Loveparade: Demonstration vor dem Duisburger Rathaus

„Ich will Gerechtigkeit“

Am Donnerstagnachmittag beteiligten sich etwa 100 Demonstranten an einer Protestaktion vor dem Duisburger Rathaus. Für viele war es die erste Demonstration, an der sie teilnahmen. Auf den Schock der Loveparade-Tragödie mit 21 Toten und über 500 Verletzten folgte das seit drei Wochen anhaltende, abstoßende Verhalten der Behörden, Veranstalter und Sicherheitskräfte, die sich gegenseitig die Verantwortung zuschieben und ihre Unschuld beteuern. Die Empörung darüber bringt immer mehr Menschen auf die Beine.

Der eigentliche Grund, weshalb Kornelia Hendrix aus der Nachbarstadt Oberhausen die Demonstration angemeldet hatte und dabei von ihrem Bekannten Frank Schwung unterstützt wurde, war die Ankündigung der Stadt, einen geplanten gläsernen Gedenk-Kubus am Innenhafen und nicht am Unglücksort aufzustellen. Der Duisburger Innenhafen ist nicht nur kilometerweit weg, sondern steht mit seinen vielen neuen Kneipen und Restaurants vor allem für Nachtleben und Spaß.

Dieser Plan stieß daher in der Bevölkerung auf Unverständnis und Empörung. Am Dienstag kam dann die Meldung, dass der Kubus doch am Unglücksort aufgestellt werden könnte. „Wir haben allerdings nur eine mündliche Zusage“, sagte Frank Schwung.

Franziska Gärtner Franziska Gärtner

Diejenigen, die kamen, waren über das Verhalten der Loveparade-Verantwortlichen hell empört. Franziska Gärtner (14) war mit ihrer Mutter auf der Loveparade und ist mit dem Schrecken davongekommen. „Als wir das Gelände verlassen haben, kamen wir am Unglücksort vorbei. Da waren dann viele Polizisten, Sanitäter. Tote lagen überall.“ Noch sichtlich betroffen erzählt sie: „Ich habe bisher an jeder Demo wegen der Loveparade teilgenommen.“ Vorher war sie noch nie auf einer Demonstration. Sie ist vor allem über den Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) aufgebracht: „Der lügt einfach.“

Auch für Frank Schwung, der auf der Demonstration eine kleine vorbereitete Ansprache hielt, war es die erste Demonstration. Der LKW-Fahrer und Rockmusiker kam am Tag der Loveparade von einem Auftritt aus Bochum und hörte im Autoradio die Nachrichten von den Todesopfern. „Ich wusste nur, dass meine 20jährige Tochter dort war. Da ich sie telefonisch nicht erreichen konnte, weil alle Netze zusammengebrochen waren, bin ich sofort zum Gelände gefahren und habe sie verzweifelt gesucht. Erst viel später habe ich erfahren, dass sie es mit der Angst zu tun bekam und sich erst gar nicht durch den Tunnel traute. Sie ist daher mit ihrem Freund wieder nach Hause gefahren.“

Aber er habe dort die Unglücksstelle gesehen und sei anschließend immer wieder zurück zur Rampe zwischen den beiden Tunneln gekommen. „Ich bin ein gestandener Mann, war Ringer, Rausschmeißer, jetzt fahre ich LKW und mache Musik. Aber ich habe dort im Tunnel gestanden und geheult.“

Frank Schwung Frank Schwung

Im Tunnel selbst habe er viele getroffen, die wie er immer wieder kamen und um die Opfer trauerten. Doch die meisten seien sprachlos, erst recht, wenn sie unter ihren Angehörigen Todesopfer oder Schwerverletzte zu beklagen haben. Auch für sie hat er die Demonstration mit organisiert.

Die Profitgier, die bei der Loveparade und der Vorbereitung zum Ausdruck kam, findet er nicht gut, überrascht ihn aber nicht. „Die Loveparade war doch schon lange durch und durch kommerziell“. „Ich habe gehört, dass die Besucher nicht nach Waffen durchsucht worden sind, sondern nach Getränken. Die durften sie nicht mitnehmen, damit sie sich an den Ständen auf dem Gelände versorgen mussten.“

Viel mehr ist er aber über das Verhalten der Verantwortlichen aufgebracht, insbesondere der Politiker. Soviel werde vertuscht und unter den Teppich gekehrt. „Wusstet ihr, dass der Innenminister auch dort war?“ fragt er. Aber NRW-Innenminister Ralf Jäger, gleichzeitig Duisburger SPD-Vorsitzender „ist bequem durch den VIP-Ausgang abgehauen.“

Schwung glaubt auch nicht, dass die Stadt und der Veranstalter nur mit 250.000 bis 300.000 Besucher gerechnet haben. „Ich war in Dortmund und in Essen bei der Loveparade. Das waren rund eine Million Menschen.“ Selbst die Zahl der Toten hält er für nicht glaubwürdig.

Und politisch werde auch alles zensiert. Eine Aufklärung solle offensichtlich verhindert werden.

Aus demselben Grund weist Stefan Schneider uns auf seine von ihm angemeldete Demonstration am kommenden Samstag hin. Dass die Stadt Duisburg am Montag per einstweiliger Verfügung des Landgerichtes Köln einem Duisburger Internet-Blog untersagen möchte, die Dokumente zu veröffentlichen, „die in einer Aufklärung der Vorfälle von öffentlichem Interesse sind“, hält er für „ein tolldreistes Stück“. Auf seiner eilends eingerichteten Website (www.verantwortung.in) schreibt er: „Dieser Vorfall hat letztendlich dazu geführt, eine Demonstration anzumelden. Es ist nicht hinnehmbar, dass angesichts der Toten die Menschenwürde mit Füßen getreten wird und eine herrschende Schicht in nahezu autokratischer Weise die Öffentlichkeit belügt und die Aufklärung mit kriminellen Mitteln versucht zu verhindern.“

Auch Frank Schwung richtet eine klare Ansage an die Verantwortlichen: „Ich will Gerechtigkeit. Ich will, dass die Verantwortlichen zu dem stehen, was sie verbrochen haben. Die müssen Konsequenzen ziehen.“ Wenn er mit seinem LKW einen Unfall verursache und einen Menschen überfährt, dann habe er die Verantwortung dafür. „Wenn dieses Prinzip nicht für Politiker gelten soll, dann soll man das sagen!“

Da sich von den Politikern im Rathaus niemand bemüßigt fühlt, vor die Tür zu treten und zu den Anwesenden zu sprechen, beendet Schwung die Demonstration mit der Ankündigung: „Wir kommen zurück.“

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