Olivier Besancenot (NPA) besucht Tunesien

Laufbursche für den französischen Imperialismus

Am 25. und 26. Januar stattete Olivier Besancenot, Sprecher der französischen NPA (Neue Antikapitalistische Partei), Tunesien eine Stippvisite ab. Erst eine Woche zuvor, am 14. Januar, war Zine El Abidine Ben Ali, der von Frankreich protegierte Diktator, durch Massenproteste aus dem Amt gejagt worden. Weiteres Führungspersonal der französischen „Linken“ plant ebenfalls einen Besuch in Tunesien, so Eva Joly von den Grünen und Pierre Laurant, der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF).

Die NPA eröffnete in einer Presseerklärung, Besancenot habe sich mit „den Organisationen der Front des 14. Januar getroffen, einer kürzlich gegründeten, vereinten linken Gruppierung“. Und weiter: „Geplant sind auch Treffen mit Hamma Hammami , dem Vorsitzenden der PCOT [Kommunistische Partei Tunesiens], sowie führenden Mitgliedern des Linken Arbeiterbundes, Vertretern der Postgewerkschaft und Menschenrechtsorganisationen.“

Die Front des 14. Januar ist eine Koalition aus Gewerkschaften und politischen Parteien. Zu ihr gehören die PCOT, die Bewegung der Nasserschen Gewerkschafter, die Baathistische Strömung, die Demokratischen Nationalisten und die Patriotisch Demokratische Arbeiterpartei. Am 20. Januar gab diese Koalition ein kurzes Gründungsdokument heraus.

Besancenot nahm in Tunis auch an den nächtlichen Demonstrationen teil. Von einer Ansprache an die Massen war nicht die Rede, obwohl in Tunesien sehr viele französisch verstehen.

Der Besuch war auf höchster Ebene von der NPA mit der KPF, den Grünen und der Sozialistischen Partei (PS) abgesprochen worden. Die PS ist in Frankreich die wichtigste bürgerliche Partei auf der „Linken“. Als Ben Ali die Flucht aus Tunis ergriff, gaben diese Organisationen eine gemeinsame Erklärung mit der Forderung nach einem „echten demokratischen Übergang“ heraus.

Die PS hofft – genau wie die französische und die amerikanische Regierung –, dass sich rasch eine Koalition aus offiziellen „Oppositions“-Parteien zusammenschustern lässt. Eine solche Koalition würde das Nach-Ben-Ali-Regime mit einem „demokratischen“ Feigenblatt versehen und die Massenproteste unter Kontrolle bringen. Doch die Demonstrationen gegen das derzeitige Regime reißen nicht ab, das immer noch aus alten Kumpanen Ben Alis (Mohamed Ghannouchi, Fouad Mebazza) besteht.

Besancenot gab dem Journal du Dimanche ein Interview, in dem er versuchte, den Aufstand in Tunesien als Sieg sozialdemokratischer und gewerkschaftlicher Politik darzustellen. Er sagte: „Organisation und Struktur dieser Bewegung, so wie ich sie wahrnehme, sind faszinierend“, – obwohl er nichts Konkretes darüber berichtete, was er erlebt hatte.

Über den “kollektiven Ansturm” in Tunis sagte Besancenot, es sei “aufregend” gewesen, zu sehen, wie „die ultra-mobilisierten Gewerkschaften den Rücktritt der ‚neuen’ Regierung fordern.“

Und er fügte hinzu: “Unsere Aufgabe in Frankreich besteht darin, unsere eigene Regierung, unseren eigenen Imperialismus zu besiegen. Das wird keinesfalls die Rechte [die derzeit in Frankreich regierende Partei] schaffen, soviel ist sicher….Und auch die PS wird keinen Finger rühren! Ich möchte daran erinnern, dass Ben Ali bis vor ein paar Tagen Mitglied der Sozialistischen Internationale war [Vereinigung sozialdemokratischer Parteien, zu der die PS gehört]. Nicht nur die derzeitige Regierung unterstützte also das Ben Ali Regime.“

Obwohl die Aufstände in Tunesien einen Diktator vertrieben, der die Rückendeckung der europäischen sozialdemokratischen Parteien, auch der PS, genossen hatte, bezeichnete Besancenot die tunesischen Ereignisse als „sozialdemokratische Revolution“. Wie er sagte: „Auch wir brauchen eine sozialdemokratische Revolution.“

Besancenots Worte strotzen vor Lügen und Halbwahrheiten. Über die (in seinen Worten) „ultra-mobilisierten“ Gewerkschaften ist nur allzu gut bekannt, dass die Allgemeine Gewerkschaft Tunesischer Arbeiter [UGTT, einzige Arbeitergewerkschaft Tunesiens] ein integraler Bestandteil der Diktatur war. Anfangs kritisierte die nationale Führung der UGTT die Proteste gegen Ben Ali. Dann schickten sie eigene Funktionäre als Mitglieder in die weithin abgelehnte Übergangsregierung Mebazzas und zog diese erst wieder zurück, nachdem klar war, dass die Proteste gegen Mebazza fortgesetzt wurden.

Was Besancenots Aussagen zum Imperialismus betrifft, so werfen diese mehr Fragen auf als sie beantworten. Wenn sich die Führung der NPA darüber im Klaren ist, dass die PS den französischen Imperialismus verteidigt und die mörderische Diktatur Ben Alis unterstützt, aus welchem Grund unterzeichnet sie dann Dokumente der PS zu Tunesien? Aus welchem Grund lässt sie sich in die Initiativen der PS und deren Satelliten KPF und Grüne einbinden? Warum kein Angriff auf deren Aktivitäten zur Verteidigung der Interessen des französischen Imperialismus in Nordafrika?

Die veröffentlichten Positionen der NPA zu Tunesien sind ein klares Signal: Wir unterstützen den französischen Imperialismus. Bewusst arbeitet die NPA als Gehilfe imperialistischer Parteien wie der PS. Dies versucht sie auch noch mit inhaltlosen und zynischen Phrasen über eine “sozialdemokratische Revolution“, mit der „wir unsere eigene Regierung besiegen“, zu tarnen.

Diese Politik hat tiefe objektive Wurzeln. Tunesien ist zu einem wichtigen Lieferanten billiger Arbeitskräfte für französische und internationale Firmen geworden, sowie auch für Gastarbeiter in Frankreich selbst. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung des Landes lehnt die Politik des amerikanischen und europäischen Imperialismus ab: Mit Abscheu betrachten sie, wie Afghanistan und der Irak besetzt und ein Netz von Foltergefängnissen über die ganze Welt gespannt wurde. Seit Jahrzehnten werden Palästinenser durch den Staat Israel unterdrückt.

Aufgabe eines von der PS oder anderen imperialistischen Parteien gestützten tunesischen Regimes wäre, die Löhne weiter so niedrig zu halten und die allgemeine Opposition gegen den Imperialismus zu unterdrücken. Eine solche Politik kann nicht mit friedlichen und demokratischen Mitteln durchgesetzt werden. Die polizeistaatlichen Methoden eines Ben Ali entsprangen unmittelbar den Klasseninteressen seiner imperialistischen Gönner.

Dies weist auf den tiefen Zusammenhang des Kampfs für Demokratie in Tunesien mit dem revolutionären Kampf der Arbeiterklasse hin. Dieser Kampf wird sowohl in Tunesien als auch in den imperialistischen Staaten von Europa und Amerika geführt. Wie die WSWS darlegte, steht die Arbeiterklasse vor der entscheidenden Aufgabe, auf internationaler Ebene Parteien aufzubauen, die diesen Kampf führen. (siehe: „Der Massenaufstand in Tunesien und die Perspektive der Permanenten Revolution“, WSWS-Erklärung vom 18. Januar 2011).

Besancenots Besuch zeigt auch, dass die WSWS-Analyse über die Umwandlung der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) in die NPA im Jahr 2009 korrekt war. Wie die WSWS damals erklärte, war die Umbenennung der LCR der Versuch, alle früheren Verbindungen zum Trotzkismus – so schwach diese auch waren – abzuschneiden. Die LCR bereitete sich bewusst auf eine pro-imperialistische Politik vor, die im Widerspruch zu den Traditionen der proletarischen Revolution und zum von Leo Trotzki vertretenen marxistischen Internationalismus stehen würde.

Jetzt, während des Aufstands der Bevölkerung gegen die Diktatur Ben Alis, tritt die NPA als zynischer Vertreter einer „sozialdemokratischen Revolution“ auf und unterstützt verschiedene syndikalistische und nationalistische Elemente der offiziellen „Opposition“. Die Gespräche der NPA mit der unter Ben Ali verbotenen PCOT dienen zur Verschleierung dieser Problematik hinter vagen Versprechungen von „Demokratie“.

Die PCOT in Tunesien spielt die gleiche Rolle wie die NPA in Frankreich: Sie dient der offiziellen „Opposition” als linke Flanke. Als maoistische Partei, die sich zum Ende des albanischen stalinistischen Diktators Enver Hoxha noch für dessen Perspektiven stark machte, propagiert die PCOT heute Forderungen nach einer verfassungsgebenden Versammlung und nach demokratischen Reformen. Bevor sie sich der Front vom 14. Januar anschloss, war sie Teil der 2005 gebildeten Koalition vom 18. Oktober, die unter Führung der Demokratischen Progressiven Partei (PDP) stand. Die PDP war unter Ben Ali die wichtigste der zugelassenen „Oppositions“-Parteien.

Die PCOT wirbt derzeit für die Auffassung, die tunesische Armee werde das Volk verteidigen. Diese Lüge könnte sich als gefährliches Schlaflied für die Bevölkerung entpuppen. Die Armee hätte leichtes Spiel, die Proteste letztendlich im Interesse des Imperialismus und des nationalen bürgerlichen Regimes niederzuschlagen.

Die PCOT gehört exakt zu den “oppositionellen” Kräften, die im abgewetzten Kostüm der „Demokratie“ auftreten, damit die Imperialisten sich ihrer bedienen können, um die Massen mit der anhaltenden Unterdrückung auszusöhnen.

Allerdings stehen die führenden Politiker des französischen Imperialismus dabei vor dem Problem, dass ihre Verbindungen mit Ben Ali zu gut bekannt sind. Auch weiß jeder über die Verbindung der PS zu Ben Ali durch die Sozialistische Internationale Bescheid, was Besancenot ja auch erwähnte.

Was die regierenden französischen Konservativen betrifft, so schlug Außenministerin Michèle Alliot-Marie kurz vor der Flucht Ben Alis aus Tunis noch vor, französische Polizisten zur Unterdrückung der Massenproteste zu entsenden. Solche Politiker würden bei einem Tunesienbesuch höchstens neue Massenproteste auslösen.

Die Aufgabe, in Tunis ein neues, pro-imperialistisches Regime auf die Beine zu stellen, fällt daher der B-Riege zu: niedrig karätigeren, staatstragenden Elementen, die der Sache einen frischeren, „protestlerischen“ Anstrich verpassen können. Leute wie Laurent, Joly und Besancenot sind dafür optimal. Besancenot schlüpft in die Rolle, die ihm die herrschende Klasse zugedacht hat: die des Laufburschen des französischen Imperialismus.

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