Weshalb westliche Politiker Pussy Riot unterstützen

Die drei Sängerinnen der Punk Band Pussy Riot, die am vergangenen Freitag in Russland wegen „Rowdytums aus religiösem Hass“ zu zwei Jahren Strafkolonie verurteilt wurden, haben von westlichen Politikern und Medien eine Welle der Unterstützung erfahren.

Die Philosophiestudentin Nadeschda Tolokonnikowa (22), die Greenpeace-Aktivistin Maria Aljochina (24) und die Programmiererin Jekaterina Samusewitsch (29) hatten am 21. Februar mit anderen Mitgliedern von Pussy Riot, einer feministischen Punk-Band, in der Moskauer Erlöserkathedrale ein „Punk-Gebet“ gegen Präsident Wladimir Putin gesungen.

Dass sie deshalb schwerer Verbrechen beschuldigt, monatelang in Untersuchungshaft genommen und schließlich zu einer drakonischen Strafe verurteilt wurden, ist Bestandteil der verstärkten Angriffe des Putin-Regimes auf die liberale Opposition. Der russische Staat zeigt dabei immer offener seine autoritären Züge. Es handelt sich um einen Angriff auf demokratische Grundrechte, der zurückgewiesen werden muss.

Doch die Verteidigung der drei Sängerinnen durch imperialistische Politiker des Westens dient einem anderen Ziel. Er ist an Zynismus nicht zu überbieten. Es gibt wenig Grund anzunehmen, dass es Künstlern hier besser ergehen würde, die sich mit ähnlichen Mitteln gegen die Autorität des Staats auflehnen. In vielen westlichen Ländern sitzen Menschen aus weit geringerem Anlass hinter Gittern.

Die westlichen Regierungen sprechen sich nur dann für Demokratie und Menschenrechte aus, wenn es ihren eigenen reaktionären außenpolitischen Zielen dient, bei deren Verfolgung sie sich selbst rücksichtslos über Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hinwegsetzen.

US-Präsident Barack Obama ließ nach der Urteilsverkündigung erklären, die USA seien über die „unverhältnismäßigen Strafen“ enttäuscht. Und das aus dem Munde des Präsidenten eines Landes, das rund um die Welt Folterzentren unterhält und angebliche „Terroristen“, darunter eigene Staatsbürger, ohne Prozess und Urteil liquidieren lässt! In den USA sitzen zudem mehr Menschen im Gefängnis, als in jedem anderen Land der Welt.

Die französische Kulturministerin Aurélie Filipetti zeigte sich besorgt um die Erhaltung der „künstlerischen Freiheit“ in Russland, die „ein Merkmal der Stärke einer Demokratie“ sei. Dass ihre eigene Regierung plant, Ghettos für Roma aufzubauen, steht für sie freilich nicht im Widerspruch zur „Stärke einer Demokratie“.

Groteskerweise löste zudem die französische Polizei am 17. August in Marseille eine friedliche Demonstration gegen das Pussy Riot-Urteil auf, weil die Demonstranten nach dem Vorbild der verurteilten Sängerinnen bunte Kopfhauben trugen. Die Polizei begründete ihr Vorgehen mit dem Anti-Burka-Gesetz, das die Religionsfreiheit tiefgläubiger Musliminnen unterdrückt, indem es das Verhüllen des Gesichts in der Öffentlichkeit verbietet.

Auch das britische Außenministerium äußerte seine „tiefe Sorge“ über das Urteil gegen Pussy Riot. Es vergaß zu erwähnen, dass in England nach den sozialen Unruhen vor einem Jahr 1.300 Menschen wegen weit geringerer Taten ins Gefängnis wanderten. Der Diebstahl einer Wasserflasche oder zustimmende Kommentare auf einer Internetplattform reichten aus, um hinter Gitter zu enden. Die Urteile, die in Schnellverfahren unter Missachtung jedes rechtstaatlichen Verfahrens gefällt wurden, waren eindeutig politisch motiviert.

In Deutschland nahm die Unterstützung von Pussy Riot besonders heftige Formen an. Anfang Juli verfassten 120 Bundestagsabgeordnete ein Schreiben an den russischen Botschafter in Berlin, das den Prozess anprangerte. Außenminister Guido Westerwelle kritisierte das Verfahren mehrfach. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel meldete sich zu Wort: „Das unverhältnismäßig harte Urteil“ stehe „nicht im Einklang mit den europäischen Werten von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie“. Wenn es darum geht, Sparmaßnahmen gegen den Widerstand der griechischen oder spanischen Arbeiter durchzusetzen, kümmert sich Merkel hingegen nicht um „Rechtsstaatlichkeit und Demokratie“.

Hinter der Kampagne gegen das Putin-Regime im Namen der Demokratie steht in Wahrheit die Unzufriedenheit des Westens mit dessen Innen- und Außenpolitik sowie der Versuch, Druck auf das Regime auszuüben.

Zum einen fordern westliche Politiker und Unternehmen eine stärkere Öffnung des russischen Marktes für ausländische Investoren sowie umfassendere Angriffe auf die Arbeiterklasse. Viele unterstützen aus diesem Grund die Protestbewegung der städtischen Mittelschichten, die von der marktwirtschaftlichen Agenda der liberalen Opposition dominiert wird. Pussy Riot ist zwar eine Künstlerorganisation, nahm aber mit verschiedenen Aktionen an diesen Protesten teil und unterstützt deren politisches Programm.

Zum anderen prallen die außenpolitischen Interessen des Westens und Putins zunehmend aufeinander. Moskau stellt sich vehement gegen eine westliche Intervention in Syrien und dem Iran. Gemeinsam mit China hat Russland zwei UN-Resolutionen, die den Weg für eine militärische Intervention der Westmächte in Syrien ebnen sollen, blockiert. Der Kreml ist seit Jahrzehnten eng mit dem Regime in Syrien verbunden, das für ihn neben dem Iran das letzte Bollwerk gegen das Vordringen des US-Imperialismus im Nahen Osten und Zentralasien ist.

Der französische, der britische und der deutsche Imperialismus stehen im Syrienkonflikt auf der Seite der USA. Durch die militärische und finanzielle Unterstützung der so genannten Rebellen, die hauptsächlich aus militanten Islamisten, ehemaligen Regierungsmitgliedern und westlichen Geheimdienstlern bestehen, haben die Westmächte einen Bürgerkrieg entfacht, der bereits zehntausenden Menschen das Leben gekostet hat und die ganze Region ins Chaos zu stürzen droht.

Der deutsche Imperialismus will nach der Enthaltung im Libyen-Krieg bei der Neuaufteilung der Rohstoffreserven des Nahen Ostens nicht mehr abseits stehen. Traditionell zwischen der politischen Orientierung an den USA und der Abhängigkeit von russischen Rohstoffimporten zerrissen, hat sich die deutsche Regierung im Syrien-Konflikt eindeutig auf die Seite der USA gestellt. Sie spielt eine Schlüsselrolle bei der Ausrüstung und Ausbildung der Anti-Assad-Kräfte und unterhält ein eigenes Zentrum zur Ausarbeitung von Plänen für ein pro-marktwirtschaftliches Syrien nach Assad. (Siehe „Deutsche Regierung gewährt den syrischen Rebellen militärische Hilfe“)

Diese außenpolitische Orientierung ist ein wesentlicher Grund, warum die Pussy-Riot-Kampagne von deutschen Politikern und Medien besonders stark geführt wird. Die Süddeutsche Zeitung kommentierte Ende Juli, alle Vermittlungsbemühungen der Bundesregierung zwischen Russland und dem Westen seien vergebens gewesen und die „strategische Partnerschaft“ zwischen Moskau und Berlin liege „unter dem Schutt der syrischen Krise“ begraben.

Nur wenige Wochen später verkündete der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), unter Hinweis auf den Pussy-Riot-Prozess, Berlin und Moskau verbinde keine „strategische Partnerschaft“ mehr, wie es jahrelang offiziell geheißen hatte, sondern nur noch eine „angestrebte Partnerschaft“. Darüber hinaus drohte Schockenhoff mit der Auflösung des „Petersburger Dialogs“ – einer Institution, die seit ihrer Gründung 2001 durch Putin und Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder wie kaum eine andere für deutsch-russische Zusammenarbeit in Wirtschaft und Politik steht.

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