20 Jahre deutsche Einheit

Dieser Artikel wurde 20 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands veröffentlicht. Am 3. Oktober 1990 hörte die Deutsche Demokratische Republik auf zu existieren und die neu gebildeten östlichen Bundesländer traten – wie es damals hieß – dem Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland bei.

Seither hat sich Deutschland in einer Weise verändert, wie es sich damals nur wenige vorstellen konnten. Anstelle der „blühenden Landschaften“, die Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) versprach, gibt es weit verbreitete Armut und Arbeitslosigkeit. 6,7 Millionen Bundesbürger leben von Hartz IV, rund fünf Millionen von prekärer Arbeit. Die einst als vorbildlich geltende Renten- und Gesundheitsversorgung wird Schritt für Schritt abgebaut. Deutsche Soldaten kämpfen und töten wieder in Afghanistan und anderen Weltregionen. Die kapitalistische Gesellschaft befindet sich weltweit in einer tiefen Krise.

Der Bund Sozialistischer Arbeiter, die Vorgängerin der Partei für Soziale Gleichheit, hat 1990 vor den Folgen der Einführung des Kapitalismus gewarnt und viele der seitherigen Entwicklungen korrekt vorhergesehen. In einer Erklärung vom 21. Oktober 1990 wandte sich der BSA gegen die Rückgabe des Staatseigentums an private Konzerne und Banken. Dabei hegte er nicht die geringste Sympathie für die ehemaligen stalinistischen Herrscher der DDR, die die Wiedervereinigung selbst mit vorbereitet hatten. Er zog eine Bilanz des Niedergangs der DDR und leitete daraus ein internationales, sozialistisches Programm ab.

Wir geben den Text dieser Resolution hier wieder. Wir haben ihn dem Buch „Das Ende der DDR“ entnommen, das über den Mehring Verlag erhältlich ist.

Das Ende der DDR und die Perspektiven für die Arbeiterklasse

Erklärung des Zentralkomitees des Bunds Sozialistischer Arbeiter vom 21. Oktober 1990

Der Anschluss der DDR an die Bundesrepublik am 3. Oktober 1990 kennzeichnet das Ende eines wichtigen Kapitels in der Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterklasse und macht es notwendig, eine historische Bilanz zu ziehen – Bilanz nicht nur über die letzten 12 Monate, sondern über eine ganze historische Periode.

40 Jahre nach ihrer Errichtung ist die DDR praktisch über Nacht spurlos verschwunden. Die Mühen und Opfer von zwei Generationen Arbeitern, die nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur versucht hatten, einen Schritt zur Überwindung der kapitalistischen Ausbeutung zu machen, sind scheinbar umsonst gewesen. Dieselben Konzerne und Banken, die vor 45 Jahren mit Schimpf und Schande vertrieben wurden, ziehen wieder in den östlichen Teil Deutschlands ein, beanspruchen Produktionsmittel und Boden als ihr Privateigentum, verwandeln die Arbeiter in Lohnsklaven und organisieren Massenarbeitslosigkeit, Sozialabbau und Armut.

Es ist dieselbe Bourgeoisie, die in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts die barbarischsten Verbrechen begangen hat, welche die Menschheit je gesehen hat. Ihre Rückkehr in die von ihr selbst bereits verloren geglaubten Ostgebiete ist ein Schlag nicht nur gegen die deutsche, sondern auch gegen die internationale Arbeiterklasse.

Konzerne wie Krupp, Thyssen, Siemens und Bosch, Banken wie die Dresdner und die Deutsche Bank hatten ganz Deutschland in eine einzige Kriegs- und Mordmaschinerie verwandelt, hatten Millionen auf den Schlachtfeldern zweier Weltkriege in den Tod gejagt oder brutal verstümmelt, Millionen in den Konzentrationslagern der Nazis als kostenlose Arbeitssklaven zu Tode gequält, Abermillionen in den Gaskammern vernichtet. In ihrer mörderischen Jagd nach Profit scheute diese Bourgeoisie nicht davor zurück, aus der Haut ihrer ermordeten Opfer Lampenschirme, aus den Knochen Seife anfertigen zu lassen. Und dieser selben Bourgeoisie, deren führende Familien, Banken und Konzerne immer noch die gleichen Namen tragen, ist jetzt der Weg geebnet worden, die Betriebe, Grundstücke und Ländereien wieder in Besitz zu nehmen, von denen sie nach 1945 vertrieben worden war. Derselbe Staat, der im Westen mit Hilfe der Alliierten nach 1945 von den Nazis unverändert übernommen und nur vorübergehend mit der „demokratischen“ Papiermaske des Grundgesetzes versehen worden ist, dieselbe Justiz, deren Nazi-Richter in keinem einzigen Fall zur Verantwortung gezogen, geschweige denn abgeurteilt worden sind – sie halten wieder Einzug in dem Gebiet der bisherigen DDR.

Die sozialen Folgen dieser Entwicklung für die Arbeiter sind bereits sichtbar. Im vergangenen Herbst waren Millionen auf die Straße gegangen und hatten die Abschaffung der Bürokraten-Willkür und Stasi-Herrschaft, politische Freiheit und Verbesserung der Lebensbedingungen gefordert. Jetzt sind sie mit Arbeitslosigkeit und Kapitalismus konfrontiert.

Um ein „günstiges Klima“ für die kapitalistische Ausbeutung zu schaffen, sind praktisch sämtliche sozialen Errungenschaften, insbesondere das Recht auf einen Arbeitsplatz, auf Ausbildung und medizinische Versorgung und auf Kindergärten beseitigt worden. Drei Millionen Arbeitslose und Kurzarbeiter im Osten gesellen sich zu den zwei Millionen Arbeitslosen und vier Millionen Sozialhilfeempfängern im Westen. Weitere Millionen Arbeitslose sind durch die geplante Zerschlagung der Staatsbetriebe und der genossenschaftlichen Landwirtschaft in der ehemaligen DDR bereits vorprogrammiert.

Gleichzeitig werden die Rentner in die Verelendung getrieben, Zigtausende von Jugendlichen ihrer Ausbildungs- und Studienplätze beraubt. Die Tariflöhne werden auf einem Niveau von 40 oder höchstens 50 Prozent der Westlöhne gehalten – nicht, wie vorgegaukelt, für einen wirtschaftlichen Aufschwung im Osten, sondern als Brechstange für die Zerschlagung der Löhne und Arbeitsplätze im Westen! Massiv werden im Westen bereits Leiharbeiter aus dem Osten eingesetzt, zu Löhnen, die nur ein Viertel oder ein Drittel der Löhne im Westen ausmachen. Zahlreiche Unternehmen  wie Opel, Siemens, Daimler-Benz, Salamander, Krupp, usw. haben begonnen, die Betriebe im Osten als billige verlängerte Werkbänke zu benutzen, um ihre Lohnkosten zu senken und die Arbeitsplätze und Betriebe im Westen abzubauen.

Wie wurde dies möglich? Weshalb war die Arbeiterklasse nicht in der Lage, dieser Entwicklung stärkeren Widerstand entgegenzusetzen? Weshalb stehen dieselben Arbeiter, die gegen die verhasste stalinistische Diktatur auf die Straße gingen und Honecker und Krenz verjagten, jetzt einer neuen Diktatur, der Diktatur der Deutschen Bank und des deutschen Imperialismus gegenüber?

Ohne diese Fragen zu beantworten, ohne zu verstehen, welche gesellschaftlichen Kräfte und politischen Tendenzen für diese Niederlage verantwortlich sind, kann die Arbeiterklasse keinen Schritt vorwärts machen, kann sie nicht eine ihrer Errungenschaften verteidigen, ist sie dazu verdammt, auch in Zukunft die schlimmsten Schläge hinzunehmen.

Die Arbeiterklasse muss vor allem die durch und durch konterrevolutionäre Rolle des Stalinismus verstehen. In der  DDR ist nicht der Sozialismus, sondern dessen übelster Feind, der Stalinismus gescheitert.

Der Zusammenbruch der DDR hat ein vernichtendes historisches Urteil über den Stalinismus gefällt: 40 Jahre lang verfügte die SED über eine praktisch uneingeschränkte Macht. Doch sie hat damit nicht den Sozialismus aufgebaut, sondern ihre Privilegien verteidigt und die Arbeiterklasse unterdrückt und bevormundet. Als sie den Widerstand gegen ihre Herrschaft nicht länger knebeln konnte, händigte sie alles, was zwei Generationen von Arbeitern unter unzähligen Opfern aufgebaut hatten, an die kapitalistischen Konzerne und Banken aus. Inzwischen arbeitet sie – als PDS – eng mit dem kapitalistischen Staat zusammen.

In ganz Osteuropa, eingeschlossen der Sowjetunion, hat die stalinistische Bürokratie denselben Weg eingeschlagen. Der Stalinismus führt nicht zum Sozialismus, sondern zurück zum Kapitalismus! Er ist nicht ein fehlerhafter Versuch für den Aufbau des Sozialismus, sondern sein größtes Hindernis.

Die Ereignisse in der DDR haben gezeigt, dass es nicht ausreicht, den Stalinismus zu hassen. Der Zusammenbruch des Stalinismus führt zum Triumph des Kapitalismus, wenn die Arbeiterklasse nicht mit einem unabhängigen politischen Programm bewaffnet ist und selbst die Initiative ergreift. Sie muss politisch, theoretisch und programmatisch mit dem Stalinismus abrechnen, ihn und seine Helfershelfer vollständig aus der Arbeiterbewegung vertreiben und eine neue, internationale sozialistische Partei aufbauen – die Vierte Internationale.

Die Ursachen für den Zusammenbruch der DDR

Die DDR war kein wirtschaftliches Wrack, ihre Produktionsanlagen nicht Schrott, wie die bürgerliche Propaganda pausenlos verkündet. Trotz der lähmenden Rolle der herrschenden Bürokratie wurde – gestützt auf das verstaatlichte Eigentum – auf einer kleinen Fläche mit einer Bevölkerung von nur 16 Millionen die zehntstärkste Industrie der Welt aufgebaut.

Im Rahmen ihrer Politik der verbrannten Erde zur Wiedereinführung des Kapitalismus legen die Kapitalisten heute Betriebe still, die für ganz Osteuropa von entscheidender Bedeutung waren oder – wie der Kamerahersteller Praktika – eine anerkannte Stellung auf dem Weltmarkt hatten. Ihre Begründung, es gebe für die Produkte dieser Firmen keinen Markt, ist eine glatte Lüge. Der wirkliche Grund für die Stilllegungen ist, dass sie Konkurrenz für ihre eigenen Unternehmen fürchten oder sich sorgen, dass ihre amerikanischen, japanischen oder europäischen Rivalen diese Firmen aufkaufen und auf dem deutschen oder osteuropäischen Markt Fuß fassen könnten.

Die DDR war wirtschaftlich und sozial höher entwickelt als viele Gebiete Westeuropas, wie Spanien und Portugal oder die verarmten Gegenden im Süden Italiens und im Norden Großbritanniens. Mit ihrem Sozialsystem konnte sich – außer vielleicht die skandinavischen Länder – kein kapitalistisches Land messen. Erst die Einführung des Kapitalismus hat in der ehemaligen DDR zu Massenarmut geführt.

Ihr Zusammenbruch und der Zusammenbruch der anderen osteuropäischen Länder beweist nicht die Überlegenheit der Markt- über die Planwirtschaft, sondern die Unmöglichkeit, im Rahmen eines isolierten Landes eine selbstgenügsame sozialistische Wirtschaft aufzubauen.

Trotz der anders lautenden Behauptungen der SED-Bürokratie war die DDR niemals ein sozialistisches Land. Voraussetzung für eine sozialistische Gesellschaft ist nicht nur die Abschaffung des Privateigentums und der kapitalistischen Ausbeutung, sondern auch ein höheres Produktivitätsniveau, als es der Kapitalismus erreichen kann. Das erfordert den Zugang zum Weltmarkt. Die Behauptung, es sei möglich, innerhalb der engen Grenzen der DDR völlig unabhängig von den Gesetzen des Weltmarkts eine in sich abgeschlossene sozialistische Wirtschaft aufzubauen, war eine reaktionäre Utopie, die dazu diente, die Arbeiterklasse zu täuschen und in eine historische Sackgasse zu führen.

Die Theorie vom „Aufbau des Sozialismus in einem Land“ war 1924 erstmals von Stalin verkündet worden und stand in völligem Gegensatz zur Perspektive der sozialistischen Weltrevolution, für die Lenin, Trotzki und die von ihnen gegründete Kommunistische Internationale eingetreten waren. Sie brachte die Interessen der aufsteigenden Bürokratie zum Ausdruck und diente dieser später als Waffe bei der Verfolgung ihrer marxistischen Gegner. Das SED-Regime und alle anderen Regimes, die die stalinistische Bürokratie nach dem Zweiten Weltkrieg in Osteuropa errichtete, stützten sich auf diese reaktionäre Theorie. Der Zusammenbruch der DDR war ein unausweichliches Ergebnis davon.

Die raschen wirtschaftlichen Fortschritte, die die DDR auf der Grundlage der verstaatlichten Eigentumsverhältnisse trotz der Isolation und des bürokratischen Schmarotzertums machte, verstärkten zwangsläufig ihre Abhängigkeit von der Weltwirtschaft. Gleichzeitig wurde es für sie immer schwieriger, ihre Produkte auf dem Weltmarkt abzusetzen und mit den kapitalistischen Konzernen Schritt zu halten, die Zugang zu den internationalen Finanzmärkten hatten, ihre Produktion weltumspannend organisierten und die Arbeiter in Ostasien und Lateinamerika zu Sklavenlöhnen ausbeuteten.

Unter dem Druck des kapitalistischen Weltmarkts schlitterten die DDR und alle anderen stalinistisch regierten Staaten so in eine wirtschaftliche Krise, welche die sozialen Spannungen im Innern – den Konflikt zwischen der Bürokratie und der Arbeiterklasse und verschiedenen Schichten des Kleinbürgertums – auf die Spitze trieb und 1989 zum Zusammenbruch der meisten stalinistischen Regimes führte. In der DDR vollzog sich, gerade weil sie wirtschaftlich am weitesten entwickelt und daher am stärksten von der Weltwirtschaft abhängig war, dieser Kollaps am schnellsten.

Hinter dem Zusammenbruch der DDR stand letztlich dieselbe Gesetzmäßigkeit, die auch in den kapitalistischen Ländern wieder zu immer schärferen Krisen führt: Die Unvereinbarkeit der modernen Weltwirtschaft mit den Grenzen der Nationalstaaten.

Aus dieser Krise gab es – wie das Internationale Komitee der Vierten Internationale immer wieder betont hat – nur zwei mögliche Auswege: Den Anschluss an die Weltwirtschaft auf kapitalistischem Weg, d.h. die Wiedereinführung des Kapitalismus mit all den Folgen für die Arbeiterklasse, wie sie jetzt in der ehemaligen DDR, in Polen, Ungarn usw. sichtbar werden. Oder den Anschluss an die Weltwirtschaft auf sozialistischem Weg, durch die Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse zum Sturz des Kapitalismus.

Der Verrat der SED/PDS

Für die stalinistische Bürokratie war der zweite Weg von vornherein ausgeschlossen, hätte er doch den freiwilligen Verzicht auf ihre Macht und Privilegien bedeutet. Doch kein Teufel hat, wie schon Trotzki über den Stalinismus sagte, jemals freiwillig seine Krallen beschnitten.

Durch eine millionenköpfige Massenbewegung vor die Unhaltbarkeit ihrer Privilegien auf der alten Grundlage – als Parasit am verstaatlichten Eigentum – gestellt, opferte die SED-Bürokratie im November 1989 ihre verhasstesten Köpfe und warf sich samt den sie umgebenden Blockparteien dem Kapitalismus in die Arme.

SED-Betriebsdirektoren und -Abteilungsleiter gaben massenweise ihre Parteibücher zurück, um als neugeborene kapitalistische Manager die Arbeiter auf die alte Weise weiter zu schinden. Einige blieben auch in der PDS, erklärt doch auch sie in ihrem Programm, die kapitalistische Marktwirtschaft habe sich „eindeutig als überlegen, als effektiver, flexibler und die Kreativität der Menschen fördernd erwiesen“, sie sei „Bedingung für die freie Entwicklung des Individuums, für die Verbesserung der Lebensqualität und der Bedürfnisbefriedigung“.

Die Namen des Vorstands der stalinistischen Nachwuchsorganisation FDJ finden sich inzwischen fast vollständig im Berliner Handelsregister wieder. Seine Mitglieder haben gleich reihenweise GmbHs gegründet, welche die einstigen Luxusferienheime der Bürokratenjugend – die diese inzwischen als ihr Privateigentum betrachtet – lukrativ als Hotels vermarkten.

Die „Blockflöten“, die vier Jahrzehnte lang harmonisch im Berliner Orchester gespielt hatten und nichts weiter waren, als eine besondere Abteilung des stalinistischen Apparats, wechselten geschlossen ins Lager der Bourgeoisie, um im Bonner Orchester eine neue Melodie anzustimmen. Wie schon einmal in der deutschen Geschichte wurden in diesem wundersamen Verwandlungsprozess alle Täter zu Opfern.

Hätte die Bürokratie nur einen Bruchteil der Energie, mit der sie ihr Parteivermögen ins Trockene brachte und sich um neue Pöstchen bemühte, für die Verteidigung der sozialen Errungenschaften der Arbeiter aufgewendet, diese würden heute wesentlich besser dastehen.

Die Schlüsselrolle bei diesem beispiellosen Verrat spielte die inzwischen zur PDS gewandelte SED.

Die Regierung Modrow übernahm die Aufgabe, die kapitalistische Restauration in der DDR durchzusetzen und die Staatsmacht an die deutsche Bourgeoisie auszuhändigen. Ihre Minister, wie die Wirtschaftsministerin Luft, zogen fertige, seit Jahren in den Stuben der Bürokratie und ihrer akademischen Lakaien ausgearbeitete Pläne aus den Schubladen, um das „Leistungsprinzip“ – d.h. die kapitalistische Ausbeutung – und „die allseitige Ware-Geld-Beziehung“ – d.h. die kapitalistische Marktwirtschaft – durchzusetzen.

Schamlos begannen die stalinistischen Bürokraten, Generaldirektoren und Gewerkschaftsfunktionäre, die Betriebe und Grundstücke zu verscheuern und sämtliche sozialen Errungenschaften der Arbeiter den Kapitalisten in den Rachen zu werfen.

Modrow sorgte dafür, dass der staatliche Unterdrückungsapparat für die Übernahme durch die Bourgeoisie aufrechterhalten wurde und die Stasi weitgehend auf ihren Posten blieb. Gleichzeitig leitete er mit dem Plan einer „Vertragsgemeinschaft“ zwischen BRD und DDR die Währungsunion ein. Von einem Besuch in Moskau kehrte er mit der Parole der Nationalisten „Deutschland, einig Vaterland“ zurück, um mit der vollen Unterstützung von Gorbatschow die Vereinigung Deutschlands auf kapitalistischer Grundlage durchzusetzen.

Die Verhandlungsdelegationen der Modrow-Regierung übernahmen noch nicht einmal den Versuch, irgendetwas von den Rechten und sozialen Sicherungen der Arbeiterklasse zu verteidigen oder auch nur als Verhandlungsgegenstand ins Spiel zu bringen. Obwohl sie noch die Staatsmacht besaßen, gaben sie alles preis.

Unterstützt wurden die Stalinisten dabei von den kleinbürgerlichen Parteien am Runden Tisch, dem Neuen Forum, Demokratie Jetzt, der SPD, der Vereinigten Linken, usw., die alle in eine „Regierung der nationalen Verantwortung“ eintraten. Um zu verhindern, dass die anwachsende Welle von Streiks und unabhängigen Aktionen gegen die Stasi über Modrows Regime hinwegschwappte, warfen sie alle Autorität in die Waagschale, die sie als Verfolgte des alten Regimes gewonnen hatten. Drei Monate später, bei der Volkskammerwahl, wunderten sie sich dann, wo diese Autorität geblieben war.

Trotz ihren Bemühungen erschütterte im Januar eine wachsende Streikwelle Staatsapparat und Regierung. Modrow selbst hat später erklärt, dass er im Januar nur die Alternative sah, die DDR an die Kapitalisten auszuliefern oder die Bewegung blutig niederzuschlagen. Ein Eingehen auf die Forderungen der Arbeiter schied für ihn von vornherein aus.

Um einem Zusammenbruch der Regierung vor der Übergabe der Macht in Bonner Hände zuvorzukommen, wurde die Volkskammerwahl vorgezogen. Sie sollte der kapitalistischen Restauration einen legalen Deckmantel verschaffen. De Maizière, langjährige Säule des stalinistischen Regimes in der Volkskammer, war dann nichts anderes mehr, als die Marionette der Kohl-Regierung, welche, gestützt auf den alten Apparat von Justiz, Polizei, Stasi-Agenten und Gewerkschaftsbürokraten, die Anweisungen aus Bonn umzusetzen hatte.

Der Bund Sozialistischer Arbeiter war in diesen entscheidenden Monaten die einzige politische Tendenz, die nicht nur vor den Auswirkungen einer kapitalistischen Restauration, sondern auch vor der Rolle der Stalinisten und kleinbürgerlichen Demokraten bei ihrer Ausführung warnte.

Wir weigerten uns auch, in den Chor der sogenannten „Linken“ einzustimmen, die sich unter der Parole „Verteidigt die DDR“ an die Rockschöße der SED/PDS hängten. Die Arbeiterklasse, betonten wir immer und immer wieder, kann ihre Errungenschaften nur verteidigen, wenn sie die politische Revolution zu Ende führt, die stalinistische Bürokratie stürzt und in Zusammenarbeit mit ihren internationalen Verbündeten eine wirkliche sozialistische Gesellschaft aufbaut. Auf dieser Grundlage begrüßten wir den Fall der Mauer und den Sturz von Honecker und Krenz im Herbst 1989.

Der geschlossene Übergang der stalinistischen Bürokratie ins Lager des Kapitalismus hat die Warnungen und den Standpunkt des BSA voll bestätigt.

Die Wurzeln des Stalinismus

Der BSA wurde durch den Verrat der stalinistischen SED-PDS nicht überrascht.

Die trotzkistische Bewegung war bereits 1933 zu der Auffassung gelangt, dass der Stalinismus die Kommunistische Internationale und die ihr angeschlossenen Parteien endgültig in eine Agentur des Imperialismus verwandelt hatte und dass der Kampf für den Sozialismus die Zerschlagung des Stalinismus und den Aufbau einer neuen, der Vierten Internationale erforderte. Das Internationale Komitee, dem der BSA angeschlossen ist, wurde dann 1953 gegründet, um innerhalb der Vierten Internationale gegen die Vorstellung zu kämpfen, der Stalinismus könne sich unter dem Druck der Massen wieder in eine sozialistische Tendenz verwandeln.

Entstanden ist der Stalinismus in den zwanziger Jahren in der Sowjetunion. Er verkörpert nicht das Erbe der Oktoberrevolution, sondern die Reaktion dagegen. Er ist das Ergebnis ihrer Isolation durch verheerende Niederlagen der internationalen Arbeiterklasse. Der andauernde Druck des Imperialismus und der kapitalistischen Weltwirtschaft auf den ersten Arbeiterstaat – ein am Ende des 1. Weltkriegs wirtschaftlich und technologisch rückständiges Land – schuf Bedingungen, unter denen eine privilegierte Schicht im Staatsapparat und dann im Parteiapparat aufsteigen und die Arbeiterklasse politisch entmündigen konnte. In Stalin fand diese Schicht, die Bürokratie, ihren politischen Führer.

Die Hauptverantwortung für die anhaltende Isolation der Sowjetunion und damit letztlich auch für den Aufstieg des Stalinismus trägt die Sozialdemokratie. Es war die SPD, die 1918 unter der Verantwortung von Ebert, Scheidemann und Noske in Deutschland die Novemberrevolution blutig niederschlug, die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht organisierte und der geschlagenen und diskreditierten Bourgeoisie zurück an die Macht verhalf. Den vollen Preis für diesen blutigen Verrat bezahlte die Arbeiterklasse 15 Jahre später mit Hitlers Machtübernahme. Das Anwachsen der Nazis war ein Ergebnis der erstickten proletarischen Revolution unter Bedingungen, wo es für die Bourgeoise keinen anderen Ausweg aus der Krise des deutschen Kapitalismus gab, außer faschistische Diktatur und Krieg.

Bereits 1924, unmittelbar nach Lenins Tod, brach Stalin mit der Perspektive der sozialistischen Weltrevolution und ersetzte sie durch das Programm vom „Sozialismus in einem Land“. Dieses nationalistische Programm sollte die Macht der herrschenden Bürokratie in der Sowjetunion absichern und führte zu verheerenden Niederlagen der internationalen Arbeiterklasse, wie 1926 in Großbritannien und 1927 in China. Diese Niederlagen verstärkten die Isolation der Sowjetunion und festigten so die Stellung der Bürokratie gegenüber der Arbeiterklasse.

1933 führte Stalins Politik in Deutschland zu einer Katastrophe von historischem Ausmaß. Obwohl die KPD Millionen Arbeiter hinter sich wusste, erwies sie sich als völlig unfähig, die Arbeiterklasse gegen die faschistische Gefahr zusammenzuschweißen. Sie lehnte eine Einheitsfront mit der SPD – wie sie von der trotzkistischen Linken Opposition gefordert wurde – strikt ab, bezeichnete die SPD als „sozialfaschistisch“ und stellte sie auf eine Stufe mit der NSDAP. Diese Politik hat die Arbeiterklasse gespalten, politisch gelähmt und schließlich kampflos an die Nazi-Diktatur ausgeliefert und damit dem Zweiten Weltkrieg den Weg geebnet.

Die deutsche Katastrophe und die Weigerung der Kominternführung, daraus irgendwelche Lehren zu ziehen, kennzeichneten den endgültigen Übergang der stalinistischen Bürokratie ins Lager der Konterrevolution.

In Frankreich und Spanien gingen die Stalinisten nun Volksfrontbündnisse mit der Bourgeoisie ein, die weitere verheerende Niederlagen der Arbeiterklasse zur Folge hatten. Die Volksfront ging einher mit der Ermordung aller bolschewistischen Führer der Oktoberrevolution, insbesondere der Führer der marxistischen Opposition um Leo Trotzki, und schließlich 1940 von Trotzki selbst. Kommandos der Geheimpolizei GPU jagten rund um die Welt linke Oppositionelle, die sich Stalins Politik widersetzten. In der Sowjetunion wurden die Mitglieder der Linken Opposition zu Zehntausenden liquidiert. Doch auch die Volksfront war noch nicht der tiefste Punkt, auf den Stalin sank; 1939 schloss er einen Pakt mit Hitler. 1943 wurde schließlich die Kommunistische Internationale, die längst aufgehört hatte, eine revolutionäre Organisation zu sein, formell aufgelöst.

Die Gründung der DDR

Die Gründung der DDR im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands bedeutete keine Abkehr des Stalinismus von seiner durch und durch konterrevolutionären Rolle. Sie war ein Ergebnis der Vereinbarungen, die Stalin nach der Niederlage des Nazi-Regimes mit Roosevelt und Churchill getroffen hatte, um einer drohenden revolutionären Welle im kriegszerstörten Europa zuvorzukommen. Die Kreml-Bürokratie hatte zugesichert, dass die stalinistischen Parteien in Westeuropa – insbesondere in Italien und Frankreich, wo sie über Masseneinfluss verfügten – die Errichtung bürgerlicher Regimes und den Wiederaufbau des Kapitalismus unterstützen würden, und als Gegenleistung die Kontrolle über eine Reihe von „Puffer“staaten erhalten, die sie vor einem erneuten imperialistischen Angriff schützen sollten.

Ursprünglich beabsichtigte sie noch nicht einmal, in diesen Ländern Enteignungen vorzunehmen. Jede selbständige Regung der Arbeiterklasse wurde brutal unterdrückt, was schließlich in der Niederschlagung der Arbeiteraufstände in der DDR 1953 und in Ungarn 1956 gipfelte. In der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands bestand die erste Aufgabe der aus Moskau eingeflogenen Gruppe Ulbricht darin, jede eigenständige Initiative der Arbeiterklasse zu ersticken und alle unabhängigen sozialistischen und antifaschistischen Komitees aufzulösen und durch ihre eigenen zu ersetzen.

Erst unter dem Druck des Kalten Krieges und des raschen wirtschaftlichen Wachstums des Kapitalismus im Westen ging die stalinistische Bürokratie zu Enteignungen über, um ihre Herrschaft abzusichern. Aber sie tat dies nicht mit den Methoden der proletarischen Revolution, sondern durch bürokratische Verordnungen. Die Struktur des bürgerlichen Staatsapparats wurde sorgfältig bewahrt.

Die Politik der stalinistischen Bürokratie in Osteuropa bewegte sich völlig im Rahmen der konterrevolutionären Perspektive vom „Sozialismus in einem Land“. „Proletarischer Internationalismus“ war für sie eine hohle Phrase, mit der sie nicht den Kampf für die sozialistische Weltrevolution, sondern die Besuche bezeichnete, die sich die stalinistischen Schmarotzer gegenseitig in ihren Datschen abstatteten. Die Arbeiterklasse isolierte sie dagegen durch Mauer und Stacheldraht von den Arbeitern im Westen. Ihre Angst vor einer internationalen Solidarisierung der Arbeiterklasse war so groß, dass sie selbst Reisen ins „sozialistische Ausland“, ja innerhalb der DDR selbst verbot oder nur unter ständigen Polizeischikanen erlaubte. Ausländische Arbeiter, die sie von den befreundeten Regimes in Vietnam, Kuba und Moçambique „auslieh“, wurden wie Sklaven behandelt.

Die Rolle der Stalinisten im Osten wurde ergänzt durch die der Sozialdemokraten im Westen, die den Wiederaufbau des deutschen Imperialismus voll unterstützten. Die Verbrechen, die die stalinistische Bürokratie im Namen des „Sozialismus“ an der Arbeiterklasse beging, lieferten zudem ständig neues Material für den Antikommunismus der Sozialdemokratie.

Die Spaltung Deutschlands, die von Adenauer mit Unterstützung des SPD-Vorsitzenden Schumacher vorangetrieben wurde, fand in beiderseitigem Einverständnis zwischen Stalinisten und Imperialisten statt. Die deutsche Bourgeoisie gab zwar ihren Anspruch auf den Osten nie auf; vorerst fühlte sie sich aber sicherer, wenn die Arbeiterklasse gespalten war. Als 1953 die Arbeiter in der DDR den Aufstand gegen Ulbricht wagten, war es Willy Brandt, der als regierender Bürgermeister von West-Berlin eine Solidarisierung mit den Arbeitern im Westen verhinderte.

In den vierzig Jahren ihrer Existenz hat in der DDR nicht die Arbeiterklasse geherrscht, sondern eine Bürokratie, die von Stalin eingesetzt und von seinen Nachfolgern an der Macht gehalten wurde. In letzter Analyse herrschte die Bürokratie als konterrevolutionäre Statthalterin für den Imperialismus. Mit der Übergabe der Macht an die Imperialisten hat sie ihre konterrevolutionäre Politik zur letzten Konsequenz geführt.

Wie bei allen früheren Handlungen folgte die SED dabei ihren Vorbildern in Moskau, ohne deren ausdrückliches Einverständnis und tatkräftige Mithilfe die kapitalistische Restauration in diesem Tempo unmöglich gewesen wäre.

Angesichts der Trümmer ihrer eigenen Politik hat die Kremlbürokratie unter Gorbatschow selbst den Weg der kapitalistischen Restauration eingeschlagen und versucht ihre Privilegien zu sichern, indem sie sich zu einer neuen kapitalistischen Klasse aufschwingt.

Gorbatschows uneingeschränkte Unterstützung für die Wiedervereinigung Deutschlands auf kapitalistischer Grundlage entspringt den innenpolitischen Bedürfnissen der Bürokratie. Sie braucht den wirtschaftlichen, politischen und militärischen Beistand des Imperialismus, um mit der eigenen Arbeiterklasse fertig zu werden, und hat jeden Anschein von Opposition gegen den Imperialismus über Bord geworfen. Heute unterstützt sie die Mitgliedschaft des vereinigten Deutschlands in der NATO und den Kriegsaufmarsch der Imperialisten gegen den Irak, morgen wird sie selbst UNO-Truppen gegen die sowjetische Arbeiterklasse und unterdrückte nationale Minderheiten wie die Armenier anfordern.

Die Rolle des Pablismus

Die stalinistische Bürokratie hätte ihren Verrat nicht so weit treiben und so ungestört durchführen können, hätte sie nicht Unterstützung beim Pablismus gefunden, einer revisionistischen Tendenz, die sich Anfang der 50er Jahre innerhalb der Vierten Internationale entwickelte und viele ihrer Sektionen zerstörte. Die wichtigste pablistische Gruppierung, das Vereinigte Sekretariat, wird heute von Professor Ernest Mandel geführt.

Der Pablismus ist direkt dafür verantwortlich, dass die Arbeiterklasse beim Sturz des SED-Regimes ohne eine revolutionäre Führung dastand und die Initiative an die Bourgeoisie und die Stalinisten zurückfiel. Mandel selbst, der sich immer noch als Trotzkist bezeichnet, hat sich inzwischen offen auf die Seite der stalinistischen Bürokratie gestellt, unterstützt die PDS und tritt mit Gysi auf gemeinsamen Veranstaltungen auf.

Das Ende der DDR bedeutet nicht nur ein vernichtendes historisches Urteil über den Stalinismus, sondern auch über den Pablismus, welcher der stalinistischen Bürokratie einen fortschrittlichen Charakter und eine historische Mission zusprach. Der Kampf, den das Internationale Komitee der Vierten Internationale seit seiner Gründung 1953 gegen den Pablismus geführt hat, gewinnt dadurch eine enorme praktische Bedeutung für die Arbeiterklasse.

Unter dem Eindruck der Verstaatlichungen, die die Stalinisten in Osteuropa durchführten, verwarfen die Pablisten zu Beginn der 50er Jahre Trotzkis Analyse vom konterrevolutionären Charakter des Stalinismus. Michel Pablo, der damalige Sekretär der Vierten Internationale, vertrat mit Mandels Unterstützung die Anschauung, die stalinistische Bürokratie werde sich unter dem Druck der Massen nach links bewegen und damit einen wenn auch langwierigen Weg zum Sozialismus öffnen. Den Staatsgebilden, die unter stalinistischer Regie in Osteuropa entstanden, schrieben die Pablisten einen fortschrittlichen Charakter zu. Pablo erklärte sogar, die Entwicklung zum Sozialismus werde jahrhundertelang die Form solcher deformierter Arbeiterstaaten annehmen.

Das IKVI verteidigte dagegen die Auffassung, dass die osteuropäischen Staaten ungeachtet aller Reformmaßnahmen wie der Einführung staatlicher Eigentumsverhältnisse und Planung in Industrie und Landwirtschaft historisch nicht lebensfähig seien, da sie ihren Ursprung nicht in einer proletarischen Revolution, sondern in den konterrevolutionären Manövern der Bürokratie haben. Es charakterisierte sie als deformierte Arbeiterstaaten. Es trat für die Verteidigung der verstaatlichten Eigentumsverhältnisse und des Prinzips der Planwirtschaft ein, betonte aber mit dem Wort „deformiert“ gleichzeitig, dass das Schicksal dieser Staaten – ob sie zurückführen zum Kapitalismus oder sich weiterentwickeln zum Sozialismus – völlig davon abhängt, ob es der Arbeiterklasse gelingt, die stalinistische Bürokratie gewaltsam zu stürzen und selbst die Macht zu übernehmen.

Die tatsächliche Entwicklung hat die Position des IKVI vollkommen bestätigt; die deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas überdauerten keine Jahrhunderte, sondern gerade 40 Jahre, und unter Bedingungen, wo die Arbeiterklasse nicht politisch gegen den Stalinismus bewaffnet war, führten sie zurück zum Kapitalismus.

Praktisch bedeutete der Pablismus die Liquidation eines großen Teils der trotzkistischen Bewegung. Wenn der Stalinismus unter dem Druck der Massen in eine sozialistische Richtung gedrängt werden konnte, dann gab es keine Notwendigkeit für den Aufbau unabhängiger Sektionen der Vierten Internationale mehr.

Die deutsche Sektion, die trotz der doppelten Verfolgung durch Faschismus und Stalinismus 1945 allein in Berlin noch über 50 Mitglieder zählte, wurde in der Sozialdemokratie aufgelöst und vollständig zerstört. Oskar Hippe, der als führender Kader der deutschen Sektion an den Perspektiven der Vierten Internationale festhielt und deshalb von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet und vom Ulbricht-Regime acht Jahre lang in Bautzen eingekerkert wurde, bekam nicht die geringste Unterstützung von den Pablisten, die keinen Finger rührten, um die internationale Arbeiterbewegung für seine Freilassung zu mobilisieren.

Jahrzehntelang unterstützten und verherrlichten die Pablisten alles, was ihnen als Ersatz für den Kampf zum Aufbau der Vierten Internationale tauglich schien. In Osteuropa priesen sie Intellektuelle wie Jacek Kuron in Polen oder Robert Havemann, Walter Janka und Rudolf Bahro in der DDR als „marxistische Opposition“, ja teilweise sogar als „trotzkistische Tendenz“, obwohl diese den Stalinismus nicht von links, im Interesse des Proletariats angriffen, sondern von rechts, vom Standpunkt der bürgerlichen Demokratie und des Nationalismus. 1956 unterstützten sie in Polen als „zentristischen, mit revolutionären Tendenzen verbundenen Flügel der Bürokratie“ – Gomulka, der 1971 in Gdansk Hunderte von streikenden Arbeitern niederschießen ließ. Sie führten seine Politik ebenso wie die Dubceks 1968 in der Tschechoslowakei als Beweis an für die Fähigkeit des Stalinismus zur Selbstreform. Im Westen waren sie nicht wählerischer. Dort verherrlichten sie kleinbürgerliche Nationalisten wie Fidel Castro in Kuba, Ben Bella in Algerien oder die Sandinistas in Nicaragua als „revolutionäre Führer des Proletariats“ und Ersatz für den Aufbau einer marxistischen Führung in der Arbeiterklasse.

Der Zusammenbruch der stalinistischen Regime in Osteuropa hat die Pablisten endgültig als Hilfsagenturen des Stalinismus entlarvt. Kaum war die Mauer gefallen, eilte Professor Mandel nach Ost-Berlin, um die Stalinisten bei der Durchführung der kapitalistischen Restauration zu beraten und öffentlich gegen den Bund Sozialistischer Arbeiter zu verteidigen, der in einem massenhaft über die Grenze geschmuggelten Aufruf zum Sturz der stalinistischen Bürokratie aufgerufen hatte. Seine Anhänger in der DDR beteiligten sich im Rahmen der Vereinigten Linken am Runden Tisch. Heute spielen sie in Ost- und Westdeutschland eine führende Rolle im Wahlkampf für die PDS.

Eine weitere pablistische Tendenz, die dem zusammenbrechenden stalinistischen Regime in der DDR zu Hilfe eilte, ist die Spartacist-Tendenz des amerikanischen kleinbürgerlichen Radikalen James Robertson, die in der DDR unter dem Namen Spartakist Arbeiterpartei auftritt. Diese Tendenz, die bereits die Verhängung des Kriegsrechts 1981 in Polen und den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan begrüßt hatte, verteidigte die SED-Bürokratie und ihren Staatsapparat in so hysterischer Form, dass sie sich bald den Namen Stasi-Partei zuzog.

Der Zusammenbruch der osteuropäischen stalinistischen Regimes hat gezeigt, dass die wirklichen Trotzkisten diejenigen sind, die gegen den Pablismus gekämpft haben – das Internationale Komitee der Vierten Internationale und seine deutsche Sektion, der Bund Sozialistischer Arbeiter.

Die Rolle der Sozialdemokratie

Der Verrat der SED/PDS wird ergänzt durch eine weitere Rechtsentwicklung der SPD. Hatte sie früher ihre Unterstützung für den Kapitalismus noch damit begründet, dass man ihn im Interesse der Arbeiter reformieren könne, so proklamiert sie heute die Notwendigkeit, auf alle Reformen zu verzichten, um den Kapitalismus am Leben zu erhalten.

In Ostdeutschland unterstützen die SPD- und die DGB-Bürokratie offen die Angriffe der Kapitalisten auf die Arbeiterklasse. Mit Betrugsmanövern wie Umschulungen, Kurzarbeit und Beschäftigungsgesellschaften, mit denen sie bereits in der BRD während der letzten 15 Jahre die Stilllegungen und Entlassungen in der Stahlindustrie oder im Bergbau gegen den Widerstand der Arbeiter durchsetzten, versuchen sie jetzt auch im Osten, die Arbeiter zur Aufgabe der Arbeitsplätze zu bewegen und in die Massenarbeitslosigkeit zu stoßen. Sie arbeiten dabei Hand in Hand mit den alten stalinistischen Funktionären zusammen, die fast alle noch auf ihren Posten in den Betriebsleitungen, Kommunen, staatlichen Institutionen und Gewerkschaftsapparaten sitzen.

Im Westen setzen sie eine gewaltige Verschärfung der Ausbeutung in den Betrieben durch regelmäßige Wochenendarbeit, Dauernachtschichten, Gruppenakkord, Lohnabbau und Arbeitsplatzvernichtung durch. Die geringste Opposition dagegen wird – wie die oppositionellen „Metaller bei Opel“ in Bochum – mit Massenausschlussverfahren bekämpft. Die Gewerkschaft soll nach dem Willen der Bürokratie nicht nur die Ausbilder und Einpeitscher bei der Gruppenarbeit stellen, sondern auch die Funktion einer Betriebspolizei übernehmen. Bei den Kürzungen der Renten, der Ausgaben im Gesundheitswesen und Bildungsbereich und beim Stellenabbau im öffentlichen Dienst arbeiten die SPD- und Gewerkschaftsführer mit der Kohl-Regierung zusammen. Auf diese Weise konnten die Kapitalisten nach außen ihre Exportposition auf dem Weltmarkt ausbauen und nach innen ein billiges Arbeitskräftereservoir von 2 Millionen Arbeitslosen und 4 Millionen Sozialhilfe-Empfängern schaffen.

Vor allem unterbindet die sozialdemokratische Bürokratie jede Solidarisierung zwischen den Arbeitern im Westen und den von Massenentlassungen betroffenen Arbeitern im Osten. Nach dem Wegfall von Mauer und Stacheldraht spaltet sie die Arbeiterklasse durch unterschiedliche Lohntarife und verschafft so den Kapitalisten die Möglichkeit, Billiglohnarbeit und Massenarbeitslosigkeit im Osten als Waffe gegen die Errungenschaften der Gewerkschaften im Westen einzusetzen.

Zu den Bundestagswahlen tritt die SPD unter Lafontaine mit einem Programm an, das allen sozialen Reformen eine Absage erteilt. Stattdessen wird in Form einer Ökosteuer für den Verbrauch von Benzin, Heizöl und anderer Energie ein regelrechter Raubzug auf die Geldbeutel der Arbeiterfamilien und Rentner angekündigt. Unverblümt spricht sich Lafontaine für die Ausdehnung von Nachtarbeit, Wochenendarbeit und Billiglohnarbeit zur „Stärkung der Konkurrenzfähigkeit des Industriestandortes Bundesrepublik“ aus. Die SPD-Führer Brandt und Vogel haben wiederholt eine enge Zusammenarbeit zwischen CDU und SPD für die Zeit nach der Bundestagswahl gefordert. Die Arbeiterklasse ist direkt mit der Gefahr einer offenen Diktatur in Form einer Großen Koalition oder Notstandsregierung konfrontiert.

Die Rechtswendung der Sozialdemokratie hat dieselbe Ursache wie der vollständige Übergang des Stalinismus ins Lager des Kapitalismus: Ihr nationalistisches Programm. Die Globalisierung der Produktion und der erbitterte Kampf um den Weltmarkt, die den Imperialismus heute kennzeichnen, haben zum Bankrott jedes nationalistischen Programms geführt. Gegen eine Bourgeoisie, die international operiert und in der Lage ist, ihr Kapital und die Produktion jederzeit in ein anderes Land zu verlagern, kann die Arbeiterklasse nicht mit einem nationalen Programm ankämpfen.

Nach der Logik des nationalistischen Programms der Sozialdemokratie kann es den Arbeitern nur gut gehen, wenn es „ihren“, d.h. den deutschen Kapitalisten gut geht. Verschärfen sich die Weltkrise des Kapitalismus und der Konflikt auf dem Weltmarkt, ist die Arbeiterklasse verpflichtet, „ihre“ Bourgeoisie im Handelskrieg gegen ihre Rivalen zu unterstützen. Sie muss die „Konkurrenzfähigkeit des Industriestandortes Deutschland“ aufrechterhalten, indem sie Entlassungen, Lohnsenkungen und Rationalisierungen hinnimmt und die Geschäfte der Kapitalisten nicht durch Streiks gefährdet.

Auf der Grundlage dieses Programms müssen die Gewerkschaften aus einem Kampfinstrument der Arbeiter in ein Disziplinierungsinstrument gegen die Arbeiter verwandelt und die Gewerkschaftsbürokratie ein direktes Ausführungsorgan des Konzernmanagements und des kapitalistischen Staates werden. Dies ist ein internationales Phänomen. In jedem kapitalistischen Land haben die Gewerkschaften und die sozialdemokratischen und stalinistischen Parteien in den letzten Jahren entscheidende Schritte in diese Richtung vollzogen, die Leo Trotzki „Korporatismus“ nannte, die vollständige Integration der Gewerkschaften in den kapitalistischen Staat.

Die kleinbürgerliche „Linke“

Abgedeckt wird die Politik von Sozialdemokraten und Stalinisten durch zahlreiche Organisationen des radikalen Kleinbürgertums.

Die PDS selbst wendet sich, nachdem sie die Staatsmacht verloren hat, zunehmend diesem Milieu zu. In Vorbereitung auf die Bundestagswahl bemühte sie sich, möglichst viele kleinbürgerliche Organisationen – wie die Maoisten von MLPD und KBW, die VSP, die Vereinigten Linken usw. – in einer Linken Liste zu vereinen und an sich zu binden. Inzwischen hat sie Vertretern dieser Organisationen Listenplätze auf ihren eigenen Wahllisten zur Verfügung gestellt.

Ihr Programm hat sie weitgehend an diese Organisationen angepasst, die zu einem großen Teil aus der studentischen Protestbewegung von 1968 hervorgegangen sind. Unter der Parole „für einen dritten Weg“ versucht sie uralte, in der Praxis längst gescheiterte reformistische Illusionen wieder zu beleben, wie „Wirtschaftsdemokratie“, „Mitbestimmung“ und „soziale Orientierung der Marktwirtschaft“; Illusionen, mit denen die Sozialdemokratie schon seit 70 Jahren ihr prokapitalistisches Programm schmückt.

Das Programm der PDS zeichnet sich dadurch aus, dass selbst die oberflächlichste und rein formale Berufung auf die Arbeiterklasse aufgegeben wird, die von den alten SED-Bürokraten zur Rechtfertigung ihrer Herrschaft noch aufrechterhalten worden war. Kleinbürgerliche Nullen wie Helga Adler oder André Brie oder geschwätzige Zyniker wie Gregor Gysi haben die Führung der PDS übernommen, um aufgeregte, unter der SED gut mit Privilegien versorgte Mittelschichten gegen die Arbeiterklasse aufzuhetzen.

Das Programm von PDS und Linker Liste unterscheidet sich nur unwesentlich von dem der Grünen, die sich inzwischen in der DDR mit kleinbürgerlichen Oppositionsparteien wie Neues Forum, Bündnis '90, Initiative Frieden und Menschenrechte usw. zusammengeschlossen haben. Sie vertreten nicht die Interessen der Arbeiterklasse, sondern von kleinbürgerlichen Mittelschichten. Sie greifen den Stalinismus von rechts, vom Standpunkt der bürgerlichen Demokratie an und nicht von links, vom Standpunkt der proletarischen Demokratie.

Ihr Ziel ist nicht die Beseitigung jeder Form von Unterdrückung und Ausbeutung, sondern lediglich die Verbesserung ihrer eigenen Stellung und mehr Mitsprache bei den Staatsgeschäften. Sie traten alle für die Einführung der Marktwirtschaft ein, unterstützten die Einführung des Kapitalismus und beschränkten sich anschließend auf klägliches Winseln über die unerwartet drastischen sozialen Folgen.

Wenn sie sich an die Arbeiterklasse wenden, so nur, um sie als Druckmittel für die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen zu benutzen. Sind dagegen die sozialdemokratischen und stalinistischen Bürokratien nicht mehr in der Lage, ihr rechtes prokapitalistisches Programm alleine gegen die Arbeiter durchzusetzen, springen sie bereitwilligst ein, um einer SPD-geführten Regierung wie in Berlin oder Hessen zur parlamentarischen Mehrheit für Haushaltskürzungen und Angriffe auf Gewerkschaftsrechte zu verhelfen – wie beim Streik in den Berliner Kindertagesstätten.

Die Kriegsvorbereitungen im Nahen Osten haben den proimperialistischen Charakter dieser Tendenzen restlos entlarvt. Hatten sie Anfang der achtziger Jahre noch gegen die Aufrüstung der NATO protestiert und internationale Solidarität geheuchelt, so unterstützen sie heute die UNO-Sanktionen und den Militäraufmarsch gegen den Irak.

Die Krise der Führung der Arbeiterklasse

Die jahrzehntelange Vorherrschaft der sozialdemokratischen und stalinistischen Bürokratien über die Arbeiterklasse hat die Arbeiterbewegung in eine tiefe Krise geführt.

Millionen Arbeiter werden innerhalb weniger Wochen entlassen und auf die Straße geworfen, ohne dass auch nur eine Silbe des Protests von den Führern der Gewerkschaften zu hören ist. Im Nahen Osten bereiten die Imperialisten ein Blutbad vor, das alles übertrifft, was es seit dem Zweiten Weltkrieg gegeben hat – erneut keine Silbe des Protests. Das völlige Fehlen jeder organisierten Opposition von Seiten der Arbeiterbewegung hat der Bourgeoisie praktisch freie Hand gegeben, die reaktionärste Politik durchzuführen.

Diese Krise ist nur mit derjenigen von 1914 vergleichbar, als bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs die organisierte Arbeiterbewegung praktisch vollkommen zusammenbrach und weltweit nur eine Handvoll Marxisten – Lenin, Trotzki, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht – eine sozialistische Perspektive verteidigten.

Wie 1914 ist diese Krise das Ergebnis eines tiefgehenden historischen Umbruchs.

Der Kanonendonner des Ersten Weltkriegs kündigte an, dass alle historischen Widersprüche, die sich über eine Periode von 40 Jahren unter der Oberfläche der kapitalistischen Gesellschaft angesammelt hatten, zur gewaltsamen Explosion kamen. Das Zeitalter des Imperialismus, das höchste Stadium des Kapitalismus hatte begonnen. Die sozialdemokratischen Massenparteien, die jahrzehntelang kontinuierlich gewachsen waren, ohne dass sich ihnen jemals die Möglichkeit geboten hätte, die Staatsmacht zu erobern, hatten sich an den Rahmen des kapitalistischen Staats angepasst und waren den neuen Aufgaben nicht gewachsen. Sie ließen die internationalistischen Phrasen, die sie bisher noch vertreten hatten, fallen, bekannten sich zur „Verteidigung des Vaterlands“ und unterstützten das imperialistische Gemetzel.

Es folgte eine dreißigjährige Periode, in der – nur von kurzen Pausen unterbrochen – eine revolutionäre Erschütterung aus der anderen, der Zweite Weltkrieg aus dem Ersten hervorging.

Heute signalisiert der Zusammenbruch der DDR und der stalinistischen Regimes in Osteuropa das Ende der Nachkriegsordnung, die der Imperialismus nach 1945 in enger Zusammenarbeit mit der Kremlbürokatie errichtete und die es ihm erlaubte, die Weltwirtschaft zu stabilisieren und revolutionäre Konfrontationen mit der Arbeiterklasse zu vermeiden. Mit der Explosion in Osteuropa ist diese Ordnung eingestürzt, die Kette des Imperialismus an ihrem schwächsten Glied gebrochen. Entgegen aller Propaganda der Bourgeoisie hat mit dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime in Osteuropa nicht eine neue Ära des Friedens und des kapitalistischen Aufschwungs, sondern eine neue Vorkriegsperiode mit gewaltigen politischen Erschütterungen, Kriegen und sozialen Umwälzungen auf dem gesamten Erdball begonnen.

Der Kampf für den Sozialismus ist für die Arbeiterklasse eine absolute Notwendigkeit, will sie nicht unter dem Imperialismus in Verelendung und Barbarei, Weltkriegen und atomarer Vernichtung untergehen.

Die Weltkrise des Kapitalismus

Der Zusammensturz der Nationalstaaten in Osteuropa war nur das erste Ergebnis einer tiefen, weltweiten Krise des Imperialismus überhaupt. Das internationale Gleichgewicht, in dessen Rahmen die Imperialisten mit Hilfe der stalinistischen und sozialdemokratischen Bürokratien ihre Herrschaft geregelt und ihre globalen Interessen verteidigt haben, ist zusammengebrochen. Die alten Konflikte zwischen den imperialistischen Mächten um die Neuaufteilung der Welt, die bereits zweimal in diesem Jahrhundert die Menschheit in das Gemetzel von Weltkriegen gestürzt haben, brechen wieder auf.

Ob in Osteuropa und auf dem Balkan, ob zwischen Deutschland und Polen, Japan und der Sowjetunion, ob auf dem indischen Subkontinent oder im Nahen Osten – überall werden die von den Imperialisten am Ende des Ersten oder Zweiten Weltkriegs gezogenen nationalen Grenzen in Frage gestellt, brechen alte nationalstaatliche Gebilde zusammen. Der offene Welthandel wird durch rivalisierende Handelsblöcke abgelöst. Der Kriegsaufmarsch gegen den Irak zeigt, dass die imperialistischen Mächte den Kampf um billige Rohstoffe, Absatzmärkte und Einflusssphären wieder mit militärischen Mitteln führen und nicht davor zurückscheuen, im Irak Hunderttausende von Arbeitern und Bauern abzuschlachten.

Vorangetrieben wird diese Entwicklung durch die beispiellose Verschärfung der Weltwirtschaftskrise des kapitalistischen Systems. Die größten Banken in Japan und den USA befinden sich am Rande der Zahlungsunfähigkeit, nachdem aus den Schuldnerländern Lateinamerikas die fälligen Zinszahlungen ausbleiben, der Immobilienmarkt zuhause zusammenbricht und eine Finanzierung des gigantischen US-Haushaltsdefizits völlig ausgeschlossen erscheint. 

In der Nachkriegszeit bildeten die USA mit ihrer Wirtschaftsmacht das Rückgrat für ein vom Dollar geführtes relativ stabiles Währungssystem und einen expandierenden Welthandel. Inzwischen sind Japan und die Bundesrepublik Deutschland zu ihren schärfsten Handelsrivalen am Weltmarkt aufgestiegen. Doch weder Japan noch Deutschland sind auch nur annähernd in der Lage, an die Stelle der USA als Stütze der Weltwirtschaft zu treten.

In Japan haben die Banken und Finanzinstitute durch den seit Monaten anhaltenden Fall der Aktienkurse an der Börse – um fast 50% seit Beginn des Jahres! – eine Summe an Geldwerten verloren, die sich auf die Hälfte des gesamten im Laufe eines Jahres erwirtschafteten Bruttosozialprodukts Japans beläuft. Um sich selbst über Wasser zu halten, sind sie jetzt gezwungen, ihre Gelder aus den USA und Europa abzuziehen. Ein Bankenzusammenbruch, der weit über die Ausmaße der Krise in den 30er Jahren hinausgeht, droht die Wirtschaft aller Kontinente in den Abgrund zu reißen.

Weltweit steigen bereits die Inflationsraten, während gleichzeitig das Wirtschaftswachstum selbst in den Industrieländern zurückgeht und noch in diesem Jahr in eine regelrechte Rezession umzuschlagen droht. Der Anstieg des Ölpreises auf dem Weltmarkt auf über US-$40 pro Barrel – die Weltbank rechnet mit einem weiteren Steigen auf über 60 Dollar! – wird diese Rezession beschleunigen.

In den 24 sogenannten „reichen“ Industrieländern der OECD gibt es schon jetzt über 25 Millionen offiziell registrierte Arbeitslose. In den Ländern Lateinamerikas, Asiens und Afrikas nimmt die Verelendung unglaubliche Ausmaße an. Aber auch in den imperialistischen Industrieländern ist innerhalb der letzten 10 Jahre der Lebensstandard der Arbeiterklasse systematisch gesenkt, sind ihre bisher erkämpften Rechte und sozialen Errungenschaften unterhöhlt oder bereits beseitigt worden.

In Deutschland hat der hohe Kreditbedarf für die Wiedervereinigung die Zinsen auf Rekordhöhe getrieben und die Grundlage für eine ähnlich hohe Staatsverschuldung geschaffen, wie in den USA. Bundesregierung und Bundesbank mussten ihre bisherige Stabilitätspolitik völlig aufgeben. Der Anstieg des Ölpreises und der Kurssturz an den Börsen während der letzten Wochen hat offen gemacht, dass der deutsche Imperialismus seine historische Schwäche nicht überwunden hat: nicht nur die technologisch hoch entwickelte Industrieproduktion, sondern auch die Börsen und Banken sind völlig abhängig vom Weltmarkt bzw. internationalen Kapitalmarkt. Der Abzug ausländischer, vor allem japanischer Gelder hat an der Frankfurter und Düsseldorfer Börse zu einem Kurssturz von über 30% seit Ende Juli geführt. Eine weltweite Rezession bringt für die westdeutsche Industrie die Gefahr eines Exportrückgangs wie in den dreißiger Jahren, während die ostdeutsche Industrie ihre Absatzmärkte in Osteuropa bereits infolge der Währungsunion und des wirtschaftlichen Zusammenbruchs in Polen, Ungarn, Bulgarien usw. zu einem großen Teil verloren hat.

Diese ausweglose Krise des Imperialismus wird in der kommenden Periode unweigerlich zum Ausbruch revolutionärer Kämpfe des Proletariats in Ost- und Westeuropa führen.

Das Programm des Bunds Sozialistischer Arbeiter

Das Schicksal der Arbeiterklasse und der Menschheit überhaupt, die Frage, ob der Zusammenbruch der Nachkriegsordnung zu einer neuen Periode von Krieg und Barbarei oder zum Sieg der sozialistischen Weltrevolution führt, hängt davon ab, dass die Krise der Führung der Arbeiterklasse gelöst wird.

Nur die Vierte Internationale – die heute vom Internationalen Komitee geführt wird – und ihre deutsche Sektion, der Bund Sozialistischer Arbeiter, sind politisch vorbereitet, die Arbeiterklasse mit einer neuen Perspektive zu bewaffnen. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale ist die einzige politische Tendenz auf der Welt, die über ein unbeflecktes Banner verfügt; die auf eine Geschichte von nahezu 70 Jahren zurückblicken kann, in denen sie unermüdlich gegen den Verrat des Stalinismus gekämpft und die Lehren aus den durch ihn verursachten Niederlagen gezogen hat; die das Programm und die Perspektiven von Marx und Engels, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Lenin und Trotzki gegen den Stalinismus und jede Form von Opportunismus verteidigt und entwickelt hat.

An erster Stelle im Programm des BSA steht der Kampf für die internationale Einheit der Arbeiterklasse!

Die Arbeiterklasse hat kein Vaterland. Sie ist eine internationale Klasse, die absolut nichts gemeinsam hat mit den nationalen Interessen der Bourgeoisie. Sie darf weder ihre Handelskriege noch ihre Kolonialkriege unterstützen und muss jeden Spaltungsversuch, ob zwischen ost- und westdeutschen oder ob zwischen deutschen und ausländischen Arbeitern verhindern!

Der zweite zentrale Punkt im Programm des BSA ist der Kampf für ein sozialistisches Programm!

Der Kapitalismus ist ein völlig bankrottes Gesellschaftssystem, dem nur durch den Verrat des Stalinismus und der Sozialdemokratie die Gelegenheit gegeben worden ist, zu überleben. Der Sozialismus ist für die Arbeiterklasse der einzige Ausweg, will sie nicht mit dem Kapitalismus untergehen. Sie muss selbst die Macht erobern, die Betriebe entschädigungslos enteignen und die Produktion unter ihrer Kontrolle planmäßig und weltweit nach ihrem Interesse organisieren.

Der dritte wichtige Programmpunkt des BSA ist die Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa als Teil einer sozialistischen Weltrepublik.

Dies ist im wirtschaftlich und politisch eng verflochtenen Europa die einzig denkbare Form der Herrschaft der Arbeiterklasse. Die europäische Revolution ist eine Kombination aus politischer Revolution – dem Sturz der stalinistischen Bürokratien in der Sowjetunion und in Osteuropa durch das Proletariat und der Errichtung wirklicher Arbeiterstaaten – und der sozialistischen Revolution zum Sturz des Kapitalismus im Westen.

Um für dieses Programm in der Arbeiterklasse zu mobilisieren und eine möglichst umfassende Diskussion über die Lehren aus dem Verrat der stalinistischen und sozialdemokratischen Bürokratie in der Geschichte der Arbeiterbewegung zu führen, nimmt der Bund Sozialistischer Arbeiter an den Bundestagswahlen im Dezember dieses Jahres teil. Der Aufbau einer neuen revolutionären Führung in der Arbeiterklasse ist die zentrale Orientierung im Wahlkampf des BSA.

Die Bundestagswahl selbst bietet für keines der Probleme, vor denen die Arbeiterklasse steht, eine Lösung. Im Gegenteil! So wie die Volkskammerwahl ein Betrugsmanöver war, um dem Programm der kapitalistischen Restauration in der DDR ein demokratisches Deckmäntelchen umzuhängen, ist die Bundestagswahl ein Betrugsmanöver, um einer künftigen Großen Koalition oder Notstandsregierung für ihre gewaltsamen Angriffe auf die Arbeiterklasse ein demokratisches Feigenblatt zu verleihen. Der Bundestag ist wie alle anderen Organe des bürgerlichen Staates ein Instrument zur Unterdrückung der Arbeiterklasse!

Wir rufen die Arbeiterklasse auf:

  • Verhindert, dass von den Kapitalisten die staatlichen Betriebe der ehemaligen DDR zerschlagen und die Arbeiterklasse im Osten wie im Westen in eine Masse billiger Lohnsklaven verwandelt wird! Verteidigt jeden einzelnen Arbeitsplatz, alle Errungenschaften und Rechte! Besetzt und bestreikt die von Stilllegung bedrohten Betriebe!
  • Baut Arbeiterräte in den Industriegebieten und Wohnvierteln auf, die als unabhängige Machtorgane der Arbeiterklasse diesen Kampf organisieren und die Grundlage für eine wirkliche Arbeitermacht bilden!
  • Kämpft für die entschädigungslose Enteignung aller Konzerne, Banken und Finanzinstitute unter Arbeiterkontrolle!

Die Richtigkeit unserer marxistischen Einschätzungen, die Korrektheit unserer Warnungen und Vorhersagen und unser unermüdlicher Kampf für ein proletarisches Programm – dies sind die wichtigsten Posten der Bilanz des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und des Bunds Sozialistischer Arbeiter für die letzten 12 Monate. Wir fordern alle Arbeiter und Jugendlichen auf, daraus die Schlussfolgerung zu ziehen:

  • Unterstützt mit aller Energie diese Wahlkampagne des BSA, praktisch, finanziell und politisch! Nehmt teil an den Teams zur Verbreitung unseres Programms und der Neuen Arbeiterpresse!

Auf Grund der reaktionären Wahlgesetze der Bourgeoisie, die eine Vertretung der proletarischen Opposition in ihrem Parlament verhindern sollen, ist der BSA nur in Berlin und Sachsen in der Lage, eine Landesliste aufzustellen. In dem sächsischen Industriezentrum Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) und in der westdeutschen Stahlstadt Duisburg stellen wir jeweils einen Direktkandidaten auf, um für die Einheit der Arbeiterklasse in Deutschland und international zu kämpfen. Wir rufen alle Arbeiter in den Stimmbezirken dieser Städte auf, ihre Stimme dem BSA und seinem Programm zu geben.

In allen anderen Stimmbezirken, in denen die Arbeiter der Möglichkeit beraubt sind, ihre Stimme diesem revolutionären Programm zu geben, rufen wir dazu auf, die Stimme der SPD zu geben. Dies bedeutet in keiner Weise irgendeine politische Unterstützung für die SPD. Wir warnen vielmehr ausdrücklich die Arbeiterklasse vor der Vorstellung, eine SPD-geführte Regierung wäre ein kleineres Übel oder arbeiterfreundlicher als eine CDU-geführte Regierung. Wir fordern lediglich dazu auf, bei der Abstimmung einen Unterschied zu machen zwischen den direkten Parteien der Bourgeoisie wie CDU, CSU, FDP und der Partei, die historisch aus der Arbeiterbewegung hervorgegangen ist und mit der sich – infolge des Verrats des Stalinismus – große Teile der Arbeiterklasse noch identifizieren, um so das Augenmerk auf die Rolle der SPD zu lenken.

Die Tatsache, dass bei diesen Parlamentswahlen klassenbewußten Arbeitern, die ihre Stimme nicht der CDU oder den Grünen geben wollen, in den meisten Stimmbezirken nichts anderes übrig bleibt, als SPD zu wählen, unterstreicht nur die Dringlichkeit der Hauptaufgabe, vor der die Arbeiterklasse steht: eine neue revolutionäre Führung in der Arbeiterklasse aufzubauen.

Alle Arbeiter, Gewerkschafter, Hausfrauen und Jugendlichen, die mit dem Programm und den Perspektiven übereinstimmen, rufen wir auf, noch heute Mitglied zu werden im BSA und damit im Internationalen Komitee der Vierten Internationale, der Weltpartei der sozialistischen Revolution!

20 Jahre deutsche Einheit: Was war die DDR?

Der zwanzigste Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober ist nicht nur ein rundes Jubiläum, er ist auch in anderer Hinsicht bemerkenswert. Seit dem Ende der DDR ist nun fast halb so viel Zeit vergangen, wie diese selbst existiert hat. Als die Berliner Mauer am 9. November 1989 fiel, hatte die am 7. Oktober 1949 gegründete Deutsche Demokratische Republik gerade ihren vierzigsten Geburtstag hinter sich. Ein Jahr später war sie von der politischen Landkarte verschwunden. Die Mauer selbst, die im August 1961 errichtet wurde, stand nur acht Jahre länger, als seit ihrem Fall vergangen sind.

Angesichts dieses beträchtlichen Zeitabstands hätte man erwarten können, dass der Jahrestag der deutschen Einheit Anlass zu einer nüchternen und objektiven Betrachtung der DDR bietet. Doch nichts dergleichen geschah. Die zahlreichen Jubiläumsreden waren von demselben ideologischen Eifer geprägt, der während des Kalten Kriegs vorgeherrscht hatte. Statt mit einer Antwort auf die Frage: „Was war die DDR?“ wurden die Zuhörer mit Schlag- und Schimpfwörtern abgespeist.

Die CDU, die bereits am 1. Oktober den zwanzigsten Jahrestag ihrer Vereinigung mit der Ost-CDU feierte (die als sogenannte „Blockflöte“ fester Bestandteil des stalinistischen Herrschaftsapparats gewesen war), ließ den an den Rollstuhl gefesselten und kaum mehr sprechfähigen Helmut Kohl auffahren, um der versammelten Parteiprominenz ins Gedächtnis zu rufen, dass die DDR ein „Unrechtstaat“ gewesen sei. Wer etwas anderes behaupte, habe „aus der Geschichte nichts, aber auch gar nichts gelernt“, betonte der Alt-Kanzler.

Bundespräsident Christian Wulff, der auf der offiziellen Feier in Bremen sprach, pries den Freiheitswillen der Menschen, die „sich selbst ohne Blutvergießen aus einer Diktatur befreit“ hätten. Bundeskanzlerin Angela Merkel würdigte in einem Beitrag für Bild am Sonntag zwar die „Lebensleistung der früheren DDR-Bürger“. Diese sei aber etwas ganz anderes gewesen als das „Staatsgebilde der DDR“. US-Präsident Barack Obama bezeichnete in einer Grußbotschaft „den Mut und die Überzeugung der Deutschen, die die Berliner Mauer zum Einsturz gebracht haben“, als Beitrag zur „gemeinsamen Vision eines geeinten und freien Europas“.

Das Ausweichen vor einer nüchternen Einschätzung der DDR hat seine Ursache darin, dass ihre Entstehung eine Folge der größten Verbrechen der Geschichte war – des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts.

Die Verantwortung für diese Verbrechen trugen nicht nur Hitler und seine engsten Spießgesellen, sondern große Teile der wirtschaftlichen und politischen Elite Deutschlands: Industriemagnaten wie Thyssen, Krupp und Quandt, die Hitler finanzierten und mittels Zwangsarbeit ihre Vermögen mehrten, Generäle und Offiziere, die den Vernichtungskrieg im Osten organisierten, Akademiker und Juristen, die die Rassengesetze ausarbeiteten und verwirklichten, und viele andere mehr.

Die Verantwortung der kapitalistischen Elite für Krieg und Massenmord war derart offensichtlich, dass antikapitalistische Stimmungen nach Kriegsende weit verbreitet waren und sogar in bürgerlichen Programmen – wie dem Ahlener Programm der CDU – ihren Ausdruck fanden. Darüber sorgten sich nicht nur die Regierungen in Washington und London, sondern auch die stalinistischen Herrscher in Moskau. Stalin, der seine Macht einer abgehobenen Bürokratenkaste verdankte und die Führer der Oktoberrevolution verfolgt und ermordet hatte, befürchtete, eine sozialistische Bewegung in Europa werde sein eigenes Regime erschüttern.

Auf den Konferenzen von Teheran, Jalta und Potsdam einigten sich die USA, die Sowjetunion und Großbritannien daher auf die Aufteilung Europas und Deutschlands in Einflusssphären. Stalin bekam eine Pufferzone in Osteuropa zugesprochen und verpflichtete sich im Gegenzug, jede antikapitalistische Bewegung in Westeuropa im Keim zu ersticken. Vor allem in Frankreich und Italien, wo die moskauhörigen Kommunistischen Parteien an der Spitze bewaffneter Widerstandbewegungen standen, sollte sich das von entscheidender Bedeutung erweisen.

Das Schicksal Deutschlands, das in vier Besatzungszonen aufgeteilt war, entschied sich erst vier Jahre nach Kriegsende. In den drei westlichen Besatzungszonen wurde im Mai 1949 einseitig die Bundesrepublik gegründet. Die DDR entstand fünf Monate später als Reaktion darauf. Obwohl sie die Teilung Deutschlands propagandistisch ausschlachtete, hatte sich die Adenauer-CDU damals bewusst für die Spaltung entschieden, um sich wirtschaftlich und militärisch an die Westmächte anzubinden.

Mit der Verschärfung des Kalten Kriegs wurde dann die Verfolgung von Nazi-Verbrechern in der Bundesrepublik abrupt eingestellt. Verurteilte Industriekapitäne wurden aus dem Gefängnis entlassen, Geheimdienst- und Wehrmachtoffiziere wieder eingestellt, ehemalige NSDAP-Mitglieder stiegen in höchste Staatsämter auf, nicht ein einziger Nazi-Jurist wurde zur Verantwortung gezogen. Das verlieh der DDR, wo Nazi-Verbrecher weit konsequenter verfolgt wurden, unter Arbeitern, Künstlern und Intellektuellen eine gewisse Anziehungskraft.

Unter dem wachsenden Druck des Kalten Kriegs nahm das DDR-Regime außerdem tiefe Einschnitte in die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse vor. Bereits 1945 hatte die sowjetische Besatzungsmacht jeglichen Grundbesitz über 100 Hektar entschädigungslos enteignet und einer halben Million Landarbeitern, Umsiedlern und Kleinbauern übergeben. Sie hatte damit den ostelbischen Junkern die materielle Grundlage entzogen, die im Wilhelminischen Reich und der Weimarer Republik das Rückgrat der politischen Reaktion und des Militärapparats gebildet hatten. Nach der Gründung der DDR wurden dann auch die kapitalistischen Betriebe enteignet.

Obwohl das SED-Regime der verlängerte Arm der stalinistischen Bürokratie in Moskau war und die Arbeiterklasse politisch unterdrückte, sah es sich zu erheblichen sozialen Zugeständnisse gezwungen. Das Staatseigentum wurde zur Grundlage für ein umfassendes Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem, das der Bevölkerung einen hohen Grad an sozialer Sicherheit bot.

Kurz, die DDR hatte einen widersprüchlichen Charakter, dem mit platten Schlagwörtern wie „Unrechtsstaat“ und „Diktatur“ nicht beizukommen ist. Sie war kein sozialistischer Staat, aber auch kein kapitalistischer mehr. Die vergesellschafteten Produktionsmittel stellten einen Fortschritt dar. Aber sie hätten ihr Potential nur entfalten können, wenn es Arbeiterdemokratie gegeben hätte und wenn sie auf andere Länder ausgedehnt worden wären. Beidem stellte sich die herrschende Bürokratie entgegen. Letztlich war der widersprüchliche Charakter der DDR Bestandteil der ungelösten Widersprüche des Weltkapitalismus, die durch den Nachkriegsboom nicht gelöst, sondern nur verdeckt wurden.

Seit der deutschen Vereinigung und der Auflösung der Sowjetunion treten diese Widersprüche immer offener in Erscheinung. Zwanzig Jahre nach der Einheit erinnert Deutschland mehr und mehr an das der 1920er und 1930er Jahre. Die kapitalistische Gesellschaft befindet sich weltweit in einer tiefen Krise.

Anstelle der „blühenden Landschaften“, die Bundeskanzler Helmut Kohl 1990 versprach, gibt es im Osten und im Westen Deutschlands weit verbreitete Armut und Arbeitslosigkeit. 6,7 Millionen Bundesbürger leben von Hartz IV, rund fünf Millionen von prekärer Arbeit. Renten- und Gesundheitsversorgung werden Schritt für Schritt abgebaut.

In den herrschenden Kreisen finden Nationalismus und Rassismus wieder Unterstützung. So sprach sich Bundespräsident Wulff in seiner Festrede für einen „unverkrampften Patriotismus“ aus und warnte Immigranten, wer „unsere Art zu leben“ nicht akzeptiere, müsse „mit entschlossener Gegenwehr rechnen“. Gleichzeitig rechtfertigte er die tiefe soziale Kluft, die sich in den letzten zwanzig Jahren aufgetan hat, mit den Worten: „Zu viel Gleichheit erstickt die eigene Anstrengung und ist nur um den Preis der Unfreiheit zu haben.“

Auch auf der Weltbühne findet der deutsche Imperialismus zu seiner alten Arroganz zurück. Deutsche Soldaten kämpfen und töten wieder in Afghanistan und anderen Weltregionen. Das deutsche Finanzministerium diktiert in ganz Europa drastische Sparprogramme und Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung.

Wenn es eine Lehre aus zwanzig Jahren deutscher Einheit gibt, dann lautet sie, dass keines der Probleme gelöst ist, die das letzte Jahrhundert zum gewaltsamsten der Menschheitsgeschichte gemacht haben. Die arbeitende Bevölkerung muss sich auf heftige Klassenauseinandersetzungen vorbereiten. Sie muss lernen, zwischen Stalinismus und Sozialismus zu unterscheiden, und verstehen, was die DDR wirklich war.

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