Perspektive

Terrorwarnung: Union und SPD wollen Staat aufrüsten

Es sind nun eineinhalb Wochen her, seit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vor einer konkreten Bedrohung durch Terroranschläge gewarnt hat. Seither hat die Öffentlichkeit nichts Näheres über Herkunft, Art und Ursache dieser Bedrohung erfahren. Eine Bombe, die angeblich im namibischen Windhuk in ein deutsches Flugzeug verladen werden sollte, erwies sich als Attrappe. Trotzdem nutzen führende Regierungs- und Oppositionspolitiker die Terrorwarnung, um auf den Abbau demokratischer Rechte und die Aufrüstung des Staatsapparats zu drängen.

Eingriffe in persönliche Freiheitsrechte – wie die vom Bundesverfassungsgericht abgelehnte Vorratsdatenspeicherung – sollen nun unter Hinweis auf die Terrorwarnung verwirklicht werden. Dasselbe gilt für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren, der bisher ebenfalls am Einspruch des höchsten Gerichts gescheitert ist. Bundespolizei, Bundeskriminalamt, Geheimdienste und andere Sicherheitsbehörden sollen ausgebaut, neu strukturiert und eng miteinander verbunden werden, so dass ein mächtiger, zentralisierter Sicherheitsmoloch entsteht.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte am vergangenen Mittwoch in der Generaldebatte des Bundestages, die terroristischen Bedrohungen seien „leider real“, und sprach sich im selben Atemzug für neue gesetzliche Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung aus. Ein entsprechendes Gesetz, das Kommunikationsfirmen verpflichtet hatte, die Daten sämtlicher Telefon- und Internetverbindungen sechs Monate lang zu speichern und auf Anforderung an die Sicherheitsbehörden weiter zu geben, war im März vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Hans-Peter Uhl (CSU) forderte, den Einsatz von Spionage-Software zu erlauben. „Terroristische Netzwerke kommunizieren in aller Regel über verschlüsselte Internet-Telefonate. Wir müssen Strafverfolger und Nachrichtendienste deshalb in die Lage versetzen, die Verschlüsselung zu knacken und Inhalte mitzuhören.“

Auch der hessische Ministerpräsident und stellvertretende CDU-Vorsitzende Volker Bouffier verlangte am Donnerstag die Legalisierung der Vorratsdatenspeicherung sowie den Einsatz der Bundeswehr im Inland: „Wir müssen uns mit größter Ernsthaftigkeit auf einen Anschlag vorbereiten“, sagte er dem Hamburger Abendblatt. „Wenn die Bundeswehr etwas kann, was die Polizei nicht kann und was für die Sicherheit zuträglich ist, sollte man die Streitkräfte auch einsetzen.“ Als Beispiel nannte er den Objektschutz oder das „Abdrängen und Einnebeln“ von Flugzeugen.

Bouffier steht damit nicht alleine da. Auch andere CDU-Politiker sowie der Bund Deutscher Kriminalbeamter haben die Forderung erneuert, die Bundeswehr im Inland einzusetzen.

Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) hatte schon Ende Oktober dafür plädiert, dass die Bundeswehr Frachtflugzeuge mit einer Bombe an Bord notfalls abschießen darf. Als Anlass dienten ihm die dubiosen, über Kurierdienste versandten Paketbomben aus dem Jemen Richtung USA, die am 29. Oktober sichergestellt wurden. Laut Schünemann sind die Pläne für eine entsprechende Verfassungsänderung bereits ausgearbeitet. „Die Pläne sind auf dem Tisch, jetzt muss nur noch entschieden werden“, sagte er.

Der Vorsitzende des Rechtausschusses des Bundestages, Siegfried Kauder (CDU), forderte Pressezensur. Nachdem Der Spiegel unter Berufung auf interne Polizeiquellen über Anschlagspläne auf das Reichstagsgebäude berichtet hatte, sagte Kauder: „Die Presse muss verpflichtet werden, sich zurückzuhalten, wenn die Gefährdungslage wie jetzt hoch ist.“ Vorstellbar seien gesetzliche Lösungen oder eine Selbstverpflichtung der Medien, dass über bestimmte Erkenntnisse nicht berichtet werde. „Wenn die Presse darüber berichtet, welche Orte besonders gefährdet sind, dann kann das unter Umständen ein Anreiz für Terroristen sein“, begründete er seinen Vorstoß.

Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) ging zwar nicht so weit wie Kauder. Aber auch er bezeichnete Medienberichte über konkrete Anschlagsszenarien als „unverantwortlich“. Solche Spekulationen seien geeignet, die Arbeit der Sicherheitsbehörden zu erschweren.

Am Freitag berichtete die Rheinische Post von einem Brandbrief, den Innenminister Thomas de Maizière (CDU) an seine Kollegin im Justizressort, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), geschickt hat. Er fordert die Justizministerin ultimativ auf, ihren Widerstand gegen die heimliche Überwachung von Terrorverdächtigen aufzugeben.

Konkret geht es in dem Brief um zwei Terrorverdächtige, gegen die ein Düsseldorfer Amtsgericht eine so genannte Quellentelekommunikationsüberwachung angeordnet hatte. Dabei wird die Telefon- oder Internetkommunikation mittels einer eingeschleusten Software abgehört, bevor sie verschlüsselt werden kann. Die Bundesanwaltschaft soll die Überwachung dann in Absprache mit dem Justizministerium wieder abgebrochen haben.

„Angesichts der aktuellen Gefährdungslage halte ich es für nicht vertretbar, dass den Strafverfolgungsbehörden der gebotene Zugang zu Bereichen hochkonspirativer Kommunikation von Terrorismusverdächtigen verweigert wird“, schreibt de Maizière ultimativ und mahnt, „umgehendes Handeln durch Ihr Haus ist dringend erforderlich“, damit „drohende Informationsverluste vermieden werden können“.

De Maizières Schreiben zielt über den konkreten Fall hinaus. Leutheusser-Schnarrenberger lehnt die Vorratsdatenspeicherung ab. Sie zählte 2008 zu den Klägern, die das entsprechende Gesetz zu Fall brachten, und lehnt ein neues Gesetz auch weiterhin ab. De Maizière befürwortet dagegen die Vorratsdatenspeicherung. Sein Brief und dessen Weitergabe an die Presse dienen offensichtlich dazu, den Druck auf die liberale Justizministerin zu erhöhen.

De Maizières Brief trägt das Datum vom 12. November – fünf Tage vor der ersten Terrorwarnung. Als er dann am 18. November vor Terroranschlägen warnte, erklärte er scheinheilig: „Ich möchte für mich jeden Eindruck vermeiden, dass die Situation in irgendeiner Weise instrumentalisiert wird für rechtspolitische Vorhaben.“ Sein Brief beweist das Gegenteil.

De Maizière hat die Unterstützung der SPD, die das gescheiterte Vorratsdatenspeicherungsgesetz 2007 gemeinsam mit der Union verabschiedet hatte. Der SPD-Vizevorsitzende Olaf Scholz forderte die Regierung auf, endlich ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vorzulegen und bot ihr seine Zusammenarbeit an: „Die Bundesregierung kann sich grundsätzlich auf die SPD verlassen, wenn es um die Wahrung der inneren Sicherheit angesichts der offensichtlichen Terror-Bedrohung geht.“

In der Haushaltsdebatte des Bundestags trat Scholz für eine gemeinsame Politik von Regierung und Opposition „in der schwierigen Frage der inneren Sicherheit“ ein und forderte eine Aufstockung des Polizeipersonals.

Auch der Linksparteiabgeordnete Jan Korte setzte sich für „gut ausgebildetes, ausgestattetes und ausgeschlafenes Personal in den Sicherheitsbehörden“ ein. Ausdrücklich lobte er Innenminister de Maizière und bescheinigte ihm einen „neuen, besonnenen Ton“.

Die Linkspartei unterstützt – wie auch die Grünen – die Geheimniskrämerei der Bundesregierung. Obwohl die Öffentlichkeit keine Möglichkeit hat, den Wahrheitsgehalt der Terrorwarnungen zu überprüfen, halten sich Wolfgang Neškovi&; und Christian Ströbele, die für die Linkspartei und die Grünen im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) sitzen, strikt an ihre Schweigepflicht. Die Mitglieder des PKG werden, zumindest nach offizieller Lesart, über die Arbeit und Erkenntnisse der Geheimdienste informiert.

Auch an der starken Polizeipräsenz, mit schwer bewaffneten Beamten in Hauptbahnhöfen, auf Flughäfen und Weihnachtsmärkten und vor öffentlichen Gebäuden, die das Bild eines Landes im Ausnahmezustand vermitteln, haben Linkspartei und Grüne nichts auszusetzen. Ebenso wenig an den ständigen Aufforderungen, „auffällige Personen“ den Sicherheitsbehörden zu melden, die ein Klima der Schnüffelei und Denunziation schaffen.

Der Vizefraktionschef der Linkspartei Dietmar Bartsch lobte in der Fernsehsendung „Unter den Linden“ sogar ausdrücklich die Sicherheitsmaßnahmen im Bundestag und trat dafür ein, einige Parlamentsdebatten zu vertagen. „Es ist schon so, dass es eine gewisse bedrückende Stimmung gibt, denn offensichtlich sind die Warnungen ja sehr ernst zu nehmen“, sagte er.

Die Bundesregierung nutzt die Terrorwarnungen auch, um die Zentralisierung und Sicherheitsbehörden voranzutreiben. Entsprechende Vorbereitungen laufen allerdings schon lange.

Der Militärische Abschirmdienst (MAD) soll aufgelöst und in den Verfassungsschutz und den Bundesnachrichtendienst (BND) überführt werden, für den gegenwärtig an der Berliner Chausseestraße für 1,6 Milliarden Euro ein gigantisches Verwaltungsgebäude mit 4.000 Arbeitsplätzen entsteht. Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion Christian Ahrendt sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung, dies hätten Vertreter von FDP und Union in einem geheim tagenden Bundestagsgremium beschlossen.

Laut einem Bericht der Zeitung Die Welt gibt es für die Polizei ähnliche Konzentrationspläne. Entsprechende Vorschläge einer Kommission wolle Innenminister de Maizière im Dezember vorstellen. Zur Diskussion stünden die Gründung einer „Finanzpolizei“, die Zusammenlegung von Bundespolizei, Bundeskriminalamt (BKA) und Teilen des Zolls, oder auch die Einrichtung einer erweiterten Bundeskriminalpolizei. Die Zeitung beruft sich auf interne Papiere einer Kommission, die von dem früheren Verfassungsschutzpräsidenten Eckart Werthebach (CDU) geleitet wird und den früheren Generalbundesanwalt Kay Nehm, Ex-BKA-Chef Ulrich Kersten und den ehemaligen Leiter des Zollkriminalamts Karl-Heinz Matthias als Mitglieder führt.

Die Trennlinien zwischen Auslands- und Inlandsgeheimdiensten, zwischen Geheimdiensten und Polizei, zwischen Kriminalpolizei- und normaler Polizei, zwischen Bundes- und Länderpolizei wird damit zunehmend zugunsten eines gewaltigen, unkontrollierbaren Sicherheitsapparats verwischt.

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