G-8-Gipfel von Finanzkrise beherrscht

Die Einberufung des diesjährigen G-8-Gipfels der führenden Industrienationen in die italienische Stadt L’Aquila ist von düsterer Symbolkraft: Im April war die kleine Stadt in den Abruzzen von einem starken Erdbeben erschüttert worden, das ihr mittelalterliches Stadtzentrum in Trümmer legte und mehr als 300 Menschen das Leben kostete.

Die Entscheidung des rechten italienischen Premierministers Silvio Berlusconi, den Gipfel von dem geplanten Ort auf Sardinien in eine Kaserne der Finanzpolizei am Rande des zerstörten L’Aquila zu verlegen, war ein zynisches Manöver des Medienmoguls, um die Aufmerksamkeit von der sozialen Krise des Landes abzulenken. Trotzdem ist die Umgebung in vieler Hinsicht durchaus passend.

Auch der Club der G-8-Länder liegt 25 Jahre nach seiner Gründung in Trümmern. Die internationale Finanzkrise hat gezeigt, dass die G-8-Länder völlig unfähig sind, auf die größte Krise des kapitalistischen Systems seit der 1930er Jahren eine gemeinsame Antwort zu geben. Im Gegenteil, die nationalen Gegensätze und regionalen Spannungen zwischen den wichtigsten G-8-Playern nehmen immer mehr zu.

Ursprünglich wurde die Gruppe auf Initiative Deutschlands und Frankreichs gegründet, um nach der verheerenden Ölkrise von 1973 einen abgestimmten Finanzrahmen zu schaffen. Zu der Gruppe gehören heute Kanada, Frankreich, Deutschland, die Vereinigten Staaten, Italien, Japan, Russland und Großbritannien. Ein zusätzlichen Sitz bei den jährlichen Gipfeltreffen nimmt die Europäische Union ein, die aber nicht Gastgeber sein und nicht den Vorsitz führen kann.

Jahrzehntelang war die wirtschaftliche, militärische und politische Vormachtstellung der USA die Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit der G-8-Gruppe. Heute enthüllt die Finanzkrise das wirkliche Ausmaß der wirtschaftlichen und sozialen Krise der USA und bringt die internationalen Strukturen in Bewegung. Der gesamte Rahmen der Nachkriegsbeziehungen bricht auseinander, und führende Politiker der G-8-Mitgliedsstaaten gestehen jetzt offen ein, dass die Gruppe für den gegenwärtigen Stand der internationalen Beziehungen nicht mehr repräsentativ ist und sich überlebt hat.

In der G-8-Gruppe fehlen einige der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften, in erster Linie China, das inzwischen die viertstärkste Wirtschaft der Welt aufweist, sowie Indien und Brasilien, die beide eine vergleichbare wirtschaftliche Stärke wie das G-8-Mitglied Russland haben.

Die italienische Regierung hat versucht, dieses Ungleichgewicht in der Zusammensetzung der G-8 durch die Einladung weiterer vierzig Länder und internationaler Organisationen zu kompensieren. Zum ersten Mal plant die G-8 eine gemeinsame Erklärung mit der G-5-Gruppe aufstrebender Länder. Zu dieser Gruppe gehören China, Indien, Mexiko, Brasilien und Südafrika, plus Ägypten.

Die von der italienischen Regierung festgelegte hektische Tagesordnung kann die Tatsache nicht verschleiern, dass die G-8-Gruppe unfähig ist, bindende Vereinbarungen zu beschließen oder Maßnahmen zu ergreifen, die den sozialen und politischen Folgen der Finanzkrise gerecht würden.

Erfahrene politische Kommentatoren versuchen schon, die Erwartungen an den Gipfel herunterzuschrauben. Milena Elsinger zufolge, einer Analystin des deutschen Rats für Auswärtige Beziehungen (DGAP), wird der Gipfel höchstens "vage Absichtserklärungen" hervorbringen.

Eine Woche vor dem Gipfel hatte Kanzlerin Angela Merkel vor dem Bundestag offen eingeräumt, dass das Forum nicht mehr in der Lage sei, den Herausforderungen gerecht zu werden. "Das Format reicht nicht mehr aus, die Probleme der Welt sind von den Industrieländern allein nicht mehr zu lösen." Die G-8-Treffen sollen demnach zu Vorbesprechungen degradiert und "die globalen Entscheidungen in einem größeren Rahmen getroffen werden".

Merkel und andere führende europäische Politiker sind entschlossen, einen neuen wirtschaftlichen und ökonomischen Rahmen zu schaffen, der das spezifische Gewicht der führenden europäischen Länder bei der Lenkung der Weltgeschicke erhöht. Dies soll besonders auf Kosten der immer noch führenden Rolle Amerikas gehen. Dazu sind stärkere Beziehungen zu Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien von großer Bedeutung. So hatte der französische Präsident Nicolas Sarkozy vor seinem Aufbruch nach L’Aquila noch den brasilianischen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva empfangen.

Viel steht auf dem Spiel. Trotz aller Versuche Berlusconis und anderer G-8-Führer, Optimismus über die Krise zu verbreiten und die Bedeutung von "grünem" Wachstum zu betonen, wird der Gipfel von der tiefen Finanzkrise überschattet.

Am Vorabend des Gipfels hatte der britische Premierminister Gordon Brown erklärt, eine zweite Welle der Finanzkrise stehe unmittelbar bevor. Der Chef der Welthandelsorganisation (WTO), Pascal Lamy, warnte: "Das dicke Ende der Krise im sozialen Bereich steht noch bevor, und das bedeutet, dass auch politisch das dicke Ende erst noch kommt."

Hinter den Kulissen des G-8-Treffens gibt es ein wildes Gerangel um die Bildung neuer politischer Achsen und Allianzen. Viele Staaten sind besonders daran interessiert, ihre Handelsbeziehungen mit der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaft der Welt, d.h. mit China, auszubauen. Die Teilnahme Chinas wurde für den Erfolg des Gipfels als entscheidend angesehen.

Lamys Warnung wurde gleich am ersten Tag des Gipfels bestätigt, als der chinesische Präsident Hu Jintao sich gezwungen sah, wegen der sozialen Unruhen und der ethnischen Kämpfe in der Provinz Xinjiang in seine Heimat zurückzukehren.

Nationale und Regionale Gegensätze

Die auf dem G-8-Gipfel vertretenen führenden Länder mögen sehr daran interessiert sein, neue politische Bündnisse zu schmieden. In der Praxis frönen sie aber in der aktuellen Wirtschaftskrise zunehmend dem nationalen Egoismus und Eigeninteresse. Das wurde schon in den Diskussionen am ersten Tag des Gipfels am Mittwoch klar, als es hauptsächlich um Umweltfragen und um den Klimawandel ging.

Als sich vor dem Gipfel führende Diplomaten zum erweiterten 16-Länder-Forum wichtiger Wirtschaftsmächte trafen, verzichteten sie schon darauf, in ihrem Entwurf des Gipfelkommuniqués das Ziel zu erwähnen, den Ausstoß des Treibhausgases CO2 bis 2050 zu halbieren. China und Indien erhoben Einspruch gegen das Ziel, weil der weltweit größte CO2-Verschmutzer, die Vereinigten Staaten, zu wenig Fortschritt mache.

Das jüngste Klima- und Energiespargesetz, das der amerikanische Kongress verabschiedet hat, sieht bis 2050 keine wesentliche Senkung der CO2 Emissionen vor. Darüber hinaus beinhaltet das Gesetz protektionistische Begünstigungen für amerikanischen Handel und Industrie.

Das amerikanische Umweltgesetz macht die Obama-Regierung in Klimafragen zur sprichwörtlichen "lahmen Ente". Das Kommuniqué vom Mittwoch machte keine konkreten Vorschläge und bestätigte lediglich die völlige Unfähigkeit der G-8-Staaten, zu einer tragfähigen Übereinkunft zur Senkung von Treibhausgasemissionen zu kommen.

Auch die Finanzkrise stand schon am Mittwoch auf der Tagesordnung. Diese Frage wird die weitere Diskussion zweifellos beherrschen. Die Maßnahmen der führenden G-8-Länder gegen die Krise gingen in den vergangenen Monaten in ganz unterschiedliche Richtungen, und die Differenzen nehmen eher noch zu. Eine europäische Achse mit dem Zentrum Deutschland und Frankreich fordert eine "Exit-Strategie" aus der Krise und effektive Maßnahmen zur Regulierung der spekulativen Praktiken der großen Banken.

Den Gegenpol zu dieser Haltung bilden die Finanzwirtschaft und die Regierungen der USA und Großbritanniens. Sie sind für weitere Banken-Rettungsprogramme und lehnen wirkungsvolle Kontrollen der Investmentstrategien der Banken ab.

Die Differenzen zwischen den beiden Lagern brachen im Juni auf dem Treffen der G-8-Finanzminister auf, das den gegenwärtigen Gipfel vorbereiten sollte. Damals forderte der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück ein schnelles Ende der außer Kontrolle geratenden Verschuldung und betonte die Gefahr einer Inflation. Er erklärte, weitere Konjunkturprogramme seien "weder notwendig noch wünschenswert". Er wurde von der französischen und der italienischen Delegation unterstützt.

US-Finanzminister Timothy Geithner stellte sich Steinbrück entgegen. Er wurde von IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn unterstützt, der erklärte, dass Regierungen bereit sein müssten, zusätzliche Stützungsprogramme für Banken und für die Industrie aufzulegen. Auch der britische Premierminister Gordon Brown unterstützte die Position von Geithner und Strauss-Kahn.

Seit dem Treffen im Juni haben sich die Differenzen noch verschärft. Nur wenige Tage vor dem Gipfel in L’Aquila beschuldigte Steinbrück Premierminister Brown, bei Gesprächen über die geplanten europäischen Regulierungsbehörden, einfach nur die Position der Lobby der Londoner Finanzwirtschaft zu vertreten. Browns jüngste Erklärung, in der er vor der zweiten Welle der Krise warnt, ist die Antwort seiner Regierung auf die deutsche Regierung. Sie ist auch ein Wink an die britischen Banken, dass London bereit sei, weiteres Geld für die Rettung des notleidenden britischen Finanzsystems locker zu machen.

Am Donnerstag und Freitag wird es nochmals mehr im Detail um die Reaktion auf die Wirtschaftskrise gehen, aber nach allem, was man sehen kann, werden sich die Spannungen zwischen der amerikanisch-britischen Achse und führenden europäischen Ländern eher verschärfen. Der Antagonismus zwischen diesen beiden Lagern und der wachsende Protektionismus seitens der USA, Chinas und anderer führender Staaten läuten auch der Doha-Runde die Todesglocke. Die Doha-Runde der WTO sollte weltweit Handelsbarrieren abbauen, und eigentlich hatten sich die G-8-Führer vorgenommen, diese Gespräche auf dem diesjährigen Gipfel abzuschließen.

So umstrittene Themen wie der US-Krieg in Afghanistan und die Beziehungen zu Iran wurden am ersten Tag noch gar nicht angesprochen. Dennoch spiegelt der diesjährige G-8-Gipfel schon jetzt die tiefen politischen Gegensätze und Rivalitäten wider, die sich zwischen den Großmächten auftun.

Siehe auch:
Scharfe Konflikte auf dem G8-Finanzministertreffen
(16. Juni 2009)
Vor dem G-20-Gipfel: Spannungen zwischen USA und Europa verschärfen sich
( 3. April 2009)
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