"Institut Solidarische Moderne": Rechte SPD-Politik in neuem Gewand

Vertreter der SPD, der Linkspartei und der Grünen haben am 31. Januar den Verein "Institut Solidarische Moderne" gegründet. Er bezeichnet sich selbst als Thinktank ("Denkfabrik") und erhebt den Anspruch, eine politische Alternative zum Neoliberalismus zu entwickeln und dafür zu sorgen, "dass aus der danach fragenden gesellschaftlichen Mehrheit wieder eine politische Mehrheit in demokratischen Wahlen wird".

Führende Köpfe des neuen Vereins sind mit Andrea Ypsilanti und Hermann Scheer zwei langjährige SPD-Politiker, die dem linken Parteiflügel zugerechnet werden. Ypsilanti war bis Januar vergangenen Jahres hessische Landesvorsitzende der SPD und Mitglied in deren Bundesvorstand. Sie zog sich von beiden Posten zurück, nachdem ihr Versuch, in Hessen eine von der Linkspartei tolerierte rot-grüne Minderheitsregierung zu bilden, am Widerstand von vier SPD-Mitgliedern gescheitert war. Scheer ist seit 1965 Mitglied der SPD, sitzt seit 1980 im Bundestag und gehörte von 1993 bis 2009 dem SPD-Bundesvorstand an.

Die Linkspartei ist durch die stellvertretende Parteivorsitzende Katja Kipping sowie den rechtspolitischen Sprecher der Linksfraktion Wolfgang Neskovic im Gründungsvorstand des neuen Vereins vertreten. Mit Axel Troost und Paul Schäfer finden sich zwei weitere hochrangige Politiker der Linkspartei unter den etwa 150 Gründungsmitgliedern des neuen Vereins. Troost war Mitbegründer der WASG, gehört dem Bundesvorstand der Linkspartei an und ist finanzpolitischer Sprecher ihrer Bundestagsfraktion. Schäfer, ein ehemaliges Mitglied der DKP, saß früher ebenfalls im Bundesvorstand der Linkspartei. Gegenwärtig ist er verteidigungs- und abrüstungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion und deren Obmann im Verteidigungsausschuss des Bundestags.

Die Grünen sind in dem neuen Verein durch den einstigen Mitbegründer von Attac und heutigen Grünen-Abgeordneten im Europäischen Parlament Sven Giegold sowie den Bundestagsabgeordneten Sven-Christian Kindler vertreten. Darüber hinaus finden sich unter den Gründungsmitgliedern, die auf der Website des Vereins genannt werden, etwa zwei Dutzend weitere Bundes- oder Landtagsabgeordnete der Grünen. Mit Annelie Buntenbach und Hans Jürgen Urban haben sich zudem Vorstandsmitglieder des DGB und der IG Metall Sitze im Kuratorium des Vereins gesichert.

In einem siebenseitigen Gründungsaufruf bekräftigt der Verein seine Absicht, darauf hinzuwirken, "dass gesellschaftliche Mehrheitserwartungen an eine solidarisch-moderne politische Gestaltung der Gesellschaft [...] sich auch in entsprechende politische Mehrheitsbildungen überführen lassen." Mit anderen Worten, er sieht seine Aufgabe darin, in zukünftigen Wahlen für eine Mehrheit von SPD, Grünen und Linkspartei zu werben und dafür eine programmatische Grundlage zu schaffen.

Weiter heißt es im Gründungsaufruf: "Indem er im Denken und Handeln zusammenführt, was gesellschaftspolitisch zusammengehört, knüpft er einen neuen, sichtbaren Faden durch die politische Landschaft, der die Gemeinsamkeiten unterschiedlichster Akteure herausarbeitet und zu gestaltungsfähigen Alternativen profiliert."

Ein genaueres Studium des Gründungsaufrufs macht allerdings schnell deutlich, dass diese "Gemeinsamkeiten unterschiedlichster Akteure" vor allem auf der Ablehnung des Klassenkampfs und des Marxismus beruhen. Während sich die sozialen Gegensätze immer mehr zuspitzen, lehnt der neue Verein den Kampf für soziale Gleichheit ab. Den Begriff der Solidarität, den er in seinem Namen führt, identifiziert er mit Fragen des subjektiven Lebensstils und der individuellen Selbstverwirklichung des Kleinbürgertums.

Der "klassischen" Linken der "industriellen Moderne" wirft er vor, dass sie die "Frage nach der Verteilung des materiellen Reichtums" ins Zentrum ihres politischen Handelns gestellt habe. Durch die "Fokussierung auf Erwerbsarbeit und eine damit einhergehende Ignoranz gegenüber anderen, gesellschaftlich gleichermaßen bedeutenden Tätigkeiten wie Reproduktionsarbeit, politisches Engagement, Bildungsarbeit und Muße" sei sie an ihre politischen Grenzen gestoßen.

Ein "maßgeblicher Fehler der politischen Linken" habe zudem darin bestanden, "zwar den Kapitalismus als System der Ausbeutung der übergroßen Mehrheit durch eine privilegierte Minderheit zu identifizieren, nicht aber zugleich andere gesellschaftliche Herrschaftsstrukturen, wie etwa das Patriarchat als System der Unterdrückung von Frauen, ins Zentrum der Kritik zu stellen", heißt es weiter in dem Gründungsaufruf.

Demgegenüber habe sich auf der Grundlage breiten materiellen Wohlstands in den Nachkriegsgesellschaften in der westlichen "Postmoderne" eine "neue alternative Linke" entwickelt, "für die immaterielle Bedürfnisse und neue soziale Fragen stärker in den Mittelpunkt des Interesses rückten: individuelle Entfaltungsfreiheit und Selbstbestimmungsrechte, kulturelle Vielfalt und demokratische Partizipation, Geschlechtergerechtigkeit und der Schutz der natürlichen Umwelt."

Der Aufruf räumt zwar ein, die "Frage nach der Verteilung des materiellen Reichtums [sei] mit der Zunahme immaterieller Arbeit und individueller Selbstverwirklichung keinesfalls ‘gelöst’ oder obsolet geworden", doch das politische Schwergewicht legt er eindeutig auf Lebensstil- und Umweltfragen: "Unter dem Begriff der Solidarischen Moderne verstehen wir die so dringend erforderliche Versöhnung zwischen den emanzipatorischen Ansätzen der Industrie- und der Postmoderne und ihre Weiterentwicklung zu einer sozial-ökologischen Antwort auf die Fragen der neuen Zeit."

Das ist ein rechtes und äußerst reaktionäres Programm. Nach Jahren kontinuierlicher Angriffe auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterklasse, der Schaffung eines riesigen Niedriglohnsektors und der zwangsweisen Verarmung von Millionen von Menschen durch Hartz IV erklärt das "Institut Solidarische Moderne", dass man der Frage der Erwerbsarbeit nicht zu viel Bedeutung beimessen sollte. Unter Bedingungen der größten Wirtschaftskrise des weltweiten Kapitalismus seit den 1930er Jahren solle die Aufmerksamkeit stattdessen auf immaterielle Bedürfnisse und die individuelle Entfaltungsfreiheit gelenkt werden.

Nicht zufällig finden sich im neuen Verein zahlreiche Gewerkschaftsfunktionäre. IG-Metall-Chef Berthold Huber hielt am vergangenen Mittwoch eine Rede, die ganz auf seiner Linie lag. Beim Sozialpolitischen Aschermittwoch der Kirchen in Essen klagte er über Arbeitsstress: "Arbeit greift ins Privatleben, frisst es regelrecht auf." Das mache auf Dauer krank, körperlich und seelisch. Am Abend desselben Tages unterzeichnete Huber dann einen Tarifvertrag für die 3,4 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie, der ihnen wesentlich kürzere Arbeitszeiten beschert - bei entsprechend niedrigerem Einkommen.

Huber, der von der Gewerkschaft ein monatliches Grundeinkommen von knapp 20.000 Euro bezieht und seine Schäfchen längst im Trockenen hat, kann leicht über immaterielle Bedürfnisse reden. Für viele Arbeiter sind die neuen Einkommenskürzungen jedoch existenzbedrohend, nachdem die Gewerkschaften zwei Jahrzehnte lang Reallohnsenkungen vereinbart und die Agenda 2010 der Regierung Schröder unterstützt haben.

An Leute wie Huber und andere betuchte Vertreter der oberen Mittelklasse richtet sich der neue Verein. Sie empfinden die wachsenden gesellschaftlichen Spannungen als Bedrohung und reagieren mit Feindschaft auf soziale Proteste von unten. Früher sammelten sich die Vertreter dieser Gesellschaftsschicht bei den Grünen, die sich angesichts der wachsenden sozialen Polarisierung weit nach rechts entwickelt haben. Nun wenden sich Ypsilanti, Scheer, Kipping, Giegold und Co. an sie, um den Verfall der SPD aufzuhalten.

Die Gründung des "Instituts Solidarische Moderne" fällt nicht zufällig mit dem Rückzug Oskar Lafontaines aus der Führung der Linkspartei zusammen. Lafontaine hatte vor fünf Jahren die Initiative zur Gründung der Linken ergriffen, um den rasanten Niedergang der SPD aufzufangen, in der er 40 Jahre lang eine führende Rolle gespielt hatte.

Als erfahrener bürgerlicher Politiker kannte Lafontaine den Wert der SPD in Zeiten sozialer Krisen. Er galt nicht umsonst als Lieblingsschüler Willy Brandts, der 1969 die rebellierende Jugend von der Straße geholt hatte. Lafontaine selbst wurde 1985 zum Ministerpräsident des Saarlands gewählt, als Stahl- und Bergarbeiter heftig gegen die Stilllegung ihrer Werke protestierten. Ihm gelang es dann, die saarländische Montanindustrie abzuwickeln, ohne dass es zu nennenswerten Aufständen kam.

Die massenhafte Wegwendung von der SPD, mit der Mitglieder und Wähler auf Gerhard Schröders Agenda 2010 reagiert haben, musste Lafontaine deshalb mit Sorge erfüllen. Sein Ziel war es, mit der Linkspartei einen neuen Koalitionspartner für die SPD aufzubauen, der ihr oder einem Bündnis von SPD und Grünen in Berlin wieder zur Kanzlerschaft verhelfen sollte.

Doch Lafontaines Pläne scheiterten, weil der Niedergang der SPD wesentlich schneller verlief, als der Aufbau der Linkspartei. Seine Pläne, durch Koalitionen mit der SPD auf Landesebene den Weg für ein Regierungsbündnis im Bund vorzubereiten, scheiterten erst in Hessen und dann im Saarland und in Thüringen. In Berlin und Brandenburg, wo die Linkspartei mit in der Regierung sitzt, verfolgt sie eine offen arbeiterfeindliche Politik. Die Verschärfung der Wirtschaftskrise lässt nicht einmal mehr den Schein von sozialen Kompromissen zu. Auch damit hatte Lafontaine nicht gerechnet.

Seine gelegentlichen populistischen Äußerungen, die er für notwendig hielt, um die Glaubwürdigkeit der Linkspartei nicht zu früh zu verspielen, brachten Lafontaine zudem in Konflikt mit jenen Teilen der Partei, die in ostdeutschen Ländern und Kommunen Regierungsverantwortung tragen.

Nun unternimmt das "Institut solidarische Moderne" einen neuen Anlauf, einem Bündnis von SPD, Linkspartei und Grünen den Weg zu bahnen - aber auf einer weit rechteren politischen Grundlage. Hatte Lafontaine noch die Illusion geschürt, man könne die soziale Reformpolitik der 1960er Jahre neu beleben, entwickelt dieser Verein im Namen immaterieller Bedürfnisse und individueller Entfaltungsfreiheit die Argumente für die massiven sozialen Einschnitte, die von den Wirtschaftsverbänden gefordert werden.

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