Israel weitet seine Siedlungen aus

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu weigert sich, der Forderung des amerikanischen Präsidenten Barack Obama nachzukommen und die expansive Siedlungspolitik und den Bau neuer Siedlungen im Westjordanland einzustellen.

Die US-Außenministerin Hilary Clinton bekräftigte Obamas Forderung: Es dürfe "keine Siedlungen, keine Außenposten und auch keine Ausnahmen bei natürlichem Wachstum" geben.

Die Obama-Regierung will durch ihre öffentlich geäußerte Ablehnung israelischer Siedlungsexpansion dem US-Imperialismus ein akzeptableres Image verschaffen. Den arabischen Bündnispartnern soll besonders nach dem Irakkrieg erleichtert werden, ihr Gesicht zu wahren. Washington, das sich in die Pose eines Maklers für die Palästinenser wirft, wäre unglaubwürdig, würde es den anhaltenden Bau von Siedlungen widerspruchslos hinnehmen. Denn diese Siedlungen zersplittern das Westjordanland und verhindern jede Chance, ein einheitliches palästinensisches Gebiet zu schaffen.

Das amerikanische Engagement für Israel soll jedoch weiterhin ein "unverbrüchliches Band" bleiben, wie Obama bei seiner Rede am 4. Juni in der Kairoer Universität beteuerte. Infolgedessen fehlt seinen Ausführungen jede Substanz. Wie alle amerikanischen Vorgängerregierungen wird Obama die Ausdehnung israelischer Siedlungen öffentlich verurteilen, hintenherum jedoch billigen.

Netanjahu hat klargestellt, dass er die Ausdehnung bestehender Siedlungen in keiner Weise einschränken wird. Mit Nachdruck wollen er und sein rechtes Kabinett Pläne zur Ausdehnung der Siedlungen durch "natürliches Wachstum" durchsetzen. "Wir wollen keine neuen Siedlungen, aber es macht keinen Sinn, das natürliche Wachstum zu behindern", sagte er.

Zu Ost-Jerusalem, das 1967 von Israel annektiert wurde, meinte Netanjahu: "Es handelt sich nicht um eine Siedlung, und wir werden dort weiterbauen."

Zwar erklärte sich Netanjahu formal einverstanden, keine neuen Siedlungen mehr zu bauen, dennoch wurde mit dem Bau Maskiots, einer neuen Siedlung am Jordan, in der Nähe der Grenze zu Palästina, begonnen.

Außerdem haben die israelischen Behörden Land in Qatayen, im Jenin-Distrikt, konfisziert, und die Bewohner befürchten, dass dort neue Siedlungen gebaut werden. Einer der Landbesitzer erzählte Al-Ayam, einer Bahrainer Tageszeitung: "Die Offiziere befahlen den Besitzern, alles Nötige von den Grundstücken wegzuschaffen, weil die [israelische] Armee sie 45 Tage später übernehmen werde. Ich habe 60 Dunamen, die unter die Beschlagnahmung fallen. Und mein gesamtes Land ist mit Olivenbäumen bepflanzt. Sie sind eine meiner wichtigsten Einnahmequellen. Wir alle haben Eigentumsbriefe. Wir haben Qadora Faris, den Distriktsgouverneur, benachrichtig. Er ist der palästinensische Vertreter im Bezirks-Koordinationsbüro."

Siedler aus Karmel in der Nähe der palästinensischen Stadt Jatta im Hebron-Bezirk haben vor kurzem den Bau einer neuen Straße in den Osten und Westen einer Siedlungsanlage abgeschlossen. Die Straße ist drei Kilometer lang. Zwanzig palästinensische Dunamen waren für die Straße konfisziert worden. Dies verdeutlicht einen kritischen Punkt. Obwohl die Besiedlung weniger als drei Prozent des Westjordanlandes ausmacht, nehmen Straßen und Pufferzonen mehr als vierzig Prozent dieses Gebietes ein. Das extensive, für die Nutzung der Siedler reservierte Straßennetz und die Sicherheitspuffer beidseitig der Fahrbahn, die fünfzig bis siebzig Meter breit sind, versperren den Palästinensern den Zugang zu ihrem Landbesitz. Im August 2008 betrug die Länge der Zufahrtsstraßen 794 Kilometer.

Netanjahu hat zugesagt, in den nächsten Wochen 22 der etwa hundert Außenposten der Siedler im Westjordanland abzureißen, die vom Innenministerium nicht genehmigt sind. 2002 versprach Israel, als Beitrag zur amerikanisch geförderten Road-Map für eine Zwei-Staaten-Lösung alle Außenposten abzureißen, die nach dem März 2001 gebaut worden waren. Der Plan war an die Bedingung geknüpft, dass die Palästinenser das amerikanisch-israelische Diktat vollständig erfüllen müssten, bevor asymmetrische Verhandlungen auch nur beginnen sollten. Doch mit voller Zustimmung der Großmächte verwarf der israelische Premierminister Ariel Sharon die Road-Map und ihre geringfügigen Auflagen für einen einseitigen Rückzug. Diese Politik wurde nach dem katastrophalen Krieg gegen den Libanon 2006 ganz eingestellt.

In den letzten zehn Tagen hat Israel drei Außenposten im Westjordanland abgebaut. Dies hat eine aggressive Reaktion der Ultranationalisten ausgelöst, die ihre Rückkehr zu den Grundstücken und den Wiederaufbau der Siedlungen androhen, wie früher schon geschehen. Es kam zu Zusammenstößen zwischen Siedlern und israelischen Soldaten und Polizisten. Eine Gruppe blockierte die Hauptzufahrt nach Jerusalem. Bei Shiloh und Nachliel flogen zwei neue Außenposten in die Luft. Im nördlichen Westjordanland griffen Siedler palästinensische Bauern an und stießen mit Sicherheitskräften zusammen.

Seit Jahren greifen Siedler Palästinenser an. Palästinenser werden getötet, ihre Ernten beschädigt und ihre Olivenanlagen vernichtet. Die israelischen Behörden verschließen selbst vor den krassesten Verbrechen die Augen. Viele Gewalttaten werden nicht verfolgt oder kommen nicht zur Anklage. Die Menschenrechtsgruppe Jesh Din stellte fest, dass 2005 neunzig Prozent der Verfahren wegen Gewalttätigkeiten und anderen an Palästinensern verübten Delikten ohne Anklage abgeschlossen wurden. In den seltenen Fällen von Anklageerhebung und Verurteilung von Siedlern fallen die Strafen äußerst milde aus.

Dies steht in krassem Gegensatz zur Behandlung der Palästinenser, die unter dem Generalverdacht stehen, Israelis anzugreifen. Die Behörden nutzen hier alle Mittel wie abendliche Ausgehsperren, gründliche Durchsuchungen und Verhaftungen, Höchststrafen bei Verurteilung, Festnahmen ohne Gerichtsbeschluss, Folter, Wohnraumzerstörung und Vertreibung.

Während die Palästinenser im besetzten Westjordanland der Militärjustiz unterliegen, gilt für die Siedler israelisches Recht. Dadurch genießen sie bei einer Anklage viel umfassendere Rechte als palästinensische Angeklagte. Die unterschiedlichen Rechtssysteme für die beiden Bevölkerungsgruppen in den besetzten Gebieten verletzen das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz, wie auch das Territorialprinzip, nach dem bei Menschen, die auf demselben Gebiet leben, auch dasselbe Rechtssystem zu gelten hat.

Wie der Armeesender berichtete, haben ultrarechte Siedler den führenden General wegen des Armeeeinsatzes im Westjordanland mit dem Tod bedroht. In einem Brief an den Chef des Zentralen Kommandos der israelischen Streitkräfte, Gadi Shamni, heißt es: "Sie sind von Antisemitismus und Hass auf echte Juden vergiftet. Die Araber, diese Söhne Satans, werden von Ihnen hochgehalten, und wer sie auch immer unterstützt, ist selbst ein Satan und ein Sohn Satans, und das sind Sie. Wir wissen, wie wir an Sie rankommen." In dem Brief wurde auch die Familie des Generals bedroht.

Mit dem Bau von Siedlungen im Westjordanland, in Jerusalem, im Gazastreifen, in Ägypten und in Syrien verletzt Israel seit vierzig Jahren internationales Recht, das die Annexion und Bebauung von erobertem Land verbietet. Die Siedlungen in Ägypten und in Gaza wurden 1981, beziehungsweise 2005 wieder abgerissen. Israel legte die Stadtgrenzen von Jerusalem so fest, dass riesige Gebiete des Westjordanlandes, die teils bis zum Jordanfluss reichen, eingemeindet wurden.

Laut dem israelischen Zentralen Statistikamt wohnten bis Ende 2008 etwa 285.000 Israelis in 121 Siedlungen im Westjordangebiet. In den zwölf Siedlungen in Ostjerusalem wohnten 193.000 Israelis. Das sind zusammen fast eine halbe Million, und das ist wahrscheinlich noch eine Unterschätzung, da die Zahlen des Statistikamts ständig veraltet sind. Zusätzlich zu diesen, vom Innenministerium als "Gemeinden" bezeichneten Siedlungen gibt es etwa hundert nicht offizielle Siedlungen, die als Außenposten bezeichnet werden.

Die Anzahl der Siedler hat sich seit der Unterzeichnung des Osloer Abkommens 1993, das zu einem Palästinenserstaat im Westjordanland und Gaza führen sollte, bis zum Jahr 2000 verdoppelt. In dieser Zeit war die stärkste Expansion seit 1967. Nach der Road Map 2002 wurde ununterbrochen weiter gebaut.

Die Siedlerpopulation nimmt seit zwei Jahrzehnten pro Jahr konstant zwischen vier und sechs Prozent zu, während die Wachstumsrate in ganz Israel bei nur 1,5 Prozent liegt. Es handelt sich also nicht um "natürliches Wachstum". Die Siedler haben keine höhere Geburtenraten als die in Israel lebenden Israelis. Wie statistische Daten zeigen, stehen Tausende neuer Häuser leer. Es würden noch viel mehr leer bleiben, gäbe es nicht die vielfältigen finanziellen und sozialen Anreize, die Israelis und neue Einwanderer ermutigen, in die Siedlungen zu ziehen. Diese Neuankömmlinge machen etwa vierzig Prozent der Zunahme der Siedlerbevölkerung aus.

Seit der Annexion Ostjerusalems 1967 bemühte sich Israel, die jüdisch-israelische Bevölkerung der Stadt zu vergrößern und die Anzahl der dort lebenden Palästinenser zu verkleinern, in der Absicht, jedes Infragestellen der israelischen Dominanz über die Stadt auszuschließen. Ende 2005 betrug die Einwohnerzahl Jerusalems 723.700, davon waren zwei Drittel israelische Juden und ein Drittel Palästinenser. Beinahe sechzig Prozent der Bevölkerung leben auf dem 1967 annektierten Land. Von ihnen sind fast die Hälfte Juden. Das ist ein deutlicher Hinweis auf das Ausmaß des Siedlungsbaus in Jerusalem.

Um die jüdische Majorität trotz höherer Geburtenrate der Palästinenser sicherzustellen, hat Israel - Ostjerusalem durch den Mauerbau vom übrigen Westjordanland isoliert;

- den Palästinensern Bau- und Entwicklungsgenehmigungen verweigert, hunderte ihrer Häuser zerstört und sie so zum Wohnen außerhalb Jerusalems gezwungen, obwohl sie israelische Ausweise haben und von städtischen Versorgungsleistungen abhängig sind;

- die Aufenthaltgenehmigung abwesender Palästinenser aufgehoben, wie auch derjenigen Personen, die ihren Lebensmittelpunkt in Jerusalem nicht nachweisen konnten;

- Palästinensischen Gemeinden weniger Haushaltsmittel zukommen lassen, um ihre sozialen und anderen Versorgungseinrichtungen auszutrocknen;

- und die jüdische Besiedlung Ostjerusalems derart ausgeweitet, dass palästinensische Gemeinden eingekreist und ihre Ausdehnung eingeschränkt wurden.

Dies alles ist allgemein bekannt. Es wurde von amerikanischen Strategen, zum Beispiel von Anthony Cordesman vom CIA nahen Zentrum für Strategische und Internationale Studien in Washington, ausführlich dokumentiert. Finanziert wurde das Ganze durch eine US-Finanzspritze an Israel über drei Milliarden Dollar, das sind 500 Dollar für jeden Israeli. Dazu schweigt Obama.

Siehe auch:
Krise in Israel verschärft sich
(20. März 2009)
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