Berlin: Oberverwaltungsgericht untersagt islamisches Gebet an Schulen

Berliner Schüler sind nicht berechtigt, auf dem Schulgelände ein islamisches Gebet zu verrichten, selbst wenn dies außerhalb der Unterrichtszeit und nur einmal täglich geschieht.

Dieser Auffassung der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung hat sich letzte Woche das Oberverwaltungsgericht Berlin angeschlossen. Es hob ein entgegengesetztes Urteil des rangniedrigeren Verwaltungsgerichts auf. Die SPD, die das Land Berlin gemeinsam mit der Linkspartei regiert und die über die Schulverwaltung bestimmt, begrüßte das Urteil ebenso wie die CDU und die Grünen. Ob es von den unterlegenen Klägern angefochten wird, ist gegenwärtig noch offen.

Was war geschehen? Laut Verwaltungsgericht hatten der Kläger Yunus M. sowie einige weitere Schüler am 1. November 2007 in einem Gymnasium in Berlin-Wedding auf ihren Jacken kniend während einer Pause etwa zehn Minuten lang gebetet. Das geschah in einem abgelegenen Flur des Schulgebäudes, der nicht ohne weiteres einsehbar war. Sie wurden dabei von anderen Schülern und einem Lehrer beobachtet, der die Schulleiterin informierte. Diese erklärte den betroffenen Schülern am folgenden Tag, das Beten auf dem Schulgelände könne nicht geduldet werden, und drohte nach Aussage des Klägers mit Schulverweis.

Am folgenden Tag schrieb die Schulleiterin in einem Brief an die Eltern von Yunus M.: "Religiöse Bekundungen - dazu gehören insbesondere Gebete - gehören in den privaten Raum des Menschen oder in Gotteshäuser. Wir haben mit Ihrem Sohn ein erstes Gespräch geführt, in dem wir ihm die an der Berliner Schule geltenden Verhaltensregeln erläuterten. Ich bitte Sie als Eltern, die Schule in ihren Bemühungen zu unterstützen."

Eine solche Verhaltensregel hatte allerdings erst die Schulleiterin selbst aufgestellt. Eine gesetzliche Grundlage dafür existiert nicht. Der Schüler ging vor Gericht.

Im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtete das Verwaltungsgericht die Schule zunächst, dem Schüler außerhalb der Unterrichtszeit das Gebet zu gestatten. Die Schulleitung ordnete daraufhin an, er solle in der Pause zwischen der 6. und der 7. Unterrichtsstunde einen leer stehenden Raum dafür nutzen.

Später gab das Gericht dem klagenden Schüler auch in der Hauptsache recht. Er sei berechtigt, während des Schulbesuchs außerhalb der Unterrichtszeit einmal täglich sein islamisches Gebet zu verrichten. Die Schulverwaltung habe weder konkrete Störungen des Schulfriedens noch den Schulbetrieb beeinträchtigende organisatorische Schwierigkeiten aufgezeigt, die dagegen sprächen.

Das Urteil stieß in politischen Kreisen auf heftige Kritik. Kurt Wansner, Integrationspolitiker der CDU, erklärte, das Urteil schade der Integration mehr, als damit gewonnen wäre. Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Grünen, bezeichnete das Urteil als "integrationspolitisch falsches Signal". Und der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) warnte: "Das ist ein weiterer Schritt zur Verfestigung der Parallelgesellschaften und zur Spaltung der Gesellschaft." Die Schulverwaltung legte Berufung ein.

In der Presse wurde das Urteil überwiegend so dargestellt, als habe das Verwaltungsgericht dem Schüler einen Anspruch auf einen Gebetsraum zugesprochen. Dies war jedoch ausdrücklich nicht der Fall, und er hatte ihn auch gar nicht geltend gemacht, sondern sich lediglich gegen das Verbot gewandt, außerhalb der Unterrichtszeit zu beten.

Trotzdem ließ die Schulleitung genau Buch über die Besuche des Raums führen, den sich Yunus M. immer erst von einem Lehrer aufschließen lassen musste. Während der Berufungsverhandlung wurde dann heftig darüber diskutiert, wie oft er den Gebetsraum genutzt habe - angeblich nur 14 Mal. "Ich kann jetzt nicht aufschließen", sei oft die Antwort der Lehrer gewesen, sagte der Schüler. Sein Mittagsgebet habe er deshalb allein im Klassenraum oder in der Umkleide der Turnhalle verrichtet. Später habe er bis nach der Schule gewartet.

Bemerkenswert sind die Begründungen, mit denen der SPD-geführte Berliner Schulsenat gegen das erstinstanzliche Urteil vorgegangen ist, und denen sich das Oberverwaltungsgericht offenbar - seine schriftliche Urteilsbegründung liegt bisher noch nicht vor - im Wesentlichen angeschlossen hat.

Das verlogene Argument: "Da könnte ja jeder kommen" und einen Gebetsraum beanspruchen, war dabei noch das harmloseste. Denn nicht einmal der Kläger selbst hatte einen solchen Raum beansprucht, Mitschüler anderer Religionszugehörigkeit erst recht nicht. Angefangen hatte der Streit nicht mit einer Forderung, sondern einem Verbot durch die Schulleitung. In anderen Schulen, auch in Berlin, sind derartige Konflikte bisher so gelöst worden, dass Schüler sich gegebenenfalls in leer stehende oder ungenutzte Räume zurückziehen können.

Die Senatsvertreter fuhren aber noch erheblich schwereres Geschütz auf. Sie stellten die Verrichtung eines islamischen Gebets außerhalb des Religionsunterrichts in eine Reihe mit allen möglichen Konflikten an der Schule, die irgendeinen religiösen Bezug haben: der gegenseitigen Beschimpfung von Schülern unterschiedlicher Religionsgemeinschaften, der gegenseitigen Kontrolle, ob der Ramadan beachtet wird, der Beleidigung von Mädchen, die kein Kopftuch tragen, der Rechtfertigung von Ehrenmorden und der Bekundung antisemitischer Einstellungen. Dabei behaupteten die Senatsvertreter nicht einmal, dass der heute 16-jährige Kläger an derartigen Vorfällen beteiligt gewesen sei, noch begründeten sie, warum das Zulassen eines Gebets solche Konflikte verursachen oder vertiefen sollte.

Das Oberverwaltungsgericht folgte nicht nur dieser Diffamierung, es bestätigte das Verbot mit einer Argumentation, wie sie in einer derartigen perfiden Spitzfindigkeit wohl nur deutschen Juristen möglich ist.

Als erstes befand es das Gericht für plausibel, dass die Schule den Schüler beim Gebet von Andersgläubigen abschirmen wolle und ihm deshalb einen eigenen Raum dafür zuweise. Als zweites erklärte es dann, auf einen solchen Raum habe er jedoch auch auf Grundlage der Religionsfreiheit keinen Anspruch, denn diese verleihe den Gläubigen kein Recht auf Förderung ihres jeweiligen Bekenntnisses. Es handele sich nur um ein Abwehrrecht gegen den Staat.

Mit anderen Worten: Erst wird dem Staat die Vollmacht zugesprochen, den Moslem, der seine Religion sichtbar ausübt, von anderen abzuschirmen, sprich zu isolieren. Im nächsten Schritt stellt man dann fest, dass diese Isolation einen Organisationsaufwand darstellt, auf die der Moslem keinen Anspruch hat - woraus dann nicht etwa die Aufhebung der Abschirmung, sondern das Verbot der Religionsausübung abgeleitet wird!

Die Senatsverwaltung hatte ihr Eintreten für ein Verbot des Betens unter anderem damit begründet, dass der Staat religiös neutral sein müsse. Nichts anderes hatte der Schüler aber verlangt. Er beanspruchte nicht, dass der Staat sich mit seiner Religion identifiziert - wie das z.B. dann der Fall ist, wenn in einem Klassenzimmer oder einem Gerichtssaal ein Kruzifix aufgehängt wird. Er wandte sich lediglich gegen das staatliche Verbot, seine Religion außerhalb des Schulunterrichts auszuüben.

Das Verwaltungsgericht hatte in erster Instanz auf ein viel weiter gehendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1979 Bezug genommen. Das Verfassungsgericht hatte es für zulässig erklärt, dass auf Anregung eines Lehrers ein Schulgebet während des normalen Unterrichts gesprochen wurde. Anders- und nichtgläubige Schüler hatten lediglich die Möglichkeit, still sitzen zu bleiben oder den Raum zu verlassen.

Bei dieser Entscheidung, eklatant gegen die staatliche Neutralität in Religionsfragen verstieß, ging es allerdings um ein christliches Gebet. Religiöse Toleranz wird von deutschen Juristen und Politikern traditionell gern als Verpflichtung der Nichtchristen gedeutet, die privilegierte Stellung des Christentums zu akzeptieren, das mit dem deutschen Staat eng verbunden ist.

Ganz anders werteten die Prozessvertreter des Senats in der mündlichen Verhandlung das islamische Gebet. Sie behaupteten, es sei demonstrativ und missionarisch: ein "Kollektivritus mit politischem Charakter, der Einfluss auf andere ausüben soll". Schüler würden ausgegrenzt oder unter Druck gesetzt. Auch in einer Pressemitteilung, die das Urteil des Oberverwaltungsgerichts begrüßte, behauptete die Senatsverwaltung, andere Schüler würden vom islamischen Gebet "unter Druck gesetzt".

Das rituelle Gebet gehört ebenso wie das Glaubensbekenntnis zu den fünf Grundpflichten oder "Säulen" des Islam. Dessen Renaissance hat zweifellos politische und soziale Gründe, namentlich Diskriminierung, Ausgrenzung, Kriege im Mittleren Osten und Klassenspaltung der Gesellschaft in Arm und Reich. Weil diese Entwicklungen von Organisationen wie der SPD, der Linkspartei und den Gewerkschaften unterstützt und vorangetrieben werden, äußerst sich die Opposition dagegen teilweise nicht linker, fortschrittlicher Form, sondern in der Zunahme von religiösen Tendenzen. Darauf reagiert die SPD wie so oft in ihrer Geschichte mit Unterdrückung.

Auch die Linkspartei hat das Verbot des islamischen Gebets durch das Oberverwaltungsgericht teilweise begrüßt. Während der bildungspolitische Sprecher der Linkspartei in Berlin das erstinstanzliche Urteil unterstützt hatte und sich von der Berufungsentscheidung "überrascht" zeigte, zitierte das inoffizielle Hausblatt seiner Partei, Neues Deutschland, mit praktisch unverhohlener Zustimmung die Anwältin der Senatsverwaltung. "Der Streit um das Gebet habe auch die Schüler polarisiert. Es komme vor, dass Mädchen gemobbt würden, weil sie das Kopftuch nicht richtig trügen, es werde gestritten, wer der bessere Muslim oder welche Religion die höherwertige sei. (...) Eindringlich warnten Schulverwaltung und Pädagogen der Schule vor einem Dammbruch, sollten die Richter das erstinstanzliche Urteil bestätigen. Um so erleichterter zeigten sich die Vertreter des Senats nach der Entscheidung."

Sollte das Urteil Bestand haben, wäre dies tatsächlich ein Dammbruch. Ging es bei der Islamdebatte in Bezug auf Schulen bisher meist um Lehrerinnen mit Kopftuch, geht es jetzt unmittelbar um die demokratischen Rechte von Schülern. Und wenn schon das islamische Gebet als politische Demonstration mit Nötigungscharakter bewertet wird, vor dessen Druck der Staat andere durch Verbot bewahren muss, lässt sich diese Argumentation mühelos auf Kopftücher von Schülerinnen übertragen.

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