Brüssel segnet ungarisches Mediengesetz ab

Der Konflikt zwischen der EU-Kommission und der ungarischen Regierung über das ungarische Mediengesetz wurde vergangene Woche beigelegt. Die für Medien zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes erklärte letzten Mittwoch in Brüssel, sie sei mit den von Ungarn vorgeschlagenen Änderungen zufrieden. Gleichzeitig sagte das EU-Parlament eine Abstimmung über eine kritische Resolution zum ungarischen Mediengesetz ab.

Damit erklärt sich Brüssel mit der faktischen Abschaffung der Pressefreiheit in Ungarn durch die rechte Regierung von Victor Orban einverstanden.

Ende vergangenen Jahres hatte der Ungarische Bürgerbund (Fidesz) mit seiner parlamentarischen Zweidrittelmehrheit ein neues Mediengesetz verabschiedet, das der Regierung umfassende Vollmachten zur Kontrolle der Medien gibt. Ein fünfköpfiger Medienrat, an dessen Spitze eine langjährige Vertraute von Regierungschef Orban steht, kann künftig harte Sanktionen gegen Medien verhängen, die nicht „ausgewogen“ berichten. Was „ausgewogen“ ist, bestimmt der Medienrat. Journalisten, die über „Fragen der nationalen Sicherheit“ schreiben, müssen ihre Quellen offenlegen. Die Nachrichten aller öffentlichen Sender werden von einer zentralen staatlichen Agentur produziert.

Mehrere Politiker und Medienvertreter reagierten empört auf das Maulkorbgesetz. Der Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Hendrik Zörner, sprach von einem „Anschlag auf die Grundwerte der Demokratie“ und sagte: „Das sind unfassbare Zustände.“

Die EU-Kommission, die für die Einhaltung der EU-Verträge zuständig ist, reagierte dagegen betont zurückhaltend auf die Verletzung der Pressefreiheit in Ungarn und forderte nur minimale Veränderungen. Obwohl es seit Monaten Auseinandersetzungen über das neue Mediengesetz gab, hat Kroes sich ausdrücklich geweigert, ein Prüfungsverfahren einzuleiten, um die Vereinbarkeit des Mediengesetzes mit der EU-Grundrechtecharta zu überprüfen.

Zwar veranlasste Neelie Kroes Ende Januar einen Brief an die Regierung in Budapest, in dem sie eine Korrektur des Gesetzes in drei Punkten anmahnte und eine Frist zur Stellungnahme in zwei Wochen festsetzte, um auf drei Kritikpunkte einzugehen. Sie drohte darin mit einem Vertragsverletzungsverfahren, das zu einer Verurteilung vor dem Europäischen Gerichtshof und hohen Geldbußen führen könne. Im damaligen Schreiben hieß es: „Die Dienststellen der Kommission haben ernste Zweifel an der Vereinbarkeit des Gesetzes mit dem Recht der Union.“

Doch als die ungarische Regierung einige geringfügige Änderungen versprach, gab EU-Kommissarin Kroes bekannt: „Wir begrüßen die Ergänzungen, die die ungarische Regierung zugesagt hat.“ Ein gesondertes Prüfungs- oder Vertragsverletzungsverfahren sei nun nicht mehr notwendig.

Kroes rechtfertigte ihre Entscheidung damit, dass Budapest unter anderem die im Gesetz vorgesehene Verpflichtung zu einer „ausgewogenen Berichterstattung“ modifizieren will. Sie soll künftig nur noch für den Rundfunk gelten, nicht mehr für andere Medien wie Internetblogs. Sie zeigte sich darüber hinaus zufrieden, dass künftig ausländische Medien in Ungarn nicht dem Gesetz unterworfen sind. Den Angaben der EU-Kommission zufolge will die Orban-Regierung die Pflicht zur „ausgewogenen Berichterstattung“ auf Rundfunk und Fernsehen beschränken, wie das auch in anderen EU-Ländern der Fall sei.

Die von Budapest gemachten Änderungen sind rein kosmetischer Natur und ändern nichts an der Tatsache, dass die Regierung missliebige Medien mundtot machen kann. So machte Regierungschef Orban bei der Medienbehörde, in der er seine Vertraute Annamária Szalai für neun Jahre als Chefin installierte, keine Abstriche.

Nach Einschätzung von Reporter ohne Grenzen (ROG) bleibt es nach den Änderungen des ungarischen Mediengesetzes bei völlig inakzeptablen Eingriffen in die Pressefreiheit. Die ungarische Regierung will das Gesetz nur in Nebenaspekten anpassen. Der Charakter des Mediengesetzes bleibt erhalten. Auch in der novellierten Form bleibt der Quellenschutz nicht gewährleistet und die ungarische Regierungspartei kann weiterhin direkt auf private Medien einwirken, kritisiert ROG.

„Die EU-Kommission hat mit ihren minimalen Forderungen an Ungarn die Latte so niedrig gehängt, dass die Regierung in Budapest bequem darauf eingehen konnte, ohne die Gängelung auch der privaten Medien aufzugeben“, sagte ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske. In diesem Zusammenhang warnte er davor, es als Erfolg für die Pressefreiheit zu werten, dass der Konflikt zwischen der EU-Kommission und der ungarischen Regierung damit beendet sei. Diese Sicht lasse völlig außer Acht, dass die EU die massiven Verstöße gegen Grundsätze der Pressefreiheit im ungarischen Gesetz aus formalen juristischen Gründen gar nicht erst bemängelt hat.

Das Fazit von ROG lautet: „Die EU-Kommission ist offenbar nicht in der Lage, den Grundrechteschutz im Bereich der Pressefreiheit gegenüber Mitgliedsstaaten durchzusetzen.“

Das neue Gesetz enthält weiterhin zahlreiche Regelungen, die eine regierungsfreundliche Berichterstattung sicherstellen sollen. So ist den Medien „politische Propaganda“ außerhalb von Wahlkampfzeiten verboten. Werden „Fragen der nationalen Sicherheit“ berührt, müssen sie ihre Quellen offen legen, was den für eine demokratische Presse unabdingbaren Informantenschutz aufhebt. Und die Nachrichtensendungen der öffentlichen Medien werden in Zukunft zentral von der regierungstreuen Nachrichtenagentur MIT produziert, und nicht mehr von den einzelnen Sendern.

Das strenge Verbot pornografischer und Gewalt verherrlichender Bilder sowie das Recht des Medienrats, Zeitungsredaktionen Vorschriften über die Qualität der Berichterstattung und die Abwehr rechtswidriger Inhalte zu machen, geben der Regierung zahlreiche weitere Hebel in die Hand, um direkten Einfluss auf den Inhalt der Medien zu nehmen. Eine so genannte „Mediencharta“ verpflichtet die Journalisten außerdem, christliche, patriotische und nationale Werte zu verbreiten.

Die Fidesz-Regierung hat in den letzten Monaten bereits deutlich gemacht, dass sie trotz massiver Kritik nicht davor zurückschreckt, das Gesetz anzuwenden. Kaum war das neue Gesetz in Kraft, eröffnete der neu geschaffene Medienrat ein Verfahren gegen den kleinen, linksliberalen Sender Tilos Radio. Ihm wurde vorgeworfen, vor vier Monaten einen Song des Rappers Ice-T ausgestrahlt zu haben. Da kaum ein Ungar den amerikanischen Slang des Gangsta-Rappers versteht, veröffentlichte der Medienrat auch gleich noch eine ungarische Übersetzung des beanstandeten Textes, um seine jugendgefährdende Wirkung zu demonstrieren.

Nach der Entscheidung in Brüssel trat Orban entsprechend gestärkt auf. Am 14. Februar trat er vor das Parlament und rühmte sich, er habe die „Angriffe“, die das ungarische Volk „beleidigt“ hätten, „zurückgeschlagen“. Die Zeiten, da man Belehrungen von außen hinnehmen musste, seien vorbei.

Rückendeckung erhält Orban dabei von der ultra-rechten Partei Jobbik, die das Mediengesetz unterstützt. Ihr Vorsitzender Gabor Vona trug während der Sitzung des Parlaments eine Weste der offiziell verbotenen paramilitärischen Organisation „Ungarische Garde“, die in der Tradition der faschistischen Pfeilkreuzer stehen. Die Fidesz-Parlamentsführung ließ Vona unbehelligt an der Sitzung teilnehmen, erst nach Stunden wurde die Sitzung auf Drängen des oppositionellen stellvertretenden Parlamentsvorsitzenden unterbrochen.

Bereits jetzt wurde in der Arbeit des Medienrates deutlich, dass extrem rechte Medien ungehindert rassistische Propaganda verbreiten können, ohne Sanktionen fürchten zu müssen.

Die Europäische Volkspartei, der neben der deutschen CDU und CSU auch die ungarische Fidesz-Partei von Ministerpräsident Orban angehört, hat das Gesetz noch einmal in aller Form verteidigt. Fraktionschef Joseph Daul erklärte, insgesamt zeige sich, „dass die Attacken gegen das Gesetz verfrüht und unberechtigt waren“.

Die Art und Weise, in der die EU-Kommission auf das ungarische Maulkorbgesetz für die Medien reagiert, macht deutlich, dass Brüssel Angriffe auf demokratische Grundrechte in den Mitgliedsstaaten ohne weiteres akzeptiert. Mehr noch: Die EU ist selbst an der Einschränkung der Meinungsfreiheit interessiert.

In vielen europäischen Ländern ist die Pressefreiheit schon jetzt stark eingeschränkt oder besteht nur noch auf dem Papier. In Italien besitzt Silvio Berlusconi fast alle privaten Medien und kontrolliert als Regierungschef die öffentlichen Medien. In Frankreich pflegt Nicolas Sarkozy enge persönliche Beziehungen zu den einflussreichsten Zeitungsverlegern und knebelt als Präsident die öffentlichen Medien. Er hat persönlich dafür gesorgt, dass kritische Journalisten ihren Job verloren. Berlusconi und Sarkozy gelten in dieser Hinsicht als politische Vorbilder des ungarischen Regierungschefs Orban.

Die Entscheidung Brüssels ist vor allem vor dem Hintergrund der drakonischen Sparmaßnahmen in fast allen europäischen Ländern zu sehen. Die massiven Einschnitte bei Löhnen und sozialen Standards stoßen mehr und mehr auf Widerstand in der Bevölkerung. Diese Maßnahmen lassen sich nicht mit demokratischen Freiheiten vereinbaren. Auch in Ungarn wurde zeitgleich mit dem Mediengesetz ein Sparprogramm verabschiedet, das drastische Kürzungen in allen Bereichen beinhaltet.

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