Wende in Europa

Der Generalstreik in Griechenland, an dem sich am Mittwoch zwei Millionen Arbeiter des öffentlichen und privaten Sektors beteiligt haben, ist ein politischer Wendepunkt in ganz Europa. Unübersehbar wächst der Widerstand gegen die Regierungen und Unternehmen, die den Arbeitern die Kosten für die Wirtschaftskrise aufbürden und von ihnen verlangen, die Zeche für die milliardenschweren Banken-Bailouts zu bezahlen.

Diese neue Bewegung der Arbeiterklasse weist von Anfang an zwei wesentliche Kriterien auf: Sie ist grenzüberschreitend und international. Und die Arbeiter wenden sich unmittelbar gegen den Bankrott ihrer alten Organisationen, die samt und sonders tief im Nationalismus verhaftet sind.

In Wirklichkeit haben die Regierungen der offiziellen "Linken" nicht weniger Sparmaßnahmen erlassen als jene der "Mitte" oder der "Rechten".

Diese Woche kam es in ganz Europa zu Streik- und Protestaktionen.

Am Montag streikten in Deutschland die 4.500 Piloten der Lufthansa. In Frankreich traten Fluglotsen und die Arbeiter in sechs Raffinerien gleichzeitig in den Ausstand. Die Flugbegleiter bei British Airways stimmten mit über achtzig Prozent für Streik.

Am Dienstag fanden in Madrid, Barcelona und Valencia Protestmärsche gegen die Sparmaßnahmen der Regierung der Sozialistischen Partei (PSOE) von Jose Zapatero statt. In der Tschechischen Republik kündigten Gewerkschaften für nächste Woche an, das öffentliche Transportwesen lahmzulegen.

In Portugal wird gegen den fortgesetzten Lohnstopp im öffentlichen Dienst für den 4. März ein eintägiger Generalstreik angekündigt. Der Lohnstopp ist eine der Maßnahmen, mit denen das Defizit von 9,3 Prozent des Bruttosozialprodukts bis 2013 auf drei Prozent gesenkt werden soll. Zum Ende der Woche haben auch die französischen Piloten Streiks angekündigt.

Diese Streiks und Proteste sind nur die erste Reaktion der europäischen Arbeiter auf die Offensive, die sich gegen sie richtet. Die umfassendste Mobilisierung erlebten jene Länder, in denen die rigorosesten Kürzungen angekündigt wurden.

Portugal, Italien, Griechenland und Spanien - die so genannten "PIGS" - wurden von den Banken und Spekulanten ins Visier genommen und von der Europäischen Union angewiesen, ihre Haushaltdefizite drastisch zu senken. Damit wird ein Präzedenzfall für ähnliche Kürzungen in ganz Europa geschaffen. Die Tatsache, dass die Arbeitskämpfe auf Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich übergreifen, zeigt jedoch, dass die Kämpfe das Potential einer gesamteuropäischen Bewegung besitzen.

Nicht nur in Europa - auch in Nord- und Südamerika, Asien und Afrika kündigt sich ein vergleichbares Wiederaufleben des Klassenkampfes an.

Einige Proteste und Demonstrationen sind zwar verhältnismäßig klein - eine Tatsache, die die Finanzpresse nutzt, um von den jeweiligen Regierungen Standfestigkeit bei der Durchsetzung der Angriffe zu fordern. Gleichwohl sind sich weitsichtigere Kommentatoren über die Auswirkungen im Klaren. In einem Beitrag im Independent wies Sean O’Grady darauf hin, dass diese Streiks den "europäischen Winter der Unzufriedenheit" einleiten. "Sie sind offenbar nur der Anfang der größten Demonstration allgemeiner Unzufriedenheit, die der Kontinent seit den revolutionären Stürmen von 1968 erlebt hat", fuhr er fort.

Im Zusammenhang mit den politischen Folgen der Sparmaßnahmen, der Arbeitslosigkeit für Millionen und der Zerstörung der Sozialsysteme in Griechenland, Portugal und Spanien, entdeckte O’Grady "Belastungen für die Demokratie in den Ländern, die von faschistischen Führern und dem Militär beherrscht worden sind und dies noch in lebendiger Erinnerung haben".

Eine den Kontinent umfassende Bewegung speist sich aus den gemeinsamen Problemen der Arbeiter, die in einer globalisierten Wirtschaft mit den gleichen internationalen Großbanken und Unternehmen konfrontiert sind. Diese Banken und Konzerne und die ganze Finanzoligarchie fordern beispiellose Kürzungen der Sozialprogramme, Löhne und Renten, um die Billionen Dollar der Bankenrettungspläne auszugleichen. Sie spekulieren sogar gegen jede verschuldete Volkswirtschaft, die nicht bereit ist, die als notwendig betrachteten Angriffe auf die Arbeiterklasse durchzusetzen. Damit wird der finanzielle Druck auf die Regierungen noch erhöht.

Bis jetzt findet der objektiv internationale Charakter der Bewegung, die sich in Europa entwickelt, noch keinen politischen und organisatorischen Ausdruck. Im Gegenteil, er trifft überall auf den entschiedenen Widerstand der Gewerkschaften, der bis zur ausgemachten Sabotage reicht.

Auch diese Woche wieder wurden mehrere der genannten Widerstandsaktionen verraten. Die Gewerkschaft der deutschen Piloten, die Vereinigung Cockpit, setzte den Lufthansa-Streik direkt am ersten Tag aus, und die französische Gewerkschaft CGT blies den Streik gegen den Ölgiganten Total in Frankreich ab. In beiden Fällen kapitulierten die Funktionäre, ohne dass sie irgendeine Forderung der Arbeiter durchgesetzt hätten. Die Gewerkschaft Unite in Großbritannien kündigte am 25. Februar an, sie werde den Streikbeschluss ihrer Mitglieder bei British Airways in der Hinterhand halten, solange die Verhandlungen noch andauerten.

Was den Standpunkt der Gewerkschaften betrifft, so sind die bisherigen Streiks eher dazu da, Dampf abzulassen, als den politischen Kampf gegen die Regierungen und ihre Sparmaßnahmen aufzunehmen. Die Gewerkschaften werfen ihren jeweiligen Regierungen vor, sich zum Werkzeug der Europäischen Union oder der Spekulanten zu machen, statt sie als Vertreter der Kapitalistenklasse zu bezeichnen.

Gerade die sozialdemokratischen Regierungen, die aufgrund der allgemeinen Abscheu vor den rechten Regierungen ans Ruder kamen, erlassen die drakonischsten Kürzungen. Das gilt für PASOK in Griechenland, PSOE in Spanien und die Sozialistische Partei in Portugal. Jede von ihnen wurde mit Unterstützung der Gewerkschaftsbürokratie gewählt, die ihnen selbst dann noch die Treue hält, wenn sie die versprochenen Reformen gegen einen Sparhaushalt eintauschen.

Ziel der Gewerkschaften ist, soziale Spannungen zu kanalisieren und sicherzustellen, dass sie sich nicht zu einer Bedrohung für die Wirtschaftsinteressen und den Staat entwickeln. Ein Sprecher des griechischen Gewerkschaftsbunds GSEE bekräftigte dies, als er sagte, die Durchsetzung der geplanten Sparmaßnahmen der PASOK sei "tragisch, weil sie soziale Unruhen und Zusammenstöße provoziert".

Die Financiers der Welt haben Irland zu ihrem Vorbild erkoren, weil es gerade dabei ist, die Löhne und Sozialleistungen um zehn bis zwanzig Prozent zu kürzen. Die Fianna-Fail-Regierung kann dies jedoch nicht ohne die tatkräftige Hilfe der irischen Gewerkschaften durchsetzen. Diese haben Streiks gegen den Haushalt, an denen sich Hunderttausende Arbeiter beteiligten, abgebrochen.

Der irische Gewerkschaftskongress begrenzt Kampfmaßnahmen gegen die Regierung auf Arbeit nach Vorschrift im öffentlichen Dienst. Der Gewerkschaftsvorsitzende Jack O’Connor erklärte: "Man stellt uns als Leute hin, die versuchen, den Haushalt zu kippen und eine demokratisch gewählte Regierung zu untergraben. Dagegen erkläre ich ausdrücklich, dass eine Einigung erreicht werden kann."

Was auch immer die Absichten der Gewerkschaftsbürokraten sein mögen, die Wut über die von den Banken und Großunternehmen diktierten Kürzungen wird weiter wachsen. Was immer sie auch tun werden, um diesen Widerstand zu kontrollieren, zu ersticken und zu verraten - es kann nur dazu führen, dass die wachsende Massenbewegung notwendigerweise die Form einer politischen Rebellion gegen die Gewerkschaften und die von ihnen verteidigten Regierungen annehmen wird.

Es gibt keine nationale Lösung für die Krise, mit der Arbeiter in Griechenland, Spanien, Portugal und auf der ganzen Welt konfrontiert sind. Sie werden in einen gemeinsamen Kampf gegen das global organisierte Kapital getrieben. Die europäische Arbeiterklasse muss eine neue Führung und neue Massenorganisationen aufbauen, die für ein sozialistisches und internationales Programm kämpfen. Auf dieser Grundlage muss sie den Kampf gegen die nationalistischen und pro-kapitalistischen Organisationen der offiziellen Arbeiterbewegung führen.

Siehe auch:
Griechenland: Millionen gegen Sparmaßnahmen im Generalstreik
(25. Februar 2010)
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