Gewaltwelle gegen Roma in Ungarn

In der nordungarischen Gemeinde Gyöngyöspata greifen neofaschistische Gruppen seit Wochen die Minderheit der Roma an. Die anhaltende Gewaltwelle ist eine direkte Folge der rechten, nationalistischen Politik von Premier Victor Orban und dem regierenden Bürgerbund (Fidesz). Die rechts-konservative Regierung lässt dem rechten Mob weitgehend freie Hand, den Terror gegen die Roma zu organisieren.

In der 2.800 Einwohner zählenden Gemeinde Gyöngyöspata im Komitat Heves terrorisieren bereits seit Anfang März faschistische Gruppen die dort lebenden Roma. So patrouillieren verschiedene uniformierte „Bürgerwehren“, um dem angeblichen „Zigeunerterror“ Einhalt zu gebieten. Einige dieser Gruppen gelten als Nachfolgeorganisationen der im Jahr 2009 verbotenen „Ungarischen Garde“, dem paramilitärischen Arm der ultrarechten Partei „Jobbik“.

Viele der rund 450 Roma in Gyöngyöspata haben ihren Heimatort verlassen und sind bei Freunden oder Verwandten in anderen Landesteilen untergekommen. Unter den Roma im Ort herrscht angesichts der Bedrohung nackte Angst. Viele haben sich in ihren Häusern verschanzt. Der stellvertretende Vorsitzende der Roma-Bürgerrechtsbewegung, Janos Farkas, sagte gegenüber der ungarischen Nachrichtenagentur MTI, die Roma in Gyöngyöspata erwögen sogar, in der US-Botschaft um politisches Asyl zu bitten.

Am Karfreitag brachte das ungarische Rote Kreuz Hunderte von Roma vor den Rechtsradikalen in Sicherheit. Knapp 300 Frauen und Kinder wurden mit sechs Bussen weggebracht, nachdem für das Osterwochenende die rechtsradikale Bürgerwehr Vedero (Verteidigungsmacht) zu einem „Übungslager“ am Ortsrand eingeladen hatte. Die Teilnehmer wurden aufgerufen, in Uniformen und mit Waffen zu erscheinen.

In der Nacht auf Mittwoch vergangener Woche schlugen die seit Wochen anhaltenden Drohungen der rechten Milizen dann in offene Gewalt um. Bei einer Massenschlägerei zwischen Roma und den paramilitärischen Organisationen „Schutzmacht“ und „Betyaren-Heer“ wurden vier Menschen verletzt, eine Person sogar schwer.

Die Neofaschisten waren mit Steinen und Knüppeln vor einem Roma-Haus in dem Dorf aufgelaufen und hatten die Bewohner beschimpft und bedroht. Nachdem sie einen Roma angegriffen hatten, setzten sich mehrere Bewohner zur Wehr. Erst als die Auseinandersetzung minutenlang in Gang war, griffen vor Ort befindliche Polizeikräfte ein und trennten die Gruppen.

Nach dieser Eskalation haben mehrere rechtsextreme Organisationen über die Internetplattform Facebook zur Mobilisierung gegen die Roma in Gyöngyöspata aufgerufen. „Alle nach Gyöngyöspata!“, heißt es dort, und „Krümmst Du dem Ungarn nur ein Haar, wirst Du teuer dafür bezahlen!“

Schutz durch die Polizei erhalten die Roma kaum. Ein Polizeisprecher erklärte, die Sicherheitskräfte hätten kaum Möglichkeiten, gegen die „friedlich patrouillierenden“ Gruppen vorzugehen. Tatsächlich sympathisieren große Teile der Polizei mit dem rechten Mob. In der Jobbik-nahen Gewerkschaft sind rund 30 Prozent der Polizeikräfte des Landes organisiert. Zahlreiche hohe Beamte unterstützen Jobbik oder ihr nahe stehende Organisationen.

Die Reaktion der Regierung Orban auf die Ereignisse wird von den Rechten zu Recht als stillschweigende Unterstützung gewertet. Die Evakuierung an Ostern hatte die Regierung auf zynische Art geleugnet. Es handle sich um einen lange geplanten „Osterurlaub“, erklärte ein Regierungssprecher.

Parlamentarier der Regierungspartei Fidesz schlugen als Reaktion auf die Vorkommnisse in Gyöngyöspata eine Untersuchungskommission vor, die ermitteln solle, „wer die Lügen verbreitet hat, dass es sich bei der Aktion vom Freitag um eine Evakuierung” gehandelt habe. Diese Nachricht habe erst zur Eskalation der Situation geführt, behaupteten Fidesz-Vertreter.

Abgeordnete von Jobbik erklärten, die Regierung sei „unfähig, Recht und Ordnung im Lande aufrecht zu erhalten“. Sie forderten die Errichtung einer landesweiten Zivilgarde, die „anstelle der überforderten Polizei gegen die Zigeunerkriminalität kämpfen kann“. Nach ihren Worten hatten in Gyöngyöspata „Zigeuner friedliche Ungarn angegriffen“.

Die oppositionellen Sozialisten (MSZP) und ihr Ex-Premier Ferenc Gyurcsany beklagten zwar, dass die Regierung nicht mit harter Hand gegen die rassistischen Übergriffe vorgehe, und kommentierten: „Ungarn hat kein Zigeunerproblem, Ungarn hat ein Naziproblem.“ Doch sie verschweigen geflissentlich, dass die Ungarische Garde und Jobbik während ihrer Regierungszeit groß geworden sind.

Der Zusammenhang zwischen der wachsenden rechten Gewalt und der Politik der Regierung Orban ist offensichtlich. Nachdem die Fidesz im letzten Jahr bei den Parlamentswahlen eine Zweidrittelmehrheit errang, hat Orban einen massiven Rechtsruck und eine autoritäre Umgestaltung der Gesellschaft eingeleitet, um jede Opposition gegen das Sparprogramm zu unterdrücken, das Ungarn auf Druck der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds eingeleitet hat.

Mit einem neuen Mediengesetz hat die Regierung Orban die Pressefreiheit in Ungarn faktisch abgeschafft. Ein fünfköpfiger Medienrat, dem ausschließlich Vertraute von Orban angehören, hat bereits harte Sanktionen gegen Medien verhängen, die nicht „ausgewogen“, d.h. im Sinne der Regierung berichten. Kritische Medien und Journalisten sollen so mundtot gemacht werden.

Mit zahlreichen Gesetzesänderungen versucht Orban autoritäre Strukturen aufzubauen, die seine Macht auf Dauer festigen. Wichtige Posten in Verwaltung und Justiz hat er mit Vertrauensleuten besetzt. Kurz nach seiner Amtsübernahme erließ er ein Gesetz, das Bürgern der Nachbarstaaten mit ungarischen Wurzeln die ungarische Staatsbürgerschaft verleiht. Damit schürte er gezielt nationale Spannungen mit den Nachbarländern, gegen die Ungarn seit dem Trianon-Vertrag von 1920 territoriale Ansprüche erhebt.

Die jüngst beschlossene neue ungarische Verfassung trägt halbdiktatorische Züge. Sie beruht auf den Werten „Gott, König und Vaterland“ und bezeichnet das Land nicht mehr als „Republik Ungarn“, sondern nur noch als Ungarn. Der Zusatz Republik war 1989 nach dem Zusammenbruch des stalinistischen Regimes eingeführt worden, um auf die demokratische Struktur des neuen Staates zu verweisen.

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