Imperialisten: Hände weg von Libyen!

Die Vereinigten Staaten und die europäischen Mächte bereiten eine direkte militärische Intervention in Libyen vor. Sie wollen den legitimen Volksaufstand gegen die 41-jährige Herrschaft Muammar Gaddafis nutzen, um die Entstehung eines radikaleren Regimes zu verhindern und ein koloniales Marionettenregime anstelle der diskreditierten Diktatur zu installieren.

Die amerikanische Regierung hat ihre Position in atemberaubendem Tempo geändert. Zuerst hat Washington die Bewegung gegen Gaddafi beinahe mit Schweigen übergangen, jetzt stellt es sich an die Spitze derer, die eine Intervention von außen planen.

Wie in jeder amerikanischen Operation in dieser Weltgegend geht es um zweierlei: um den Griff nach den Bodenschätzen eines wichtigen, Öl produzierenden Landes und um breitere strategische Interessen des amerikanischen Imperialismus im Nahen Osten und in Nordafrika. Imperialistische Truppen vor Ort in Libyen könnten den künftigen Gang der Ereignisse in Ägypten, Tunesien, Algerien und Marokko beeinflussen, d.h. in allen Ländern, in denen Unruhen im Gange sind. Sie könnten auch Einfluss auf die Region jenseits der Sahara, den Sudan, Niger und Nigeria nehmen.

Niemand, am wenigsten das libysche Volk selbst, darf der humanitären Heuchelei Glauben schenken, mit welcher der amerikanische, britische, französische, deutsche und italienische Imperialismus die Entsendung von Truppen zu rechtfertigen versuchen. Die gleichen Mächte schauten seelenruhig zu, als die Diktatoren Tunesiens und Ägyptens, Zine El Abidine Ben Ali und Hosni Mubarak, Demonstranten töteten, die für Arbeitsplätze, demokratische Rechte und gegen korrupte Ausplünderung kämpften. Die gleichen Imperialisten boten politische, diplomatische und in einigen Fällen sogar direkte militärische Unterstützung an, um solche Marionettenregimes zu stützen.

In den gleichen zwei Wochen, in denen Gaddafis Sicherheitskräfte oppositionelle Demonstranten niederschossen, wurden ähnliche Verbrechen von amerikanischen Verbündeten im Jemen und in Bahrain und von dem amerikanischen Marionettenregime im Irak begangen, ohne dass diese dafür von Washington gerüffelt worden wären, geschweige denn, dass eine internationale Militärintervention vorbereitet worden wäre.

Im Moment ist ein ausgewachsener Propaganda-Blitzkrieg im Gang, ähnlich jener Kampagne, die in den 1990er Jahren der Nato- und US-Intervention in Bosnien und im Kosovo voranging. Gräueltaten des Gaddafi-Regimes werden grell beleuchtet und als Argument angeführt, warum eine gemeinsame Intervention der imperialistischen Mächte notwendig sei, um das libysche Volk „zu schützen“. US-Außenministerin Hillary Clinton gab am Montag den Ton an, als sie Gaddafis Einsatz von „Schlägern“ und „Söldnern“ verurteilte und erklärte: „Nichts ist ausgeschlossen, solange die libysche Regierung Libyer bedroht und tötet.“ Der britische Premierminister David Cameron fiel in den Chor ein und verkündete im Unterhaus: „Wir schließen den Einsatz militärischer Mittel in Libyen keineswegs aus.“

Die internationalen Medien richten sich nach den Vorgaben aus Washington, London und anderen imperialistischen Hauptstädten und berichten ständig über den angeblichen Einsatz der Luftwaffe Gaddafis gegen Rebellen im Osten Libyens und in der Umgebung der Hauptstadt Tripolis. Dabei sind nur eine Handvoll Zwischenfälle tatsächlich belegt, was schon daran liegt, dass viele Piloten Gaddafis geflohen sind.

Der australische Außenminister forderte nach einem Treffen mit Clinton die sofortige Verhängung einer Flugverbotszone. „Guernica wurde in der ganzen Welt für die Bombardierung der Zivilbevölkerung berüchtigt“, erklärte er. Er bezog sich damit auf das Massaker der Nazi-Luftwaffe im spanischen Bürgerkrieg. „Wir haben Ähnliches in Libyen gesehen. Wir dürfen nicht einfach zuschauen, wenn heute wieder solche Gräueltaten begangen werden.“ Australien schaut keineswegs nur zu. Es ist in Wirklichkeit ein aktiver Partner in den amerikanischen Aggressionskriegen im Irak und in Afghanistan, in denen viel schlimmere Gräueltaten begangen werden.

Die amerikanisch-europäische humanitäre Empörung ist nicht glaubwürdig. Bis vor zwei Wochen haben diese Mächte Gaddafi hofiert, um lukrative Verträge für die Ausbeutung der Öl- und Gasquellen Libyens zu ergattern. Eine Parade westlicher Bewerber folgte dem Geruch des Öls nach Tripolis: Condoleezza Rice, Tony Blair, Jacques Chirac, Berlusconi und Zapatero. Gaddafis Polizeistaat und die Schreie aus seinen Folterkammern kümmerten sie damals nicht.

Die Vereinigten Staaten investierten heftig in freundliche Beziehungen zu Gaddafi, sowohl politisch als auch finanziell. Sie betrachteten seine plötzliche Annäherung an Washington und die amerikanische Außenpolitik nach 2003 als eine wichtige strategische Errungenschaft. Hillary Clinton begrüßte kürzlich einen der Söhne Gaddafis herzlich in Washington und ernannte den Gründer der Amerikanisch-Libyschen Handelsvereinigung zum Koordinator des Außenministeriums für internationale Energiefragen.

Im Jahr 2009 besuchte Gaddafis Sohn die Vereinigten Staaten und wurde von Außenministerin Hillary Clinton herzlich begrüßt.

Wenn sich diese Mächte jetzt als angebliche Beschützer der Opposition ausgeben – wobei letztere Libyen inzwischen weitgehend unter Kontrolle hat, – dann nur, um wieder in Libyen Fuß zu fassen. Es ist die gleiche Gier auf Profit und Ausplünderung. Und obwohl sie ihre Unterstützung für Gaddafis Sturz beteuern, wäre der Einmarsch des amerikanischen Militärs und der ehemaligen europäischen Kolonialmächte alles andere als ein Vorteil für jene, die wirklich für den Sturz der Diktatur kämpfen.

Eine ausländische Intervention würde in der Bevölkerung auf Widerstand stoßen. Viele Aufständische in Bengasi haben sich schon unmissverständlich gegen die Einmischung amerikanischer und europäischer Truppen ausgesprochen. Diese wäre die einzige Möglichkeit für Gaddafi, sich wieder in die Pose eines Anti-Imperialisten zu werfen; es wäre die letzte Überlebenschance für sein Regime.

Genauso zynisch sind die Krokodilstränen, die über das Schicksal der Hunderttausenden Menschen vergossen werden, die seit dem Ausbruch der Kämpfe am 17. Februar in Bengasi aus Libyen zu fliehen versuchen. Die offiziellen Sprecher der imperialistischen Mächte erklären, ihre eigenen Bürger, viele davon Techniker und Funktionäre von Ölfirmen, seien in Gefahr und müssten gerettet werden. Gleichzeitig warnen die Länder an der Mittelmeerküste, wie Italien, Spanien und Frankreich, vor einer Flüchtlingswelle infolge des Bürgerkriegs. Für beide Probleme gibt es die gleiche „Lösung“: militärische Intervention – in Libyen und entlang seiner Küste.

Die anti-libysche Kampagne ist eine Plünderungsaktion im wahren Wortsinn. Die erste konkrete Aktion nach der Verabschiedung von Sanktionen durch den UN-Sicherheitsrat war die praktische Beschlagnahmung von dreißig Milliarden Dollar libyschen Vermögens durch amerikanische Finanzinstitute und von weiteren Milliarden auf europäischen Konten. Auch wenn das offiziell als „Einfrieren“ von Vermögen bezeichnet wird, ist es doch in Wirklichkeit die Konfiszierung von Mitteln, die dem libyschen Volk gehören.

Der Diebstahl ist so offensichtlich, dass sich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Rande einer Wirtschaftskonferenz in Deutschland veranlasst sah, dagegen zu sprechen. „Für die Fehler von Regierungen sollte nicht die Bevölkerung bezahlen“, sagte er. „Wir glauben, Diskussionen über eine Intervention in Libyen oder über Sanktionen sind bedenklich, wenn man an das libysche Volk und an die Ausländer in dem Land denkt.“ Er sagte, die ausländischen Mächte sollten an die Frage von Libyen von einem humanitären Gesichtspunkt aus herangehen, und nicht „im Interesse ihres eigenen Ölbedarfs“.

Die Vorbereitungen auf eine militärische Intervention nehmen an Tempo zu. Die Berlusconi-Regierung in Italien – die frühere Kolonialmacht in Libyen und sein größter Ölkunde – kündigte am Sonntag offiziell ihren Nichtangriffspakt mit Libyen auf. Das ist die notwendige juristische Vorbereitung auf militärische Aktionen Italiens in Libyen, wie auch auf den Einsatz amerikanischer Flugzeuge vom US-Luftwaffenstützpunkt Aviano und von anderen Nato-Stützpunkten in Italien aus.

Die Obama-Regierung bestätigte am Montag, dass sie begonnen habe, Kriegsschiffe ins Mittelmeer in Reichweite zu Libyen zu verlegen. Das Pentagon wurde von den Unruhen in Libyen überrascht, die sich schnell ausbreiteten. Es hatte den Flugzeugträger USS Enterprise gerade erst am 15. Februar durch den Suezkanal ins Rote Meer entsandt. Das war eine Machtdemonstration vier Tage nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Mubarak. Die Kampfgruppe schipperte weiter in die Arabische See und „zeigte Flagge“ als Unterstützung für den unter Druck stehenden pro-amerikanischen Diktator Saleh im Jemen und die Ölscheichtümer am Persischen Golf.

Ein Pentagon-Sprecher erklärte am Montag: “Wir haben Planer am Werk und verfügen über mehrere Alternativpläne … und als Teil davon gruppieren wir unsere Kräfte um, um flexibel sein zu können, wenn Entscheidungen getroffen werden.” Die Enterprise und der kleinere Hubschrauberträger Kearsage sind jetzt ins Rote Meer zurückgekehrt und können wieder durch den Suezkanal zurückfahren oder Luftschläge gegen Ziele in Libyen führen. Die diskutierten Operationen reichen von „Rettungsaktionen“ wie sie schon von britischen und deutschen Kommandoeinheiten durchgeführt wurden, über die Einrichtung von Flugverbotszonen bis hin zur Invasion mit Marines.

Zusätzliche Sorgen macht den USA die Rolle Chinas, das seine erste militärische Aktion im Mittelmeer überhaupt durchführt. Peking hat die Fregatte Xuzhou von ihrer Anti-Piraten Patrouille vor Somalia durch den Suezkanal vor die Küste Libyens umgeleitet, um die Evakuierung von 30.000 chinesischen Staatsbürgern, überwiegend Bauarbeitern, zu unterstützen, die in Libyen festsitzen.

In der anti-libyschen Kampagne ist eine gehörige Portion Verzweiflung und extremer Verantwortungslosigkeit enthalten. Diese Kampagne beginnt nur wenige Tage nach einer Rede von Verteidigungsminister Robert Gates vor einem militärischen Publikum. In dieser Rede hatte er erklärt. „Nach meiner Meinung müsste sich jeder Verteidigungsminister, der dem Präsidenten noch einmal raten sollte, eine große amerikanische Landarmee nach Asien, Afrika oder in den Nahen Osten zu entsenden, ‚auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen’, wie General MacArthur das so fein ausdrückte.“

Der Grund für Gates’ Pessimismus ist die unbeugsame Opposition der afghanischen Bevölkerung gegen die jahrelange Besetzung durch die USA. Das Oberkommando sorgt sich über die immer schlechtere Lage der amerikanischen Freiwilligenarmee nach zehn Jahren ununterbrochener Einsätze im Ausland.

Ungeachtet solcher Ängste hat der Imperialismus seine innere Logik, und diese treibt die Obama-Regierung an. Letztendlich hätte eine amerikanische und europäische Intervention das Ziel, das „politische Vakuum“ in Libyen zu füllen, wie es die New York Times am Sonntag ausdrückte, indem das Land in ein Protektorat der imperialistischen Mächte verwandelt würde.

Ein US-Experte verglich am Sonntag im Magazin Newsweek eine Intervention in Libyen direkt mit der langfristigen amerikanischen Rolle auf dem Balkan. Die politische Situation in Libyen, schrieb er, „lässt eher an den Balkan denken als an die Nachbarn Tunesien und Ägypten, wenn es um ein mögliches Vorbild für einen Staatsaufbau in Libyen geht. Und wie auf dem Balkan könnte die internationale Gemeinschaft eine große und positive Rolle spielen. Sie könnte Expertise und, zumindest vorübergehend, Sicherheitskräfte zur Verfügung stellen.“

Mit anderen Worten soll Libyen in eine Halbkolonie unter der Oberhoheit der Vereinigten Staaten und seiner Spießgesellen aus Westeuropa verwandelt werden, die sich die Kontrolle über die Ölfelder unter den Nagel reißen. Sie werden das Territorium des Landes in eine strategische Basis für Operationen gegen die Massenaufstände verwandeln, die gerade über den Nahen Osten und Nordafrika hinwegfegen.

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