Verschärfte Handelsspannungen zwischen den USA und China

US-Präsident Barack Obama riskierte letzte Woche Freitag einen großen Handelskonflikt. Er verhängte für die nächsten drei Jahre einen 35-prozentigen Zoll auf Reifenimporte aus China. Die drastische Maßnahme der USA und die schnelle Reaktion Chinas mit Anti-Dumping-Untersuchungen gegen US-Auto- und -Geflügel-Importe, hat die Wirtschaftskommentatoren schockiert und die Furcht vor einem umfassenden Handelskrieg ausgelöst. Am Montag hat China die USA wegen ihrer Autoteile- und Geflügel-Importe formell vor der Welthandelsorganisation angeklagt.

Obwohl der Umfang des Handels, der von dieser Auseinandersetzung betroffen ist, relativ klein ist, hat der Streit zwischen den USA und China dennoch das Potential, ähnlich wie in der Großen Depression in den 1930ern, außer Kontrolle zu geraten. Denn trotz allem Gerede über den Kampf gegen Protektionismus kommen die größte und die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt in der nächsten Woche in Handelsfragen völlig zerstritten zum G-20-Gipfel nach Pittsburgh.

Der Streit in Handelsfragen zwischen den USA und China ist nur der dramatischste Ausdruck eines wachsenden globalen Trends hin zu Protektionismus. Sowohl die WTO als auch der Global Trade Alert (GTA) veröffentlichten am Montag Berichte, die davor warnen, dass die G-20-Mächte trotz ihrer gegenteiligen Verpflichtungen vom letzten November in Washington und erneut im April in London protektionistische Maßnahmen einführen. GTA-Koordinator Simon Evenett erklärte gegenüber der Financial Times: "Im Durchschnitt hat alle drei Tage ein G-20-Mitglied die Verpflichtung gebrochen, keine protektionistischen Maßnahmen zu ergreifen."

Der Handelsstreit zwischen den USA und China hat bereits die Aktien- und Wertpapiermärkte verschreckt. Befürchtet wird, dass China sich revanchieren könnte und seine riesige Mengen an US-Wertpapieren und Dollarguthaben verkauft, oder weitere Käufe einstellt. Londons FTSE-Index sank am Dienstag unter 5000 und der japanische Nikkei verlor mehr als zwei Prozent. Der Dow Jones an der Wall Street fiel genauso wie amerikanische Rentenpapiere.

Beim Strategischen und Ökonomischen Dialog zwischen den USA und China im Juli haben hohe Beamte beider Länder viel darüber gesprochen, welche Bedeutung ihre gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit hat. China ist in hohem Maße abhängig von den USA als Exportmarkt, während Washington Peking braucht, um dessen Exporteinkünfte zu recyceln und damit die massiven amerikanischen Schulden zu finanzieren, die mit einem prognostizierten Haushaltsdefizit von 1,56 Billionen Dollar in diesem Jahr weiter steigen werden.

Jetzt hat sich der Wind gedreht. Angetrieben von der Gewerkschaftsbürokratie unter der Führung der United Steelworkers hat sich Präsident Obama für die Waffe des Protektionismus entschieden, um die allgemeine Unzufriedenheit über wachsende Arbeitslosigkeit und den sinkenden Lebensstandard in den USA abzulenken. In einem Kommentar gegenüber Bloomberg.com erklärte Obama: "Es wird keinen Handelskrieg geben." Aber das ist genau die Richtung, in die seine Entscheidung führt.

Der US-Handelsbevollmächtigte Ron Kirk rechtfertigte die Entscheidung, indem er auf die Erkenntnisse der US International Trade Commission verwies, dass ein "Anschwellen" von chinesischen Reifenimporten die amerikanische Reifenindustrie erschüttere und 5.000 Arbeitsplätze vernichtet habe. Die Obama-Regierung lehnte die Empfehlung der ITC ab, einen 55-prozentigen Zoll zu erheben und verhängte stattdessen einen Zoll von 35 Prozent, der im zweiten Jahr auf 30 Prozent reduziert wird und auf 25 im dritten.

Die US-Regierung hält an dem Märchen fest, dass ihre Entscheidung nicht protektionistisch sei, sondern nur eine Wahrnehmung ihrer Rechte. Chinas Reifenexporte in die USA sind von 14,6 Millionen Stück im Jahr 2004 auf 46 Millionen im Jahr 2008 gestiegen; das sind ca. 17 Prozent des amerikanischen Markts. Als China 2001 in die WTO aufgenommen wurde, behielten sich die USA das Recht vor, für den Fall eines "plötzlichen Anschwellens" der chinesischen Importe Zölle zu verhängen. Dies wurde in Paragraph 421 des US-Handels-Gesetzes verankert und läuft im Jahr 2013 aus.

Die amerikanischen Gewerkschaften haben jedoch keine Bedenken, die chinesischen Exporte als willkommenen Sündenbock zu benutzen, um die Aufmerksamkeit von der Zerstörung der Arbeitsplätze, der Lebensbedingungen und des Lebensstandards abzulenken, die sie mit durchgesetzt haben. Leo Gerard, der Vorsitzende der United Steelworkers erklärte gegenüber der Washington Post in der Sprache des Handelskriegs, die USA sollten sich nicht vor Vergeltungsmaßnahmen der Chinesen fürchten: "Alle haben Angst davor, unseren Banker zu rüffeln. Wenn die Regierung den Mut hätte zurückzuschlagen, dann würde [China] der Verlierer sein."

Die reaktionären nationalistischen Aufrufe der Gewerkschaften, "amerikanische Arbeitsplätze zu verteidigen", sind dem Schicksal der chinesischen Arbeiter gegenüber völlig gleichgültig. Sie dienen nur dazu, die amerikanische Arbeiterklasse der Demokratischen Partei unterzuordnen und jede Einheit mit der chinesischen Arbeiterklasse zu verhindern. Laut dem chinesischen Branchenverband der Gummi-Industrie, werden Washingtons Reifenzölle bis zu 100.0000 chinesischen Reifenarbeitern den Arbeitsplatz kosten.

In vielen Fällen werden die chinesischen und die amerikanischen Arbeiter von denselben Konzernen ausgebeutet. Der Sprecher des chinesischen Handelsministeriums Yao Jian wies darauf hin, dass zwei Drittel der chinesischen Reifen-Exporte in die USA von vier amerikanischen Konzernen getätigt werden, die in China produzieren. Mehrere Fachleute haben aufgezeigt, dass die US-Zölle unter den Bedingungen der globalisierten Produktion nur zur Folge haben, dass die Reifenproduktion von China in andere Billiglohnländer wie Südkorea, Polen oder Mexiko verlagert wird.

Als die US-Wirtschaft noch Wachstum verzeichnete, ignorierte die Bush-Regierung weitgehend die Forderungen der Gewerkschaften und der weniger konkurrenzfähigen US-Produzenten nach protektionistischen Maßnahmen. Bush lehnte vier von sechs Empfehlungen der US International Trade Commission ab, Maßnahmen gegen China zu ergreifen.

Angesichts der andauernden globalen Wirtschaftsturbulenzen tun die herrschenden Eliten in den USA und China jetzt jedoch alles, ihre Interessen auf Kosten ihrer Rivalen zu schützen. Beide Länder haben gewaltige finanzielle Rettungspakete zur Anregung der Wirtschaft in Gang gesetzt, die vor allem darauf abzielen, ihre eigenen Finanz- und Produktionszweige zu schützen.

Die Financial Times stellt fest: "Da die USA China oft der illegalen staatlichen Unterstützung für seine Exporteure beschuldigt, könnte Peking jetzt propagandistisch punkten, wenn es mit einer Gegenanklage durchkommt, speziell angesichts der enormen finanziellen Rettungspakete für die Automobilindustrie." Dass Peking die US-Autoteile-Industrie ins Visier nimmt, ist kein Zufall, und könnte sich für die US-Konzerne sehr negativ auswirken. China ist dabei, mit dem Verkauf von zwölf Millionen verkauften Wagen in diesem Jahr, die USA als größten Automobilmarkt zu überholen; in den USA werden vermutlich zehn Millionen Autos verkauft.

Dass Peking die US-Geflügelhersteller herausgegriffen hat, ist ebenfalls sorgfältig überlegt. Die amerikanischen Exporteure haben schon lange auf einen breiteren Zugang zum chinesischen Markt gedrängt, der schon jetzt ein Fünftel des US-Geflügel-Exports aufnimmt. Peking versucht, seine eigene aufstrebende Agrarwirtschaft und Millionen von kleinen Bauern zu schützen. China ist mittlerweile der weltweit drittgrößte Geflügelexporteur nach Brasilien und den USA. Es wurde jedoch unter dem Vorwand von zu niedrigen Normen bei der Lebensmittelsicherheit mit einem Exportverbot in die USA belegt.

Auch das chinesische Regime ermutigt bewusst virulente nationalistische Stimmungen, speziell unter bestimmten Schichten der neu entstehenden Mittelklasse, um die Aufmerksamkeit von der sich vertiefenden Klassenspaltung zwischen Reich und Arm abzulenken. Die jüngsten US-Zölle haben einen Schwall von anti-amerikanischen Kommentaren und Forderungen nach schärferen Vergeltungsmaßnahmen ausgelöst. Die New York Times zitiert einen Internet-Beitrag von einer "Gruppe Zorniger Jugendlicher", der lautet: "Warum hat unsere Regierung so viele Schuldverschreibungen der US-Regierung aufgekauft? Wir sollten diese US-Kapitalanlagen wieder loswerden."

Das nationalistische Gezeter auf beiden Seiten des Pazifiks hat seine eigene Logik. In einem Kommentar von gestern fragt das Wall Street Journal : "Was bedeutet das für die Weltwirtschaft, wenn Amerika jetzt den ersten protektionistischen Präsidenten seit Herbert Hoover hat?" Die Zeitung erinnert daran, dass das Smoot-Hawley-Gesetz vom Juni 1930 zu einem offenen Handelskrieg und einem katastrophalen Zusammenbruch des Welthandels führte. "Obama mag nicht die Absicht hegen, einen Handelskrieg loszutreten, aber auch Hoover hatte sich das nicht vorgenommen. Sein politischer Verzicht machte ihn jedoch möglich und wenn Gefühle im Handel erst einmal entfesselt sind, kann man sie nicht mehr kontrollieren", warnt die Zeitung.

Siehe auch:
US-chinesische Gespräche zeigen eine fragile Beziehung
(7. August 2009)
Handelsspannungen zwischen den USA und China beginnen zu eskalieren
( 10. Februar 2009)
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