Deutschland führt Krieg

Am Ostersonntag bezeichnete Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr als Krieg. Als gelernter Jurist fügte er zwar einschränkend hinzu, dies sei umgangssprachlich und nicht im Sinne des Völkerrechts gemeint. Dennoch ist Guttenbergs Aussage ein bemerkenswertes Eingeständnis.

Seit mehr als acht Jahren gaukelt die Bundesregierung der Öffentlichkeit vor, die Bundeswehr leiste in Afghanistan militärische Unterstützung für humanitäre Hilfe und wirtschaftlichen Wiederaufbau. Auch das Parlament hat dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan unter dieser Voraussetzung zugestimmt. Obwohl der Krieg seit Jahren eskaliert, Tausende afghanische Zivilisten und mittlerweile auch 39 Bundeswehrsoldaten getötet wurden und die Zahl der ausländischen Besatzungssoldaten auf 130.000 gestiegen ist, hat die Bundesregierung bis zum vergangenen Wochenende an der Fiktion einer Aufbaumission festgehalten.

Nun lässt sich diese Lüge nicht mehr aufrecht erhalten. Der letzte Ausschlag dürften der Tod von drei Bundeswehrsoldaten und die Verletzungen von weiteren acht Soldaten am Karfreitag gegeben haben, die im Distrikt Char Darah nahe des deutschen Feldlagers Kundus in stundenlange Kämpfe mit Aufständischen verwickelt worden waren. Doch Guttenbergs Eingeständnis wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet.

Die erste Frage lautet: Mit welchem Recht führt Deutschland in Afghanistan Krieg?

Dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf, galt bei der Gründung der Bundesrepublik als gesellschaftlicher Grundkonsens und als Richtlinie des Grundgesetzes. Im Verlauf der letzten sechs Jahrzehnte sind immer wieder Millionen auf die Straße gegangen, um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen. Artikel 26 des Grundgesetzes stellt "Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören", unmissverständlich unter Strafe.

Der Bundestag hat nie einem Kriegseinsatz in Afghanistan zugestimmt. In keinem Bundestagsbeschluss, der den Bundeswehreinsatz in Afghanistan absegnete, ist von Krieg die Rede. Wenn die Bundeswehr dort Krieg führt, dann wurde die Zustimmung des Parlaments unter falschen Angaben erzielt und muss als null und nichtig betrachtet werden. Der Einsatz ist illegal und muss sofort beendet werden.

Die Süddeutsche Zeitung kommentierte dies am Dienstag mit den Worten: "Wenn der Einsatz in Afghanistan nicht mehr das ist, als was er fast ein Jahrzehnt lang von der Politik beschrieben wurde, entfällt für den Einsatz einer Parlamentsarmee gewissermaßen die Geschäftsgrundlage. Wenn ein Immobilienmakler ein Haus mit dem Etikett renovierungsbedürftig verkauft, das sich später umgangssprachlich als einsturzgefährdet erweist, trifft er sich mit dem Käufer vor Gericht."

Die zweite Frage lautet: Mit welchem Ziel und gegen wen führt Deutschland in Afghanistan Krieg?

Die Behauptung, die Bundeswehr unterstütze in Afghanistan eine legitime Regierung gegen "Terroristen", lässt sich angesichts der Korruption, Rechtlosigkeit und Willkür des Karzai-Regimes nicht aufrecht erhalten. Das Anwachsen des bewaffneten Widerstands, das unbeschreibliche Elend der Zivilbevölkerung - acht Millionen leiden an Hunger und Unterernährung, 75 Prozent haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, die Drogenproduktion erreichte im vergangenen Jahr mit 9.000 Tonnen Rohopium einen neuen Rekord - und die zunehmende Brutalität des militärischen Vorgegens sind typische Begleiterscheinungen eines Kolonialkrieges, wie sie schon den Vietnamkrieg kennzeichneten.

Sogar Hamid Karzai, die 2001 auf dem Petersberg bei Bonn gekürte Marionette der Besatzungsmächte, droht mittlerweile damit, die Seiten zu wechseln und mit den Taliban zusammenzuarbeiten, weil der Widerstand gegen die Besatzung unaufhörlich wächst und er um seine Haut fürchtet.

Die Bundeswehr kämpft in Afghanistan an der Seite der US-Armee, um deutsche geostrategische Interessen in einer Region durchsetzten, die für die Energieversorgung von großer Bedeutung ist, und um die Bündnistreue im Rahmen der Nato zu beweisen. Das ist der wirkliche Inhalt von Guttenbergs Aussage, die Bundeswehr befinde sich im Krieg.

Der Minister ist sich bewusst, dass dies die Popularität des Afghanistaneinsatzes nicht erhöhen wird. Schon bisher lehnten ihn über 70 Prozent der Bevölkerung ab. Diese Zahl wird weiter steigen, je fadenscheiniger die Behauptung wird, der Militäreinsatz verfolge demokratische und humanitäre Ziele. Guttenbergs Aussage ist daher auch eine Kampfansage an die Bevölkerung.

In diesem Zusammenhang müssen die jüngsten Äußerungen seines Ministerkollegen Dirk Niebel (FDP) gesehen werden. Der Entwicklungshilfeminister hielt sich zur Zeit der Gefechte am Karfreitag mit einer Delegation in Kudus auf und sprach den Soldaten auf einer Trauerfeier die Anteilnahme der Bundesregierung aus. Dabei schob er die Verantwortung für die prekäre Situation der Soldaten recht unverblümt der weitverbreiteten Opposition gegen den Afghanistankrieg zu. Er forderte mehr Rückhalt für den Bundeswehreinsatz von der deutschen Bevölkerung.

Die Nervosität der Bundeswehrsoldaten, die nach den schweren Gefechten vom Karfreitag versehentlich mehrere afghanische Sicherheitskräfte erschossen hatten, stehe in direktem Zusammenhang zur fehlenden Unterstützung der Armee in der deutschen Öffentlichkeit, behauptete Niebel. Der Bild am Sonntag sagte er: "Die deutschen Soldaten wünschen sich mehr Verständnis dafür, dass sie sich, manchmal auch präventiv, wehren müssen. Und sie verstehen nicht, wenn sie sich dafür in der deutschen Öffentlichkeit rechtfertigen müssen oder sogar strafrechtlich verfolgt werden."

Diese Art von "Dolchstoßlegende" hat in Deutschland eine lange und unheilvolle Tradition. Schon während des Ersten Weltkriegs saßen Kriegsgegner wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht jahrelang im Gefängnis. In der Weimarer Republik gingen dann Freikorpsmitglieder straffrei gegen Gegner der Militärs vor und wurden dabei von den Gerichten weitgehend gedeckt.

Auch heute ist die Beteiligung am Krieg in Afghanistan mit einem Anwachsen des Militarismus verbunden. Niebel, der acht Jahre bei den Fallschirmjägern der Luftlandebrigade 25 "Schwarzwald" diente und heute Bundeswehr-Hauptmann der Reserve ist, spricht für die Militärs, die mehr Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung einfordern. Das Anwachsen des Militarismus steht in direktem Zusammenhang mit der Verschärfung der Wirtschaftskrise und richtet sich nach innen wie nach außen.

Siehe auch:
Zahlreiche Tote bei Bundeswehreinsatz in Afghanistan
(09. April 2010)
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