Perspektive

Wirtschaftsgipfel von Großmachtrivalitäten und Klassenkämpfen überschattet

Die internationalen Wirtschaftsgipfel der letzten vier Tage haben erneut die Aufmerksamkeit auf die scharfen Differenzen zwischen den kapitalistischen Großmächten gelenkt.

Normalerweise richten sich zu dieser Jahrszeit alle Augen auf die halbjährlichen Treffen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Washington. Dieses Jahr fand jedoch am anderen Ende der Welt in Sanya auf der Inselprovinz Hainan im Süden Chinas ein weiteres bedeutsames Treffen statt und zwar ein Gipfeltreffen der BRICS-Länder, bestehend aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, das als neues Mitglied aufgenommen worden ist.

Gleichzeitig traf sich am Freitag vor der IWF- und Weltbankkonferenz die G-20-Gruppe.

Auch wenn es keine ausdrückliche Kritik an einzelnen Ländern in den Kommuniques der Veranstaltungen oder in den Beiträgen wichtiger Teilnehmer gab, musste man doch nicht tief graben, um auf bedeutende Meinungsunterschiede zu stoßen.

Der wichtigste Tagesordnungspunkt des G-20-Treffens am Freitag war die Einrichtung eines Überwachungsprozesses für die Wirtschaftspolitik wichtiger Länder, um die globalen Ungleichgewichte zu begrenzen. Übertriebene Medienberichte lobten das als Mittel, eine neue globale Finanzkrise zu verhindern. Der IWF soll nationale Schuldenentwicklungen, Haushaltsdefizite und Handelsbilanzen überwachen, um festzustellen, ob die Politik eines Landes ein Risiko für die globale Wirtschaft bedeutet.

Zumindest war das der offiziell genannte Grund. In Wirklichkeit ist das neue System ein Versuch der Vereinigten Staaten, international Druck auf China auszuüben, den Yuan aufzuwerten. Die USA behaupten, China halte den Wert seiner Währung künstlich niedrig, indem es amerikanische Wertpapiere kauft, um seine Konkurrenzposition auf den Weltmärkten zu stärken.

China ist sich zwar über die Absichten der USA völlig im Klaren, war aber trotzdem bereit dem Abkommen zuzustimmen, weil es keinen Durchsetzungsmechanismus enthält und keine Untersuchung der umstrittenen Höhe der chinesischen Währungsreserven durch den IWF beinhaltet. China hat gerade bekannt gegeben, dass es jetzt über Währungsreserven von drei Billionen Dollar verfügt, die meisten davon in US-Dollar.

Die amerikanischen Ziele wurden von Finanzminister Timothy Geithner in seiner Erklärung auf dem IWF-Treffen deutlich gemacht. Er sagte, die USA begrüßten die Überwachung „unserer Haushalts- und Geldpolitik durch den IWF“ und fügte dann hinzu: „Aber auch andere, insbesondere diejenigen, deren Fundamentaldaten größere Flexibilität erfordern, müssen ihren Beitrag leisten.“

Geithner setzte eine weitere Spitze gegen China, als er sagte, der IWF müsse “seine Verantwortung bei der Überwachung der Wechselkurse, der Anhäufung von Währungsreserven und des Kapitalverkehrs stärker wahrnehmen“. Er warnte, dass „das gegenwärtige Wechselkurssystem eine effektive internationale Zusammenarbeit in der Frage der Ungleichgewichte behindert“.

Yi Gang, der Vizegouverneur der Volksbank von China entgegnete der US-Kritik mit der Bemerkung, dass der Handelsüberschuss seines Landes 2010 auf 3,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gefallen sei, und dass China in den ersten drei Monaten diesen Jahres ein Handelsdefizit von mehr als einer Milliarde Dollar zu verzeichnen hatte.

Chinesische Behörden betonen, dass die Hauptquelle globaler Ungleichgewichte nicht der Wechselkurs des Yuan sei, sondern das amerikanische Haushaltsdefizit und die Politik der “quantitativen Lockerung“ der amerikanischen Zentralbank, die Hunderte Milliarden Dollar in das internationale Finanzsystem pumpe und bei Nahrungsmitteln und anderen Waren inflationäre Tendenzen, sowie Blasen bei Immobilien und anderen Werten auslöse.

Der Vizegouverneur betonte, dass China und andere aufstrebende Marktwirtschaften der globalen Wirtschaftserholung vor dem Hintergrund der sich verschlimmernden globalen Finanzkrise durch Förderung der Binnennachfrage auf die Beine geholfen hätten.

Dann fügte Yi Gang mit einer gegen die USA gerichteten Spitze hinzu: “Es lohnt sich darauf hinzuweisen, dass seit dem Ausbruch der Finanzkrise große Bewegungen der internationalen Kapitalströme den Prozess der inneren Stabilisierung und der Belebung des Wachstums behindern. In die gleiche Richtung wirken die Wechselkurse großer Reservewährungen und die Entwicklung der Warenpreise. Sie tragen in vielen Ländern zu den Schwierigkeiten bei Strukturreformen und der Haushaltskonsolidierung bei.“

Der Vizegouverneur befleißigte sich eines maßvollen Tones, aber andere waren direkter. In der Vorbereitung des BRICS-Gipfels schrieb der chinesische Vizeminister Li Yong, dass das Herumreiten der entwickelten Länder auf Ungleichgewichten der Zahlungsbilanz und Chinas gelenktem Wechselkurs, „nur ein politisches Mittel ist, Chinas Entwicklung zu behindern.“

Als Zeichen zunehmender Ablehnung der ökonomischen Vorherrschaft der USA und der globalen Rolle des Dollars stießen die BRICS Änderungen in der Struktur internationaler Finanzinstitutionen an, um die Veränderungen in der Weltwirtschaft abzubilden. Sie warnten vor „massiven“ Kapitalströmen aus den entwickelten Ländern, die die aufstrebenden Volkswirtschaften destabilisierten, und forderten eine internationale Reservewährung auf breiterer Grundlage, um Stabilität und Verlässlichkeit zu garantieren.

Die offizielle Linie auf der IWF-Konferenz war, dass die Weltwirtschaft nach der Finanzkrise von 2008-2009 auf dem Weg der Erholung sei, aber dieser Aussicht wurde mit einiger Skepsis begegnet.

Der Finanzminister von Singapur, Tharman Shanmugaratnam, der als Sprecher des IWF auftrat, sagte auf der abschließenden Pressekonferenz: „Obwohl die Lage besser ist als vor einem Jahr, gibt es noch bedeutende Schwachpunkte. Wir sind immer noch in einer gefährdeten Lage. Wir müssen noch extrem auf der Hut sein.“ Das internationale Geldsystem sei noch nicht in „zufriedenstellendem Zustand“ und neben den durch die Finanzkrise verursachten Problemen gebe es neue Risiken, darunter Entwicklungen im Nahen Osten und das Erdbeben in Japan.

Bundesbankpräsident Axel Weber warnte, dass die europäischen Länder, und auch die G-20 insgesamt, noch weit davon entfernt seien, ihre Finanzsysteme ganz stabilisiert zu haben. „Wir sind im vierten Jahr der Krise und noch nicht im ersten Jahr nach der Krise“, sagte er.

Auch in der Vergangenheit waren Treffen der mächtigsten globalen Finanzinstitutionen schon von Spannungen und Gegensätzen zwischen den Großmächten charakterisiert. Aber dieses Jahr war noch ein neuer Faktor bei den Diskussionen präsent, auf offener Bühne und hinter den Kulissen: der Klassenkampf.

Auf seiner Eröffnungspressekonferenz erwähnte Weltbankpräsident Robert Zoellick “neue Risiken und bedrückende Herausforderungen“, vor allem die hohen Lebensmittelpreise. „Wir sollten nicht vergessen, dass die Revolution in Tunesien von der Selbstverbrennung eines Obstverkäufers ausging, der von den Behörden schikaniert worden war.“

Zoellick sagte, dass „die Lebensmittelpreise wirklich an einem Punkt angelangt sind, an dem die Lage kippen kann“. Sie lägen um 36 Prozent höher, als vor einem Jahr und seit Juni letzten Jahres seien 44 Millionen Menschen zusätzlich in die Armut abgeglitten. „Es braucht nur noch einen Schock und wir haben eine ausgewachsene Krise.“, sagte er auf einer Pressekonferenz gegen Ende er dreitägigen Diskussionen.

Auch dem Direktor des IWF Dominique Strauss-Kahn schlugen die Klassenkämpfe nach den Ereignissen in Tunesien und Ägypten aufs Gemüt. In den letzten Jahren sang der IWF noch Loblieder auf die Regierungen der beiden Länder, weil sie „Strukturreformen“ einführten, die das Wachstum antrieben. Aber in beiden Fällen war eine Revolution das Ergebnis.

“Wachstum reicht nicht aus, weil das alte Muster nicht mehr funktioniert, nach dem der Rest sich schon ergibt, wenn man nur Wachstum hat”, sagte Strauss-Kahn. „Natürlich müssen wir auf Wachstum achten… aber auch darauf, wie Wachstum sich auswirkt oder Arbeitsplätze schafft.“ Er verwies auf die Beispiele im Nahen Osten und Nordafrika und sagte, trotz gutem Wachstum könnten sich dahinter politische Probleme verbergen.

Auch in der Fragerunde spielte dieses Thema eine Rolle. Ein indischer Journalist drückte es so aus: „Jedes Jahr leben Millionen Menschen in aller Welt mit der Hoffnung, dass es dieses Jahr oder nächstes Jahr besser wird, aber Armut und die Bevölkerung wachsen und die Nahrungsmittelproduktion sinkt… Viele Demonstrationen richten sich gegen den Schwarzmarkt, den Einfluss des Geldes oder Korruption. Welche Antworten sollen wir also den Menschen geben, die auf uns schauen?“

Strauss-Kahns Antwort unterstrich nur die sozialen Spaltungen hinter den aufkommenden Klassenkämpfen: „Wir treffen uns jedes Jahr und seit der Krise, nach der Krise hat sich die Lage global durchschnittlich jedes Mal verbessert… die makroökonomischen Zahlen verbessern sich…Aber auf der anderen Seite scheint sich das Leben der meisten Menschen auf der Straße nicht zu verbessern."

Strauss-Kahn spürt zwar die damit verbundenen enormen Gefahren, aber er hat keine Antwort. Das kann er auch nicht, weil Profit, nicht Wachstum an und für sich die Triebkraft der kapitalistischen Wirtschaft ist. Und Profitabilität hängt heute vor allem davon ab, die Löhne und sozialen Bedingungen der Arbeiterklasse zu drücken.

Deswegen ist Wirtschaftswachstum nicht nur von keiner Verbesserung der Lebensbedingungen der Masse der Bevölkerung begleitet. Es wird vielmehr direkt auf ihre Kosten erreicht und der Reichtum wird von den obersten Gesellschaftsschichten angesaugt. Soziale Ungleichheit, die heute so ausgeprägt ist, wie nie zuvor in der Geschichte, ist nicht nur das größte globale „Ungleichgewicht“, sondern auch die Triebkraft des Klassenkampfs, der neben den Großmachtrivalitäten die Wirtschaftsberatungen am Wochenende überschattete.

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