Perspektive

Hintergrund des Kampfs um den neuen IWF-Chef

Die Festnahme und Inhaftierung des Direktors des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, und sein Rücktritt haben unter den Großmächten ein Gerangel um seine Nachfolge ausgelöst.

Die europäischen Mächte bestehen darauf, dass auch der neue Direktor ein Europäer sein müsse. Als aussichtsreiche Kandidatin wird die französische Finanzministerin Christine Lagarde gehandelt. Seit der Gründung des IWF 1944 galt die inoffizielle Regelung, dass ein Europäer an der Spitze des IWF steht, während seine Schwesterorganisation, die Weltbank, von einem Amerikaner geführt wird.

Noch wichtiger als die Tradition ist die Finanzkrise der Eurozone. Kanzlerin Angela Merkel gestand zu, dass die Schwellenländer auch einen Anspruch auf die Top-Position beim IWF hätten, erklärte aber, angesichts der beträchtlichen Probleme des Euro spreche in der aktuellen Situation vieles für einen europäischen Kandidaten.

Anfänglich schlug US-Finanzminister Timothy Geithner vor, der amerikanische stellvertretende Direktor John Lipsky solle, zumindest als Zwischenlösung, die Führungsposition übernehmen, und der frühere Beamte des amerikanischen Finanzministeriums, David Lipton, solle sein Stellvertreter werden. Nun empfiehlt Geithner einen „offenen Prozess, der zu einer zügigen Nachfolgeregelung führt“.

Die so genannten aufstrebenden und Entwicklungsländer wie China, Indien, Brasilien und Südafrika fordern ebenfalls einen fairen und offenen Prozess. Sie verlangen, die IWF-Struktur müsse sich den Veränderungen in der Weltwirtschaft anpassen. Der südafrikanische Finanzminister Pravin Gordhan sagte, die Europäer müssten „die Veränderungen in der Welt akzeptieren“.

Inmitten der Krise um Strauss-Kahn wurden diese Fragen vergangene Woche in einem Bericht der Weltbank betont, der auf die enormen Veränderungen in der Struktur der Weltwirtschaft hindeuten. Diese Veränderungen weisen darauf hin, dass der Konflikt um den nächsten IWF-Chef nur einer von vielen in der nächsten Zukunft sein wird.

Der Bericht Globale Entwicklungshorizonte zeigt Trends bis 2025 auf. Er beginnt mit der Feststellung: „In der globalen Wirtschaft stehen weitreichende Veränderungen bevor. (…) Die wachsende Kraft der aufstrebenden Märkte (…) verleiht der Weltwirtschaft einen immer stärker multipolaren Charakter“.

Demnach habe die globale Wirtschaftsordnung in der Nachkriegsära „auf stillschweigenden Wirtschafts- und Sicherheitsarrangements der Vereinigten Staaten mit ihren wichtigsten Partnern“ beruht. „Die Entwicklungsländer spielten dabei nur eine Nebenrolle“, heißt es weiter. Sie hätten ihre Politik so ausgerichtet, „dass sie von der Wachstumsdynamik der entwickelten Länder profitieren konnten“.

Diese Ära ist endgültig vorbei. Der Bericht stellt fest, dass das Wirtschaftwachstum in den nächsten fünfzehn Jahren deutlich geringer als noch 2010 ausfallen werde. „Die aufstrebenden Volkswirtschaften werden von 2011 bis 2025 allerdings durchschnittlich mit einer Jahresrate von 4,7 Prozent wachsen, und damit doppelt so schnell, wie die entwickelten Länder, die mit einer Rate von 2,3 Prozent wachsen.“

Infolgedessen geht der Bericht davon aus, dass bis 2025 sechs große “aufstrebende Länder” (Brasilien, China, Indien, Indonesien, Korea und Russland) zusammen fünfzig Prozent des globalen Wachstums beisteuern werden. Die Zentren des globalen Wachstums werden sich auf entwickelte und aufstrebende Länder verteilen und so eine „multipolare Welt“ schaffen.

Diese Veränderungen werden weitreichende Folgen für das globale Währungssystem haben. Dem Bericht zufolge ist „das wahrscheinlichste Szenario (…) ein Währungskorb aus dem US-Dollar, dem Euro und dem chinesischen Renminbi (Yuan). Damit würde der Dollar bis 2025 seine unbestrittene Rolle als führende internationale Währung verlieren und Platz für eine größere internationale Rolle des Euro und besonders des Yuan machen.“

Der Bericht schloss praktisch aus, dass eine einzelne Währung die Funktion einer multilateralen Reservewährung übernehmen könnte, die von den Großmächten verwaltet werden würde. Das würde nämlich „erfordern, dass Länder, die eifersüchtig über ihre nationale Geldpolitik wachen, die Kontrolle darüber völlig aufgeben müssten“. Mit anderen Worten würde ein solcher Plan für eine globale Währung an den Klippen der nationalen Interessen der Großmächte scheitern. Ähnliche Vorschläge von John Maynard Keynes, dem Führer der britischen Delegation bei den Verhandlungen über die Gründung des IWF im Jahre 1944, erlitten das gleiche Schicksal.

Der Bericht zeigte als dritte Alternative die Möglichkeit auf, dass das gegenwärtige System auf der Grundlage des amerikanischen Dollars beibehalten würde; – doch würde dies dazu führen, dass die Ursachen für die globalen Ungleichgewichte, die zu der Finanzkrise geführt hatten, fortdauern würden.

Das im Bericht favorisierte Szenarium eines globalen Währungssystems mit drei Standbeinen bietet jedoch keinerlei Stabilität. Im Gegenteil. Ein solches System würde sofort zur Herausbildung von Handels- und Investitionsblöcken um die drei Leitwährungen führen. Der Bericht weist selbst darauf hin, dass Länder in Ermangelung koordinierter internationaler Kontrollen von Währungsschwankungen sofort beginnen würden, „ein Bündnis mit einem der führenden Währungsländer zu schließen, zum Beispiel durch die Bindung der Währungen aneinander oder durch eine Währungsunion“, um Finanzrisiken so gering wie möglich zu halten.

Die Entstehung einer multipolaren globalen Wirtschaft würde also in einer noch explosiveren Form die Situation wieder aufleben lassen, wie sie in den 1930er Jahren gegeben war. Damals spaltete sich die Welt in rivalisierende Währungs- und Handelsblöcke, was zu scharfen Wirtschaftskonflikten und schließlich zum Zweiten Weltkrieg führte.

Natürlich führt der Bericht der Weltbank die Schlussfolgerungen aus seiner Analyse nicht konsequent zu Ende. Das ist unmöglich für eine Organisation, deren politische und wirtschaftliche Hauptfunktion zusammen mit dem IWF darin besteht, die Forderungen der globalen Finanz- und Wirtschaftseliten durchzusetzen und die zentrale ideologische Konzeption zu stärken, dass es zur kapitalistischen Ordnung keine Alternative gebe.

Aber die internationale Arbeiterklasse wird die Bedeutung dieser Prozesse nur bei Strafe ihres Untergangs ignorieren. Die enorme Verschiebung der tektonischen Platten der Weltwirtschaft verleiht den Gegensätzen zwischen der globalen Entwicklung der Produktivkräfte und der Aufteilung der Welt in konkurrierende kapitalistische Nationalstaaten eine neue Schärfe.

Dieser Widerspruch treibt die Bourgeoisie in einen immer wütenderen Kampf aller gegen alle um Märkte, Profite und Rohstoffe. Er wird letztlich zu militärischen Konflikten und zu einer Bedrohung für die menschliche Zivilisation selbst führen. Er kann in progressivem Sinne nur von der internationalen Arbeiterklasse gelöst werden, wenn sie um die politische Macht kämpft und eine global geplante sozialistische Wirtschaft aufbaut, die die Barrieren der historisch veralteten Nationalstaaten und des Profitsystems niederreißt.

Die Veränderungen der Weltwirtschaft, auf die der Bericht der Weltbank hinweist, sind nur vergleichbar mit dem Aufstieg Deutschlands, Japans und der Vereinigten Staaten am Beginn des 20. Jahrhunderts, der die Vorherrschaft des britischen Imperialismus beendete. Jene Veränderungen führten 1914 zum Zusammenbruch der damaligen kapitalistischen Weltordnung und zu drei Jahrzehnten von Kriegen und Revolutionen. Jetzt hat eine neue Periode von Kriegen und Revolutionen begonnen. Die wichtigste Voraussetzung für den Sieg der Arbeiterklasse ist der Aufbau einer neuen revolutionären Führung auf der Grundlage des Programms der sozialistischen Weltrevolution. Das ist die Perspektive des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

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