SPD und Grüne bereiten Koalition in der Hauptstadt vor

Nach der Abwahl des seit zehn Jahren regierenden Berliner Senats aus SPD und Linkspartei planen SPD und Grüne in der Hauptstadt die Bildung einer gemeinsamen Regierung unter Führung des bisherigen Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD).

Die SPD stellt nach der Wahl vom 18. September trotz des Verlustes von mehr als 10.000 Wählerstimmen wieder die stärkste Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Zur Bildung einer neuen Landesregierung benötigt sie allerdings einen Koalitionspartner.

Gemeinsam mit der CDU hätte die SPD eine sichere parlamentarische Mehrheit, doch derzeit setzt sie auf eine Regierungsbeteiligung der Grünen, mit denen sie im Abgeordnetenhaus nur eine Mehrheit von einer Stimme hat. Die Gründe dafür sind vor allem bundespolitischer Natur. Das Bündnis mit den Grünen in Berlin soll eine zukünftige rot-grüne Koalition auf Bundesebene vorbereiten.

In der Presse wurde nach Sondierungs-Gesprächen der SPD mit CDU und Grünen eine Liste mit Übereinstimmung und Unterschieden in bestimmten Fragen der Landespolitik veröffentlicht. Unter anderem ging es um Fragen der inneren Sicherheit, der Bildungs-, Energie- und Verkehrspolitik und um die Privatisierung der S-Bahn. Die Übereinstimmung mit den Grünen scheint demnach nicht wesentlich größer zu sein als die mit der CDU, auch wenn es sich um jeweils andere Bereiche der Landespolitik handelt.

In einer an sich wenig bedeutsamen Frage der Berliner Verkehrspolitik gibt es sogar heftige medialen Auseinandersetzungen zwischen SPD und Grünen. Die Grünen hatten im Wahlkampf einen weiteren Ausbau der Stadtautobahn A100 von West nach Ost als nicht mehr zeitgemäßes Verkehrskonzept abgelehnt. Die dafür eingeplanten Gelder sollten lieber in den Erhalt bestehender Straßen und in Lärmschutzmaßnahmen investiert werden, als in den Bau eines „Wurmfortsatzes“ der Stadtautobahn mit der Länge von nur 3,2 km.

Für den Weiterbau der Stadtautobahn A100 könnte das Land Berlin allerdings neben der Verwendung eigener Haushaltsmittel zusätzlich vom Bundesverkehrsministerium Fördermittel in Höhe von 420 Millionen Euro erhalten. Die SPD-Landespolitiker möchten auf diese zweckgebundenen Fördermittel nicht verzichten. Sie erhoffen sich eine Verbesserung der Infrastruktur für Investoren und die (wenn auch nur vorübergehende) Schaffung von Arbeitsplätzen im Straßenbau. Im Land Berlin sind aktuell mehr als 13 Prozent arbeitslos, die Armut wächst und höhere Steuereinnahmen zur Bezahlung der Haushaltschulden sind kaum in Sicht.

Obwohl die Grünen dafür bekannt sind, umweltpolitische Wahlversprechen für den Preis der Machtbeteiligung abzuschreiben, musste in Bezug auf den Ausbau der Stadtautobahn A 100 ein gesichtswahrender Kompromiss gefunden werden. Der zunächst erzielte Kompromiss sah vor, bei der Bundesregierung eine Umwidmung der beantragten Fördermittel zu erbitten und diese dann für andere Verkehrsprojekte zu verwenden. Bei einem Scheitern dieses Antrages solle der geplante Weiterbau der Stadtautobahn verfolgt werden.

Obwohl über die Vergabe der Fördermittel an Berlin noch gar nicht entschieden worden ist, erteilte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) diesem Kompromiss eine sofortige Absage und eröffnete nach Meinung einiger Kommentatoren damit schon den bevorstehenden Bundestagswahlkampf.

Im Bundestag fand am gleichen Tag eine „Aktuelle Stunde“ zu diesem Thema statt, in dem sich die Parteienvertreter mit gegenseitigen Vorwürfen traktierten und dem interessierten Publikum die Absurdität des bürgerlichen Politikbetriebs vor Augen führten. Es wurde deutlich, dass die Debatte vollkommen sinnlos war, weil gegen den Weiterbau der A100 momentan noch eine Klage bei Gericht anhängig ist, über die erst im nächsten Jahr entschieden wird. Ferner sind beim Bundesverkehrsministerium Straßenbauprojekte im Wert von 47 Mrd. Euro angemeldet, für die lediglich 1,5 Mrd. Euro aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung stehen!

Der von Medien und Politikern hochgespielte Konflikt lenkt von Problemen ab, die alle betreffen. So wird in der Öffentlichkeit nicht darüber gesprochen, wie die künftigen Koalitionäre die Berliner Schulen und den dringend erforderlichen sozialen Wohnungsbau finanzieren wollen, wie viele Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst vernichtet werden und in welcher Höhe es zu weiteren Einsparungen bei den Sozialausgaben kommen wird. Immerhin hatten die Grünen in ihrem Wahlprogramm zusätzliche Einsparungen im Landeshaushalt in Höhe von 500 Millionen Euro vorgesehen. Eine öffentliche Debatte darüber wird nicht geführt.

Wie zu erwarten, hat sich der grüne Landesparteitag am letzten Freitag trotz des Scheiterns des Kompromisses über die A100 mit überwältigender Mehrheit für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der SPD ausgesprochen. Professionelle Beobachter weisen auf den Druck hin, der von den Bundesebenen der beteiligten Parteien ausgeübt wird, um zu einer Einigung auf Landesebene zu kommen. Ein funktionierendes Bündnis im Land Berlin soll helfen, eine rot-grüne Koalition auf Bundesebene vorzubereiten.

Trotz der mehrheitlichen Unterstützung für den Eurorettungsschirm im Bundestag ist die schwarz-gelbe Koalition in sich heftig zerstritten. Die soziale Konterrevolution, die in Griechenland, Spanien und Portugal bereits in vollem Gange ist, soll auch auf Deutschland ausgeweitet werden. Die beschlossenen weiteren Rettungsmaßnahmen zur Sicherung des Kapitals der europäischen Banken verlangen die Bereitstellung riesiger Finanzmittel aus dem Staatshaushalt. Schon wird die gesetzliche Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle auf den Prüfstand gestellt. Alle sozialen Errungenschaften stehen zur Disposition.

Die rot-grüne Koalition unter dem Sozialdemokraten Gerhard Schröder und dem Grünen Josef Fischer hatte sich bei der Durchsetzung von rigiden Maßnahmen des Sozialabbaus als besonders erfolgreich erwiesen. Mit der Einführung der Hartz-Gesetze wurde die Leiharbeit zu prekären Bedingungen erheblich ausgeweitet und die Zwangsarbeit für einen Euro pro Arbeitsstunde eingeführt. Selbst jahrzehntelange Berufstätigkeit und Einzahlung in die Sozialkassen schützen nicht mehr vor bitterer Armut. Dazu haben SPD und Grüne die Beteiligung der Bundeswehr am Jugoslawien- und Afghanistankrieg durchgesetzt.

Die deutsche Bourgeoisie bereitet sich auf harte Klassenkämpfe vor. SPD und Grünen wird dabei die Rolle der Vollstrecker des sozialen Kahlschlags zugetraut.

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