Perspektive

Britische Gewerkschaften verhindern Kampf gegen Sparprogramm

Britanniens Regierungskoaliton aus Konservativen und Liberaldemokraten plant Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben, wie sie sie Europa bisher noch nicht gesehen hat. Jede Woche werden neue Kürzungen angekündigt. Sie kommen zu denjenigen hinzu, die von der scheidenden Labour Regierung vor den Wahlen im Mai schon beschlossen waren. Die Löhne im öffentlichen Bereich sollen auf drei Jahre eingefroren werden, die Renten gekürzt und Hunderttausende von Arbeitsplätzen vernichtet werden.

Kanzler George Osborne kündigte weitere Einsparungen im Umfang von 11 Milliarden Pfund an, gefolgt von der Forderung Extrazahlungen zu streichen. Die Gesamtsumme all dieser Kürzungen dürfte auf 27 Milliarden Pfund kommen. Zusammen mit den Steuererhöhungen in Höhe von 15 Milliarden Pfund dürften sich die jährlichen Einsparungen bis 2015 auf 75 Milliarden Pfund belaufen. Viele Kommentatoren schätzen jedoch diese Zahlen als zu niedrig ein und gehen von Einsparungen von 85 bis 100 Milliarden Pfund aus.

Durch die bestätigten Kürzungen werden 1,3 Millionen Arbeitsplätze im öffentlichen und privaten Bereich gestrichen und die offizielle Arbeitslosigkeit von den bisherigen 2,5 auf 3 bis 4 Millionen getrieben. Die Regierung behauptet zwar, dass dies durch die Entstehung von zwei Millionen Arbeitsplätzen im öffentlichen Sektor ausgeglichen werde. Doch dieses Argument ist einfach lächerlich angesichts der Tatsache, dass die Sparmaßnahmen Teil eines Prozess sind, durch den das Vereinigte Königreich und die Weltwirtschaft in eine zweite Runde der Rezession gestürzt werden, die tiefer sein wird, als die, die 2008 begann.

Großbritannien ist mit der "längsten, tiefsten und lang anhaltendsten Periode von Kürzungen im öffentlichen Bereich seit dem zweiten Weltkrieg" konfrontiert, so das Institut für Fiskalische Studien (IFS). Die Regierung bestätigt, dass die Ausgaben in allen Bereichen, außer Gesundheit und Entwicklungshilfe, um 25 Prozent gekürzt werden.

Die Mehrwertsteuer wurde von 17,5 auf 20 Prozent angehoben, was Familien durchschnittlich 400 Pfund mehr im Jahr kosten dürfte. Die Sparmaßnahmen werden ärmere Haushalte "bedeutend härter treffen als reichere," erklärt das IFS, in einigen Fällen um den Faktor sechs.

Die Schwächsten der Gesellschaft werden durch Einschnitte bei den Mietzuschüssen und die "Fit für die Arbeit"-Tests angegriffen, durch die mindestens eine halbe Millionen behinderter Menschen aus den Förderprogrammen für Behinderte herausgenommen werden sollen. Die Arbeitslosigkeit von Hochschuabsolventen wird auf ein Rekordniveau hochschnellen, weil sich ein hoher Anteil der Arbeitsplätze für Graduierte - an die 25 Prozent - im öffentlichen Sektor befindet.

Dies ist nichts weniger als eine Kriegserklärung an die Arbeiterklasse zum Nutzen der Kapitalisten. Die Reaktion der Gewerkschaften besteht, wie zu erwarten, darin die Segel zu streichen und die weiße Flagge zu hissen.

In der letzten Woche brach die Gewerkschaft Unite den Streik des Kabinenpersonals bei Britisch Airways (BA) nach 22 Tagen ab, um über ein kaum merklich besseres Angebot der Firma abzustimmen, ohne Empfehlung seitens der Gewerkschaft das Angebot abzulehnen. Inzwischen stellt BA neues Personal zu schlechteren Bedingungen ein, um das existierende Personal kündigen zu können.

Weitaus enthüllender noch ist die Einladung des Trade Union Congress (TUC) an den konservativen Premierminister David Cameron, das jährliche Treffen des Gewerkschaftsdachverbands zu eröffnen.

Die Gewerkschaften machten außerdem klar, dass sie sich nicht an dem zahnlosen "Tag der Aktion" am 29. September beteiligen werden, den die Europäische Gewerkschaftskonföderation unter der Führung des ehemaligen TUC Generalsekretärs, John Monks, organisiert, da der Zeitpunkt mit der Konferenz der Labour Party zusammenstößt!

Die Presse kümmert sich kaum um diese Fragen. Stattdessen konzentriert sie sich auf die Äußerungen von Bob Crow, Generalsekretär der Gewerkschaft Rail Maritime and Transport auf ihrer jährlichen Konferenz. Crow verurteilte Camerons "frontalen Angriff auf die Gewerkschaftsbewegung in einer Größenordnung, wie sie seit Margaret Thatcher´s Zerschlagung der National Union of Mineworkers [Bergarbeitergewerkschaft] nicht mehr gesehen wurde".

"Wenn jemand dabei ist, dich zu treten, hast du die einfache Wahl - greif als erster an oder roll dich zusammen und hoffe, dass sie weggehen", so Crow. "Dies ist nicht die Zeit zum Reden, es ist Zeit für praktisches Handeln. Wir brauchen ein Dringlichkeitstreffen des Trade Union Congress, um die politischen und praktischen Aktionen, die wir brauchen, um als vereinte Bewegung den Angriff der KonDem [konservativ-liberalen Koalition] auf unsere Mitglieder durch koordinierte politische Aktion und Arbeitskämpfe abzuwehren".

Crow´s Ruf nach "einer dauerhaften Kampagne von allgemeinen Streiks" unterstreicht einfach nur die Tatsache, dass sich der TUC tatsächlich zusammengerollt hat. Die einzige Kampagne, die er unternehmen wird, ist sicherzustellen, dass niemand den "KonDem Angriffen" entgegentritt. Ohne die wahre Rolle anzusprechen, welche die Gewerkschaften bei der Unterdrückung von Streiks einnehmen, ihre Kollaboration mit Management und Regierung, sind alle derartigen Aufforderungen nach Aktionen nichts als Täuschungsmanöver, die darauf abzielen, die Arbeiterklasse von ihrer wirklichen Lage abzulenken.

Dies ist das bewusste Ziel von Crow und den selbsternannten "linken" Tendenzen, die alle gleichermaßen die Arbeiterklasse darauf drängen, den Gewerkschaftsbürokratien weiterhin zu vertrauen.

Kein einziger Gewerkschaftsführer, darunter Crow, hat auch nur einen einzigen konkreten Vorschlag gemacht, wie auf die laufenden Angriffe der Regierung zu reagieren sei. Sie spielen immer noch die Rolle der Hilfstruppe, wie sie es in den dreizehn Jahren unter Labour taten, als diese Regierung als Agent der Finanzoligarchie und der City of London handelte.

Sogar jetzt noch sind sie bereit mit verschiedenen Ex-Labour-Berühmtheiten zusammen zu arbeiten, welche sich bereits der Regierung von Cameron und dem Chef der Liberaldemokratischen Partei, Nick Clegg, angeschlossen haben, darunter John Hutton, der ehemalige Arbeits- und Rentenminister, Camerons "Botschafter zu den Gewerkschaften" und der ehemalige Labour-Abgeordnete im Europaparlament, Richard Balfe sowie der neue "Zsar der Armut", Frank Field, der immer noch als Labour MP (Mitglied des Parlaments) auftreten darf.

Angesichts dieser Bilanz macht es der Socialist Worker, die Zeitung der Socialist Workers Party (SWP), zum "Test ihrer [der Gewerkschaften] Entschlossenheit, die Regierung und die Bosse zu bekämpfen," ob die Gewerkschaften sich am "Protest anlässlich der Tory Parteikonferenz am 3. Oktober" beteiligen und "am 20. Oktober protestieren, wenn die Ausgabenvorschläge der Regierung bekanntgegeben werden."

"Eine große Demonstration am 3. Oktober kann den Druck auf die Gewerkschaftsführer erhöhen, damit sie die Maßnahmen ergreifen, die wir brauchen", behauptet die SWP.

Das von der Sozialistischen Partei (SP) geführte Gewerkschaftergremium National Shop Stewards Network (NSSN) forderte auf seiner Konferenz:"der TUC (muss) den Tag für eine landesweite Demonstration benennen, am besten vor der TUC Konferenz im September 2010."

"So bald [!] ein Datum für eine Demonstration bekanntgegeben ist, richten wir unser Hauptaugenmerk darauf, soviele Leute wie möglich zu mobilisieren. Wenn keine Demo geplant wird, wird der NSSN eine Lobby für die TUC Konferenz in Manchester (Tag, Datum und Uhrzeit werden noch bestimmt) einberufen, um den TUC zu drängen, eine vereinte, landesweite Demonstration zu veranstalten mit Ausblick auf eine weitere Organisierung eintägiger Streiks im öffentlichen Sektor, als Anfang einer ernsthaften Gegenwehr gegen die bösartigen Kürzungen."

Ein solcher Kniefall vor den Führern der Gewerkschaften und niedrigeren Funktionären im Apparat ist alles andere als ernsthaft. Nicht zu reden von der Untätigkeit der vielen Mitglieder von SWP und SP, die selbst in den Gewerkschaften arbeiten.

Die schlimmen Erfahrungen, die Arbeiter überall auf der Welt machen, beruhen darauf, dass die Gewerkschaften entweder jeden Kampf der Arbeiter gegen die Unternehmen verhindern oder ausverkaufen. In Britannien ist dies ungebrochen der Fall seit dem Bergarbeiterstreik von 1984 bis 85 gegen Thatcher, auf den sich Crow bezog.

Diese wirkliche Funktion der Gewerkschaften würde auch nicht geändert, wenn sie sich genötigt fühlten, ein paar eintägige Streiks zu organisieren, um den Ärger in der arbeitenden Bevölkerung zu entschärfen. Nichts weniger als eine Bewegung für einen Generalstreik ist notwendig, um diesem Angriff auf die fundamentalen sozialen Interessen der Arbeiter zu begegnen. Ohne eine umfassende Offensive gegen die herrschende Klasse werden Millionen absoluter Armut, Massenarbeitslosigkeit und einer Verelendung ausgesetzt sein.

Solch eine Bewegung muss darauf abzielen, die Regierung aus dem Amt zu treiben und sich folgende Fragen stellen: Wer wird einen solchen Kampf anführen? Wer wird die amtierenden Tories und Liberaldemokraten ersetzen?

Die Antwort deutet auf die brennende Notwendigkeit hin, durch den Aufbau echter Arbeiterorganisationen, die den Klassenkampf leiten, aus der Zwangsjacke der Gewerkschaften und ihrer Komplizen in der pro-kapitalistischen Labour Partei auszubrechen. Das bedeutet, dass Arbeiter ihre eigene Partei, die Socialist Equality Party aufbauen müssen, die entschlossen ist, den Kampf für die Arbeitermacht zu führen und ein sozialistisches Programm zu verwirklichen. Dessen Ziel ist die Neuorganisation des wirtschaftlichen Lebens nach dem Interesse der breiten Bevölkerung durch eine vereinte politische und soziale Bewegung von Arbeitern in Europa und weltweit.

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