Perspektive

Globale Kräfte treiben Aufstände im Nahen Osten an

Wie sich die Aufstände im Nahen Osten ausbreiten, die im Januar begannen, dann Ägypten ergriffen und sich jetzt über die ganze Region ausbreiten, wird manchmal als eine Art Ansteckung gesehen.

Zweifellos haben Arbeiter und Jugendliche in einem Land Anregung und Stärke aus sozialen Massenbewegungen in anderen gezogen und werden das auch weiterhin tun. Aber die Geschwindigkeit dieser Ereignisse ist letzten Endes das Ergebnis tiefgreifender Prozesse in der Weltwirtschaft, die weltweit wirksam sind.

Was den Ereignissen in Tunesien, Ägypten und Libyen – den drei bisherigen Zentren der Entwicklung – gemeinsam ist, sind weitreichende neoliberale „marktwirtschaftliche“ Umstrukturierungen in jüngerer Zeit. Diese Politik mit ihren umfangreichen Privatisierungen, der Schwächung nationaler Wirtschafts- und Finanzregulierung, der Zerstörung von Zehntausenden Arbeitsplätzen und Kürzungen staatlicher Subventionen wurde vom Internationalen Währungsfonds im Interesse des globalen Finanzkapitals durchgesetzt.

Letzten Oktober beklagte der IWF in einem Bericht die generelle “mangelnde Wettbewerbsfähigkeit im Nahen Osten und in Nordafrika”. Er wies jedoch auf zwei „Erfolgsgeschichten“ hin.

Tunesien sei in der Region zum “Zentrum für Outsourcing” geworden und habe “die Regulierung vereinfacht, moderne Infrastruktur aufgebaut, setze Regierungsanreize und fühle sich einer wissensbasierten Wirtschaft verpflichtet, die gut ausgebildete und gering bezahlte Arbeiter generiere. Die Selbstverbrennung eines jungen Arbeitslosen wurde im Dezember zum Auslöser des tunesischen Aufstands.

Ägypten habe in jüngster Zeit mit “Strukturreformen” beträchtliche globale IT-Investitionen angelockt und das “Geschäftsklima verbessert”.

Auch Libyen wurde hoch gelobt. Am 28. Oktober letzten Jahres gratulierte der IWF den libyschen Behörden „für das Bemühen, dem privaten Sektor in der Wirtschaft eine größere Rolle zuzuweisen“. Er begrüßte „das Bestreben, die Finanzmärkte zu stärken“, und wies darauf hin, dass es keine staatlichen Banken mehr gebe und dass sechs der sechzehn Banken des Landes ausländische Partner“ hätten.

Der IWF-Bericht vermerkte auch, dass es “Fortschritte” bei der Verkleinerung des öffentlichen Dienstes gegeben habe. 340.000 Staatsbedienstete seien an ein zentrales Arbeitsamt ausgegliedert worden, von denen ungefähr ein Viertel eine neue Beschäftigung gefunden habe. Er forderte, diesen Abbau „zu beschleunigen“. Noch am 9. Februar diesen Jahres, nur eine Woche bevor der Aufstand gegen Gaddafi losbrach, wies der IWF auf die „ambitionierte“ Privatisierung der Banken und das „Entstehen eines Finanzsektors“ hin. Er lobte Strukturreformen in anderen Bereichen und die letztes Jahr verabschiedeten „weitreichenden Gesetze“. Sie „verheißen Gutes für die Entwicklung des privaten Sektors und für das Anlocken von ausländischen Direktinvestitionen“.

Die IWF-Direktoren hatten “die Behörden für ihre ambitionierte Reformagenda” und für die vielen wichtigen Gesetze des letzten Jahres gelobt, „die von einer Politik flankiert wurden, den Arbeitsmarkt der wirtschaftlichen Transformation anzupassen.“

Vor diesem Hintergrund erhalten die Aufstände im Nahen Osten eine breitere Bedeutung. Sie sind die erste Revolte gegen das Programm der „freien Marktwirtschaft“, das für die soziale Position der Arbeiterklasse in den letzten zwanzig Jahren so verheerende Folgen hatte. Privatisierungen, soziale Ungleichheit, Jugendarbeitslosigkeit, keine Chancen für Hochschulabgänger, sinkende Löhne und die Akkumulation von ungeheurem Vermögen durch wenige Reiche, was man häufig nur als kriminelle Raubzüge bezeichnen kann – das sind keine nahöstlichen Phänomene, sondern globale.

Während die “marktwirtschaftliche Politik” des Finanzkapitals die objektiven ökonomischen Grundlagen für die Aufstände legte, haben die Schritte von Finanzbehörden nach der globalen Finanzkrise den auslösenden Impuls gegeben.

Obwohl sie mit der größten Wirtschaftskatastrophe der letzten achtzig Jahre konfrontiert sind, machen die Obama-Regierung und die amerikanische Notenbank Federal Reserve Board mit der gleichen Politik weiter, die zu dem Zusammenbruch geführt hat. Gleichzeitig greifen sie die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse brutal an. Die Banken und Finanzinstitute wurden nicht reguliert oder kontrolliert – geschweige denn verstaatlicht oder ihre Chefs wegen ihres kriminellen Tuns vor Gericht gestellt – sondern sie erhielten von der Zentralbank Kredite zum Nulltarif, so dass sie weiter mit Spekulation und Finanzmanipulationen ungeheure Profite machen konnten.

Der Vorsitzende des Federal Reserve Board, Ben Bernake, erklärte letzten November in einem Artikel in der Washington Post ausdrücklich, dass die sogenannte „quantitative Lockerung“, die Hunderte Milliarden Dollar in das Finanzsystem gepumpt hat, die Aktienpreise hoch treiben solle. Nicht nur Aktien, sondern alle Werte, darunter Immobilien, Land, Rohstoffe und Nahrungsmittel sind jetzt ins Visier riesiger Mengen von Finanzkapital geraten, das durch Spekulation weitere Profite sucht.

Eine neuere Studie der UNICEF fand heraus, dass der Handel mit Futures und Optionen sich an den Rohstoffmärkten von 2005 bis 2010 vervierfacht hat. Der Handel mit Nahrungsmitteln macht dabei immer noch einen „kleinen, aber schnell wachsenden Anteil aus“. Die zunehmende Spekulation hat zu dem schnellen Anstieg der Preise beigetragen. Ein Preisindex der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) für einen internationalen Lebensmittelkorb, bestehend aus Milchprodukten, Fleisch, Zucker, Getreideprodukten und Ölsaaten schnellte von Juni bis Dezember letzten Jahres um dreißig Prozent in die Höhe. Der Preis für Getreide schoss im gleichen Zeitraum „um erschütternde 57 Prozent in die Höhe." Getreide ist ein Grundnahrungsmittel, das in vielen Entwicklungsländern mehr als Zweidrittel der Kalorien für die Ernährung liefert.

Die Studie fand heraus, dass die Nahrungsmittelpreise nach ihrem Höchststand 2007-2008 nicht wesentlich zurückgingen und im November 2010 etwa 55 Prozent höher waren als im Mai 2007. Der Bericht deutet auf einen der Schlüsselfaktoren für die Aufstände hin. „Seit 2008“, heißt es, „haben arme Haushalte ihre Überlebensstrategien wie weniger Mahlzeiten, die Kürzung der Ausgaben für Gesundheit, höhere Verschuldung und längere Arbeitszeiten im informellen Sektor erschöpft. Der Spielraum für weitere Belastungen ist 2011 eher gering.“

Steigende Lebensmittelpreise und Inflation infolge der Krise des globalen Kapitalismus haben im Nahen Osten schon explosive Folgen gehabt. Die Konsequenzen in China drohen noch viel schwerwiegender zu werden. Hier lebt das Regime in ständiger Furcht vor einem Aufstand der Arbeiterklasse. Sie ist viel größer als zur Zeit der Inflation in den späten 1980er Jahren, als das Regime mit dem Massaker auf dem Tienanmenplatz im Juni 1989 reagierte.

Steigende Lebensmittelpreise sind nur eine der Folgen der “Umstrukturierung” nach dem globalen Finanzzusammenbruch. Eine weitere sind die weitgehenden Kürzungsmaßnahmen in Europa und in den Bundesstaaten der USA, mit denen die Kosten in Billionen Höhe zur Rettung der Banken der Arbeiterklasse aufgehalst werden sollen.

Eine weitere Konsequenz entwickelt sich jetzt und droht unmittelbar Länder wie Australien und Brasilien zu treffen, die wegen ihrer Rohstoffexporte vor allem nach China bisher von den schlimmsten Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise verschont geblieben sind.

Ein großer Teil der gestiegenen Nachfrage, besonders nach Eisenerz, war eine Folge des Immobilien- und Baubooms in China, der von der Politik des billigen Geldes der chinesischen Finanzbehörden und der Politik der quantitativen Lockerung der amerikanischen Federal Reserve angeheizt wurde. Je länger die Blase aber wächst, umso größer schließlich der Knall. Der australische Makroökonom und Zentralbanker Warwick McKibbin warnte Anfang der Woche, er könne sogar verheerender als die Folgen der Krise von 2007-2008 sein. Weil der Rohstoffexportboom dreizehn Prozent der australischen Wirtschaftsleistung ausmacht, wäre ein Platzen dieser Blase verheerend.

Wie sehr sie sich im Einzelnen auch unterscheiden mögen: Die Situation in jedem Land ist, wie Leo Trotzki erklärte, „eine eigenartige Vermengung der wesentlichen Triebkräfte des Weltprozesses“. Daher, betonte er, können die Kämpfe der Arbeiterklasse in jedem gegebenen Land nur auf der Grundlage eines internationalen Programms und durch den Aufbau der Weltpartei der Sozialistischen Revolution vorangebracht werden. Das ist heute die Perspektive des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

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