Perspektive

Ein Wendepunkt in der Krise des Weltkapitalismus

Die Herabstufung der Kreditwürdigkeit der USA am vergangenen Freitag kennzeichnet den 5. August 2011 als einen der entscheidenden Wendepunkte in der historischen Krise des amerikanischen und des Weltkapitalismus. Sie stellt den Tag in eine Reihe mit dem 15. September 2008, an dem Lehmann Brothers zusammenbrach, und dem 15. August 1971, an dem Präsident Nixon die Goldbindung des Dollars abschaffte.

Diese drei Daten sind durch eine Kausalkette von Ereignissen verknüpft, die den historischen Niedergang des US-Kapitalismus und mit ihm den Niedergang des gesamten globalen kapitalistischen Gefüges dokumentieren.

Das kurzfristige Motiv für Standard & Poor’s Herabstufung ging aus der Bekanntmachung der Agentur klar hervor: Die Unzufriedenheit mit den Kürzungen bei Medicare und anderen Sozialprogrammen, die in der Vereinbarung zwischen der Obama-Regierung und dem Kongress angekündigt wurden.

Als Folge der Herabstufung ist es an den internationalen Aktienmärkten zu einem wahren Blutbad gekommen, da in Finanzkreisen Gerüchte über die Herabstufung der Kreditwürdigkeit anderer Länder – unter anderem wurde Frankreich erwähnt – und den Zusammenbruch von Großbanken kursierten.

Die Entscheidung des Vorstandes der US-Federal Reserve vom Dienstag, ihre ultraniedrige Zinspolitik für mindestens zwei Jahre beizubehalten, die an sich ein Eingeständnis ist, dass ihre Politik gescheitert ist und es keine Aussicht auf eine „Erholung“ für die amerikanische Wirtschaft gibt, trieb die Märkte am Dienstag einen Tag lang in die Höhe, bevor es am Mittwoch wieder zu einem 500-Punkte-Absturz an der Wall Street kam.

Während die Kursverluste zumindest teilweise von der Herabstufung durch S & P ausgelöst wurden, war die Entscheidung selber das Ergebnis weitreichender historischer Prozesse, die sich in den wachsenden Finanzturbulenzen widerspiegeln. Hinter dem Marktchaos steckt der unwiderrufliche Niedergang der Wirtschaftskraft der USA, die die Schlüsselrolle bei der Stabilisierung des Weltkapitalismus nach dem zweiten Weltkrieg spielten. Daher ist der Verfall der USA keine rein amerikanische Erscheinung. Es handelt sich dabei um einen konzentrierten Ausdruck der Krise des Weltkapitalismus.

Das erste Anzeichen des Niedergangs der USA zeigte sich am kommenden Montag vor genau vierzig Jahren, als Präsident Nixon am Sonntagabend im Fernsehen auftrat und ankündigte, Amerika werde ab sofort seine Verpflichtungen aus dem Bretton-Wooods-Abkommen von 1944 nicht mehr erfüllen und weltweit zirkulierende US-Dollar nicht länger zu einem Kurs von 35 Dollar pro Unze eintauschen. Die Entscheidung bedeutete das Ende des Systems fester Wechselkurse, das nach der Zerstörung in den dreißiger Jahren bei der Wiederbelebung des Nachkriegshandels und weltweiter Investitionen eine entscheidende Rolle gespielt hatte.

Unmittelbare Ursache der Entscheidung war das Auftreten eines amerikanischen Handelsbilanzdefizits. Aber dies war die Folge eines grundsätzlicheren Problems im Bretton-Woods-System, das ein Jahrzehnt zuvor von dem belgischen Ökonomen Robert Triffin bemerkt worden war. Triffin hatte darauf hingewiesen, dass die Aufrechterhaltung internationaler Liquidität unter Bedingungen des Dollars als weltweiter Leitwährung den Abfluss von US-Dollars aus den USA zwingend notwendig machte. Aber genau dieser Abfluss und der Aufbau von Dollarreserven außerhalb der USA, der weit über ihre Goldvorräte hinausging, untergrub praktisch die Grundlagen des Bretton-Woods-Systems – der amerikanischen Verpflichtung, Dollar in Gold einzutauschen.

Die Aufhebung der Golddeckung beendete die Rolle des Dollars als weltweiter Leitwährung nicht. Aber sie bedeutete, dass das internationale Währungssystem seinen Anker verloren hatte und zunehmend größeren Schwankungen unterliegen musste. Diese Instabilität spiegelte sich in einer Reihe finanzieller Stürme wider: In der Abwertung des Dollars von 1979, die zur Einführung von Rekordzinsen durch den Chef der Federal Reserve, Paul Volcker, führte; in der lateinamerikanische Schuldenkrise der frühen achtziger Jahre; und in dem weltweiten Börsencrash vom Oktober 1987, der zumindest teilweise durch zinspolitische Differenzen zwischen den USA und Deutschland ausgelöst wurde.

Als Reaktion auf den Crash von 1987 führte der neue Chef der amerikanischen Zentralbank, Alan Greenspan, eine Politik ein, die fortan angewendet werden sollte – jeder Finanzkrise wurde durch die Öffnung der Kredithähne der Zentralbank begegnet, um Großbanken und Finanzinstitutionen mit billigem Geld zu versorgen.

Während diese Politik half, das Wachstum der US-Wirtschaft über die nächsten zwanzig Jahre anzukurbeln, führte sie zur immer schlimmeren Formen parasitärer Vermögensanhäufung. Der US-Kapitalismus war auf Grund seiner industriellen Produktion und der großen Fortschritte, die er in der Produktivität der Arbeit ermöglichte, zu globaler Vorherrschaft aufgestiegen. Nun wurde die Industrie zerstört und ausgelagert, während Finanzspekulation die Produktion als Hauptquelle der Profite ersetzte – ein Prozess, der in der Immobilien- und der Sub-Prime-Hypothekenkrise groteske Züge annahm.

Selbst als die US-Wirtschaft in den neunziger Jahren und im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends wuchs, war dieses Wachstum durch einen sich vertiefenden Widerspruch gekennzeichnet: Die globale Reservewährung, der Dollar, war die Währung der höchstverschuldeten Nation der Erde. Dies war in der Geschichte des globalen Kapitalismus noch nie vorgekommen.

In den Jahrzehnten vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914, stützte sich die globale Wirtschaft auf das britische Pfund. Das Pfund Sterling war so gut wie Gold, weil Grossbritannien die restliche Welt mit Kapital versorgte. Während es als „Werkstatt der Welt“ in den Hintergrund gerückt war, war es noch immer der weltweit wichtigste Kapitalgeber, sowohl wegen der globalen Rolle seiner Banken und Finanzinstitute, als auch wegen der gewaltigen finanziellen Reserven, die es aus seinen Kolonien, vor allem Indien, ziehen konnte.

Der erste Weltkrieg versetzte Großbritanniens Finanzposition einen schweren Schlag, von dem es sich nicht wieder erholte. Mangels einer Währung, die als weltweite Leitwährung dienen konnte, löste sich das weltweite Finanzsystem zwischen den Weltkriegen auf und die Weltwirtschaft zerfiel in rivalisierende Handels- und Währungsblöcke. Erst mit Aufstieg der USA zu globaler Vorherrschaft nach dem zweiten Weltkrieg wurde ein neues internationales Finanzsystem errichtet. Dass sich dieses System jetzt in einem fortgeschrittenen Stadium der Auflösung befindet, verdankt es dem Zerfall und der Fäulnis seines wichtigsten Stützpfeilers, der US-Wirtschaft.

Die Bedeutung der Herabstufung seiner Kreditwürdigkeit ist von einigen Kommentatoren abgetan worden, weil eine Zahlungsunfähigkeit der USA in den Worten von Alan Greenspan „gleich Null“ sei, da das Land „immer Geld drucken“ könne, um seine Schulden zu bezahlen. Eine solch ignorante Prognose übersieht vollkommen, dass die Entscheidung selbst für den Fall, dass es noch nicht zu einer Zahlungsunfähigkeit kommt (und eine solche kann angesichts der Zahlungsunfähigkeit von 1971 früher eintreten, als viele glauben), das globale Finanzsystem weiter untergräbt.

Der Weltkapitalismus operiert jetzt ohne ein stabiles Währungssystem. Unter dem Kapitalismus hat das Geld zwei Hauptfunktionen zu erfüllen: es dient als Tauschmittel und Wertspeicher. Beide Funktionen werden durch den Wertverfall des Dollars vollständig zerrüttet, und das mit weitreichenden Konsequenzen.

Die Folgen für das Tauschmittel spiegeln sich in der Preisexplosion für weltweit gehandelte Grundgüter wie Nahrungsmittel und Treibstoff wider und führen zu einer Inflation in aller Welt – vor allem in den sogenannten unterentwickelten Ländern, wo sie einen Ausbruch des Klassenkampfes bewirken, wie man im Nahen Osten deutlich sehen kann.

In gleicher Weise wird die Funktion als Wertspeicher untergraben, wenn der Dollar als Folge der Politik des billigen Geldes gegen alle wichtigen Währungen fällt. Kein Wunder, dass China, das mehr als 1,2 Billionen US-Dollar in amerikanische Staatanleihen investiert hat, die amerikanischen Finanzbehörden auffordert, die Währung unter Kontrolle zu bringen. Jeder Tag, an dem der Wert der in US-Märkten investierten chinesischen Vermögenswerte dahinschmilzt, lässt den Tag näher rücken, an dem sich die Verluste auf die Stabilität des ohnehin schon wackeligen chinesischen Bank- und Finanzsystems auswirken.

China hat erneut die Einführung einer neuen globalen Leitwährung verlangt, die nicht direkt an den Dollar oder irgendeine einzelne nationale Währung gebunden ist. Aber wie das Schicksal des Euro zeigt, der jetzt zwischen den nationalen Rivalitäten und Konflikten unter den Mächten der Eurozone zerrissen wird, gibt es keine Aussicht auf eine solche Entwicklung. Keine Währung, keine Gruppierung von Währungen und keine synthetische erzeugte Währung kann den Dollar als Weltwährung ersetzen.

Es gibt kein Mittel der Wirtschaftspolitik und keine Regulierungsmechanismen, die die gegenwärtige Krise lösen könnten. Die historische Erfahrung deutet auf eine Rückkehr – in noch explosiverer Form – zu den Bedingungen der 1930er Jahre.

Damals zerfiel die Welt in rivalisierende Wirtschaftsblöcke, was zum Weltkrieg führte – dem bis dahin zerstörerischsten Krieg in der Geschichte. Da diese Aussicht heute wieder bedrohlich näher rückt, muss die Arbeiterklasse in das Geschehen eingreifen. Das Chaos des kapitalistischen Systems und die Gefahren, die es für die Zukunft der Menschheit bedeutet – Massenarbeitslosigkeit, Depression und Krieg – müssen durch die Machtübernahme der Arbeiterklasse, den Sturz des Profitsystems und die Einführung des internationalen Sozialismus beendet werden. Die Umsetzung dieser Perspektive erfordert den Aufbau des Internationalen Komitees der Vierten Internationale als Weltpartei der sozialistischen Revolution.

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