Arabisches Filmfestival Berlin

Forbidden

Vom 2. bis zum 10. November fand das dritte Arabische Filmfestival Berlin statt. Ein Schwerpunkt des Festivals waren die Revolutionen in Ägypten und Tunesien. Nachdem wir gestern den Film 18 Days (diverse Regisseure, Ägypten 2011) besprochen haben, widmet sich der heutige Beitrag dem Film Forbidden (Amal Ramsis, Ägypten 2011). Abschließend werden wir morgen auf No More Fear (Mourad Ben Cheikh, Tunesien 2011) eingehen.

 

Forbidden von Amal Ramsis

Auf den ersten Blick betrachtet, ohne Hintergrundwissen über die ägyptische Revolution ist Forbidden eine interessante und aufschlussreiche Dokumentation über alles, was in Ägypten unter der Herrschaft Mubaraks verboten war. Amal Ramsis, die in Kairo und Madrid studiert hat, interviewt in ihrem Film politische Aktivisten, Journalisten und eine Haushälterin, die über Verbote im privaten wie im gesellschaftlichen Bereich erzählen. Die Interviews werden zumeist in Privaträumen geführt, genauere Informationen über die Protagonisten erhält man, laut Regisseurin aus Sicherheitsgründen, nicht.

Szene aus Forbidden Szene aus Forbidden

Am Anfang des Films erklärt Ramsis, dass auch die Dreharbeiten zum Film verboten sind. Sie hat keine Erlaubnis von der ägyptischen Zensurbehörde, und das Filmen auf der Straße ohne Genehmigung ist nicht erlaubt. Sie ist deshalb gezwungen, im Versteckten mit einer kleinen Handkamera zu filmen.

Zunächst fokussiert der Film vor allem auf Verbote und Einschränkungen, die den Ägyptern im Alltag begegnen und die sie teilweise, so wird es zumindest durch den Film suggeriert, gar nicht mehr richtig wahrnehmen.

Verwackelte Aufnahmen zeigen massive Zäune, die die Gehwege in Kairos Innenstadt von den Straßen trennen. Hohe Absperrungen versperren die Sicht und den Zutritt auf die privaten Grundstücke am Nilufer. An noralgischen Punkten der Stadt säumen riesige grüne Polizeilaster der berüchtigten Amn al-Markazi (Zentrale Sicherheitskräfte) die Straßen. Die Menschenmassen auf Kairos Straßen scheinen von all dem relativ unbeeindruckt ihrem Alltagstrott nachzugehen. Eine interviewte Aktivistin bemerkt in diesem Zusammenhang, die Ägypter hätten sich derart an diesen Käfig gewöhnt, dass sie ihn gar nicht mehr richtig wahrnähmen. Ramsis, die ab und zu Kommentare einfließen lässt, ergänzt, die von oben ausgeübte Repression diktiere das Verhalten der Leute.

Der Film neigt an dieser Stelle dazu, die Massen als so stark in den Unterdrückungsapparat eingebunden darzustellen, dass ein Ausweg schier unmöglich erscheint. Die von den Mächtigen und einer konservativen Gesellschaft gesetzten Normen scheinen zu stark verinnerlicht. An einer Stelle fragt Ramsis zum Beispiel die Haushälterin, ob sie schon einmal in der Öffentlichkeit ihren Mann geküsst habe. Sichtlich überrascht und etwas schockiert antwortet diese: „Natürlich nicht. Amal, was ist das für eine Frage?“

Den Gegenpol zur konservativen Grundhaltung der Haushälterin bilden gewissermaßen die Aktivisten und Journalisten aus der Mittelschicht, die progressiv und weltgewandt erscheinen. So erklärt ein Aktivist, dass er schon einmal seine Freundin im Auto vor der Oper geküsst habe, worauf die Polizei eine Riesenszene gemacht habe. Eine andere beschwert sich vor allem darüber, dass es im Ägyptischen Museum einen gesonderten Eingang für Ägypter gibt, was sehr entwürdigend sei.

Im weiteren Verlauf geht es im Film dann auch um größere politische Ereignisse, wie die Parlamentswahlen 2010, bei der die regierende Nationaldemokratische Partei Mubaraks angeblich 97 Prozent der Stimmen erhielt. Es werden die Notstandsgesetze thematisiert, die seit 1981 ununterbrochen in Kraft sind und auf deren Grundlage beliebig Oppositionelle verhaften wurden. Es geht um Pressezensur, und auch der Fall des zu Tode gefolterten 24-jährigen Khaled Said wird erwähnt.

Ein weiteres wichtiges Ereignis, das gezeigt wird, ist der Generalstreik in der Industriestadt Mahalla al-Kubra im April 2008. Damals lieferten sich tausende Textilarbeiter Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften, skandierten gegen Mubarak und stürzten ein überdimensionales Bildnis des Diktators – und das obwohl Demonstrationen und Proteste offiziell verboten sind.

Einer der größten Schwächen des Films ist, dass er es nicht schafft, ein tieferes Verständnis darüber zu vermitteln, warum die herrschende Elite in Ägypten einen solchen Unterdrückungsapparat unterhält und die Bevölkerung an allen Ecken und Enden mit Verboten einschränkt. Die sozialen Probleme der Massen spielen kaum eine Rolle, und man erfährt wenig bis nichts über ihre Lebensumstände.

Der Fokus liegt auf den Aktivisten und Journalisten, die zwar auch von allen möglichen Verboten betroffen sind, aber es auf Grund ihres offensichtlich teilweise recht hohen Lebensstandards besser schaffen, sich damit zu arrangieren und Freiheiten, die das Regime ihnen zugesteht, zu nutzen. So berichten einige, sie seien eigentlich alle politischen Gruppen aktiv, die offiziell verboten seien, denen das Regime aber dennoch einen gewissen Spielraum lasse. Ähnlich sei es mit der Presse, die zwar kontrolliert würde, aber dennoch bis zu einem gewissen Grad oppositionelle Meinungen zuließe. Die interviewten Journalisten und Aktivisten bewegen sich alle irgendwie in diesem Rahmen der semi-offiziellen Opposition und arbeiten dabei teilweise sogar für die staatlichen Medien.

Eine der Befragten ist Nawara Negm, die Tochter von Ahmed Fouad Negm, einem bekannten Dichter, der lange Jahre mit dem berühmten ägyptischen Sänger Sheikh Imam zusammen arbeitete. Negm schrieb in ihrer Karriere unter anderem für die staatlich kontrollierten Wochenzeitungen Al Ahram Weekly und Al-Qahira. Später veröffentlichte sie auch Artikel in Al-Wafd, dem offiziellen Sprachrohr der liberalen Al-Wafd Partei, die eng mit dem Mubarakregime kooperierte, und in der unabhängigen Tageszeitung Al-Dostour. Seit 2006 betreibt sie ihren eigenen Blog unter dem bezeichnenden Titel Popular Front of Sarcasm (Volksfont des Sarkasmus).

Insgesamt sind die Gespräche mit den Aktivisten wenig tiefgehend. Ramsis schneidet für den Film verschiedene kurze Versatzstücke zusammen. Nur selten findet ein längerer Austausch über ein Thema statt.

An einer Stelle berichtet einer der Interviewten, seit dem Jahr 2005 habe sich einiges verändert und er sei der festen Überzeugung, dass diese Entwicklung weitergehen werde. Dass er jedoch keinesfalls eine Revolution im Auge hatte, machte Amal Ramsis in einem Interviewgespräch nach der Aufführung des Films deutlich. Keiner der Interviewten, die alle ihre Freunde seien, hätten zur Zeit der Dreharbeiten an eine Revolution gedacht. Wie sie selbst seien alle von den Ereignissen überrascht worden.

Auf den zweiten Blick ist Forbidden also nicht nur eine Dokumentation über die Verbote zur Mubarakzeit, sondern auch eine Studie über das Milieu der ägyptischen Aktivisten, ihrer sozialen Orientierung und politischen Ausrichtung. Interessant ist in dieser Hinsicht vor allem auch, was im Film nicht gesagt wird.

So ist das Jahr 2005, dass einer der Protagonisten interessanterweise als Wendepunkt nennt, das Jahr, in dem die damalige US-Regierung unter George W. Bush ihre „Demokratische Offensive“ im Nahen und Mittleren Osten intensivierte. Seitdem wurden Hilfsgelder, die von den USA nach Ägypten flossen, vermehrt für Institutionen der Zivilgesellschaft wie NGOs und Menschenrechtsorganisationen ausgegeben, in deren Umfeld sich auch viele der ägyptischen Aktivisten bewegen. Auch wenn sich viele Organisationen und ihre Vertreter verbal von der politischen Rolle des Westens in der Region distanzieren, gibt es unzählige Bande zwischen ihnen und dem westlichen Imperialismus.

Mohamed Waked in Forbidden Mohamed Waked in Forbidden

Zu den im Film interviewten Aktivisten zählt auch Mohamed Waked, ein führender Vertreter der sogenannten Revolutionären Sozialisten (RS) in Ägypten. Die Revolutionären Sozialisten sind eine pseudolinke Gruppe, die mit der britischen Socialist Workers Party (SWP) verbunden ist und mit den Muslimbrüdern und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenarbeitet. Für die herrschende Klasse in Ägypten spielt diese Organisation bei der Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft eine wichtige Rolle.

Vor der Revolution war es die Aufgabe der Revolutionären Sozialisten, Widerstand gegen das Regime in enger Zusammenarbeit mit den Muslimbrüdern und anderen rechten bürgerlichen Kräften zu kontrollieren. Seit dem Ausbruch der Revolution sind sie darum bemüht, eine zweite Revolution gegen die Militärjunta zu verhindern. Von Beginn an schürten sie die Illusion, Mubaraks Generäle könnten durch Druck von unten zu demokratischen und sozialen Reformen gezwungen werden, und argumentierten gegen revolutionär-sozialistische Politik.

Es ist nicht klar, wie bewusst sich Amal Ramsis über die politische Rolle der Revolutionären Sozialisten ist, aber sie verschweigt aus Gründen, die nur sie kennt, die politische Zugehörigkeit von Mohamed Waked und den anderen Aktivisten. Das Argument der Sicherheit, das sie anführt, ist dabei nicht sehr überzeugend. Für den ägyptischen Geheimdienst dürfte es keine große Herausforderung darstellen, die Identität eines Mannes herauszufinden, der minutenlang auch über persönliche Details in die Kamera spricht.

An einer anderen Stelle im Film sieht man Kamal Khalil, den Führer der Revolutionären Sozialisten und der Demokratischen Arbeiterpartei (einer „linken“ bürgerlichen Partei, die die Revolutionären Sozialisten aufbauen) in einem Konvoi von Aktivisten unterschiedlichster Couleur, die versuchen, in den Gazastreifen einzureisen. Er skandiert nationalistische Slogans und zeigt damit erneut, dass die Revolutionären Sozialisten mit sozialistischer Politik nicht das Geringste zu tun haben.

Am Ende des Films werden Bilder von der Revolution gezeigt. In einem Gespräch im Anschluss an die Filmvorführung betonte Ramsis, dass die letzten Schnittarbeiten am Film mit dem Beginn der Revolution zusammen fielen. Die letzte Einblendung ist der Schriftzug: „18 days until the regime fell in the end“.

Heute betont Ramsis, dass sie diesen Satz so nicht mehr unterschreiben würde. Mittlerweile sei klar, dass das Regime nicht gefallen sei und die Militärs die Politik Mubaraks fortsetzten. In der ersten Phase nach dem Sturz Mubaraks sei aber alles revolutionär gewesen, auch das Militär und die staatlichen Institutionen. Sie habe sogar die Erlaubnis erhalten, ihren Film in einem Kino in Kairo zu zeigen, was vorher undenkbar gewesen wäre. Diese Phase sei nun aber beendet und es sei klar, wo das Militär wirklich stehe. Es müsse deshalb nun darum gehen, die Revolution mit Streiks und Protesten weiter nach vorne zu treiben und die Militärregierung durch eine Zivilregierung zu ersetzen.

Ramsis bezeichnet sich selbst als eine politische Aktivistin, und es ist unwahrscheinlich, dass sie ihre politischen Standpunkte lediglich aus Naivität vertritt. Ihre Aussagen machen deutlich, welche entscheidende Rolle die pseudolinken Kräfte in Ägypten dabei spielen, die bürgerliche Herrschaft zu stabilisieren. In einer Situation, in der die Verbrechen und Gewalttaten der Militärs immer offensichtlicher werden, distanzieren sie sich zwar verbal von diesen, aber verteidigen die Vorherrschaft des Militärs weiterhin in versteckterer Form.

So versuchen die Revolutionären Sozialisten die Streiks und Proteste in harmlose Kanäle zu lenken. Ihre Perspektive ist auf die Zusammenarbeitet mit angeblich progressiven Kräften der ägyptischen Bourgeoisie gerichtet, die die Militärs durch eine sogenannte Zivilregierung ersetzen sollen. Dabei ist völlig klar, dass das Militär nur eine „zivile Regierung“ akzeptieren wird, die seine Privilegien und den Einfluss seiner imperialistischen Hintermänner in den USA und im Westen nicht antatest.

Eine revolutionäre Offensive der Arbeiterklasse und den Kampf für sozialistische Politik und eine Arbeiterregierung, die notwendig wären, um die Junta wirklich zu stürzen, lehnen die Revolutionären Sozialisten vehement ab, weil sie ihren eigenen gesellschaftlichen Bestrebungen gefährden würden. Die Aktivisten der Revolutionären Sozialisten und anderer Gruppen sind nach dem Sturz von Mubarak darauf konzentriert, sich in Ägypten in das offizielle bürgerliche Establishment zu integrieren. Parallel dazu knüpfen und vertiefen sie im Rahmen von Kultur- und politischen Diskussionsveranstaltungen ihre Verbindungen zu ähnlichen pseudolinken Gruppierungen im Westen, wie der Linkspartei und der Rosa-Luxemburg Stiftung in Deutschland.

Ende November spricht Mohamed Waked auf Einladung der ex-stalinistischen Jugendzeitung Junge Welt ebenfalls in Berlin über die „Aktuelle Lage in Ägypten“, wobei er ähnliche politische Standpunkte vertreten wird, wie Amal Ramsis auf dem Filmfestival. Wie Ramsis tourt auch Waked durch mehrere europäische Städte.

Vor diesem Hintergrund wäre es oberflächlich, Forbidden einfach nur als interessante Dokumentation über die Zeit vor der Revolution zu sehen. Der Film ist Teil einer politischen Offensive, die im Moment auf politischer und kultureller Ebene lanciert wird, um eine politische Entwicklung der ägyptischen Arbeiterklasse zu verhindern.

Wird fortgesetzt

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