Berliner Opernmusiker - künftige Leiharbeiter?

Zum Streik der Berliner Opernorchester

Schon Monate dauern die Tarifauseinandersetzungen zwischen den Orchestern der Berliner Opernstiftung (Komische Oper, Staatsoper, Deutsche Oper) sowie dem Konzerthausorchester und dem Deutschen Bühnenverein. Teilweise bestreikten die Musiker die Vorstellungen. Opern begannen später oder wurden nach der Pause nur noch vom Klavier begleitet. Seit der Aussetzung der Streiks über Weihnachten ist es ruhig geworden.

Die Musiker wollen eine bessere Bezahlung, die dem Tarif vergleichbarer Spitzenorchester im Bundesgebiet entspricht. Dort verdienen die Kollegen an die 12 Prozent mehr. Die Berliner Musiker wollen erreichen, dass der neue bundesweite Flächentarifvertrag für Deutsche Kulturorchester, seit Januar 2010 in Kraft, auch wieder für die Berliner Orchester der Opernstiftung gilt. Dann wäre auch die bis dahin übliche Ankoppelung ihrer Gehälter an die Tarifentwicklung des Öffentlichen Dienstes wieder gewährleistet.

Beidem entzog sich das Land Berlin 2003 durch seinen Ausstieg aus dem öffentlichen Arbeitgeberverband unter dem damaligen und heutigen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), dem damaligen Wirtschaftssenator Gregor Gysi (PDS/Linke), Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) und dem Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur Thomas Flierl (PDS/Linke). Dies kostete nicht nur die Berliner öffentlich Beschäftigten, die bald einen gesonderten Berliner Tarifvertrag akzeptieren mussten, 10 Prozent ihres Einkommens. Auch die Gehälter der Berliner Opernorchester und des Konzerthausorchesters wurden bis heute auf dem tariflichen Stand von 2002 eingefroren.

Bereits vor über zehn Jahren unter Kultursenator Stölzl (CDU) wurde in der „Kulturhauptstadt Berlin“ über eine „Opernreform“ diskutiert. Es gab die Überlegung, eines der drei Opernhäuser zu schließen oder zwei Häuser miteinander zu verschmelzen. Der Spiegel schrieb im Jahr 2000 in diesem Zusammenhang von 353 geplanten Stellenstreichungen, darunter 77 Musikerstellen (fast ein gesamtes Orchester). Anvisiert waren auch neue Lohntarife. Im Jahr 2004 wurde die „Stiftung Oper in Berlin“ gegründet, eine öffentlich-rechtliche Stiftung, „zur Sicherung der Betriebe“, die neben den drei Opernhäusern auch das staatliche Ballett umfasste.

Im vergangenen Jahr äußerte sich der Trompeter Matthias Kamps in der Presse zur Situation an der Komischen Oper: „Gerade wir in der Komischen Oper haben einen riesigen Sparbeitrag von einer Million Euro jährlich geleistet, seitdem die Stiftung Oper in Berlin ins Leben gerufen wurde. Fünf Stellen wurden gestrichen, Gehälter neu eingestellter Musikerinnen und Musiker wurden gekürzt, unsere Gehälter werden Monat für Monat später ausgezahlt, und eine zusätzliche Sparsumme muss jedes Jahr aus dem laufenden Budget des Orchesters erbracht werden.“

Dass die Gründung der Opernstiftung lediglich darauf abzielte, die gescheiterten Fusionsvorstellungen des CDU-Kultursenators durch eine rot-rote Hintertür durchzusetzen, zeigt nicht nur die Gründung einer Zentralen Theaterwerkstatt, die die vorherigen theatereigenen Werkstätten ablöste, sondern auch ein Punkt der derzeitigen Tarifauseinandersetzung, gegen den sich die Musiker vehement wehren.

Bisher bekamen Musiker es honoriert, wenn sie neben ihrem Dienst in anderen Orchestern aushalfen. Dies soll in Zukunft nach den Vorstellungen der Arbeitgeber nur noch unentgeltlich möglich sein. Die Musiker befürchten zu Recht, dass es dabei zu Stellenabbau und Arbeitsplatzverlusten kommt. Es sei natürlich bequemer, so Kamps, „sich einen Musiker für umsonst in einem anderen Orchester auszuleihen, als einen dringend benötigten Musiker neu einzustellen“. Letztlich würde das „auf eine Oper mit drei verschiedenen Spielstätten“ hinauslaufen, heißt es besorgt in einem Musiker-Internetforum. Das wäre ein „Musiker-Pool, aus dem, je nach Bedarf, in Leiharbeiter-Manier für die einzelnen Häuser geschöpft wird“.

Ein Kosten sparender Musiker-Stellenpool hätte künstlerische Konsequenzen. Jedes Orchester ist ein sensibler Organismus, dessen spezielle Qualität das Ergebnis eines jahrelangen, man kann ohne Übertreibung sagen, jahrzehntelangen Reifeprozesses ist. Mit ständig wechselnden Musikern und Dirigenten ist diese Qualität nicht zu halten. Auch der Leistungsdruck auf die Musiker steigt durch Aushilfsdienste per Dienstanweisung. Bisher hilft nur ein geringer Teil der Spitzenmusiker in anderen Orchestern aus, weil deren unterschiedliches Repertoire auch zusätzliche, aufwendige Vorbereitungszeit auf dem Instrument erfordert.

Der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der auch Kultursenator und Vorsitzender des Stiftungsrats der Berliner Opernstiftung ist, zeigte für die Proteste der Musiker keinerlei Verständnis. Auch die Presse, wenn sie denn über den Arbeitskampf berichtete, war mehrheitlich verwundert bis empört über die „privilegierten“ Opernmusiker. Sie versuchte, die Orchestermusiker demagogisch gegen die schlechter bezahlten Musiker der freien Szene auszuspielen, die die Opernmusiker jedoch teilweise unterstützen.

Die Geschäftsleitung der Deutschen Oper reagierte besonders scharf und drohte, aus Rumänien Musiker als Streikbrecher einfliegen zu lassen.

Die Streikaktionen der Deutschen Orchestervereinigung (DOV), die kleine Gewerkschaft der Orchestermusiker, waren allerdings eher halbherzig organisiert und hatten vor allem symbolischen Charakter. Auch der Änderung der Aushilfsklausel hatte die Gewerkschaft längst zugestimmt, nämlich schon 2009 im bundesweiten Flächentarifvertrag. Das wusste auch die Geschäftsleitung der Deutschen Oper. Dennoch wurde eine öffentliche Schlammschlacht ausgetragen, die der DOV eine Militanz andichtete, die die Gewerkschaft überhaupt nicht besitzt.

Denn die von der Politik getroffenen Entscheidungen sind für die DOV, wie für jede andere Gewerkschaft, die akzeptierte Grundlage ihrer Protestaktionen. So erklärte Gerald Mertens von der DOV gegenüber der WSWS, es sei eine politische Entscheidung, drei Opernhäuser in Berlin zu haben, die Politik müsse auch entscheiden, welche Qualität der Orchester sie wolle. Im Klartext bedeutet dies, dass die Gewerkschaft (natürlich unter Protest) alle Entscheidungen der Politik mitträgt. So ist die DOV durchaus mitverantwortlich für die Kürzungen in der Kultur.

Seit 1992 sind deutschlandweit 35 Orchester geschlossen worden, 27 davon im Osten Deutschlands. Musiker-Planstellen sanken in der Zeit von 12.159 auf unter 10.000, was einem Stellenabbau von 35 Prozent im Osten und 7 Prozent im Westen entspricht.

Ende 2008 beklagte die DOV die deutschlandweite Situation: „Junge Musiker werden seit drei Jahren in vielen Orchestern mit schlechteren Verträgen eingestellt (abgesenkte Vergütung, Erhöhung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit um 50 (!) Prozent). An etlichen Orchesterstandorten verzichten Musiker sogar schon seit Jahren auf Gehalt, um ihr Orchester in Stadt und Region zu erhalten und Arbeitsplätze zu sichern.“

2008 kam es zu den größten Orchesterstreiks seit den 1950er Jahren. Zwei Jahre später warnte der „Leipziger Appell der Betriebs- und Personalräte an Theatern und Bühnen in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt“ die Politik: „Die Sparpotentiale sind ausgeschöpft! Ohne Einschnitte in die künstlerische Substanz sind weitere Kürzungen nicht mehr möglich.“

Das klingt weniger nach Kampfansage als nach Warnung vor der steigenden Wut der Beschäftigten. Generell werden Kürzungen in der Kultur von Gewerkschaften und Betriebsräten nicht abgelehnt. So erinnerte ein von etlichen Gewerkschaftsfunktionären und Betriebsräten unterzeichnetes, an den Berliner Bürgermeister gerichtetes Papier vom November 2009 an die Kooperationswilligkeit der Orchestergewerkschaft während der vorangegangenen Jahre: „Dies war seinerzeit für die Beschäftigten vor dem Hintergrund der schwierigen finanziellen Lage nachzuvollziehen und wurde als Beitrag zur Konsolidierung mitgetragen. Dennoch haben sich die Künstler nach Kräften und mit Erfolg bemüht, Berlin als wesentlichen kulturellen Standort zu stärken [...].“

Die DOV zeigt mit ihren Erklärungen, dass sie sich mehr um regionale Wirtschaftsstandorte Sorgen macht, als um die Künstler. Die Verteidigung sogenannter „Kulturstandorte“ heizt den Konkurrenzkampf an und fördert wie in der Industrie Billigarbeit, Stellenabbau und Spaltung der Beschäftigten. Momentan betrachtet die DOV den niedrigeren Lohn der Berliner Opernmusiker als Standortnachteil, weil junge Spitzenmusiker sich nach besser bezahlten Stellen in anderen Orchestern umsehen. Das gilt selbst innerhalb der Opernstiftung, begünstigt durch den speziellen Hausvertrag, der vor Jahren für das Orchester der Staatsoper unter dem berühmten Dirigenten Daniel Barenboim ausgehandelt wurde.

Offenbar gibt es noch andere Berliner „Standortnachteile“, die nun mit dem neuen Tarifvertrag behoben werden sollen. In einer gemeinsamen Presseerklärung vom 17. Dezember 2009 stellten DOV und Deutscher Bühnenverein gemeinsam fest, dass etliche Neuerungen in den neuen Flächentarifvertrag aufgenommen worden sind, „die den veränderten Umständen Rechnung tragen, unter denen heute ein Orchester tätig ist. So wurde insbesondere die Gestaltung der Arbeitszeit flexibilisiert, [...] und Kooperationsmöglichkeiten zwischen den Orchestern verstärkt.“

Bezüglich der Berliner Musiker sind sich DOV und Deutscher Bühnenverein weitgehend einig. Rückwirkend zum Januar 2010 soll es rund 4,5 Prozent mehr Lohn geben, zuzüglich 65 Euro monatlich. Bis 2014 sollen die Löhne der Musiker dem Tarif des öffentlichen Dienstes von Berlin entsprechen, 2017 der bundesweite Standard erreicht sein (beim Konzerthausorchester gibt es Abweichungen in Details).

Andere Lohnbestandteile werden dagegen drastisch gekürzt. Zum zwischen DOV und Bühnenverein ausgehandelten Vertrag gehören auch die Streichung des Urlaubsgeldes, die Kürzung des 13. Monatsgehaltes und das Einfrieren bestimmter Ortszuschläge. Dafür soll es zwei einmalige Ausgleichszahlungen von je 300 Euro geben. Die neue Aushilferegelung soll nicht erst mit Inkrafttreten des neuen Flächentarifvertrags 2017, sondern schon ab der Spielzeit 2015/16 in Kraft treten, ein Entgegenkommen der Gewerkschaft für ein paar lächerliche Prozent weniger Kürzung beim 13. Monatsgehalt. Derzeit werden 82 Prozent gezahlt. Statt der vom Bühnenverein ursprünglich geforderten Absenkung auf 72 Prozent sollen die Musiker zukünftig 79 Prozent erhalten.

Es ist zweifelhaft, ob die Berliner Opernmusiker unter diesen Voraussetzungen etwas gewinnen werden. Musiker fragen sich im Internet besorgt, ob die finanziellen Zugeständnisse der Arbeitgeber überhaupt ausreichen, um die tariflich festgelegten Kürzungen damit auszugleichen. Einen zusätzlich schlechten Beigeschmack bekommt das Ganze, wenn man sich vor Augen führt, dass der Tariftrend im Öffentlichen Dienst eher in Richtung Stagnation bzw. Reallohnsenkung geht. Mit der Einigung auf die späte Übernahme des bundesweiten Flächentarifvertrages im Jahre 2017 folgt die DOV dem Tarifabschluss von ver.di vom Oktober 2010, der unter Berücksichtigung der „besonderen Lage in Berlin“, in der angeblich gespart werden müsse, zustande gekommen war.

Schon während der Streiks äußerten Musiker Unzufriedenheit über die schlechte Information der Gewerkschaft. Man fände „so gut wie keine konkreten Informationen, weder auf der Website der DOV, noch anderswo, was genau verhandelt wird“. Dass sich die DOV „bei Ankopplung an den Flächentarifvertrag mit den gegenseitigen kostenlosen Aushilfen einverstanden erklärt“, erfuhren die Musiker scheinbar auch erst aus der Presse. „Das kann’s ja dann auch nicht sein. Für ein bisschen mehr Kohle wird der Ast abgesägt, auf dem wir sitzen“, äußert ein Trompeter.

Die Orchester, die in Kürze über den Vertrag abstimmen, werden sich hoffentlich gegen den geplanten Abschluss stellen. Es besteht die reale Gefahr, dass sich der Tarifabschluss mit der neuen Aushilferegelung als Türöffner zur Durchsetzung schlechterer Arbeitsbedingungen und künftiger Kürzungen erweist. Die DOV spielt die Bedeutung der Aushilfeklausel herunter, sie sei nur ein kleiner Baustein im Tarifgefüge und bundesweit noch nie angewendet worden, so Gerald Mertens gegenüber der WSWS.

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