Sparprogramme in ganz Europa

Seit die europäischen Regierungschefs und der Internationale Währungsfonds vor zwei Wochen ein 750-Milliarden-Rettungspaket für den Euro beschlossen haben, vergeht kein Tag, an dem nicht neue, drakonische Sparmaßnahmen angekündigt werden. Um die gewaltigen Löcher zu stopfen, die die Gelder zur Rettung der Banken und das Paket zur Rettung des Euro in die öffentlichen Haushalte reißen, wird die arbeitende Bevölkerung jetzt zur Kasse gebeten.

Um 2013 wieder die Stabilitätskriterien der Europäischen Union zu erfüllen, die eine maximale Neuverschuldung von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zulassen, müssen die Euro-Länder und England ihre Haushaltsdefizite um insgesamt 400 Milliarden Euro verringern. Diese gewaltige Summe soll vorwiegend auf Kosten von Beschäftigten des öffentlichen Diensts, Rentnern, Arbeitslosen und anderen Empfängern sozialer Leistungen aufgebracht werden.

Dem Beispiel Griechenlands folgend, das seine Neuverschuldung in den kommenden drei Jahren durch Gehalts- und Rentenkürzungen, Sozialabbau und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 30 Milliarden Euro reduzieren will, hat Spanien vergangene Woche Einsparungen von 80 Milliarden Euro beschlossen. Zu diesem Zweck werden 13.000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut, die Gehälter für Staatsbedienstete um 5 Prozent gesenkt und die Renten eingefroren. Das Kindergeld von 2.500 Euro, das bisher bei der Geburt eines Babys ausbezahlt wurde, fällt ersatzlos weg.

Portugal hat einen Einstellungsstopp, das Einfrieren der öffentlichen Gehälter und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer beschlossen, um sein Haushaltsdefizit um zwei Milliarden Euro zu verringern.

Die britische Regierung hat Anfang der Woche Sofortsparmaßnahmen in Höhe von 7,2 Milliarden Euro angekündigt, darunter einen Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst. Das ist aber nur der Anfang. Insgesamt soll das britische Haushaltsdefizit in den kommenden vier Jahren um mehr als 100 Milliarden Euro verringert werden. Dazu sollen unter anderem 300.000 Stellen im öffentlichen Dienst beseitigt und die öffentlichen Gehälter eingefroren werden.

Die italienische Regierung hat am Mittwoch ein Sparpaket auf den Weg gebracht, das bis 2012 Einsparungen von 24 Milliarden Euro vorsieht. Es umfasst den Abbau von Stellen im öffentlichen Dienst, Gehaltssenkungen, eine Anhebung des Rentenalters sowie Einsparungen im Gesundheitssystem.

Frankreich plant, das Haushaltsdefizit bis 2013 von acht auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu senken. Dazu sind unter anderem eine Erhöhung des Renteneintrittalters, Kürzungen beim Wohngeld, bei Beschäftigungsmaßnahmen und bei Museen sowie eine zehnprozentige Senkung der Verwaltungsausgaben geplant.

Die deutsche Regierung will am 6. und 7. Juni konkrete Sparmaßnahmen beschließen. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse verpflichtet sie, die Neuverschuldung bis 2016 um 60 Milliarden Euro zu senken. Im Gespräch sind neben vielen anderen Maßnahmen auch Kürzungen bei Sozialleistungen wie dem Eltern- und Kindergeld, Hartz IV, Behindertenhilfe, Renten und Pensionen.

Die EU-Kommission hat inzwischen sogar vorgeschlagen, das Rentenalter in ganz Europa ständig weiter anzuheben. So soll sichergestellt werden, dass in Zukunft nicht mehr als ein Drittel des Erwachsenenlebens im Ruhestand verbracht wird. Langfristig hätte dies eine Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre zur Folge.

Die jetzt beschlossenen Maßnahmen bedeuten für Millionen Arbeiter und Jugendliche Arbeitslosigkeit und bittere Armut. Vor allem die Altersarmut wird in Europa wieder zu einer Massenerscheinung werden. Vom Sozialstaat der Nachkriegszeit wird nichts übrig bleiben. Eine Studie der amerikanischen Carnegie Stiftung gelangt zum Schluss, "die Sozialstaaten, die seit den 1940er Jahren überall in Europa aufgebaut wurden, um öffentliche Unruhen zu verhindern und Spannungen zu entschärfen, die zu einem weiteren kontinentalen Krieg hätten führen können", seien schlichtweg "nicht mehr bezahlbar".

Doch an Geld mangelt es nicht. Die Haushaltslöcher, mit denen die Zerschlagung des Sozialstaats gerechtfertigt wird, sind das Ergebnis der systematischen Umverteilung der Einkommen und Vermögen von unten nach oben. Spätestens seit den 1980er Jahren haben rechte wie angeblich "linke" Regierungen Einkommens- und Vermögenssteuern für die Reichen gesenkt, die Löhne gedrückt und neue Formen von Niedriglohnarbeit geschaffen. Das ist einer der Hauptgründe für das Ansteigen der öffentlichen Verschuldung.

Mit den Billionensummen, die die Regierungen 2008 und 2009 in die Banken pumpten, um ihren Zusammenbruch zu verhindern, stieg dann die öffentliche Verschuldung sprunghaft weiter an. Kürzlich veröffentlichte Zahlen der Deutschen Bundesbank belegen das. So entfielen 2008 und 2009 rund 53 Prozent der Neuverschuldung Deutschlands auf Rettungsmaßnahmen zugunsten von Finanzinstituten. Insgesamt stieg die Bruttoneuverschuldung in diesen beiden Jahren um 183 Milliarden Euro, die Kosten zur Stützung der Finanzinstitute lagen bei 98 Milliarden Euro.

Nun nutzen die Banken die von ihnen selbst verursachte Krise, um die Plünderung der Arbeiterklasse weiter voranzutreiben. Die Regierungen und die EU agieren dabei als ihr verlängerter Arm. Das wurde am Freitag vergangener Woche deutlich, als der Bundestag der deutschen Regierung im Eilverfahren einen Blankoscheck über 148 Milliarden Euro ausstellte. Während sonst über wesentlich kleinere Beträge monatelang in parlamentarischen Ausschüssen gefeilscht wird, bewilligte der Bundestag im Eilverfahren Kreditbürgschaften in der Höhe eines halben Bundeshaushalts, ohne dass auch nur fest stand, an wen und unter welchen Bedingungen diese Gelder fließen werden.

Gerechtfertigt wurde dieses undemokratische Verfahren mit der "Nervosität der Finanzmärkte". Die Entmündigung des Parlaments war derart offensichtlich, dass die Regierung nur mit Mühe eine Mehrheit zusammenbrachte. Sie musste einige symbolische (und völlig wirkungslose) Maßnahmen gegen die Finanzmärkte, wie das Verbot von Leerverkäufen, ergreifen, um überhaupt genügend Unterstützung zu erhalten. Doch das löste wiederum wütende Reaktionen aus Washington und London aus, wo der deutsche Alleingang als unbotmäßiger Eingriff in die Freiheit der Finanzmärkte betrachtet wurde.

Um die Sparprogramme gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen, stützt sich die herrschende Klasse Europas vor allem auf die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften. Entweder setzen - wie in Griechenland, Spanien und Portugal - sozialdemokratische Regierungen die Sparmaßnahmen selber durch, oder die Sozialdemokratie hat sich - wie in England, Frankreich und Deutschland - durch frühere Sparmaßnahmen derart diskreditiert, dass rechte Parteien davon profitieren konnten. In allen Fällen lassen die Sozialdemokraten keinen Zweifel daran, dass sie die Sparmaßnahmen für "alternativlos" halten und unterstützen.

Auch die Gewerkschaften halten die Kürzungen für "alternativlos" und arbeiten bei ihrer Verwirklichung eng mit den jeweiligen Regierungen zusammen. Wenn sie trotzdem gelegentlich Demonstrationen und Streiks organisieren, dienen sie dazu, den Widerstand unter Kontrolle zu halten und zu ermatten. Sie isolieren die Proteste, beschränken sie auf einzelne Stunden oder Tage und unterbinden jede internationale Solidarität.

Unterstützt werden sie dabei von zahlreichen kleinbürgerlichen Gruppierungen. Bei allen Unterschieden, die etwa zwischen der deutschen Linkspartei, der französischen Neuen Antikapitalistischen Partei oder der griechischen Syriza bestehen, haben diese Gruppierungen doch zwei Dinge gemeinsam - ihre bedingungslose Unterstützung für die Gewerkschaften, an denen sie niemals Kritik üben, und ihre Bereitschaft, der Sozialdemokratie zu Regierungsmehrheiten zu verhelfen. So versuchen sie, die Entstehung einer unabhängigen politischen Bewegung zu unterbinden.

Die Auswirkungen der kapitalistischen Krise und das Geschacher um Sparmaßnahmen haben auch die nationalen Spannungen in Europa verschärft. Die Zukunft des Euro und der Europäischen Union stehen auf der Kippe. In einigen Ländern - wie Ungarn, der Slowakei oder Italien - befinden sich Regierungen an der Macht, die auf das Schüren nationaler Gegensätze setzen, um von den sozialen Spannungen abzulenken.

Die Zersplitterung Europas in sich bekämpfende Nationalstaaten hätte verheerende gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen. Doch die Kapitalistenklasse ist organisch unfähig, den Kontinent zu vereinen. Das ist die Aufgabe der Arbeiterklasse. Sie fällt untrennbar mit der Verteidigung ihrer sozialen Errungenschaften und ihrer demokratischen Rechte zusammen.

Die Zuspitzung der sozialen Krise wird breite Bevölkerungsschichten in soziale und politische Kämpfe treiben. Doch diese erfordern eine politische Perspektive und den Aufbau einer neuen Partei, des Internationalen Komitees der Vierten Internationale. Das kapitalistische System lässt sich nicht reformieren, es kann nur gestürzt werden. Die großen Banken und Konzerne müssen vergesellschaftet und unter die demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse gestellt werden. Das schafft die Voraussetzungen, um die vorhandenen Ressourcen zur Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse anstatt der Profitansprüche einzelner Kapitalisten einzusetzen.

Dieses Ziel kann die europäische Arbeiterklasse nur gemeinsam, im Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa erreichen.

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