daher ist die einzige realistische Lösung der Krise auch für die Autoindustrie eine internationale sozialistische Umgestaltung der Produktion. Die Produktivkräfte und die Rohstoffe der Welt müssen von den Zwängen des kapitalistischen Privateigentums und des Nationalstaatensystems befreit werden und auf wissenschaftlich geplante, rationale und demokratische Weise organisiert werden, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu entsprechen.

Jede Sofortmaßnahme zur Rettung der Arbeitsplätze in der Autoindustrie kann nur als Teil einer solchen internationalistischen Perspektive durchgesetzt werden.

Siehe auch:
Hiobsbotschaften aus der Automobilindustrie
(5. Dezember 2008)
Opel vor Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen - Standort Bochum droht das Aus
( 29. November 2008)
Betriebsräte und IG Metall bieten Lohnsenkung und Kurzarbeit an
( 21. November 2008)
Die Debatte über die Opel-Bürgschaft
( 22. November 2008)
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