Der Verfall der amerikanischen Demokratie

Der Wahlkampf 2010 in den USA, der jetzt glücklicherweise zu Ende geht, markiert einen weiteren Abstieg des amerikanischen Zwei-Parteien-Systems in politischen Schwachsinn. Nicht eine der wichtigen Fragen, vor denen die amerikanische Bevölkerung steht, wurde ernsthaft diskutiert, weder die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression, noch zwei Kriege, Armut, Hunger, Obdachlosigkeit und Zwangsräumungen, noch der Angriff auf demokratische Rechte oder die schlimmste Umweltkatastrophe in der amerikanischen Geschichte. Die meisten Probleme kamen überhaupt nicht zur Sprache.

Stattdessen bewarfen sich die Kandidaten der Demokraten und der Republikaner gegenseitig mit Schmutz und Albernheiten und arbeiteten mit Täuschungen und offenen Lügen in einem selbst für amerikanische Wahlen beispiellosen Ausmaß. Die beiden Parteien und diverse Gruppen gaben mehr als vier Milliarden Dollar aus. Diese Gruppen wurden von der Wirtschaft allein zu dem Zweck finanziert, den jeweils anderen Kandidaten zu verleumden.

Der Löwenanteil dieser Summen floss in den Ankauf von Fernsehzeit für die Verbreitung von Wahlkampfwerbung, die am letzten Wochenende ihren Höhepunkt fand. Es war unmöglich, eine Nachrichtensendung, einen Film, eine Unterhaltungssendung oder eine Sportübertragung anzuschauen, ohne dass man einer Lawine von geradezu unvorstellbarem Schmutz ausgesetzt war. Die im Stakkato-Tempo vorgetragenen bösen Lügen benebelten alle Sinne.

In Nevada wurde den Zuschauern mitgeteilt, dass der Demokratische Amtsinhaber, Senator Harry Reid, für kostenloses Viagra für Kinderschänder im Gefängnis eintrete. In Kentucky erfuhren sie, dass der Republikanische Kandidat für den US-Senat eine Unterrichtshilfskraft an einem College gefesselt und gezwungen habe, einen Götzen mit Namen Aqua Buddha anzubeten. In Illinois wurde der Demokratische Kandidat für den Senat als „Banker der Gangsterkartelle“ verleumdet. Ein Republikanischer Kandidat für den Kongress wurde in Michigan als Betrüger gebrandmarkt, der seine Geschäftspartner um sechs Millionen Dollar geprellt habe.

Viele dieser Werbespots wurden von “unabhängigen” Gruppen gekauft, die über Nacht aus dem Boden sprangen, um die Wahl 2010 zu beeinflussen. Normalerweise werden sie von einem reichen Spender, einer Wirtschaftslobby oder einer der großen Gewerkschaften finanziert. Die Gruppe kauft dann unter unverfänglichen Namen wie „Amerikaner für Wohlstand“, „Amerikaner für Arbeitsplätze“ oder „Amerikanische Familien zuerst“ Fernsehzeit, um den einen Kandidaten in den Schmutz zu ziehen und den anderen anzupreisen.

Eine wichtige Funktion der Werbekannonade ist es, die Zuschauer zu verwirren und ein systematisches Nachdenken über politische Fragen praktisch unmöglich zu machen. Keine der Parteien will ernsthaft mit den Wählern in Kontakt treten. Stattdessen versuchen ihre Strippenzieher und Werbeexperten, das Publikum mit emotionalen Angriffen auf den Gegenkandidaten zu schockieren und dabei zu verschleiern, dass die Spots einfach die Interessen ihrer Auftraggeber vertreten.

Das beschämende intellektuelle Niveau des Wahlkampfs von 2010 ist aber keineswegs ein bizarrer oder grotesker Aspekt eines ansonsten gesunden Wahlkampfs. Es ist vielmehr Ausdruck der grundlegend bankrotten kapitalistischen Demokratie in den USA.

Die beiden großen Parteien der Wirtschaft können schlicht nicht ehrlich und direkt mit der amerikanischen Bevölkerung umgehen, weil Demokraten und Republikaner beide die Finanzaristokratie vertreten, diesen winzigen Teil der Bevölkerung, dessen Interessen denen der breiten Masse diametral entgegengesetzt sind.

Das populistische Gehabe beider Parteien ist abgedroschen und unglaubwürdig. Obama tut so, als verkörpere seine Regierung den Leibhaftigen im Nacken der Wall Street, während er doch dafür gesorgt hat, dass das Finanzministerium Billionen für die Rettung der Banken locker gemacht hat. Die Republikaner wiederum wettern gegen die Bankenrettung, obwohl sie von der Bush-Regierung in die Wege geleitet und von der Republikanischen Kongressführung ratifiziert worden ist.

Die Tatsache, dass jede substantielle Diskussion über Fragen wie Krieg und Angriffe auf demokratische Rechte fehlt, zeigt den heruntergekommenen und betrügerischen Charakter des Systems. Keine der beiden Parteien wird sich dem Willen der Bevölkerung unterwerfen, wenn es um entscheidende Fragen geht.

Bush zog gegen den Irak in den Krieg, obwohl die Bevölkerung dagegen war. Nachdem er die Wahl 2008 als angeblicher „Friedenskandidat“ gewonnen hatte, weitete Obama den Krieg in Afghanistan aus. Ähnlich in der Frage der demokratischen Rechte: Beide Parteien treten für die weitere Stärkung des militärischen- und Geheimdienstapparats ein, der zum Gerüst für einen Polizeistaat in den USA geworden ist.

Seit der berüchtigten Intervention des Obersten Gerichtshofs in die Präsidentschaftswahl von 2000 und der Kapitulation der Demokraten vor der Installierung George W. Bushs im Weißen Haus ist inzwischen ein Jahrzehnt vergangen. Damals zog die World Socialist Web Site die Schlussfolgerung, dass es in der herrschenden Klasse Amerikas keine wirkliche Unterstützung mehr für demokratische Rechte gebe.

Es folgten Wahlen, von denen jede eine noch größere Karikatur der Demokratie als die vorhergehende darstellte. Die Wahl von 2002 fand inmitten der Kriegpropaganda in der Vorbereitung auf den Irakkrieg statt. Die Bush-Regierung warnte vor „Atompilzen“ über amerikanischen Städten, wenn Saddam Hussein nicht gestürzt werde.

Bei der Wahl von 2004 missachteten die Demokraten die Antikriegsstimmung der amerikanischen Bevölkerung und stellten einen Kandidaten auf, der einen militärischen Sieg im Irak versprach.

2006 gewannen die Demokraten wegen der breiten Ablehnung des Irakkriegs die Mehrheit im Kongress. Aber die Bush-Regierung verschärfte den Krieg, und die Demokratische Kongressmehrheit weigerte sich, die Gelder für den Krieg zu sperren oder sonstige Schritte zur Beendigung des Blutbades zu ergreifen.

Der Sieg Obamas bei der Präsidentschaftswahl von 2008 war ein Triumph der Medienmanipulation und der Schaffung von Illusionen. Der praktisch unbekannte Kandidat, der nur vier Jahre im Senat gesessen hatte, wurde von Strippenziehern und Geldleuten in der Demokratischen Partei ausgewählt und dann als neues aufmüpfiges Gesicht aufgebaut, das „Hoffnung“ wecken und den „Wandel“ bringen sollte. Er übernahm sein Amt unter den feierlichen Beteuerungen, der erste afroamerikanische Präsident stelle für das demokratische System einen Meilenstein dar. Umso niederschmetternder ist zwei Jahre später die Ernüchterung.

Aber diese Jahre waren nicht umsonst. Dutzende Millionen Menschen verstehen jetzt instinktiv und aufgrund harter Erfahrungen, dass beide Parteien das Geschäft der amerikanischen Wirtschaft betreiben, ganz unabhängig von ihrem Wahlkampf-Gerede. Die Erkenntnis, dass die arbeitende Bevölkerung einen grundlegend neuen Weg braucht, nimmt Gestalt an.

Das korrupte, verkommene System kann nicht durch eine Reform der Wahlkampffinanzierung gerettet werden, oder dadurch, dass an irgendwelchen Regeln herumgebastelt wird, nach denen die Herren in der Wirtschaft ihre Politiker kaufen und verkaufen.

Die amerikanische Politik wird sich nur dann wirklich ändern, wenn die Massen in große, soziale und politische Kämpfe gehen. Eine wirklich breite Bewegung von unten wird alles absprengen, was am politischen Leben Amerikas falsch, unehrlich, künstlich und trügerisch ist. Davon werden auch so pseudo-populistische Ablenkungen wie die Tea Party nicht verschont bleiben.

Um vorwärts gehen zu können, muss die Arbeiterklasse ihre eigene, unabhängige Partei für die arbeitende Bevölkerung und alle Unterdrückten aufbauen, die sich für ein sozialistisches und antiimperialistisches Programm einsetzt. Für diese Perspektive kämpft die Socialist Equality Party.

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