Perspektive

Die WikiLeaks Dokumente und die Vergewaltigung des Irak.

Die fast 400.000 Dokumente, die WikiLeaks veröffentlicht hat, geben einen gewissen Einblick in die barbarische Realität der amerikanischen Invasion und Besetzung des Irak. Die militärischen Berichte enthalten zahlreiche Beweise für echte Kriegsverbrechen. Die Verantwortung dafür tragen die höchsten Kreise des militärischen und politischen Establishments der USA.

Die wichtigsten Enthüllungen in den Dokumenten enthalten:

  • Berichte über Tausende bisher nicht bekannter ziviler Opfer. Wurde die Zahl irakischer Leichen bisher auf der Grundlage von Medienberichten eher zurückhaltend angegeben, so enthalten die Einsatzberichte nun Hinweise auf weitere 15.000 zivile Tote über die bisherigen Zahlen hinaus. Dabei sind in den neuen Dokumenten die zivilen Toten im Zusammenhang mit größeren amerikanischen Gräueltaten gar nicht berücksichtigt. So werden zum Beispiel die beim Angriff von 2004 auf Falludscha getöteten Zivilisten nicht mitgezählt. Aufgrund der Dokumente erhalten nun jene Zählungen, die auf eine viel höhere Zahl von Toten kommen, eine viel größere Glaubwürdigkeit. Dazu gehört die Untersuchung des medizinischen Journals Lancet, das von mehr als einer Million Getöteten ausgeht.
  • Klare Beweise für konkrete Kriegsverbrechen. Ein Beispiel hierfür ist die Erschießung von zwei Irakern, die im Februar 2007 versuchten, sich einem US-Kampfhubschrauber zu ergeben. Die Hubschrauberbesatzung konferierte über Funk mit einem Juristen der Armee, der ihr die – falsche – Auskunft gab, einem Fluggerät könne sich gar niemand ergeben. Daraufhin wurden die beiden Iraker kaltblütig getötet. Die Hubschrauberbesatzung gehörte zu der gleichen Mannschaft, die im Juli 2007 zwölf unbewaffnete Zivilisten niedermähte, darunter zwei Reuters-Journalisten. Dieser Zwischenfall wurde auf Video aufgenommen und von WikiLeaks Anfang des Jahres öffentlich gemacht.
  • Die Tötung von 824 Menschen durch amerikanische Truppen an militärischen Straßensperren, darunter mindestens 681 Zivilisten und dreißig Kinder.
  • Systematische Folter der irakischen Marionettenarmee und -polizei mit der de facto Billigung und Komplizenschaft des amerikanischen Militärs. Amerikanische Soldaten meldeten von 2005 bis 2009 1.300 Fälle von Folter, darunter Schläge, Verbrennungen, Elektroschocks, Sodomie und Vergewaltigung, ähnlich den Gräueltaten in dem von den USA geführten Gefängnis Abu Ghraib. Es war der amerikanischen Militärführung auch bekannt, dass das irakische Marionettenregime Gefangene tötete. Typisch ist der Bericht über einen Gefangenen des irakischen Justizministeriums vom 25. März 2006: „Seine Hände waren gefesselt, und er war an der Decke aufgehängt; seine Beine und sein Rücken wurden mit stumpfen Objekten (Rohren) traktiert; mit Elektrobohrern wurden Löcher in seine Beine gebohrt.“
  • Amerikanische Soldaten wurden angewiesen, die Folter an Gefangenen durch die irakischen Marionettentruppen nicht zu melden, weil an diesen Zwischenfällen keine US-Soldaten beteiligt waren. Von 2004 bis 2009 wurden insgesamt 180.000 Iraker d.h. jeder 50. irakische Mann, mindestens einmal eingesperrt.

Es wird zweifellos weitere Enthüllungen geben, wenn die Dokumente genauer unter die Lupe genommen werden. Sie sind voller Informationen, die der Bevölkerung des Irak, der USA und der Welt bisher vorenthalten wurden.

Die Eroberung des Irak durch die USA ist eines der barbarischsten Kriegsverbrechen der modernen Zeit. Die World Socialist Web Site schrieb im Mai 2003, kurz nach der Invasion: „Zu Beginn des letzten Weltkriegs wurde oft von der ’Vergewaltigung der Tschechoslowakei’ oder der ‚Vergewaltigung Polens’ durch die Nazis gesprochen. In beiden Fällen setzte Deutschland seine überwältigende militärische Macht ein, um die Regierung und alle zivilen Einrichtungen zu zerstören und anschließend die Wirtschaft zum Nutzen des deutschen Kapitalismus zu übernehmen. Man muss endlich auch das Vorgehen der USA beim richtigen Namen nennen: Eine kriminelle Regierung in Washington vergewaltigt den Irak.“

Die Zerstörung, der die irakische Bevölkerung ausgesetzt wurde, ist in den vergangenen siebeneinhalb Jahren nur immer noch schlimmer geworden. Die USA haben einen Soziozid begangen, d.h. die Zerstörung einer gesamten Kultur. Neben Hunderttausenden Toten hat das Land Millionen Flüchtlinge zu beklagen. Krankheiten, Kindersterblichkeit und Mangelernährung haben enorm zugenommen. Die amerikanische Soldateska hat die Infrastruktur des Landes zerstört und die Wirtschaft in Trümmer gelegt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei siebzig Prozent.

Zum Entsetzen der Menschen in aller Welt wurde dem irakischen Volk von der weltweit mächtigsten Militärmacht eine unvorstellbare Tragödie zugefügt. Und wofür? Um die Vorherrschaft der USA über dieses ölreiche und geostrategisch wichtige Land herzustellen.

Alle wichtigen Schaltstellen der USA haben sich an diesem Verbrechen beteiligt. Entgegen der breiten Stimmung in der Bevölkerung stimmten Demokraten und Republikaner für den Krieg und haben ihn seither unterstützt und Hunderte Milliarden Dollar dafür bewilligt. Die amerikanische Bevölkerung hat mehrfach versucht, den Krieg mittels Wahlen zu beenden. Jedes Mal musste sie feststellen, dass der Krieg weiterging, ganz unabhängig davon, welche der beiden Wirtschaftsparteien gerade regierte.

Obama, der gewählt worden war, weil die Bevölkerung von Bush und den Republikanern genug hatte und deren Kriegtreiberei und Interessenpolitik beenden wollte, hat mit der gleichen Politik weitergemacht. Er kandidierte als Kritiker des Irakkriegs, aber heute lobt er die amerikanische Besatzungsmacht als „Befreier“.

Die amerikanische Regierung hat den Krieg gegen Afghanistan auf Pakistan ausgedehnt und den Einsatz von Drohnen und Mordanschlägen enorm ausgeweitet. Das Weiße Haus unter Obama nimmt sich das Recht heraus, jeden, den sie des Terrorismus beschuldigt, nach Belieben zu töten, auch amerikanische Bürger.

Die amerikanischen Medien verbreiteten die Lügen, die den Krieg rechtfertigen sollten, und ihre “eingebetteten Journalisten” verschwiegen die Gräueltaten des US-Militärs. Auch der liberale Medienflügel ist keine Ausnahme. Die Medienreaktion auf die Enthüllungen von WikiLeaks geht noch einen Schritt weiter. Einerseits spielen die Medien die Bedeutung der Dokumente herunter und plappern die Linie des Pentagon nach, dass sie eigentlich „nichts Neues“ enthalten, andererseits beteiligen sie sich an der Hexenjagd auf WikiLeaks und ihren Gründer Julian Assange, gerade weil sie dazu beitrugen, diese Gräueltaten ans Tageslicht zu bringen.

Die Tatsache, dass diese ungeheuerlichen Verbrechen im gesamten Establishment keinen wahrnehmbaren Protest hervorrufen, zeigt, wie tief die amerikanische herrschende Klasse in Gesetzlosigkeit und Kriminalität versunken ist.

Die Architekten dieser Kriegsverbrechen laufen noch frei herum. Die Planer und Täter der illegalen Invasion des Irak – darunter alle hohen Politiker der Bush-Regierung und des Militärs – müssen zur Verantwortung gezogen werden. Obama und seine führenden Mitarbeiter, wie Hillary Clinton und Robert Gates, haben den Verbrechen der Vorgängerregierung ihre eigenen Verbrechen hinzugefügt.

Die Veröffentlichung der WikiLeaks-Dokumente kommt mit einem Aufschwung des Klassenkampfs zusammen. Millionen Arbeiter – wie gerade wieder in Frankreich – geraten in direkten Konflikt mit den Konzernen und ihren politischen Repräsentanten, die beispiellose Sparmaßnahmen fordern, um die Arbeiterklasse für die Wirtschaftskrise bezahlen zu lassen. In dieser Offensive der Arbeiterklasse muss der Kampf gegen imperialistischen Krieg besonders in den Vereinigten Staaten eine wichtige Rolle spielen.

Arbeiter haben auf der ganzen Welt die gleichen Interessen und stehen dem gleichen Klassenfeind gegenüber. Der Imperialismus, erklärte Lenin, ist tiefste Reaktion.

Die Wirtschaftsaristokratie, die solche Gewalt gegen den Irak entfesselt hat, wird nicht zögern, Gewalt und Terror gegen die amerikanische Arbeiterklasse einzusetzen, um ihren Reichtum und ihre Macht zu erhalten. Die Soldaten, in Kolonalkriegen zu Killern und Soziopathen gedrillt, werden am Ende gegen jene eingesetzt, die in den USA gegen Arbeitslosigkeit, Armut und Obdachlosigkeit kämpfen.

Für den Kampf gegen Krieg und soziale Reaktion braucht die Arbeiterklasse eine neue politische Perspektive und Strategie. Um imperialistische Kriege zu beenden, muss die Arbeiterklasse den Kapitalisten und ihren politischen Statthaltern die Macht aus den blutigen Händen reißen und die Weltwirtschaft unter demokratische Kontrolle stellen.

Siehe auch:

Die Vergewaltigung des Irak
(15. Mai 2003)

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