Perspektive

Ägypten, Tunesien und der Kampf gegen den amerikanischen Imperialismus

Zwei Wochen nach US-Außenministerin Hillary Clintons Warnung an arabische Führer, dass „die Grundlagen ihrer Region im Treibsand zu versinken drohen“, zeigt der revolutionäre Aufschwung der Massen, dass die Stützen der amerikanischen Politik im Nahen Osten verrottet sind und zerbröseln.

Dem Massenaufstand, der die 23-jährige Herrschaft des tunesischen Diktators Zine El Abidine Ben Ali beendete, folgen jetzt Demonstrationen von Zehntausenden jungen Ägyptern, die den Sicherheitskräften trotzen und in zunehmender Zahl ihr Leben opfern, um den Sturz Hosni Mubaraks und seines fast dreißigjährigen Regimes zu fordern. Weitere Tausende demonstrierten am in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa und verlangten den Rücktritt von Präsident Ali Abdullah Saleh, der das Land seit mehr als dreißig Jahren beherrscht.

In jedem dieser Fälle haben sich Massen von Jugendlichen und Arbeitern gegen Regimes erhoben, die gleichbedeutend sind mit sozialer Ungleichheit, Korruption, politischer Unterdrückung und Folter, und die samt und sonders eng mit dem US-Imperialismus verbündet sind und weitgehend von ihm finanziert werden. Sie werden von den gleichen Bedingungen von Arbeitslosigkeit, steigenden Preisen und Selbstherrlichkeit der Regierung getrieben, wie der junge Tunesier Mohammed Bouazizi, der sich selbst anzündete und ein Fanal für die Demonstrationen in seinem Heimatland setzte.

Diese Bedingungen haben das Leben für Millionen Menschen zunehmend unerträglich gemacht. Der jungen Generation wird die Zukunft verbaut. Die Bedingungen sind das Erbe einer ganzen Epoche von kolonialer Unterdrückung und der darauf folgenden Unfähigkeit und fehlenden Bereitschaft der bürgerlich-nationalistischen Bewegungen der Region, wirkliche Unabhängigkeit vom Imperialismus zu erkämpfen. Jetzt wird diese Massenarmut und Unterdrückung durch die historische Krise des Weltkapitalismus noch ungeheuer verschärft, die ihr Zentrum in den Vereinigten Staaten selbst hat.

Es sind jetzt fast zehn Jahre her, dass die Regierung von George W. Bush unter dem Vorwand des Anschlags vom 11. September 2001 die Kriege in Afghanistan und dann im Irak begann, um mithilfe der militärischen Überlegenheit der USA, die unbestrittene Hegemonie des amerikanischen Imperialismus in der Region zu etablieren. Die Kriege und Besatzungen haben über eine Million Menschenleben und den amerikanischen Staat über eine Billion Dollar gekostet, aber keines ihrer eigentlichen Ziele erreicht, dafür aber den Hass im ganzen Nahen und Mittleren Osten und international auf Washington vergrößert.

In den Tagen imperialistischen Triumphierens, das mit dem Beginn dieser Kriege einherging, proklamierte die Bush-Regierung eine „Freiheitsagenda“. Sie vertrat die Theorie, dass ein „befreiter“ Irak die Massen der Region für „Freiheit“ und „Demokratie“ begeistern und ihre Interessen mit denen des US-Imperialismus und Israels auf eine Linie bringen werde.

Washingtons Unterstützung für Demokratie und freie Wahlen in der Region sollte nicht lange vorhalten. Parlamentswahlen in den besetzten palästinensischen Gebieten ergaben im Gazastreifen eine klare Mehrheit für die islamistische Hamas, die den amerikanisch-inspirierten „Friedensprozess“ ablehnte. Darauf reagierten die USA mit der Unterstützung eines Putschversuchs und sodann mit einer Spaltung zwischen der Westbank und dem Gazastreifen. Die palästinensische Bevölkerung bezahlte dafür mit dauerhafter kollektiver Bestrafung für ihre Entscheidung an der Wahlurne.

Die jüngste Regierungsbildung im Libanon entsprechend den Regeln des parlamentarischen Systems des Landes, die eine von der Hisbollah unterstützte Regierung ins Amt brachte, wird von Washington ebenfalls als illegitimer Putsch beäugt, und mit der Streichung von Hilfsgeldern und sogar militärischer Aggression bedroht. 

In einem Interview im National Public Radio am Donnerstag äußerte Graeme Bannerman, Nahostanalyst des Planungsstabes des Außenministeriums, die wirkliche Haltung der US-Regierung – unter Bush und Obama – unbeachtlich des ganzen Geredes über Reformen und Menschenrechte.

"Die öffentliche Meinung im Nahen Osten ist so sehr gegen uns”, sagte er, „dass eine Regierung im nahen Osten, die sich verändert indem sie sich mehr auf die Bevölkerung stützt, automatisch anti-amerikanischer sein wird und ganz gewiss weniger freundlich gegenüber den USA. Das wird ein ernstes Problem für uns sein.“

Nirgendwo ist das zutreffender, als in Ägypten. Seit der Reise von Anwar Sadat vor 34 Jahren nach Jerusalem und der Unterzeichnung des Abkommens von Camp David mit Israel haben die USA die Militärdiktatur in Ägypten unterstützt, zuerst unter Sadat und danach unter Mubarak.

Ägypten war der Dreh- und Angelpunkt der amerikanischen Politik im Nahen Osten. Im Gegenzug gewährten die USA Ägypten jedes Jahr großzügige 1,3 Mrd. Dollar an Militärhilfe. Die Kugeln, das Tränengas und die Schlagstöcke, die die Jugendlichen und Arbeiter in Kairo und anderswo zu schmecken bekommen, tragen klar und deutlich den Aufdruck „Made in USA“.

Das offizielle Washington wurde von der Revolte im Nahen Osten überrascht. Noch drei Tage, bevor sich Ben Ali an Bord eines Flugzeugs aus dem Land davonmachte, um dem Zorn seiner Landsleute zu entgehen, äußerte sich Außenministerin Clinton besorgt über die „Unruhe und Instabilität“ im Land. Sie stellte die „sehr positiven Aspekte unserer Beziehung“ zu dem langjährigen Diktator des Landes heraus. Sie betonte, dass Washington sich „neutral verhalte“, während gleichzeitig von den USA ausgebildete und ausgerüstete Truppen Demonstranten auf den Straßen niederschossen.

Erst nach dem Sturz ihres Freundes Ben Ali entdeckte die Obama-Regierung den Worten des Präsidenten nach „den Mut und die Würde des tunesischen Volkes“. In seiner Rede zur Lage der Nation proklamierte er, dass die USA „an der Seite des Volkes von Tunesien stehen“. Für das ägyptische Volk hatte er so freundliche Worte nicht, wo am gleichen Tag Bereitschaftspolizisten und Schläger der Geheimpolizei Massenverhaftungen vornahmen und Demonstranten und Journalisten verprügelten.

Am Donnerstag bekräftigte Vizepräsident Joe Biden unmissverständlich, dass die Regierung den verhassten ägyptischen Diktator weiterhin unterstütze. „Mubarak ist in vielen Fragen unser Verbündeter gewesen. Er hat sich zu den geopolitischen Interessen (der USA) in der Region … bei der Normalisierung der Beziehungen zu Israel sehr kooperativ verhalten“, erklärte Biden. „Ich würde ihn nicht einen Diktator nennen“, fügte er hinzu. Nach seiner Meinung solle Mubarak nicht zurücktreten.

Die Botschaft ist klar: Wenn das Mubarak-Regime ein Blutbad anrichten müsste, um an der Macht zu bleiben und nicht von den Massen auf der Straße gestürzt zu werden, dann hätte es den Segen Washingtons. Alles Gerede über Empfehlungen an das Regime, sich selbst zu reformieren, ist vollkommen hohl. Die Zeit, zu der die verkalkte Diktatur des 82-jährigen Mubarak überhaupt zu solchen Maßnahmen fähig gewesen wäre, ist längst vorbei.

Die USA bemühen sich im Moment, wie das Wall Street Journal es ausdrückte, „den Unmut in der Region in sichere Kanäle zu lenken“. Sie haben Jeffrey Feltman, den obersten Beamten im Außenministerium für die Region, nach Tunis entsandt, um ein Auge auf die Manöver zu haben, mit denen die Ben Ali-Diktatur ohne Ben Ali gerettet werden könnte. In Ägypten kündigt die Ankunft von Mohammed ElBaradei, dem Friedensnobelpreisträger und ehemaligen Chef der Internationalen Atomenergieorganisation, in Kairo möglicherweise eine Initiative für eine Verhandlungslösung an.

Washington fürchtet vor allem, dass die millionenstarke ägyptische Arbeiterklasse den Weg des politischen Massenkampfes beschreitet. In diesem Land, in dem vierzig Prozent der Bevölkerung von zwei Dollar am Tag oder weniger existieren müssen, ist die amerikanische „Freiheit“ in der Form des „marktradikalen Kapitalismus“ angekommen, der für umfangreiche Privatisierungen, offene Märkte und andere Maßnahmen gesorgt hat, an denen sich eine schmale Schicht an der Spitze der Gesellschaft bereichert hat, während der große Teil der Bevölkerung noch tiefer in Armut versunken ist.

Die globale kapitalistische Krise, die die Unruhen im Nahen Osten anheizt, hat ihr Zentrum in den Vereinigten Staaten selbst. Das Debakel, vor dem Washington in der Region steht, ist ein sehr deutlicher Ausdruck des Niedergangs des US-Imperialismus.

Die Arbeiter Tunesiens, Ägyptens, des Jemen, Jordaniens, Algeriens und anderer Länder in der Region, die in Massenkämpfe geworfen werden, werden feststellen, dass ihr größter Verbündeter die amerikanische Arbeiterklasse ist, die mit den schärfsten Angriffen auf Arbeitsplätze, Lebensstandard und demokratische Rechte in ihrer Geschichte konfrontiert ist.

Die Forderungen der Arbeiter und Jugendlichen, die in Tunis, Kairo, und anderen arabischen Städten auf die Straßen gegangen sind, nach Arbeitsplätzen, auskömmlichen Löhnen und demokratischen Rechten können nur in einem revolutionären Kampf zum Sturz des Kapitalismus erfüllt werden. Denn dieser ist unfähig, auch nur die grundlegendsten Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung zu befriedigen. 

Die dringliche Aufgabe, die sich durch diese Ereignisse stellt, ist der Aufbau einer neuen revolutionären Führung. Diese muss für die Vereinigung der Arbeiterklasse über nationale Grenzen hinweg und die Vereinigten Sozialistischen Staaten des Nahen Ostens und des Maghreb als Teil der sozialistischen Weltrevolution kämpfen. Das erfordert den Aufbau von Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in der ganzen Region.

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