Gerüchte über einen neuen Krieg im Nahen und Mittleren Osten

Seit einigen Tagen mehren sich die Hinweise darauf, dass im Nahen Osten erneut ein militärischer Zusammenstoß droht.

Die Londoner Times schrieb am Sonntag, Syrien müsse mit einem israelischen Angriff rechnen, falls schiitische libanesische Milizen Scud-Raketen auf Israel abfeuern sollten. Die Zeitung berief sich auf einen israelischen Minister, der gesagt haben soll: "Wir werden Syrien ins Steinzeitalter zurückbomben und seine Kraftwerke, Häfen, Treibstofflager und jegliche strategische Infrastruktur zerstören, wenn Hisbollah es wagen sollte, uns mit ballistischen Raketen zu beschießen."

Israel beschuldigt Syrien, die Hisbollah mit russischen Scud-Mittelstreckenraketen zu beliefern. Damaskus hat diesen Vorwurf vehement zurückgewiesen. Es beschuldigt Israels fundamentalistische Regierung, sie wolle die Scud-Raketen als Vorwand für ein militärisches Vorgehen nutzen.

Vor dem Artikel in der Times gab es weitere Presseberichte, denen zufolge der jordanische König Abdullah amerikanische Kongressabgeordnete hinter verschlossener Tür gewarnt habe, dass ein Nahostkrieg unmittelbar bevorstehe.

Vielleicht war Abdullah der erste arabische Staatschef, der sich gegenüber Washington so offen geäußert hat; aber schon seit Monaten geht das Gerücht über einen neuen israelischen Krieg um. Israel hat 2006, bei seiner einmonatigen Invasion, praktisch die gesamte Infrastruktur der libanesischen Südhälfte zerstört und mehr als tausend Zivilisten getötet. Es konnte damals aber sein wichtigstes Ziel, die Hisbollah als ernstzunehmenden bewaffneten Gegner auszuschalten, nicht realisieren.

Israels Befürchtungen und seine Bereitschaft zum Krieg werden noch dadurch verstärkt, dass es den USA nicht gelungen ist, den wachsenden Einfluss des Iran in der Region zurückzudrängen. Als Antwort auf die seit Jahrzehnten anhaltenden Versuche der amerikanischen Regierung, die islamische Republik zu unterminieren und zu stürzen, hat Teheran enge Beziehungen zu Syrien geknüpft, und heute unterstützt es Hisbollah und Hamas politisch und materiell.

Als die New York Times ein geheimes Memo von Verteidigungsminister Robert Gates vom Januar enthüllte, reagierten hohe Vertreter der Obama-Regierung und des Pentagon mit der Versicherung, dass Washington ein ganzes Arsenal von Vorgehensweisen gegen den Iran prüfe und auch einen Krieg nicht ausschließe.

Der Times zufolge, beklagte Gates in seinem dreiseitigen Memo, dass die Regierung keinen langfristigen Plan für den Umgang mit dem Iran habe, falls Teheran weiter die Forderungen Washingtons ignoriere. Die Obama-Regierung verlangt vom Iran, dass er darauf verzichte, für sein ziviles Atomprogramm den vollen Brennstoffkreislauf zu nutzen, obwohl dies laut Atomwaffensperrvertrag erlaubt ist.

"Die Tatsache, dass wir unsere gesamte Strategie nicht vor der Welt ausbreiten", erklärte Obamas nationaler Sicherheitsberater, General James Jones, "bedeutet nicht, dass wir keine Strategie haben, die alle Eventualitäten berücksichtigt. Das ist nicht der Fall."

Gates und das Weiße Haus versuchen, die Bedeutung des Memos vom Januar herunterzuspielen. Der Verteidigungsminister behauptet, die Times habe "seinen Zweck und seinen Inhalt verfälscht dargestellt". Sie weisen die Vorstellung von sich, dass die Obama-Regierung über die Iran-Politik gespalten sei.

Gleichwohl bestreitet niemand die Feststellung der Times, dass Gates’ Memo Bestandteil eines "verstärkten Bemühens des Pentagon, des Weißen Hauses und der Geheimdienste war, neue Optionen zu entwickeln", darunter "mehrere militärische Alternativen, falls Diplomatie und Sanktionen den Iran nicht auf Linie zwingen sollten".

Der Bericht in der Times weist darauf hin, dass die Obama-Regierung einen Schlüsselpunkt akzeptiere, den Gates in seinem Memo gemacht hat. Gates forderte nämlich, dass Washington eine rote Linie für ein militärisches Vorgehen ziehen müsse, die noch weit diesseits einer tatsächlichen Atomwaffen-Entwicklung durch Teheran liege. Er zitiert einen "hohen Regierungsvertreter" mit den Worten, dass die USA "dafür sorgen werden, dass der Iran 'keine Atomwaffen fähigkeit erlangt'."

In einer Rede an der Columbia University erklärte Generalstabschef Admiral Mike Mullen, das Pentagon beschäftige sich ständig mit Planungen für einen Schlag gegen den Iran und stehe bereit, wenn der Präsident den Befehl erteile. Aber er warnte, ein "Schlag" könne möglicherweise auch "unbeabsichtigte Folgen haben, die schwierig vorauszusehen sind". Er fügte hinzu: "Wenn es eine einfache Antwort gäbe, hätten wir sie schon längst gegeben."

Mullens Bemerkungen machen das strategische Dilemma des US-Imperialismus deutlich.

Die Washingtoner Regierung betrachtet den Iran als unerträglichen Hemmschuh für ihre strategische Vorherrschaft im Nahen Osten. Er stört ihr Vorhaben, Zugang zu und Kontrolle über das ölreiche Zentralasien zu erlangen und ihre Weltposition dadurch zu stärken, dass sie die globalen Energievertriebswege kontrolliert.

In den vergangenen zehn Jahren hat Washington den Druck auf den Iran ständig erhöht - durch die Invasionen der Nachbarstaaten Irak und Afghanistan, durch Wirtschaftssanktionen und durch die Unterstützung von Oppositionsgruppen, seien es nationalistische Terroristen oder die bürgerliche "grüne" Oppositionsbewegung.

In den letzten Jahren der Bush-Regierung wurde eine scharfe Debatte darüber geführt, ob man den Iran angreifen sollte, oder nicht.

Die Obama-Regierung hat das militärische Eingreifen im Irak fortgesetzt, den "AfPak-Krieg" dramatisch ausgedehnt und in ihrer jüngst aktualisierten Nuklearwaffenstrategie nicht ausgeschlossen, Atomwaffen gegen den Iran einzusetzen, der selbst nicht über Atomwaffen verfügt. Was sie bisher zurückhält, ist die Erkenntnis, dass ein "chirurgischer Schlag" gegen den Iran nicht möglich ist.

Das iranische Regime hat angesichts der Größe des Landes, seiner strategischen Lage und seiner internationalen Verbündeten das Potential, die USA und ihre Stellvertreter-Regimes ernsthaft zu schädigen und die Öllieferungen aus dem Persischen Golf zu stören, was ein vernichtender Schlag gegen die Weltwirtschaft wäre.

In der Öffentlichkeit wird darüber kein Wort gesagt. Aber die Strategen des US-Imperialismus wissen, dass ein Krieg gegen den Iran einen militärisch-politischen Feuersturm auslösen könnte, der die gesamte Region verschlingt, von Afghanistan und dem Irak bis zu Israel und Palästina. Das wäre mindestens seit dem Koreakrieg der größte Konflikt.

Um diese Gefahr auszuschalten, müsste ein amerikanischer "Schlag" von vorneherein den Charakter eines Vernichtungsschlags haben, mit dem Ziel, die Infrastruktur des Iran und sein Potential eines modernen Staats zu vernichten.

Ein solcher Krieg hätte unvermeidlich explosive Auswirkungen auf die Weltpolitik, auf die Beziehungen der USA zu den anderen Großmächten und auf die Klassenbeziehungen in den USA. Besonders Russland und China würden einen solchen Krieg höchstwahrscheinlich als schwere Bedrohung ihrer strategischen Interessen sehen. Denn seine Stoßrichtung wäre die Errichtung der amerikanischen Kontrolle über die wichtigste Ölexportregion der Welt und die Ausdehnung der Macht der USA nach Eurasien.

Genau aus diesem Grund können die USA aber das Ziel nicht aufgeben, ihre Vorherrschaft über den Nahen Osten zu errichten. Wenn dieses Ziel schon in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die Politik des amerikanischen Kapitalismus bestimmte, als seine Position noch unangefochten war, dann umso mehr heute, da seine Weltposition unverkennbar erschüttert ist.

Aus diesem Grund bereiten sich das Weiße Haus und das Pentagon weiter auf alle Szenarien vor, und sie setzen diese Kriegspläne als Druckmittel ein, um die anderen Großmächte zur Unterstützung verschärfter Sanktionen gegen den Iran zu zwingen.

Welche Form er auch annähme, ein neuer Krieg im Nahen und Mittleren Osten hätte katastrophale Folgen für die Völker des Nahen Ostens, für Iraner, Araber und Israelis, und möglicherweise für die ganze Welt.

Siehe auch:
Washington verschärft Kriegsdrohungen gegen den Iran
(3. April 2010)
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