Scharfer Konflikt zwischen EU und Frankreich über Roma-Deportationen

Die Massenausweisungen von Roma durch die französische Regierung haben zu einem scharfen Konflikt zwischen Brüssel und Paris geführt.

In einer Pressekonferenz am Dienstagmittag beschuldigte EU-Kommissarin Viviane Reding die französische Regierung der „Diskriminierung aufgrund ethnischer Abstammung oder Rasse“. Sie stelle die „gemeinsamen Werte und Gesetze unserer Europäischen Union“ in Frage. Das sei eine „Schande“.

Die Erklärung Redings, einer Christdemokratin aus Luxemburg, war in Ton und Inhalt außergewöhnlich. Sie beschuldigte zwei französische Minister, Eric Besson (Einwanderung) und Pierre Lellouche (Europa), sie belogen zu haben, und verglich die Maßnahmen der französischen Regierung mit denen von Faschisten im Zweiten Weltkrieg.

„Ich bin persönlich entsetzt über eine Situation, die den Eindruck vermittelt, dass aus einem Mitgliedsstaat der Union Menschen nur deswegen entfernt werden, weil sie einer bestimmten ethnischen Minderheit angehören“, sagte sie. „Ich hatte gedacht, dass wir so etwas nach dem Zweiten Weltkrieg nie wieder erleben würden.“

Später betonte sie: „Ich will ganz deutlich sein: Diskriminierung auf der Grundlage von Abstammung oder Rasse hat in Europa keinen Platz. Sie ist unvereinbar mit den Werten der Europäischen Union. Nationale Behörden, die ethnische Gruppen entgegen EU-Recht diskriminieren, verletzen auch die EU-Charta der Grundrechte, die alle Mitgliedstaaten, darunter auch Frankreich, unterzeichnet haben.“

Es sei ihre persönliche Überzeugung, schloss Reding, „dass die Kommission keine andere Wahl hat, als ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich einzuleiten“.

Der Einsatz der Europäischen Kommission für Menschenrechte und nationale Minderheiten ist wenig glaubwürdig. Ihre Bilanz in Einwanderungs- und Menschenrechtsfragen ist miserabel. Tausende Flüchtlinge sterben jedes Jahr bei dem Versuch, die europäischen Grenzen zu überqueren, weil die EU Europa zu einer Festung ausgebaut hat. Italien schiebt seit Jahren massenweise Roma ab, und die Regierungen Ungarns und Tschechiens dulden Pogrome gegen diese verfolgte Minderheit, ohne Opposition der EU befürchten zu müssen. Hinzu kommt, dass die harten, von der EU diktierten Sparmaßnahmen die starke Zunahme von Armut verursacht haben, die den Roma das Leben in Rumänien und anderen osteuropäischen Ländern unerträglich macht.

Mit ihrem Angriff auf die französische Regierung reagiert Reding darauf, dass die allgemeine Rechtswendung der europäischen Politik, das gezielte Schüren von Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit durch Regierungen und bürgerliche Parteien, die Europäische Union selbst zu unterhöhlen und zu zerstören drohen.

Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise verschärfen die sozialen Spannungen in ganz Europa. Die Mittelschichten, die traditionelle Stütze der bürgerlichen Demokratie, lösen sich auf. Rechte Regierungen – Sarkozy in Frankreich, Merkel in Deutschland, Berlusconi in Italien - stecken tief in der Krise und haben grottenschlechte Umfragewerte. Teile der Medien und des politischen Establishments reagieren darauf mit Nationalismus, Rassismus und Islamfeindlichkeit, um die rückständigsten Schichten der Gesellschaft gegen die Arbeiterklasse zu mobilisieren. Der Erfolg von Gert Wilders in Holland und der Rummel um Thilo Sarrazin in Deutschland sind Beispiele dafür.

In Frankreich hat Präsident Sarkozy selbst die Initiative ergriffen und schürt Islamophobie und Rassismus gegen Roma. Das Verbot von 2004, das islamischen Kopftuch in Schulen zu tragen, das jüngste Verbot der Burka und die Massendeportationen der Roma, die mit den Praktiken des nazifreundlichen Vichy-Regimes verglichen werden, dienen diesem Zweck. Sarkozy selbst, der seine politische Karriere immer wieder durch Law-and-Order-Kampagnen und rassistische Entgleisungen zu fördern versucht, steckt tief in Korruptionsskandalen. Konfrontiert mit Massenwiderstand der Arbeiterklasse gegen seine Sparpolitik, kämpft er um sein politisches Überleben.

Viviane Reding spricht für die Schichten der europäischen Bourgeoisie, die das absichtliche Anheizen rassistischer und ethnischer Spannungen für eine zu riskante Strategie halten, die letztlich die Europäische Union selbst auseinanderreißen könnte. Ihre Erklärung konzentrierte sich stark auf diese Frage. Sie verurteilte die rassistische Grundlage von Sarkozys Politik, aber noch mehr erbost war sie darüber, dass die französische Regierung die Autorität der EU-Kommission untergräbt.

„Die Aufgabe der Kommission als Hüter der Verträge wird extrem schwierig“, klagte sie, „wenn wir den Erklärungen von zwei Ministern in einem formellen Treffen mit zwei Kommissaren und mit weiteren fünfzehn hohen Beamten beider Seiten am Tisch nicht mehr trauen können.“ Das sei „kein geringfügiger Verstoß“, das sei „eine Schande“.

Reding nahm auch Anstoß an Erklärungen Pierre Lellouches, das französische Volk, und nicht die Europäische Kommission, sei Wächter der europäischen Verträge. „Die Kommission als Wächter der Verträge spielt eine tragende Rolle in der Europäischen Union. Diese Union wird nicht durch Gewalt zusammengehalten, sondern durch den Respekt vor dem Gesetz, auf das sich alle Mitgliedstaaten verständigt haben, darunter auch Frankreich“, sagte sie.

Redings fulminante Pressekonferenz richtete sich nicht nur gegen Paris, sondern auch gegen Teile der Europäischen Kommission selbst und ihren Präsidenten José Manuel Barroso. Am 6. September traf Barroso mit Präsident Sarkozy in Paris zusammen und kam mit ihm überein, einen Bericht der EU über die Roma-Ausweisungen in der Schublade verschwinden zu lassen. Der Bericht war von Reding und zwei weiteren Kommissaren erstellt worden, von László Andor (Beschäftigung und Soziales) und Cecilia Malmström (Innenpolitik). Er wurde am 1. September von der gesamten Kommission diskutiert.

Doch fünf Tage später vereinbarten Barroso und Sarkozy, dass „es im Interesse keiner Seite ist, über diese Frage eine Kontroverse zu entfachen“. Sie kamen auch überein, dass „die juristische und politische Analyse, die die Kommission über die Roma-Frage erstellt, ein internes Dokument ist, das nicht veröffentlicht werden soll“, wie AFP berichtete.

Drei Tage später brachten die Grünen eine Resolution im Europaparlament ein, die alle EU-Mitglieder aufforderte, „sofort alle Ausweisungen von Roma zu stoppen“. Sie wurde von den Sozialisten, Liberalen und Kommunisten unterstützt und mit 337 zu 245 Stimmen angenommen.

Dann wurde ein Rundschreiben des französischen Innenministers Brice Hortefeux an die Polizei bekannt. Es hatte die Polizei ausdrücklich angewiesen, gezielt Roma aus ungenehmigten Lagern zu werfen. Damit wurden Besson und Lellouche der Lüge überführt, die behauptet hatten, dass sich die Aktion nicht speziell gegen Roma richte.

Das ermutigte Reding, in die Offensive zu gehen und eine Breitseite gegen die französische Regierung zu feuern, die, wie sie selbst, zur Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) gehört. Sie betonte, dass eine neue Version von Hortefeuxs Rundschreiben sie nicht zufrieden stelle, das keine bestimmte ethnische Gruppe mehr erwähnt: „Es ist wichtig, dass sich nicht nur die Worte ändern, sondern auch das Verhalten der französischen Behörden.“

Reding gab bekannt, dass die Kommission in den nächsten beiden Wochen über ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich entscheiden werde. Nach ihrer persönlichen Meinung sei diese Maßnahme unvermeidlich. „Meine Geduld ist erschöpft: Genug ist genug“, erklärte sie.

Der Konflikt zwischen der Europäischen Kommission und der französischen Regierung belegt, wie weit die europäische Politik nach rechts gerückt ist. Der offene Rassismus der höchsten Stellen des französischen Staates ist nicht nur eine Bedrohung für die Roma, die schon unter den Nazis im Fadenkreuz des Holocaust gestanden hatten, sondern für die gesamte europäische Arbeiterklasse. Die Verteidigung demokratischer Grundrechte gegen solche Angriffe darf nicht der Europäischen Kommission überlassen werden. Sie ist ein Instrument der europäischen Finanz- und Politikelite. Nur die europäische Arbeiterklasse kann, gestützt auf ein internationales sozialistisches Programm, die demokratischen Grundrechte verteidigen.

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